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61. Jahrgang

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Dienstag, äen 9. Nooemver 1886

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^otitifche WcrchricHten.

Deutsches Reich.

Berlin, 7. Nov. In einer Darstellung derNordd. Allgem. Zig." über die Fortschritte der ausländischen Kriegsmarinen wird der Nachweis der Notwendigkeit geführt, bei Abmessung der zur Ver­vollständigung uno Begründung unserer maritimen Streitkräste erforderlichen Mittel immer das Aufgebot an Macht und den Grad an Schlagfertigkeit vor Augen zu behal'en, über den die Marinen des Auslandes gegenwärtig zu verfügen vermögen. Bei vorurteilsloser Beurteilung werde man zum Schluß gelangen, daß, wenn neue und gesteigerte Anforderungen auf dem Gebiete des Marincwesens für die nächste Zukunft nicht zu umgehen sein werden, die Befriedigung derselben doch durch Rücksichten und Erwägungen geboten ist, welche unzertrennbar sind von den patriotischen Em­pfindungen für die Befestigung der Machtstellung Deutschlands zur See und für die Erhaltung und För­derung seines wirtschaftlichen Gedeihens.

Die Nat.-Ztg. schreibt: Bezüglich der Rückkunft des Fürsten Bis­marck nach Berlin scheinen feste Bestimmungen noch nicht getroffen; zunächst ist eine Uebersiedlung nach Friedrichsruh in das Auge gefaßt. Das Befinden der Fürstin Bsmarck ist nicht befriedigend und empfehlen die Aerzte dringend einen Winteraufenthalt im Süden.

Türkei.

Wie man derPolit. Korr." mitteilt, hat der Sultan in der vorigen Woche bei allen Botschaften anfragen lassm, ob ihren Nachrichten zufolge Rußland die Absicht habe, Bulgarien zu besetzen. Herr v. Nolidow, welcher zuerst befragt wurde, äußerte sich, daß die friedlichen Mittel, über welche Rußland disponiere, noch lange nicht erschöpft seien, so daß eine solche Frage gar nicht diskutiert werden könne. Herr v. Radowitz antwortete, daßallen erdenklichen Voraussichten nach" Rußland Bulgarien nicht besetzen werde. Calice soll bemerkt haben, feiner Ansicht nach liege es nichtin den In­tentionen" des Zaren, Bulgarien zu besetzen. Keine Botschaft vermochte eine bestimmte klare Antwort zu erteilen. Der Sultan berief hierauf die Mitglieder des militärischen Rates, um über die Lage zu beraten, und die meisten der­selben sprachen sich dahin aus, daß der Zar in einer plötzlichen Anwandlung von Unmut sehr wohl den Befehl zur Besetzung Bulgariens geben könne.

Bulgarien.

Tirnowa. 5. Nov. Gestern traf hier aus Rußland Girginow, einer der in die Verschwörung gegen den Fürsten Alexander verwickelt gewesenen

und nach Rußland entkommenen Offiziere, ein. Girginow erzählt, daß er vom Kaiser persönlich empfangen worden sei und daß der Kaiser sich mit der größten Erbitterung über die bulgarischen Vorgänge ausgesprochen habe. Seine Geduld sei zu Ende und er werde derenglischen Wirtschaft" in Bul­garien baldigst ein Ende machen. Girginow sagt, er sei auch viermal bei Katkow gewesen, von dem er gleichfalls die Versicherung erlangt habe, daß Rußland zu den äußersten Maßregeln entschlossen sei. Girginow sucht mit den Mitgliedern der bulgarischen Regierung in Verbindung zu treten. In Bur gas erhob gestern die russische Partei einen Aufstand unter Führung des in die Verschwörung von Burgas verwickelt gewesenen Hauptmans Nabokow, der, auf Verlangen des russischen Konsuls frei­gelassen, seine Wühlereien fortgesetzt hat und in den umliegenden Dörfern Banden von Montenegrinern und Griechen bildete, mit denen er die Stadt überrumpelte. Nach bulgarischen Telegrammen wurden die Offiziere der ein Bataillon starken Garnison überfallen und gefangen genommen, ebenso die bürgerlichen Behörden. Die Aufständischen verkündeten angeblich die Selb­ständigkeit von Burgas und ernannten einen montenegrinischen Popen zum Befehlshaber der Militärmacht. Sodann wurde die Stadt gegen außen ab- gcsperrt, so daß seitdem unbekannt ist, was dort vorgeht. Die bulgarische Regierung hat sofort den Bataillonen in Aitos und Jamboli Befehl erteilt, gegen die Aufständischen zu marschieren. Die Truppen sollen sofort angreifen, wenn die Aufständischen sich nicht augenblicklich ergeben.

Tirnowu, 6. Nov. Die Negierungstruppen halten augenblicklich Burgas emgeschlossen, da sich ein Haufen von Montenegrinern unter der Führung eines ehemaligen russischen Offiziers und eines schon bei früheren Verschwörungen gegen den Fürsten Alexander beteiligten Popen mit teilweiser Hilfe der Stadt bemächtigt hat. Der Kommandant und drei Offiziere wurden von den Aufständischen gefangen, ersterer ist aber mit einer Kompagnie ent­kommen. Bisher hat kein Blutvergießen stattgefunden.

Tirnowa, 7. Nov. Nach Berichten aus Philippopel haben daselbst zwei Russen, nachdem sie die dortige Bevölkerung aufzuwie« geln versucht hatten, sich in das Haus des Dragoman, des russischen Konsulats geflüchtet. Ter Präfekt verlangte Instruktionen für sein Verhalten und wurde derselbe angewiesen, den russischen Konsul zu bitten, ihn in das betreffende Haus zu begleiten, behufs der Verhaftung der beiden Russen. Wie aus Bur gas berichtet wird, ist die Wieder­herstellung der Ordnung daselbst ohne jedes Blutver­gießen erfolgt. . Fr. Journ.

AeiriL^elon. «Nachdruck

Verlorene Ehre.

Roman von W. Köffer.

(Fortsetzung.)

Aber trotzdem war die Kranke nicht ruhig. Ein unsichtbares, ungreifbares Etwas verriet ihr die Nähe der Gefahr; sie horchte fortwährend.

Als später der Doktor herein kam, war er ruhig wie immer, vielleicht eben, wie sein Entschluß bereits fest stand. Mochte es der Wucherer zum äußersten treiben, die arme, kranke Frau würde davon vor ihrem Ende Nichts mehr erfahren. Er konnte Deutschland verlassen für immer, um jenseits des Oceans das lange getragene Joch von sich abzuwerfen. Eines nur blieb ihr ungewiß: sein halb wirkliches, halb geträumtes Verhältnis zu der Gesellschafterin. Ob ihn Elisabeth innig genug liebte um seinetwegen Alles zu verlassen?

Er suchte und fand ihre Rechte. O gewiß, gewiß, dies Herz konnte nicht täuschen. Freude und bittere Qual stritten unablässig in seiner Seele. Welche Schande, irgend einem Menschen Geld schuldig geblieben zu sein! Er hatte sich auf Walters Zusage so sicher verlassen, die Angelegenheit für längst geordnet gehalten, und nun brach dennoch der öffentliche Schimpf so plötzlich über ihn herein!

Was fehlt Dir, mein Sohn?" fragte zärtlich die Kranke, als sie ihn wie geistesabwesend vor sich Hinstarren sah.Sag' es Deiner Mutter!"

Er küßte gerührt ihre Hände.

Nichts, Mama wie kommst Du nur darauf?"

Finchen war während des ganzen Tages kaum eine Viertelstunde hier, und auch da noch zerstreut und sonderbar" flüsterte später die Kranke.Es geht irgend Etwas vor, davon bin ich überzeugt."

Die Schwüle vor dem Gewitter lag auf Aller Herzen.

Fräulein Haberland erzählte ihrer Vertrauten, was sich am Morgen zugetragen hatte, und als Elisabeth um Frieden bat, da schüttelte sie heftig den Kopf.

Mag er büßen, ich helfe ihm nicht. Das Univcrsitätstreiben hat ihn völlig verdorben, er ist undankbar und leichtsinnig! Wenn ich heute tausend Thaler für ihn bezahle, so verschleudert er morgen die doppelte Summe. Der Leichtsinn liegt ihm vom Vater her in: Blute. Ich bitte Sie, welcher Mensch mit gesundem Verstände übernimmt Bürgschaft? Der gleichen Extravaganzen sind mir auf den Tod verhaßt."

Und die Stricknadeln klirrten, obwohl schwere Thränen in das entstehende, feine Gewebe Herabsielen.

Er soll gehorchen", setzte Tante Finchen hinzu.Ich will seine vornehme, kühl gehaltene Opposition brechen, wenn sie sich nicht legt. Entweder"

Die Gesellschafterin blieb stumm, aber um so lebhafter arbeiteten ihre Gedanken. Jener Andere, den Tante Jofephine, damals ein junges, unschuldiges Mädchen, zu seinem eigenen Besten in wohlmeinendster Absicht beherrschen wollte, jener Erste, den sie lieb hatte, zog es vor, auf und davon zu gehen und mit einem Schlage ihre ganze Zukunft der Verödung preiszugeben ob es nicht gut war, sie daran in diesem entscheidenden Augenblick zu erinnern?

Geben Sie morgen ein wenig Acht, liebe Elisabeth", setzte die alte Dame hinzu,Fremde sollen überhaupt nicht heraufkommen, am allerwenigsten noch zu mir. Julius mag im Visitenzimmer mit ihnen verhandeln."

Und jetzt wagte die Gesellschafterin noch einen letzten Versuch.

Fräulein Haberland, denken Sie an Ihre Jugend, an so Manches, das Ihnen später den bittersten Schmerz verursachte."

Der Blick ihrer Herrin ließ sie plötzlich verstummen.

Was beliebt, Fräulein Elisabeth?"

Sie ignorierte consequent den Namen Herbst, auch bei dieser Gelegenheit.

Die Gesellschafterin erglühte ihr Stolz war durch den Ton der alten Dame auf das empfindlichste verletzt. Unwillkürlich wurde der Blick, mit welchem sie ant­wortete, ein bedeutsamer, vielleicht drohender sogar.