Der Gesellschafter.
Amts- und Intelligenz-Blatt für den Oberamts-Bezirk Nagold.
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Donnerstag 24. April
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i ch e s.
Nagold.
An die Ortsvorsteher,
betreffend die Jnvaliditäts- und Altersversicherung.
Die Ortsvorstehcr werden hiemit aus den Erlaß des K. Ministeriums des Innern vom 28. März d. I., betreffend die Vorbereitungen für den Vollzug der Uebergangsbestimmungen des Reichsgesetzes vom 2l. Juni 1889 über die Jnvaliditäts- und Altersversicherung (Amtsbl. S. 97) hingewiesen, wor- nach sie für zuständig erklärt worden sind, Bescheinigungen d^r Arbeitgeber über Arbeits- und Dienstverhältnisse zu beglaubigen und selbst amtliche Bescheinigungen über bestandene Arbeits- und Dienstverhältnisse zu erteilen/
Aus gegenwärtigem Anlaß wird daraus aufmerksam gemacht, daß die s. Z. im Gesellschafter vom Oberamt gegebene Belehrung über den Inhalt vorgenannten Reichsgesetzes und der dazu erlassenen Uebergangsbestimmungen in Scparatabdrücken von der Redaktion des Gesellschafters bezogen werden kann.
Den 22. April (890.
K. Oberamt. vr. Gugel.
Sk a g o l d.
BeLanntmaHunst.
Im Stalle des Metzgers Friedrich Hänßler jr. in Nagold ist die Maul- und Klauenseuche erloschen.
Den 22. April 1890.
_ K. Oberamt . Amtm. Marquart.
Gestorben: Schulrat a. D. Wilhelm Mosapp, 69 I. alt.
Der heutige HLand der europäischen Aröeiterhervegung.
In der deutschen und noch mehr in der ausländischen Presse wird vielfach angenommen, die Arbeiterbewegung in Deutschland sei erst seit den letzten Reichstagswahlen recht in Fluß gekommen. Diese Ansicht ist aber falsch, das Wahlresultat, resp. das Anwachsen der sozialdemokratischen Stimmen, war nicht der Beginn der Bewegung, sondern nur ein Zeichen derselben, das noch von besonderen Verhältnissen beeinflußt wurde. Die Lohnbewegung ist, wie bekannt, seit Frühjahr 1889 gewaltig in die Höhe gekommen und sie hat sich auf alle europäischen Staaten ausgebreitet; die Bergleute waren es besonders, welche den Stein ins Rollen brachten. Dann fand in Paris der bekannte internationale Arbeitertag statt, welcher die Achtstundenbewegung einleitete, über die nun selbst unter den deutschen sozialdemokratischen Reichstagsabgeordneten Meinungsverschiedenheiten entstanden sind. Wenn man fremde Zeitungen seit den Reichstagswahlen liest, so findet man darin ziemlich übereinstimmend die Ansicht aus
gesprochen, daß die soziale Bewegung nirgends einen so hohen Stand erreicht habe, wie in Deutschland. Dieser Ausspruch zeug? wieder einmal von einer großen Unbekanntschaft mit den deutschen Verhältnissen, die man leider bei den angesehensten Blättern des Auslandes noch häufig genug bemerkt. Man sagt, die deutschen Sozialdemokraten hätten bei den Wahlen fast anderthalb Millionen Stimmen auf sich vereinigt; das sei in keinem anderen Lande bisher vorgekommen. Ist richtig; kein Land hat aber auch ein so demokratisches Wahlrech!, wie das bensche Reich. Das Königreich Belgien hat die freieste Verfassung in ganz Europa, und worin besteht die Hauptforderung der belgischen Arbeiter? In der Gewährung des allgemeinen Wahlrechts, das bisher hartnäckig verweigert ist. Die deutschen Verhältnisse liegen ganz eigenartig, darum sind sie auch nicht für den Vergleich mit denen anderer Staaten geeignet.
Trotz allen Streiktrubels war es im deutschen Reiche doch während deS letzten Jahres am ruhigsten von allen deutschen Industriestaaten, ein Beweis, daß die große Mehrheit der deutschen Arbeiter sich ruhige Ueberlegung gewahrt hat. Daß mancher aufbraust, je nun, das kommt vor, aber den stürmischen Momenten folgt wieder die Besinnung. Es ist richtig, wir hatten verschiedene Streikausschreitungen, in Rheinland-Westfalen und Niederschlesien ist es bei den Bcrgarbeiterausständen zu recht bedauerlichen Gewaltthaten gekommen. Aber die Exzedenten waren zumeist unreife Burschen und ihre Streiche sind verdammenswert, aber nicht charakteristisch für alle deutschen Arbeiter. Wir haben in letzter Zeit außer verschiedenen anderen Vorkommnissen noch den Krawall in Cöpenick bei Berlin gehabt, in welchem ein Beamter meuchlerisch ermordet wurde. Das ist alles unerfreulich, aber wie steht es denn in anderen Industriestaaten? Zehnmal ärger! Denken wir an den vorjährigen Dockarbeiterstreik in England, bei welchem es mehrere Wochen hindurch Tag für Tag zu blutigen Zusammenstößen kam, von den früheren Plünderungszügcn ganz zu schweigen. Dann an die Unruhen in Liverpöl, Manchester, Birmingham und anderen großen englischen Industriestädten, bei welchen es zu Straßenkämpfen kam, Fabriken und Maschinen demoliert wurden! Ueber die unausgesetzten Arbeiterkrawalle, Attentatsversuche und Raubszenen in Belgien brauchen wir kein Wort weiter zu verlieren. In Frankreich ist es in den Minendistrikten zu entsetzlichen Gräuelthaten gekommen, ein Hüttendirektor wurde z. B. zu Tode getreten, Militär hat zu wiederholten Malen die Ruhe wieder Herstellen müssen. In der Schweiz kam es in Bern und Zürich zu Excessen, in Rom, Mailand, Bologna und anderen italienischen Städten haben im letzten Jahre wohl ein halbes Dutzend offenkundiger Arbeiter-Revolten startgefunden. Die Ausschreitungen in Wien, Mähren, die furchtbaren Plünderungen in Kladno in Böhmen sind in aller Erinnerung. Wo sind nun bei uns Ausschreitungen in diesem weiten Umfange vorgekommen? Nirgends! Auch die gegenwärtige so überaus große Zahl von Streiks ist bei uns nicht, ärger, als in anderen Staaten. Das sind die that- sächlichen Verhältnisse, und wenn jedermann gern zugeben wird, daß in Deutschland vieles nicht erfreulich ist, so müssen wir doch mit aller Entschiedenheit die Auffassung zurückweisen, daß wir es heute nur mit einer deutschen Misere zu thun haben. Ganz Europa hat zu kämpfen, und sprechen fremde Zeitungen so viel von Deutschland, um von den eigenen
Verhältnissen nicht reden zu brauchen, so üben sie, gelinde gesagt, Selbsttäuschung.
Kaiser Wilhelm H. hat der Arbeiterbewegung gegenüber die allein richtige Politik eingeschlagen: gerechte Ansprüche befriedigen, Gewalt mit Gewalt dämpfen und abwarten. Auch die reißendste Flut wird wieder einmal ruhig, und wir in Deutschland haben recht feste Dämme, die Ueberschwemmungen erfolgreich wehren. Wir haben eine Zeit der (Nahrung, der wieder eine solche der Klärung folgen wird, aus den Kops hat man die Welt noü) nie stellen können und dazu wird es auch heute nicht kommen. Wir hatten die umgekehrte Erscheinung von heute zum Beginn der siebziger Jahre; in der Gründerzeit wollten alle Unternehmer mit den Köpfen durch die Wolken fahren. Die hitzigen Geister sind sehr ruhig später geworden, und auch jetzt wird wieder Ruhe kommen; auf dem Gipfel der Bewegung sind wir, einmal muß es wieder abwärts gehen.
Tages srerrigkeiLett.
Deutsches Reich.
Nagold. Gedanken beim Blick auf die Schloßbergfahne. Unsre von Alt und Jung sehnsüchtig erwartete Wetter- und Reichs-Fahne flattert seit Dienstag abend wieder kühn und den Wind richtig weisend auf unsrer Schloßberg-Ruine. Hoffen wir, daß die von Werkmeister W. Benz verbesserte Konstruktion nunmehr der Fahne eine längere Dauer sichern, und so „das Werk den Meister loben" werde. Bleiben wir aber auch des Nachsatzes in Schillers „Glocke" stets eingedenk, daß der Schutz dieser Fahne „von oben kommen" muß, denn abgesehen davon, daß der Zahn der Zeit auch an dieser Fahne nagen wird, bleibt sie der Gefahr ausgesetzt, daß ein Orkan, oder ein Blitzstrahl oder frevelnde Menschenhand sie aufs Neue zu Boden wirft. Im Blick auf die deutschen Reichsfarben unsrer Fahne aber sagen wir: Möge es kein schlimmes Vorzeichen sein, daß gerade auch bei Wiederaufrichtung der Fahne der Wind vom Westen, — von Frankreich — her ins deutsche Land blies! Ist doch von dorther bisher unsrem Volke noch selten etwas Gutes zugcflossen. Oder haben wir nicht auch die jetzt bei uns grassierende politische Influenza des Sozialismus und Kommunismus wesentlich französischer Lehre und französischem Beispiel zu verdanken? War es nicht der Franzose Proudhon, der zuerst mit der tollen Sage „Eigentum ist Diebstahl" die Köpfe der Armen verwirrte? Gegen diese politische Epidemien schützen uns aber weder Sozialisten-Ge- setze, noch die Gewährung der immer unvernünftiger und unverschämter werdenden Forderungen der Sozialistenführer, sondern lediglich die Fahnentreue der Mehrheit unsres Volkes, das Festhalten am Kaiser, an der Reichsverfassung, und am — christlichen Glauben und „christlichen Gesittung" (Forderung unsres Kaisers auch beim dentschen Offiziers- Korps). Sind dagegen die sogen. „Gebildeten" und , Besitzenden in ihrer Mehrheit von diesen 3 Grundpfeilern unsres neuerstandnen Reiches innerlich abgewichen , so wird das Gift der Sozialdemokratie bald auch den Geist und die Disciplin unsres^ Heeres verderben; es wird den Arbeiter-„Ausständen" das traurige Nachspiel von Volks-Aus ständen folgen, und unser Reich nach kurzer Blüte durch eigene Schuld des Volkes — „von oben" verlassen — dem dann verdienten Untergange nicht entrinnen.