Amts- unä Intekkigenzökatt für äen Aezirk

Erscheint Aienstag, Z»o«»er«1ag L Samstag.

tm Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Zeile Bezirk, sonst 12

Donnerstag, äen November 1886.

Abonnementspreis halbjährlich 1 80 H, durch

die Post bezogen im Bezirk 2 90 sonst in

ganz Württemberg 2 70

Zum Abonnement auf dasCalwer Wochenblatt" für die Monate NovemberDezember ladet freundlichst ein

die Redaktion.

H'okitiscHe WcrcHvictzlen.

Deutsches Reich.

Am 29. v. M. ist im Bezirk Urach die Ersatzwahl eines Land» tagsabgeordneten vollzogen worden. Wider Erwarten zersplitterten sich etwa 900 von den 3370 Stimmen, die im Ganzen abgegeben wurden. Es war nämlich zwei Tage vor der Wahl ein Gegenkandidat in der Person des Geometers I. Müller in Mezingen hervorgetreten und hatte in einem gedruckten, im Bezirk verbreiteten Programm seine Grundsätze dargelegt; er erhielt denn auch im Weichbilds seines Wohnortes 696 Stimmen und 201 fielen auf Bleher von Gruorn, der, wie es scheint, von seinen Freunden ohne sein Dazuthun und ohne daß darüber vorher etwas verlautete, als Bewerber im Stillen aufgestellt wurde. Der von der deutschen Partei aufgestellte Be­werber, Herr Auer, welcher 2447 Stimmen auf sich vereinigte, ist gewählt. Der Parteienbestand in der Kammer bleibt damit erhalten.

Berlin, 2. Novbr. (Privattelegramm des Neuen Tagblatts.) Der Kaiser besuchte gestern nachmittag die Jubiläums-Kunftaus- stellung und durchschritt deren Säle mit elastischer Rüstigkeit. Er dehnte den Besuch über eine Stunde aus. Das Ohrenleiden des Prinzen Wilhelm erweist sich als sehr hartnäckig; derselbe muß sich täglich schmerzhaften Ein­spritzungen durch Ohr, Mund und Nase unterziehen. Während der letzten Tage fanden auf Requisition von Altona her bei bekannten Sozialdemo­kraten in Mainz, Gotha und Nürnberg Haussuchungen statt. Der neu­ernannte Generalintendant Graf Hochberg hat auf den ihm zustehenden Gehalt von 18,000 verzichtet.

Berlin, 2. Nov. Der Etat der Reichseisenbahnverwal­tung veranschlagt die Gesamteinnahme auf Mark 45,237,300, also um Mark 2,153,900 weniger als das Vorjahr, indem bei dem Güterverkehr ein Minus von 2,050,000 angenommen ist. Die Gesamtausgaben betragen 28,541,200 also um vIL 1,003,100 weniger als im Vorjahr, mithin Ueberschuß 16,696,600, was ein Minus von ^ 1,150,800 gegen das Vorjahr ergibt. Als einmalige Ausgaben figurieren 592,000, um 2,702,460 weniger als im Vorjahr. Der Etat des allgemeinen Pensionsfonds weist bei einer Gesamtausgabe von 24,344,780

eine Vermehrung von 2,494,705 auf, welcher Betrag auf die Wirkung des neuen Pensionsgesetzes zurückzuführen ist.

Berlin, 1. Nov. Der Marineetat stellt sich im Ordinarium auf 38,338,192 also gegen das Vorjahr um 1,237,007 höher; die einmaligen Ausgaben sind auf 9,317,770 »1L angesetzt, also gegen das Vor­jahr um 384,140 geringer.

Ueber den Austritt Lothar Buchers aus dem Reichsdienst hatten verschiedene Blätter behauptet, derselbe sei durch die rasche Beförderung des Grafen Herbert Bismarck veranlaßt worden. Das Deutsche Tageblatt schreibt: Geheimerat Bücher hatte bereits vor drei Jahren wegen eines zu­nehmenden rheumatischen Leidens seine Entlassung aus dem aufreibenden auswärtigen Dienste nachgesucht; der Reichskanzler, welcher seinen treuesten Mitarbeiter nicht verlieren wollte, zögerte aber, diesen Wunsch zu erfüllen. Im vorigen Jahre nötigte jedoch anhaltendes Unwohlsein Bücher, einen langen Urlaub anzutreten, nach besten Ablauf ihm auf sein erneutes Drängen der wohlverdiente Ruhestand gewährt wurde. Unbehindert von laufenden Amts­geschäften und Besuchen dürfte Bücher mehr als je seinen politischen Studien und Ausarbeitungen auch in seinem Ruhestand obliegen.

Frankreich.

Paris, 1. Nov. DerSoleil" erwähnt und bestätigt die Meldung, auf den Grafen von Paris sei ein Anschlag gemacht worden. Nach dem Courrier du Havre" wäre das Attentat in der Nacht vom 26./27. Okt. in Schloß Sheen House begangen worden. Ein Individuum habe sich ins Schlafzimmer des Grafen eingeschlichen, aber der Prinz habe gewacht und den Attentäter vertrieben. Letzterer sei mit einer Leiter durch das Arbeitszimmer des Herzogs von Orleans eingestiegen.

Bulgarien.

Tirnowa, 31. Okt. Die große Sobranje wurde heute mit folgender Botschaft eröffnet: Nach der Abdankung des Fürsten hat die gegenwärtige Regierung die Leitung der Geschäfte übernommen und ihre Kräfte daran gesetzt, den Frieden, die Ruhe und Sicherheit des Landes aufrecht zu halten und Leben sowohl als Ehre der bulgarischen Bürger zu schützen. Ihr Ziel war, das Vaterland aus der Krisis zu ziehen, die aus dem Staatsstreiche vom 21. August folgte. Die Regierung betrachtete es als den wichtigsten Akt, der ihr obliege, die Sobranje zur Wahl eines Fürsten für den erledigten Thron zu berufen. Trotz der mit der provisorischen Regierungsform zusammen­hängenden Schwierigkeiten haben sich die Wahlen ohne erhebliche Zwischen­fälle vollzogen. Die Regierung sieht mit Befriedigung heute die Vertreter der Bevölkerung in der alten Hauptstadt Bulgariens vereinigt, in der festen

Jeuit^eton. <^-^6

Verlorene Ehre.

Roman von W. Köffer.

(Fortsetzung.)

Gewiß ist er mein Kind", schluchzte sie,gewiß habe ich mir Mutterrechte an ihm erworben fragen Sie nur die arme Jda, wer von seiner ersten Lebensstunde her all' die schweren Pflichten, welche solch ein beginnendes Leben der Umgebung aufbürdet, treulich und unter Verzicht auf jede andere Rücksicht erfüllt hat, um dafür später tyrannisch und geizig genannt zu werden. Mag doch Julius meine Bücher einsehen! Was ich besitze, reicht für drei sparsame Menschen gerade aus, mehr aber ist es nicht. Er spricht von despotischen Gelüsten, wo ich Gott weiß es! immer sein Bestes im Auge hatte."

Elisabeth blieb die Antwort schuldig. Tante Josephine rechnete mit einem ein­zigen Factor, dem der strengen Vernunft, die niemals neben sich irgend eine andere Gottheit geduldet, die auch nie irgend einem Herzenswunsch Zugeständnisse macht; sie verstand nicht, ahnte nicht, daß gerade ihre gute Absicht dem Zartgefühl des Doktors von jeher Wunde auf Wunde schlug und sein Freiheitsgefühl, den mächtigen Trieb der Menschenseele, heimlich mehr und mehr zur Entfaltung spornte. Und jetzt weinte sie auch so bitterlich. Elisabeth empfand jede dieser Thränen wie einen Mahnruf ihres Gewissens.

Das ist aber nicht ganz allein meines Neffen wegen", fuhr seufzend die alte Dame fort.Schon vor langen Jahren nannte mich ein Anderer mein Bräutigam herrschsüchtig, weil ich ihn zurückzuhalten suchte, wenn er seine Abende im Wirts­hause verbrachte. Es ist eine alte Wunde, die Julius so unsanft berührte zuerst der, den ich liebte, und jetzt der, dessen Mutter im edelsten Sinne des Wortes ich immer war. Beide beschuldigen mich auf das Schwerste, obgleich ich willig für den Einen wie für den Anderen das Leben dahingegeben haben würde."

Elisabeth bückte sich tief ergriffen und küßte die Hand ihrer Herrin.

Welch' eine Macht wäre gerade jetzt jener Brief gewesen!

Aber sie mußte ihn verbergen wie ein totbringendes Geheimnis; dies Letzte, Abscheulichste wenigstens sollte ihr Niemand vorwerfen dürfen.

Ich sehe schon", nickte die alte Dame,man hat Ihnen das längst erzählt. Sie war immer selbstsüchtig und voll Herrschgelüste nicht wahr, so hieß es doch? Aber ich will vor Gott verantworten, was damals und jetzt geschah. Julius soll bei der Justizrätin Ollmers seinen Besuch machen und sich Mühe geben, ein gutes, liebenswürdiges und dabei reiches Mädchen für sich zu gewinnen, oder wir Beide versöhnen uns nie wieder."

Die Gesellschafterin verließ unter irgend einem Vorwand das Zimmer. Von allen Seiten tönte die Mahnung an ihr Rechtsgefühl. Hier im Hause bleiben, hieß für sie einen Verrat begehen an der Zukunft des geliebten Mannes.

Gewiß, wenn erst der Zustand der Kranken einigermaßen erträglich geworden, dann wollte sie ohne Abschied, ohne Beichte davongehen ein Brief konnte Alles erklären, konnte die ewige Trennung besiegeln, ohne die Schmach des mündlichem Geständnisses.

Das Verhältnis zwischen dem Geliebten und ihr selbst war seit jener Begeg­nung am Weinachtsabend ein ganz eigentümliches geworden. Jeder Blick, jedes Wort von ihm verrieten die Zuversicht des Zugeständnisses, dennoch wußte sie sorgfältig jedem Alleinsein auszuweichen. Ein fortwährendes inneres Fieber zehrte an ihren Kräften so, wie sie waren, konnten die Dinge nicht mehr lange bleiben, oder das gefolterte Hirn erlag dem Uebermaaße!

Zuweilen, wenn die Kranke schlief, saß sie mit müssig gefalteten Händen und in's Leere gerichtetem Blick vor dem Bette derselben, immer wie im Geist jene flüch­tige Begegnung auf der Treppe durchlebend immer wieder zum hundertsten und tausendsten Male. '

Das war der Scheidegruß des Daseins, das Todesurteil, und doch; wie selig sein Andenken! Er hatte sie geküßt wäre doch in dieser Minute das Ende ge­kommen !