61. Jahrgang.

Mo. 127.

Amts- um! IntelligenMatt für äen Aezirü.

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8amstag, äen ZO. Oktober 1886.

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die Redaktion.

^okitische Wcrchrichten.

Deutsches Reich.

Berlin, 26. Okt. Die neuerdings von englischen und deutschen Blättern gleichzeitig gemachten Vorschläge für ein internationales Vorgehen gegen die Anarchisten veranlassen dieVoss. Ztg." zu einer Rekapitulierung der bisherigen dahin gehenden Bestrebungen, welche bekanntlich nur den preußisch-russischen Auslieferungsvertrag als einziges Resultat hatten, während die Ausdehnung dieses Vertrages auf das Reich nicht die Zustimmung des Reichstages fand. DieVoss. Ztg." hält daher ein Zurückkommen auf den ursprünglichen.russischen Vorschlag der Abhaltung einer Konferenz für wahrscheinlich, um so mehr, als, wie das Blatt hört, bei England und Oesterreich jetzt eine größere Geneigtheit zur Herbeiführung einer internationalen Vereinbarung gegen die Anarchisten vorhanden ist. Bereits im früheren englischen Kabinet fehlte es nicht an Stimmen, welche den russischen Vorschlag befürworteten, während die radikalen Mitglieder, wie Chamberlain, Dilke und Bright ganz entschieden für die Ablehnung desselben eintraten, und das schließliche Zurückrreten Oesterreich-Ungarns von den Ver­handlungen hatte hauptsächlich m der Besorgnis seinen Grund, daß es sich nicht lediglich um den Anarchismus, sondern zugleich um die polnische Be­wegung handeln möchte.

Zu der von Berlin aus bestrittenen Nachricht von dem Besuche des Prinzen Alexander von Preußen beim Papste ist, wie derPost" geschrieben wird, hinzuzufügen, daß an einem der letzten Tage der persönliche Adjutant des Prinzen, General-Lieutenant v. Winterfeld vom Papste in Privataudicnz empfangen worden ist.Man wird vielleicht nicht irre gehen, anzunehmen, daß der General vom Prinzen beauftragt ward, dem Papste dessen Entschuldigung zu überbringen, daß er den Papst nicht besucht habe, da sein Aufenthalt in Rom lediglich einen privaten Charakter habe."

Italien.

Die Haltung Italiens während der ganzen Balkankrise bedeutete entschieden eine Annäherung an das Zwei-Kaiser-Bündnis. Wenn Oesterreich- Ungarn sich neben Deutschland auch auf Italien stützen könne, dann könnte man mit aller Seelenruhe der Komplikation entgegensehen, denn dieselbe

müßte, sei es mit dem Schwerte oder ohne dasselbe, zu Oesterreich-Ungarns Vorteil und mit der Niederlage seiner Gegner endigen.

Italien will jetzt mit Eifer an die Reorganisation seines Heeres und seiner Marine zu gehen. Der Finanzminister hat dem Marinemmister einen in 4 Jahresraten zu 15 Millionen zu leistenden weiteren Betrag von 6 0 Millionen für Ausführung einiger Küstenforts und den Bau neuer Schiffe zur Verfügung gestellt. Ein von den letzten Wochen datierter Marinebefehl ordnet die Anschaffung von Sicherheitsnetzen gegen Torpedos für alle Kriegsschiffe an. Der Befehl erfolgte auf Grund des günstigen Erfolges der Versuche, die mit Netzen an Bord des Kriegsschiffes Duilio" gemacht wurden. Die Umgestaltung der V-tterli-Gewehre zu Repetiergewehren wird derart betrieben, daß im nächsten Frühjahre 150,000 Mann mit letzterem werden ausgerüstet sein können.

Rußland.

Wie dem N. Tagbl. aus Berlin geschrieben wird, soll an der Geschichte, der Zar habe seinen Flügeladjutanten Graf Reutern erschaffen, kein wahres Wort sein. In gut unterrichteten Kreisen hält man diese Er­findung für ein Börsenmanöoer.

Petersburg, 27. Okt. DerRegierungsanzeiger" motiviert die Entsendung zweier Klipper nach Varna durch die vor­gekommene ungesetzliche Verhaftung russischer Unterthanen daselbst. :

Gages-Weuigkeiten.

Calw. 29. Okt. Der landwirtschaftliche Bezirks­verein hatte auf gestern eine Ausstellung der Simmenthaler Raffe und deren Kreuzungen veranstaltet, an der sich jedoch nur die Vereinsmitglieder beteiligen konnten. Diese hatten 31 Rinder und 10 Farren angemeldet, und sind nur 2 Farren und 1 Rind ausgeblieben. Ausgesetzt waren für die Rinder 13 Preise im Betrage von 154 , für die Farren 4 Preise im

Betrage von 95 das Preisgericht sah sich jedoch veranlaßt, bei den Rindern und Farren je einen Nachpreis zu beantragen und hat der Ausschuß, den Anträgen des Preisgerichts entsprechend, hienach folgende Preise zuerkannt:

-X) für Rinder:

1) Wörner z. Sonne in Simmozheim 25

2) Klein, Gutspächter auf Dicke 20

3) Lutz, Gem.-R. in Althengstett 15

4) Waidelich, C,, Bauer in Möltlingen 15

Jeuikteton.

Verlorene Ehre.

Roman von W. Koffer.

. , (Fortsetzung.)

Fräulern Herbst!" rief er überrascht.Sie wachen noch?"

.Gute Nacht, Herr Doktor!"

Sie wollte an ihm Vorbeigehen, erschreckt fast, so rasch als möglich, aber er hielt ihre Hand zwischen seinen beiden.

Ein trostloser Weinachtsabend, Elisabeth, nicht wahr? Meine Tante hat das Talent, jede frohe Stunde zu vergiften. Ich war wahrhaftig eben erst im Begriff auszugehen, um noch irgendwo sei es sogar im Wirtshause ein Bischen Fest­stimmung aufzutreiben!"

Elisabeth bemühte sich vergebens, ihre Hand aus der seinigen zu befreien.

Ich darf Sie also nicht aufhalten, Herr Doktor gute Nacht!"

Er trat ihr näher, sein Gesicht schien wie von plötzlicher Rührung überhaucht.

Elisabeth", sagte er, weshalb zittert Ihre Hand?"

Und als sie nichts antwortete, da legte er den Arm um ihre Schultern.

Diese kleine, rebellische Hand! Der Puls ging vorhin wie im Fieber!"

Seine und ihre Stirn berührten sich. Elisabeth schloß die Augen, kaum ganz bewußt dessen, was im Moment mit ihr und um sie herum geschah. Durch das heißes schmerzende Hirn bebte Etwas wie die verworrene Erinnerung an jenes Versprechen, das sie noch kürzlich der Tante gegeben für die Heirat des Doktors mit Fräulein Ollmers zu gelegener Stunde wirken zu wollen.

Was sagte doch die Alte? Pauline ist ein gutes, unschuldiges Kind, wie ge­schaffen, um einen Mann so recht zu beglücken!

Arme Elisabeth!" flüsterte er.Das Leben hier im .Hause thut Ihnen -chtgut!"

Und dann zwang er sie, ihn anzusehen.

Wie seine Stimme im leichten Flüsterton so berauschend zu ihrem Herzen sprach! Wie sie aufschluchzte, unfähig, sich zu beherrschen --

Und da küßte er sie, nicht plötzlich, schnell er zog mit beiden Armen die schlanke, bebLnde Müdchengestalt zu sich und preßte seine Lippen auf die ihrigen- Was er that, war mehr als eine halbe Erklärung, und doch leitete ihn keine Absicht. Es gibt Stunde», in denen jede nüchterne Reflexion zu Schanden wird; es gibt mag­netische Strömungen, denen wir nicht zu widerstehen vermögen.

Jetzt lag ihr Kopf an seiner Schlüter,, und im ungewissen Mondlicht sah er: auf das gramvolle Antlitz mit den geschlossenen Augen, aus welchen schwere Thräneie tropften. , °

Gute 'Nacht, Elisabeth liebe, liebe Elisabeth! Es wird Alles besser werden. Alles gut! Du sollst nicht weinen!"

Er zog ihre Hand an seine Lippen lind hinderte sie nicht, als sie langsam, ivie im Traum, die Treppe hinaufging. Ihr leisesGute Nacht!" klang so schmerzlich, daß er nicht wagte, die Unterhaltung iveiter fortzusetzen.

Elisabeth setzte sich mechanisch auf den Rand-des Bettes und verbarg ihr Ge­sicht im Kopfkissen.

Ob nicht das Dach dieses Hauses sie erschlagen mußte ? Ob nicht Gottes Strafe über ihrem schuldigen Haupte schwebte ?

Tiefe Athemzüge hoben ünd senkteil die gequälte Brust!

Nur zu! Nur zu! Brecht herein, ihr Mächte der Vernichtung! Es kann nicht schnell genug kommen, das Ende, das ersehnte! O, wie es hämmert und pocht in den Schläfen! Wie sich die gefolterte Seele krümmt unter dem Uebermaaß!

War es denn nicht mehr als nur ein Spiegel der Phantasie? Hatte er sie nicht geküßt, sie gebeten, bei seiner kranken Mutter zu bleiben bis an das Ende?

O schrecklich, schrecklich! Betrug zu häufen auf Betrug immer tiefer zu falleil, immer tiefer, bis ins Bodenlose!

Der junge Doktor hatte gesagt:

Waren es schönere Weinachtsabende, deren Andenkeil Sie so blaß erscheinen