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deutsche Presse — mit Ausnahme der klerikalen und einiger deutschfreisinnigen Blätter — hat sich schließlich von dem großen und freien Geiste der Bismarck- schen Orientpolitik überzeugen lassen; die Opposition ist fast ganz verstummt.
Wien, 7. Okt. Die hiesigen Sozialdemokraten stehen, wie die Thatsachen bewiesen haben, in einem hohen Grade unter dem Einflüsse anarchistischer Elemente. Es kann daher die Nachricht nicht Wunder nehmen, daß gestern bei zahlreichen Arbeitern Haussuchungen vorgenommen wurden, bei welchen man Dynamit und sonstige Sprengstoffe in ziemlicher Menge vorfand. Die Folge davon war eine Reihe von Verhaftungen. Es gilt als gewiß, daß die Anarchisten beabsichtigten, durch verbrecherische Anschläge die Bevölkerung aufzuregen nnd geschützt durch diese Aufregung für ihre Zwecke zu „arbeiten".
Bulgarien.
Sofia, 8. Okt. In Sistowa, der ersten Garnisonstadt, die General Kaulbars auf seiner Reise passierte, wurde derselbe von einer fünfhundert Mann starken Abordnung empfangen, die erklärte, daß das Volk in die Regierung volles Vertrauen setze und die sofortige Abhaltung der Wahlen verlange, damit die Krisis durch eine neue Fürstenwahl rasch beendigt werde. Die Aufnahme war im Uebrigen dieselbe wie in andern Orten. Kaulbars ließ die Offiziere der Garnison mündlich zu einer Besprechung auffordern. Die Offiziere antworteten, daß sie ohne Erlaubnis der bulgarischen Regierung nicht zu derselben erscheinen könnten. Hierauf richtete Kaulbars folgenden Brief an den Garnisonältesten: „Ich habe die Ehre, Sie zu benachrichtigen, daß ich im Aufträge des russischen Kaisers auf einer Rundreise durch Bulgarien begriffen bin, um das Volk über die Anschauungen und Absichten des Kaisers aufzuklären; ich bitte Sie daher ergebenst, sich mit sämtlichen Offizieren, die nicht dienstlich abgehalten sind, zu mir zu begeben, damit ich so dem mir gewordenen Aufträge Nachkommen kann." Die Offiziere erwiderten, daß sie ihre erste Antwort nur wiederholen könnnten, und kamen nicht. Ob der schnöde Mißbrauch, den Kaulbars mit dem Namen des Zaren treibt, und die Abweisungen, die er dabei erfährt, der Würde und dem Interesse Rußlands entspricht, darüber mag man in Petersburg Nachdenken. In Philippopel herrscht nach Mitteilungen, die der „Pol. Korr." zugehen, ein unbestimmtes Angstgefühl vor irgend einem politischen Streiche, welcher vor Beginn der Wahlen eintreten könnte. Der donige russische Konsul, Herr Jgelström, erhielt von der diplomatischen Agentie Rußlands in Sofia eine Kopie der Forderungen zugesendet, welche General Kaulbars bei der bulgarischen Regierung anhängig gemacht hat. Jgelström erhielt zugleich den Auftrag, sie lithographisch vervielfältigen zu taffen und öffentlich zur Verteilung zu bringen. Herr Dimi- troff, der Präfekt der Stadt, ergriff sofort Maßregeln, um die Zirkulation der Blätter aufzuhalten, da die Aulorition der Behörden dazu nicht eingeholt worden, ja sogar die Zusendung eines Exemplars an den Präfekten unterlassen worden war. Vielleicht steht es mit dieser energischen Haltung des Herrn Dimitroff, welche auf dem russischen Konsulate lebhaften Unwillen erregt hatte, in Zusammenhang, daß Herr Jgelström sofort eine Reise nach Sofia antrat. Bei seiner Abreise klebten an allen Straßenecken Kundmachungen der Präfektur, welche die Wähler für den 20. September a. St. zu den Wahlen berufen. Mittlerweile hat die bulgarische Negierung bei der Pforte wegen Ernennung Dimitroff's zum diplomatischen Agenten Bulgariens in Konstantinopel angesragt. Die Pforte hat jedoch mit Rücksicht auf den ostrumelischen Ursprung Dimitroff's die Wahl einer anderen Persönlichkeit.vorgeschlagen. — Am Freitag früh hat Kaulbars mit drei Begleitern Sistowa auf einem Segelboote verlassen und traf hier in Folge widrigen Windes erst heute abend 6 Uhr ein. Er wurde am Landungsplätze vom russischen Konsul empfangen.
Hages-Neuigkeiten.
— In dem Garten des Herrn Eugen Staelin steht seit einiger Zeit ein Apfelbaum in Blüte.
— ^Amtliches.) Am 8. Oktober wurde von der evangelischen Oberschulbehörde die Schulstelle in Baiereck, Bez. Schorndorf, dein Schulamtsverweser Bolay in Oberkollbach, Bez. Calw, übertragen.
* Hirsau, 10. Okt. Gestern fand zu Ehren des sto. Stationsmeisters Fe lg er bei Restaurateur Mohr eine Abschiedsfeier statt, bei welcher sich etwa 35 Personen beteiligt haben. Herr Feiger hat bei strenger Gewissenhaftigkeit und Pünktlichkeit mit Zuvorkommenheit und Liebenswürdigkeit gegen das Publikum die Stations- und Postamtsvorstandsstelle 9 Monate lang versehen. Daß dies von allen Seiten dankbar anerkannt worden ist, sprach sich durch die zahlreiche Beteiligung an der Abschiedsfeier aus, bei welcher die Verdienste des Scheidenden in einer von Hrn. Sägmühlebesitzer E. L. Wagner gehaltenen Rede und dem auf sein und seiner Familie Wohlergehen ausgebrachten Toast in herzlichen Worten eingehend gewürdigt wurde.
Ellwangen, 5. Okt. Gestern wurde bei Schönau in der Jagst ein Hecht von 12 Pfund mit der Angel gefangen. Hechte mit sechs oder acht Pfund sind nicht selten in der hiesigen Jagst, vor mehreren Jahren wurde sogar ein solcher von 15 Pfund mit der Angel gefangen.
Pforzheim, 6. Okt. Der Oberbürgermeister unserer Stadt. Kraatz, fordert in einem Rundschreiben an die Vorstandsdamen der Frauenvereine mit warmen Worten zur Gründung einer Stätte auf, wo die sogenannten weiblichen Handarbeiten mit Ausschluß des unberechtigten Luxus gelehrt werden, d. i. also Stricken und Stopfen, Nähen und Flicken, Waschen und Bügeln, sowie die Instandhaltung der Wäsche, vor allen Dingen aber das Kochen, denn die soziale Frage ist wesentlich eine Magenfrage. Es ist zu wünschen, daß dieser Aufruf nicht nur bei den hiezu zunächst Berufenen, sondern auch bei den ferner Stehenden Anklang und Unterstützung finden werde.
Mainz, 8. Okt. Großes Aufsehen machte die gestern mittag stattgehabte Verhaftung einer sehr elegant gekleideten Gesellschaft, bestehend aus drei Herren und einem Frauenzimmer. Wie wir erfahren, gehört die Gesellschaft zu einer weitverzweigten Verbrecherbande, die auch in Frankfurt viele Diebstähle, besonders in Gold verübt haben soll; in Mainz hat die Bande eine Reihe von Einbrüchen mittelst falscher Schlüssel verübt und fand man in dem Zimmer, in welchem die Gesellschaft übernachtet hatte, nicht weniger als 36 Nachschlüssel und Lperrhacken. Die Untersuchung wird wohl das Nähere klarstellen.
Wevrnrschtes.
— Brutalität eines Schalterbealnten gratis und franko zum Billet. Das Schweidnitzer Tgbl. aus Faulbrück, Kreis Reichenbach, schreibt: Allgemeine Entrüstung erregt die Behandlung, welche vor einigen Tagen dem Generalfeldmarschall Graf Moltke am dortigen Bahnhof von Seiten eines jungen Stalionsdiätars zu Teil wurde. Der Feldmarschall trat, während der Billetschaller noch geschlossen war, in das Gepäckzimmer des Stationsgebäudes, uni ein Billet I. Klasse nach Gnadenfrei zu lösen, als ihn obiger Beamter mit den Worten anfuhr: „Der Billetschalter sei da und da; hier sei jedem Unbefugten der Zutritt verboten." Als sich nun der Hr. Generalfeldmarschall zum Billetschalter wendete, ein Zwanzigmarkstück hinlegte und dafür genanntes Billet verlangte, erwiderte ihm derselbe junge Mann in ebenso unhöflichem Ton: „Nach dem Bahnreglement müsse der Betrag für das Billet adgezählt bereit gehalten werden; übrigens würden hier keine Billete I. Klaffe nach Gnadenfrei ausgegeden.
— Theodor Wachtel ist, wie wir jüngst gemeldet, schwer krank aus Karlsbad nach Berlin zurückgekehrt. Jetzt erhält die „Voss. Ztg." über seinen Zustand nähere Nachrichten. Wachtel's Aerzte, Professor Joseph Maier und Sanitätsrat Dr. Emmerich, haben seine Krankheit für Herzerweiterung erklärt; in Folge dieser Störung der Herzthätigkeit zeigen sich Erscheinungen der Wassersucht, die dem Kranken besonders
„Du hegst irgend eine Hoffnung, Walter — Sage mir, was ist es?"
Der Andere wandte sich ab.
„Vielleicht ein Verbrechen, Julius! — Ich selber kann es kaum anders nennen; aber doch — der gefällige Mann, welcher die tausend Thaler auf drei Monate und gegen zehn Prozent Zinsen herleiht, ist bereits gefunden, nur fehlt noch der Bürge bei der Sache freilich. Wenn Du — ich meine —"
Hartmann trat zurück.
„Ich, Walter?"
„Du!" bestätigte der Andere. „Wenigstens gibt es für mich nur diese einzige Hoffnung, Julius. Ich —"
„Aber Mensch, die ganze Stadt weiß, daß ich ohne Vermögen bin!"
„Einerlei!" rief, vielleicht von diesem Schimmer einer Aussicht schon neu belebt. der junge Baron. „Es ist einerlei, Julius! Der Halsabschneider ist mit Deiner Unterschrift zufrieden, und immerhin bist Du der Erbe Deiner Tante!"
„Die aber doch mit ihren fünzig Jahren ganz gut noch leben kann, bis wir selbst das halbe Hundert zurückgelegt haben, Walter. Ueberdies existiert, wie ich bestimmt weiß, auch zur Zeit noch kein Testament, das mich zum Erben ernennt. — Es ist, wie ich Dir sage, Walter", fügte er hinzu.
Der Andere sah starr hinaus in den Hof.
„In drei Monaten wäre ich angestellt", wiederholte er. „Dann könnte man schon leichter Geld erlangen ich will mein Leben versichern. — Daß ich die Police nicht verlassen würde, traust Du mir ja zu."
Hartmann ging ihm nach und legte ihm die Hand auf seine Schulter.
„Walter", sagte er, „bist Du hergekommen, um mich zu bitten?"
Der Postbeamte nickte.
„Ich konnte nicht anders, Julius, ich — bin verzweifelt. O bedenke es, bedenke es — sie werden mich einen Dieb nennen!"
Er warf ungestüm beide Arme um den Nacken des Freundes.
„Julius rette mich! — Ich habe als halberwachsener, junger Mensch Schulden gemacht, ich war leichtsinnig — jetzt rächt sich die Vergangenheit an meinem Leben
selbst — kann dem schmählichen Verdacht nicht entrinnen; ich bin ein Dieb, weil es Leute gibt, die von mir Gelder zu fordern haben! Vielleicht glaubst Du selbst —"
„Unsinn, Walter, Unsinn! Du weißt, daß ich das Schlimme erst glaube, wenn es vollständig bewiesen ist. Aber bleiben wir bei der Sache! Läßt sich annehmen, daß der betreffende Geldmann im Notfälle prolongieren würde?"
Der Baron lächelte.
„Diese Sorte prolongiert bis in die Ewigkeit hinein, sobald nur die Zinsen regelmäßig bezahlt werden", versetzte er. „Hast Du denn nie mit ihren Vertretern unterhandelt, Julius?"
Ein schönes Rot überflog das Gesicht des jungen Mediziners; er hob die Hand, als wolle er diesen Gedanken zurückweisen.
„Nie, Walter!" sagte er.
„Auch nicht als Student? — Ich meine, daß Dir Fräulein Haberland, Deine schätzbare Tante, doch sicherlich Deinen Monatswechsel nicht allzu reichlich bemessen haben wird?"
Hartmann lächelte.
„Es ging an", versetzte er ausweichend, „und überdies gab ich Stunden aller Art, aber-"
„Ja, ja, das gräßliche Aber! — Ich weiß es. Natürlich könnte ich selbst, und wenn es bis zum Hungern käme, die Prolongationsgebühren bezahlen, so viel habe ich ja — nur Dein Name —"
Hartmann unterdrückte das Widerstreben, welches ihn innerlich beherrschte; seine Herzensgüte verbot ihm, in diesem kritischen Fall zuerst an sich zu denken.
„Gib her!" sagte er freundlich. „Ich will den Wechsel unterschreiben."
Walter wurde bald rot, bald blaß.
„Du guter Junge!" stammelte er. „Mein bester, einziger Freund! — O, ich will Dir ewig danken!"
(Fortsetzung folgt.)