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61. Jahrgang

Amts- « Intelligeazkkatt für äen Kezirk.

Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.

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Samstag, äen 2. Oktober 1886.

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Mt der ersten Mummer im kommenden Hnartal beginnt ein neuer WornanWerlorene Khre", von Koffer.

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Wol'itifche Wachrnchten.

Deutsches Reich.

Am Dienstag, den 27. ds., wurden rn Leipzig mehrere Polizisten von seiten einer großen Anzahl Sozialdemokraten buchstäblich zu Boden geprügelt. Ihr Gesinnungsgenosse, der Tischlergeselle Schumann, welcher an jenem Tage infolge eines Ausweisungsbefehls Lcipig verlassen sollte, wurde von ihnen in der geräuschvollsten Weise unter Entfaltung einer roten Fahne nach dem Bahnhöfe gebracht. Eine stärkere Polizeimacht folgte ihnen nach und brachte 5 der Haupträdelsführer zur Haft, 7 andere wurden am nächsten Morgen in ihren Wohnungen festgenoinmen, worunter der ausgewiesene Schumann.

München, 24. Sept. Tie Königin-Mutter hat einen ihrer Besuche ihrem Sohne, dem König Otto, in Fürstenried gemacht. Nur einige Augenblicke weilte die hohe Frau bei ihm, da der König in Folge seines geistigen Zustandes nichr vermochte, mit seiner Mutter ein Gespräch zu beginnen. - Gestern begab sich die Königin-Mutter nach Schloß Berg und besichtigte hier die Kapelle, wo der verstorbene König in früher Morgen­stunde allein der Messe anwohnte, die Gemächer, welche er bewohnt hatte und die Stelle im See, wo er den Too fand.

England.

Ein Lob aus England ist für uns Deutsche etwas Seltenes und noch dazu in derTimes". Dieses größte englische Blatt, das es für gewöhnlich an Parteilichkeit uns und allem, was deutsch ist, gegenüber nicht fehlen läßt, brachte kürzlich einen äußerst anerkennenden Artikel über die Vor­züglichkeit der deutschen Armee. In demselben heißt es: Die deutsche Armee ist eine vollendete Waffe. Nie hat es eine kunstvoller gehärtete, nie eine schneidigere gegeben, aber auch nie eine kostbarere. Das wertvolle Herzblut eines hochgebildeten Volkes, die auserlesensten Schätze des nationalen Schaffens und eine unendliche Menge gewöhnlicheren Reichtums sind und werden in Fülle dargebracht, um die deutsche Armee zu dem Rüstzeug zu machen, welches sie ist. Es würde völlig unentschuldbar sein, wenn sie ein bloßes Spielzeug wäre. Deutschland und Europa wissen, daß dies nicht der Fall ist. Sie hat zur Wiederaufrichtung einer Nation gedient und wird gehalten zum Schutz und Schirm des Reiches. Ob sie alle Angriffe niederwerfen kann, das können nur die Thatsachen beweisen. Die Hauptgefahr, die sie zu bekämpfen hat, kommt nach ihrer Annahme, sie sei richtig oder falsch, von Seiten Frankreichs. Rachedürstige Franzosen sollen ebenso von der unwiderstehlichen Gemalt ihrer reorganisierten Armee überzeugt sein, wie die Deutschen von der Macht der ihrigen. Den genauen Ausgang des Zusammenstoßes zweier solcher Kriegs­maschinen, wie die französische und die deutsche Armee in ihrem gegenwärtigen Zustand sind, könnte auch der gewiegteste militärische Sachverständige nicht Voraussagen. Aber auf alle Fälle würde die deutsche Armee nicht soweit überwältigt werden, daß ihr Gegner ihr Bedingungen auf Gnade und Un­gnade vorschreiben kann. Angesichts des gewaltigen Rüstzeugs, welches Deutsch­land in seinem Heer besitzt, besteht vielmehr alle Aussicht, daß der Ausgang des letzten großen Krieges sich wiederholen würde. Daher muß selbst der leidenschaftlichste französische Patriot einsehen, daß es weise ist, sich von einer Feuerprobe fernzuhalten, bei der Frankreich noch viel zu verlieren, aber that- sächlich nichts zu gewinnen hat.

S p.a n i e n.

Madrid, 26. Sept. Heute wurde hier ein junger Mensch in dem Augenblicke verhaftet, als er eine Dpnamitpatrone in das Fenster des Palais' des Generals Pa via legte.

Kcrges-Weurgkeiten.

Cannstatt, 28. Sept. Gestern nachmittag halb 4 Uhr. als so ziemlich die Mehrzahl der Einwohner sich auf dem Festplatz befand, brach in einer großen, mit Frucht- und Heuvorräten dicht gefüllten Scheuer am Aufgange nach dem Sraigfriedhof, dem Oekonomen uns Gemeinderat Benz

JerriLLeton. Machbru« >

Verlorene Ehre.

Roman von W. Koffer.

In einem Coups zweiter Klasse saßen zwei Damen einander gegenüber, beide junge Mädchen, und, wie es im Schimmer der unsicher flackernden Laterne schien, auch beide hübsch und anmutig, aber trotzdem unverschieden in Haltung und Zügen. Draußen tobte durch die stockfinstere Nacht der Novembersturm, Regenschauer vor sich hertreibend, mit seinem plötzlichen Aufbrausen die Luft gleichsam zerreißend und zuweilen anschwellend bis zu wahren Orgelklängen; er warf Wolken von dürren Blättern und und Staub an die Scheiben der Waggons, er schüttelte in den Bäumen am Wege, daß sie jäh auftauschten und fuhr mit verdoppelter Wucht daher über öde, schwarze, von Wasseradern durchschnittene Moorflächen; jedesmal, wenn von einem neuen wütenden Stoß die Fensterscheiben klirrten, fuhr das eine der beiden jungen Mädchen erschreckt auf und bewegte sich, als wolle sie sprechen; die unbestimmte, quälende Furcht trieb sie auch, den Schleier zurückzuschlagen, aber nur ein Seufzer trennte die frischen Lippen, und dann sahen große blaue Kinderaugen wie in Sinnen verloren vor sich hin. Das kaum achtzehnjährige junge Wesen wagte nicht, in so schauriger Nacht, allein mit einer Fremden, das Gespräch zu eröffnen vielleicht gedachte es der Mutter, des trauteu Heinratherdes und all' der Lieben, die nun so weit, weit entfernt waren wenigstens siel Thräne nach Thräne herab in den Schooß, und der Kopf sank immer schwerer gegen das Polster der Seitenwand.

Die zweite Dame, größer und von fester Haltung als Jene, blieb verschleiert. Ganz in dunkle Stoffe gekleidet, von schlanker Statur und mit blitzenden schwarzen Augen, besaß sie jenen brünetten Teint, der wirklich schönen Frauen die höchste, pikanteste Vollendung gibt, dessen leichte goldene Nüance das Blut purpurn durch­

schimmern läßt, und der den weichen, weißen Sammet der Blondine an verführerischem Reiz wett übertrifft. Ihre Hände, klein und von perlgrauer Hülle umschlossen, lagen im Schooß; sie hatte jetzt auf der dem Toben des Wetters nicht ausgesetzten Sette das Fenster geöffnet und sah mit einer Art von Behagen hinaus in das Chaos. Vielleicht stürmte es ja in ihrer Seele nicht weniger geivalrig als da unten, wo die Elemente mit vereinter Kraft das herbstliche Land überfielen und zerzausten.

Ein Kind", dachte sie, mühsam das heraufquellende Schluchzen bekämpfend, ein blondes, unschuldiges Kind, welches sich schon fürchtet vor Dunkel und Windge­räusch o, der Himmel ist nur gerecht in den Phrasen der Reichen, Glücklichen, derer, die alles besitzen, was anderen versagt blieb! Wenn nun der Zug hält, dann empfangen offene Arnie die willkommene Besucherin, dann findet sie die sichere gast­liche Heimat und den Schutz treuer Herzen; ihr ganzes Leben vergeht in ruhigen Bahnen, das Böse, Unreine kann ihr nicht nahen. O nein, nein, es gibt keinen gerechten, ewig wallenden Gott, nur ein höhnisches Verhängnis, das erst seine Opfer ködert und dann, wenn sie gefesselt sind, mit ehernen, unlöslichen Banden ihrer spottet!"

Ein plötzlicher leichter Schrei des jungen Mädchens aus der anderen Ecke unter­brach die bittere Flut dieser Gedanken.

Der Zug war in einen Tunnel hineingesahren, Wind und Regen schwiegen vollkommen, bieierne Dunkelheit deckte die nächste Umgebung, und nur das leichte Geräusch der Räder durchdrang die Nacht. Zuweilen flog rechts oder links Sekunden lang ein Laternenschein vorüber, feuchte, kellerartige Mauern beleuchtend dann versank wieder alles in gleiche, regungslose Finsternis.

Um Gott", rief das junge 'Mädchen,wo sind wir? was ist das?"

Die andere hob den Kopf. Sie hatte nicht sprechen wollen. Tausend schmerzliche Gefühle in ihr sträubten sich gegen die Berührung mit diesem anmutigen jungen Wesen sie wußte nicht, woher die fast feindselige Antipathie so plötzlich ent­standen war, aber noch viel weniger ließ sich derselben Herr werden-

Beinahe grollend kam jetzt die notgedrungene Antwort über ihre Lippen: