61. Jahrgang.

Uro. 117.

Amts- unä IntekkigenMatt für äen Aezirk.

Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.

Die Einrückungsgebühr beträgt 9 ^ p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.

Donnerstag, äen 7. Oktober 1886

Abonnementspreis halbjährlich 1 80 H, durch

die Post bezogen im Bezirk 2 >^> 30 sonst in ganz Württemberg 2 70

AnrMche Wekcrrrnlmcrchungerr.

Bekanntmachttng.

Die Schafräude im Stalle des Friedrich Lutz in Sommenhardt ist erloschen, was hiemit zur öffentlichen Kenntnis gebracht wird.

Calw, den 6. Oktober 1886. K. Oberamt.

v. Falkenstein, A.-V.

Hektische Wachrichten.

O e st e r r e i ch.

Wien, 4. Okt. Aus Sofia meldet das WienerTagblatt": Das von russenfreundlichen Führern einberufene Meeting fand gestern statt. Der erste Redner billigte das Verhalten der Regierung, wobei die Versammlung akklamierte. Nunmehr sprach der Redakteur des Zankoff'schen Organs, griff provocierend Alexander an und erklärte, die Regierung wolle das Land ins Unglück stürzen. Die Versammlung brach in laute Entrüstung aus, zumal der Redner ausrief, hoch lebe Rußland, nieder mit der provisorischen Regie­rung. Die Versammelten ballten die Fäuste und erhoben ihre Stöcke. Der Redner wurde von der Bühne herabgerissen und furchtbar mißhandelt, ebenso die ihn verteidigenden Zankofffften, bis die Sicherheitsorgane einschritten. Plötzlicherschien Kaülbars mit dem russischen Konsul Ne-cludoff. Elfterer bestieg die Tribüne und gab die Forderungen Rußlands 'bekannt, die er erläuterte- und vor schlechten Ratgebern warnte, in deren Händen das Volk jetzt sei. Die Versammlung war anfangs unruhig und schrieaufhören", heruntersteigen." Kaülbars trat an den Rand der Tribüne mit Stentor­stimme schreiend:Wollt ihr dem Willen des Zaren folgen? antwortet mir", worauf äus tausend Kehlen die AntwortNein, wir folgen den Laüdesgesetzen" erfolgte. Kaülbars verließ bleich die Tribüne und fuhr dgHon. Die Ver­sammlung wie die Negierungskreise glauben, Kaülbars provocierte diesen Skandal, um für Rußland eimn Vorwand zur Interpellation zu haben. Er begab sich von dem Meeting zum deutschen und österreichischen Konsul. Kaul- bars will im Land umherreisen und Reden halten. Die Regierung besorgt Gewaltthätigkeiten. Die Lage ist äußerst kritisch.

Wien, 5. Okt. DasFremdenblatt" spricht seine Anerkennung über die bisherige Haltung der bulgarischen Regierung aus und mißbilligt das gestrige Auftreten Kaülbars', welches auch in Petersburg bedauert werden dürfte. (Dep. d. Frkf. I.)

Bulgarien.

Sofia, 5. Okt. General v. Kaülbars trat eine Reise zunächst über Orchanie nach Plewna an. Natschewitsch hatte eine neue Unter­redung mit Nekludow. in welchem er diesen auf mögliche Gefahren aufmerksam machte, denen Kaülbars sich aussetze, wenn er Volksversammlungen abhalte. Da die Regierung Kaülbars nicht verhindern kann, zu reisen, so blieb ihr nur übrig, ihn auf eigene Gefahr ziehen zu lassen. Die Ansichten über den wahren Ausgang der Reise sind geteilt. Daß es vielfach zu argem Lärm kommen werde, wird aber allgemein angenommen. Für einzelne Städte besteht ernste Befürchtung, daß die Reise ein schlimmes Ende nehmen könne.

Sofia, 5. Okt. Die Wahlen zur Sobranje finden fest, gesetztermaßen am Sonntag statt. General Kaülbars begibt sich heute in das Innere des Landes; er wird vorher der Negierung Mitteilen, daß Rußland die Sobranjewahlen als nichtig und die Beschlüsse der Sobranje als ungeschehen betrachten werde.

Frankreich.

Die Franzosen haben's dem König der Belgier sehr übel genommen, daß er dem Kaiser Wilhelm in Baden-Baden seinen Besuch gemacht hat. Sie sagey, das sei eine Unterwerfung des Königs unter die deutsche Politik, um bedenklicher, weil Belgien ein Grenzland sowohl Deutschlands als Frankreichs sei. Das gehe über die Grenzen der Courtöisie.

Gctges-Werrrgkeiterr.

Calw, 4. Okt. Feuerwehr. Mit der gestern stattgehabten Uebung wurde auch zugleich die Dekorierung der Kameraden mit dem von Sr. Majestät dem König gestifteten Ehrenzeichen für 25jährige treue Diebstleistung ver- Kunden. Offiziell und feierlich, wie fich's gebührt, hatten sich nach gemeinschaftl. Aufmarsch auf den Marktplatz das ganze Korps rn Quarrö formiert. Herr Stadtschultheiß Haffner, an der Spitze der Gemeinderatsmitglieder, über­nahm die Ueberreichung der Ehrenzeichen wie der Diplome und leitete 'dieselbe

JeuiLLeion. <N°chd^ck

Verlorene Ehre.

Roman von W. KSffcr.

(Fortsetzung.)

Langsam ihre vollen, plastisch schönen Arme über den Kopf erhebend, bewunderte sie das eigene reizende Spiegelbild. Nur angethan mit weißen, gestickten Unterkleidern, den Hals entblößt, die schweren, schwarzen Flechten zwangslos herabhängcnd, die Augen glänzend in neuerwachter Lebenslust, so stand sie vor dem breiten, blinkenden Glas, dessen Fläche vielleicht nie zuvor ein so verführerisch schönes Bild wieder­strahlt hatte.

Ihre Glieder drehten sich spielend und geschmeidig wie die eines Kätzchens. Schwarze Sterne die Augen und frisch verlockend die Lippen; sie beugte sich vor und küßte das Glas.

Gerettet! Gerettet!

Das aufgetragene Mahl blieb unberührt; auch kein Schlaf kam in ihre Augen. Solche Nächte vergehen in einer Art von Fieber, sie sind martervoll, auch wenn das Ereignis ein schönes, glückliches war.

Der nächste Morgen brachte den Koffer der Toten und mit ihm eine neue Aufregung. Fremdes Eigentum gestohlen wehe, wehe, gestohlen!

Jetzt war das braune Gesicht weiß wie Blumenblätter. Sie drückte beide Hände gegen die Augen, ein Zittern durchlief den, ganzen, geschmeidigen Körper. Sollte sie diesen Koffer nehmen und in das tiefste Wasser werfen, unberührt, ohne sich nur ein Atom seines Inhalts zu Nutze gemacht zu haben?

Einen Augenblick war sie fest entschlossen, dann aber brachen wie immer im Leben, die Consequenzen des ersten, verhängnisvollen Schrittes unabweislich herein. Irgend ein Zufall konnte diesen plumpen, mit Leder beschlagenen und offenbar auf der australischen Farm selbst angefertigten Koffer wieder zu Tage fördern, irgend ein tückisches, unvorhergesehenes Etwas wurde an ihr zum Verräter, und der ganze müh­sam erschaffene Bau lag in Trümmern. Sie mußte sich den Inhalt aneignen, es blieb ihr keine Wahl, sie selbst hatte sich der Freiheit des Handelns für alle Zukunft

begeben und ihrem Ich das Los eines anderen / fremden Wesens im Guten wie im Schlimmen mit zwingender Notwendigkeit aufgebürdet.

Ein Ruck drehte den Schlüssel im Thürschloß. Das schöne, blasse Weib zitterte, sobald draußen eine Stimme erklang. Mußte nicht jedes Auge auf ihrer Stirn lesen?

Sie glitt mit der Rechten darüber hin: es brannte so sonderbar.

Und dann M.der Deckel des. Koffers zurück. Sie wühlte mit bebender Hand war Geld darin, irgend ein Wertgegenstand?

Nein, Gott sei Dank, nein, das Aergste blieb ihr erspürt! 'Nur ärmliche Wäsche- gegenstände, einige Kleidungsstücke und Bücher, dann noch ein kleiner, verschlossener Kasten, aber der Schlüssel lag daneben, sie öffnete schnell den zierlichen Behälter und sah nun vor sich das Portrait eines älteren Mannes, mehrere zerlesene, vergilbte Briefe und BlumensträußeVon Mama's Grab" stand auf der Enveloppe des einen und endlich einen verschlossenen Brief mit der Adresse:An Josephine". Auf der Rückseite befand sich ein Siegel mit den Buchstaben E. H., der Aufschrift aber mar kein Familienname beigefügt.

Die Suchende ließ Hand und Brief in den Schoos; sinken. Was bedeutete das? Hatte nicht die Tote gesagt: ich besitze nur noch eine einzige Hoffnung, aber auch diese

Und dann kam das Verhängnis, der Schlußsatz wurde auf ihren Lippen erstickt, sie starb, ohne irgend eine Auskunft gegeben zu haben, und das Geheimnis war ver­loren auf immer.

An Josephine! Eine Männerhand, zitternd und unsicher, hatte diese Worte geschrieben, ohne Zweifel die Hand des alten Farmers, und an eine Frau im fernen Deutschland, der Heimat seiner Jugend. Es gab für dies Rätsel nur eine ein­zige Deutung, und das schöne, schweratmende Weib fand sie sogleich. Der sterbende Mann schickte sein Kind derjenigen, die ihn geliebt hatte, aus deren Treue er immer noch baute, obgleich ein Menschenleben verflossen war, seitdem er sie gesehen und gekannt. Joscphine sollte die Verlassene in ihren Schlitz nehmen, ihr die neue, gesicherte Heimat schenken.

Soweit schien alles klar aber der Name, der Name!

Sie mußte doch den Inhalt des Briefes kennen, ehe er jemals ihre Hand ver­ließ. Zwischen allen Zeilen lauerte der Verrat, ein einziges Wort konnte alles vernichten.

Aber wieder wozu eigentlich ?