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gehörig. Feuer aus. Die Flammen fanden durch diesen großen Erntevorrat reiche Nahrung, so daß sofort der ganze Dachstuhl brannte und eine mächtige, weithin sichtbare Fsuersäule emporloderte. Bis über die ganze Stadt, sogar bis auf den Volksfestplatz wehte der Wind die Spuren des Brandes. Die ganze Familie des Eigentümers befand sich auf dem Wasen, weshalb das Vieh, das unterhalb der Scheuer in der Stallung sich befand, von den herbeigeeilten Nachbarn gerettet werden mußte. Obwohl die Feuerwehr rasch zur Stelle war, so konnte weder das Gebäude, noch viel weniger aber der Inhalt gerettet werden; sie mußte sich deshalb nur auf Rettung des glücklicherweise etwas entfernt stehenden Wohnhauses beschränken, was ihr auch gelang. Die Scheuer stürzte bald in sich selbst zusammen, so daß es nur noch ein Trümmerhaufen war, aus welchem noch die Flammen emporzüngelten, weshalb eine Feuerwehrabteilung bis den andern Morgen auf dem Brandplatze verbleiben mußte. Außer dem großen Frucht- und Heuvorrat des Besitzers, der allein über 1200 Garben in der Scheuer aufbewahrte, hatten auch noch einige andere hiesige Bürger einen großen Teil ihrer Früchte daselbst untergebracht. Auch eine große Quantität Most, der in den in der Mosterei befindlichen Bütten stand und in der Nacht ausgeprcßt werden sollte, ist infolge der großen Wassermenge, die beim Löschen verwendet wurde, zu Grunde gegangen. Die Ursache der Entstehung des Feuers ist noch nicht bekannt.
Ulm, 28. Sept. Der Münsterwächter Kohn wollte gestern abend um 7 Uhr mit seiner Frau einen Ausgang machen. Auf der Treppe ihrer Wohnung wurde die 51jährige Frau ohnmächtig und stürzte die Treppe hinunter, so daß sie von ihrem Mann, der schon vorausgegangen war, sowie den übrigen Hausbewohnern vom Platze getragen werden mußte. Nach drei Stunden starb die Frau, ohne zum Bewußtsein gekommen zu sein. Eine heute nachmittag vorgenommene Sektion ergab einen Schädelbruch.
Heidelberg, 25. Sept. Heute abend s/«? Uhr erfolgte nach vorausgegangener, achtstündiger Hauptverhandlung vor der Strafkammer II des großh. Landgerichts in Mannheim die Verurteilung des früheren Geistlichen und jetzigen Rentiers Friedrich Krug von Nordhausen wegen in sieben Fällen begangenen gewerbs- und gewohnheitsmäßigen Wuchers zu einer Gefängnisstrafe von fünf Monaten, einer Geldstrafe von 1000 zweijährigem Ehrverlust und den Kosten. In allen Fällen hat er die Unerfahrenheit, den Leichtsinn oder die Notlage anderer in schnödester Weise ausgebeutet.
— Bei Aßmannshausen ereignete sich am 27. Sept. an dem Rheine ein Unfall, der leicht zahlreiche weitere Unglücksfälle hätte herbeiführen können. Ein großes Floß geriet, wie die K. Z. berichtet, dort in die .Drahtseile eines 3 Frachtschiffe ziehenden Schleppdampfers und kam dadurch aus seiner Fahrrichtung. Infolge dessen stieß ein unmittelbar hinter dem Floß treibendes zweites Floß auf das elftere, und zwar mit einer solchen Wucht, daß beide auseinandergerissen wurden und die ganze Oberfläche des Rheines mit ihren Trümmern bedeckten. Nur mit knapper Not gelang es der Mannschaft, sich in die Kähne zu retten. Große Gefahr entstand durch einzeltreibenden Floßteile und Stämme für die etwa zu Berg kommenden Schiffe. Zum Glück ist ein Anprall der Floßteile an Schiffe nicht vorgekommen, ein großer Teil der Stämme staute sich schon bald hinter Aßmannshausen und blieb dort an einem Felsen hängen. Nur ein kleiner Teil trieb, ein Badehäuschen mit sich fortreißend, bis Heimbach herunter. Eine Stunde nach obigem Vorfall ereignete sich ein zweites Unglück. Ein mit 8000 Zentnern Gerste beladenes, nach Holland bestimmtes Segelschiff erhielt in der Nähe des Bingerlochs infolge Ausstoßsns auf ein Felsstück ein Leck, trieb bis unterhalb Aßmannshausen und sank dort.
— Ueber das Recht der Benutzung der Notbremse in den Eisenbahnzügen hat, wie die Köln. Volksztg. mitteilt, das Kölner Schöffengericht vor einiger Zeit ein interessantes Urteil gefällt, das sich an folgenden Vorfall anknüpft: Ein Müller aus Paulheim fuhr in Gesellschaft von zwei Landleuten und der Mutter eines derselben mit dem Zuge 8 Uhr 30 Min. von Köln nach Longerich. Als man in Longerich ankam. war man im Zweifel, ob das heimatliche Dorf schon erreicht sei. Der Zug hielt nur eine Minute,
der Schaffner vergaß, das Koups zu öffnen und die Reisenden zum Aussteigen aufzufordern. Kaum war der Zug wieder in Bewegung, als die alte Frau bemerkte, daß die eben verlassene Station Longerich gewesen. Der Müller, beeinflußt durch die vielen Klagen der Begleiterin, löste die Plombe an der Notbremse, das Signal ertönte und der Eisenbahnzug hielt auf freiem Felde. Nachdem die Beamten den Sachverhalt festgestellt, ließen sie die Reisenden nicht aussteigen, vielmehr verlangten sie, daß dieselben bis Worringen mitfahren sollten. Hier forderte der Stationsvorsteher 30 Strafe für unberechtigtes Ziehen der Notbremse. Damit war der Müller nicht einverstanden, er legitimierte sich und wurde entlassen. Die Eisenbahndirektion erließ ein Strafmandat von 10 , wogegen der Bestrafte Einspruch erhob. Das
Schöffengericht gab ihm Recht und begründete das Urteil folgendermaßen: Es ist dem Publikum gestattet, die Bremse in Fällen der Not zu lösen; aber die Eisenbahndirektion hat es dem Publikum überlassen, festzustellen, ob ein Notfall vorhanden. Die höchste Strafe für derartige Betriebsstörungen ist 30 und ist in dem vorliegenden Falle auch eine Strafe von 10 nicht gerechtfertigt, weil der Angeklagte nicht den Betrieb der Eisenbahn stören wollte, sondern weil er sich für berechtigt hielt, den Zug halten zu lassen, und zudem der Schaffner in Longerich die Koupöthür nicht vorschriftsmäßig geöffnet hatte. Der Müller wurde freigesprochen und die entstandenen Kosten der Staatskasse zur Last geleat. _
Briefkasten der Redaktion.
Herrn C. B., L. S. und and. Wir haben in die Vertrauenswürdigkeit des Correspondenten aus Agendach keinen Zweifel gesetzt, sonst hätten wir den Passus, der uns um Mithilfe ersucht, weggelassen. Senden Sie uns Ihr Scherflein somit beruhigt zu, es ist gut angebracht. Unser Correspondent schreibt heute: „die arme Wittwe hat noch ein Kühlein, allein nächstens wird ihr dasselbe genommen, der Winter steht vor der Thür, was soll es da werden. Die Gemeinde ist arm".
Calw.
Fan-rvirthschaMcher BeMsveretn.
Obstbaume betr.
Der Umstand, daß der vorige lange Winter vielfach beabsichtigte Obstbaumpflanzungen nicht mehr zur Ausführung kommen ließ, läßt erwarten, daß die Herbstpflanzung, die ohnedies der Frühjahrspflanzung vorzuziehen ist, eine um so umfangreichere werden wird. Begünstigt wird sie aber auch dadurch, daß der Preis der Obstbäume von ausgezeichneter Schönheit und Stärke für den Herbstmarkt ein namhaft billigerer ist. Unter Beziehung hierauf bin ich auch für die kommende Pflanzzeit wieder bereit, den Bezug von Obstbäumen aller Art durch persönliche Auswahl in der Baumschule zu vermitteln und bemerke, daß mir eine größere Partie rheinischer Bohnäpfel, der besten und ertragreichsten Mostobstsorte, unter der Voraussetzung baldiger Bestellung reservirt ist. Bestellungen erbitte ich mir spätestens bis zum 10. Oktober.
Calw, 15. Sept. 1886. E. Horlacher,
_ _Secretär._
Kgl. Standesamt Katw.
Vom 20. bis 30. September 1886.
Geborene:
20. Sept. Emilie Friedrike, T. d. Heinrich Wochcle, Lederhändlers hier.
22. „ Karl, S. d. Wilhelm Gdttling, Jacquardwebers hier.
29. „ Gottlicb Friedrich, S. d. Karl Heinrich Z a hn, Uhrmachers hier.
Gestorbene:
30. Sept. Georg Fridrich Köhler, Seifensieder hier, 75 Jahre alt.
30. „ Emil Kämmerer, S. d. Philipp Kämmerer, Zigarrenarbeiters hier,
_ 30 Tage alt. _
Gottesdienste am Sonntag, den 3. Oktober.
Vom Turm: Nro. 555. ftsio Uhr Vorm-Predigt: Hr. Dekan Berg. Christenlehre mit d en Söhnen. 2 Uhr Bibelstunde.
Gotteräieaste in äer Metkoäistenkaxelle am Sonntag, den 3. Oktober.
Morgens >/-10 Uhr, abends 8 Uhr Predigt.
„Wir fahren durch einen Tunnel. — Das sollten Sie wissen, däuchte mir."
„O, Verzeihung!" sagte die sanfte Stimme. „Ich sah noch nie eine Eisenbahn. Ich — komme so weit her."
Die letzten Worte waren halb geflüstert; es schien, als wünsche das junge Wesen nichts sehnlicher, als eine Unterhaltung, bei der sie vielleicht die Schrecken der Einsamkeit weniger empfand, ein Anlehnen an ein menschliches Geschöpf inmitten des fremden Landes, das für sie nur unbekannte Gefahren, aber keinen Freund, keine vertraute Seele barg.
„Ich lebte immer auf einer Farm", setzte sie hinzu.
„Ah! — in Amerika also?
Ein Kopfschütteln antwortete.
„In Australien, Madame. Ich kam erst gestern mit dem Dampfer in Hamburg an."
Die Brünette fühlte, wie ihr das Blut ins Gesicht trat.
„Hamburg! —"
„Wir befinden uns an der deutschen Südgrenze", versetzte sie hastig, „weit von jener Stadt entfernt. Sie haben ihre Heimat schnell wieder verlassen, Fräulein!"
Die Andere trocknete ihre Augen.
„Meine Heimat?" wiederholte sie traurig. „Ach, ich besitze keine andere als nur die kleine deutsche Eolonie in den fernen Buschregionen Australiens — und diese ist für mich verloren auf immer."
In den Augen der zweiten Reisenden blitzte es auf; sie neigte sich etwas weiter herüber. Auch dies Kind war ein Flüchtling, eine der Vielen, für welche am großen Tische des Lebens kein Plätzchen übrig blieb?
„Sind ihre Eltern gestorben?" fragte sie halblaut. „Suchen Sie Verwandte hier in Deutschland?"
Tie Andere nickte.
„Ich heiße Elisabeth Herbst, Madame — mir lebt niemand mehr, kein Ver
wandter, kein Freund, kein Mensch, der die Verpflichtung hätte, sich meiner anzunehmen. Ich habe in Deutschland nur eine einzige Hoffnung, aber auch diese —"
Ein plötzlicher, gellender Pfiff unterbrach ihre Worte.
Der Zug hatte soeben den Tunnel verlassen. Ein wüster Steinbruch lag im falben Mondlicht zur Seite des Weges. Es schien einen Augenblick, als würden die Wagen gewaltsam zurückgeworfen — dann folgte ein Glockensignal, das Rufen von Menschenstimmen, Lärm, Schreien, Pfeifen, — alles zugleich.
„Gott sei uns gnädig!" rief die Brünette. „Ein Zusammenstoß!"
Im selben Moment ertönte ein furchtbares Krachen, der Wagen schwankte, es ging abwärts in rasender Eile, über mehr als ein Hindernis, durch hochaufspringendes Wasser, vorbei an regungsloser Steinwand. Die Blondine hielt in alles vergessender Todesangst den Körper ihrer Begleiterin mit beiden Händen umfaßt, sie schrie laut, während die Andere weit offenen Auges starr vor sich hinsah, kalt, beinahe höhnisch
Kam jetzt die Vernichtung?
Es schien so. Der Wagen wankte und stürzte, ein Krachen und Dröhnen, ein Kreischen und Klirren erfüllte ringsum die Luft, wie ein tobendes, gefesseltes Ungeheuer wühlte sich die Maschine immer tiefer hinein in den Erdboden, schnaubend und ächzend, nach allen Seiten ihren glühenden Inhalt ergießend. Menschenstimmen riefen Flüche und Gebete, Menschenstimmen jubelten auf im Gefühle des Dankes für wunderbare Rettung oder brachen im letzten, verzweifelten Schrei — und über alle diese Greuel der Verwüstung dahin brauste der Sturm und flutete der Regen, ganze Schauer von Funken wurden hoch emporgeworfen, um in der nassen Luft zischend zu vergehen: wie ein grauer Mantel lagen die niederen, in tausend und abertausend Tropfen zerrinnenden Wolken auf der Unglücksstätte.
Die Brünette sah, sich halb aufrichtend, nach allen Seiten umher.
War sie bewußtlos gewesen? Wahrscheinlich! Wenigstens erinnerte sie sich nicht, auf diesen weichen, beinahe versumpften Boden gefallen zu sein. Ihr Kopf schmerzte auch sehr und von der Schulter schien Blut zu träufeln.
(Fortsetzung folgt.)