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Frankreich.
— Das Organ Boulanger's, „La France", jubelt, daß Bismarck von dem Zaren abgeführt worden sei. Er habe, so wie Abraham den Jsak schlachten wollte, eines der glänzendsten Kinder seines Landes zum Opfer gebracht. Es sei für Rußland ein berauschender Erfolg, daß es nicht bloß England , sondern auch Deutschland und Oesterreich gedemütigt habe; das werde nicht dazu beitragen, es bescheidener zu machen. Man wisse nun, wer der Chef des Orchesters im europäischen Konzert sei u. s. w. Auch der orleanistische „Gaulois" stimmt in diese Tonart ein und meint, daß der eiserne Kanzler vor Rußland krieche, weil General Werder ihm nachgewiesen habe, daß Deutschland sich nicht mit Rußland messen könne. Der „Gaulois" behandelt Alexander tll. bereits als Eroberer „bis ans Mittelmeer".
Bulgarien.
— Die „Nat.-Ztg." beglückwünscht den Fürsten Alexander, daß er mit geretteter Ehre und gerettetem Leben aus einem Unternehmen zurückkomme , das zur Zeit für einen Westeuropäer noch nicht durchführbar sei. Das Blatt findet die Hauptuisache des Mißlingens seiner bulgarischen Mission eben in dem Umstand, daß er ein Westeuropäer, ein deutscher Offizier gewesen sei und sich der dort gebräuchlichen Mittel nicht bedienen wollte: „Ein Fanariot oder ein russisch-rumänischer Knäs hätte in Sofia die Art von Diplomaten und Offiziere, welche die russische Regierung dorthin sandte, kaltblütig zu ertragen und mit den eigenen Waffen zu bekämpfen vermocht. Em Deutscher, ein Offizier und Fürstensohn, vermochte das nicht. Ec stand der Verschlagenheit und Rücksichtslosigkeit, der orientalisch-barbarisch-revolutionären Taktik gegenüber mit dem schweren und ernsthaften Gepäck westeuropäischer Würde und Ehrenhaftigkeit. Es konnte nicht anders sein, als daß es zum offenen Konflikte kam. Ob es die Absicht der russischen Staatslenker seit dem Tode des zweiten Alexander war, den Fürsten zum Konflikte zu treiben, lassen wir dahin gestellt. Man behandelte eben den Fürsten Alexander nach der üblichen Schablone russisch-asiatischer Aktionspolilik und hielt es nicht der Mühe wert, darauf zu achten, daß man einen Westeuropäer, einen deutschen Offizier gegenüber hatte. Was der Nachfolger Alexanders von Battenberg zu gewärtigen hat, das muß ihn das Schicksal dieses trefflichen Mannes lehren. Wer auch dieser Nachfolger sein mag, wir können nicht wünschen, daß es abermals 'ein Deutscher sein möge.
Sofia, 8. Sept. Der Fürst erließ eine Proklamation, welche also lautet: „Nachdem ich mich von der schmerzlichen Wahrheit überzeugt habe, daß meine Abreise aus Bulgarien die Wiederherstellung guter Beziehungen zwischen Bulgarien und Rußland erleichtert, und nachdem ich von der Regierung des Reiches von Rußland die Zusicherung erhielt, daß die Unabhängigkeit, Freiheit und das Recht unseres Staates unangerührt bleiben, daß sich niemand in die inneren Landesangelegenheiten einmischen wird, erkläre ich meinem vielgeliebten Volke, daß ich auf den bulgarischen Thron verzichte. Ich wünsche damit vor aller Welt zu beweisen, wie teuer mir die Interessen des Vaterlandes sind und daß ich bereit bin, für seine Unabhängigkeit alles zu opfern, selbst was mir noch teurer ist, als das Leben. Indem ich aufrichtig danke für die Ergebenheit, die mir das Volk in glücklichen und trüben Tagen bewahrte und welche zwischen Volk und Thron seit meiner Ankunft in Bulgarien bestand, verlasse ich das Fürstentum, indem ich Gott bitte und bis an das Ente meiner Tage bitten werde, daß er Bulgarien erhalte und ihm beistehe und dasselbe groß, stark, glücklich, einig und unabhängig mache. Ich ernenne zu Regenten Stambuloff, Karavelloff und Mut- kuroff und befehle allen bulgarischen Staatsangehörigen, den Befehlen und Anordnungen der von mir eingesetzten Regentschaft sich zu unterwerfen und die Ruhe im Lande sich zu erhalten, damit bei der ohnehin schwierigen Lage des Vaterlandes jede Verwickelung vermieden werde, Gott schütze Bulgarien. Gegeben in meiner Residenz, Sofia, den 7. Sept. Alexande r."
— Die „Neue Freie Presse" meldet aus Sosra: Alexander reist heute ab, tnsteigt in Lompalanka einen Separat-Dampser und verabschiedet sich dort vom Cortäge, bestehend aus den Ministern, den Notabeln und höheren Offizieren. Er reist direkt nach Jugenheim.
Hages-WerrigkeiLen.
Nagold, 8. Sept. Wie aus dem „Gesellschafter" zu ersehen war, steht unserer Stadt ein hoher musikalischer Genuß in Aussicht. Das 11. K i r ch e n g e s a n g f e st soll am Mittwoch den 15. ds. Mts. hier gehalten werden. Es wird dem Korrespondenten gestattet sein, einiges Geschichtliche über die Gesangfeste hier beizufügen. Es war am 21. Sept. 1875, als der damalige Helfer Dc. Köstlin in Sulz a. N. das erste Gesangfest veranstaltete. Zu dem dortigen Verein, dessen Leiter -s Schullehrer Breule und dessen Vorstand war, erbat er sich die Mitwirkung des Calwer und Nagolder Kirchengesangvereins. Mit Freuden zog damals die kleine Sängerschaar in die schön geschmückte Feststadt Sulz und wurde daselbst mit Freuden ausgenommen. In den folgenden Jahren wurden die Gesangfeste fortgesetzt; das zweite fand hier, das dritte in Calw statt. Im Jahre 1878 zogen größere Scharen von Sängern und Sängerinnen aus Altensteig, Calw, Nagold, Sulz und Waiblingen nach Maulbronn, wohin Köstlin als Pfarrer versetzt worden war. Schon beim Calwer Feste wurde der „Evangelische Kirchengesangverein für Württemberg" gegründet. Die Zahl der sich demselben anschließenden Vereine und passiven Mitglieder, die einen jährlichen Beitrag von 1 spenden, wurde immer größer. Bis heute haben sich dem Gesamtverein 130 Vereine mit 3—4000 Sängern aus allen Gauen Württembergs angeschlossen und die Zahl der Ehrenmitglieder ist auf 1000 gestiegen. Beim bevorstehenden Feste werden 300 Sänger erscheinen, die 8 Vereinen angehören, nämlich außer den 3 obengenannten Stammvereinen noch der hiesige Seminarchor sowie die Kirchengesangvereine von Altensteig, Rohrdorf, Neuenbürg und Wildberg. Auch der Seminaristenchor, der Lehrergesangverein des Bezirks und ein hiesiger Kinderchor werden beim Feste Mitwirken. Der verehrte Gründer des Vereins, Professor Dr. Köstlin aus Friedberg in Hessen, hat die Festpredigt zu übernehmen die Güte. Das Gesangfest wird sich zu einem liturgischen Gottesdienst gestalten, in welchem Biebellektion, Gemeinde- und Chorgesang lieblich mit einander abwechseln werden. Es wird also unserer Stadt ein seltener religiöser und musikalischer Genuß geboten werden. Da das Entree samt dem ausführlichen Programm nur 60 H beträgt, so wird wohl erwartet werden dürfen, daß sich auch eine große Zahl hiesiger Gesangsfreunde im Festgottesdienst einftnden wird. Um den vielen Gästen, welche beim Feste von nah und fern, von hoch und nieder erscheinen werden, zu zeigen, daß unsre Stadt Sinn und Verständnis für solche Feste hat, darf man wohl erwarten, daß viele durch Dekoration und Beflaggung ihrer Häuser (wozu der Gemeinderat in freundlicher Weise das Material verwilligt hat) dazu beitragen werden, daß unsere Stadt wie bei ähnlichen Festlichkeiten auch am 15. Sept. sich im Festschmuck zeigt. Gesellsch.
— Das Kurthater in Wilddad hat am 31. August seine diesjährigen Vorstellungen mit „Doktor Klaus" geschloffen. In dem Zeiträume vom 8. Juni bis 31. August wurden in 75 Vorstellungen 89 Stücke gespielt, darunter 33 verschiedene, eine Zahl, auf welche Direktor Liebig und seine wackere Künstlerschar mit Befriedigung zurückblicken kann.
Stuttgart, 8. Sept. Gestern früh um 3 Uhr hat ein Fuhrmann von Simmozheim, OA. Calw, einem andern ihm begegnenden Fuhrmann, mit welchem er in Feindschaft lebt, auf der Straße zwischen Mühlhausen und Münster, OA. Cannstatt, ohne alles weitere mit einem Prügel einen Arm abgeschlagen, auch einen Fuß und andere Körperteile bedeutend verletzt. Der Thäter wurde hier festgenommen und dem Gericht übergeben. (N. Tagbl.)
— (Nachschrift: Fuhrmann Marquardt von Simmozheim ist, wie wir soeben erfahren, wieder auf freien Fuß gesetzt worden.)
Lautlingen bei Ebingen, 6. Sept. Letzten Sonntag nachts wurde im Hausgarten des hiesigen Lehrers ein im schönsten Wachstum stehender, nrit mehr als 60 kräftig entwickelten Trauben behanaener Rebstock, verschiedene edle Rosenbäumchen rc. von bübischer Hand ausgerissen und abgehauen. Wer weiß, wie viel Zeit, Mühe und Sorgfalt dazu gehört, um in unserer Lage, 678 m über dem Meer, hart am Fuße des rauhen Heubergs, den Weinstock
Darum also sah dieselbe so gut aus? — O, jetzt war Alles, Alles klar. . . .
„Wenn das der Alte erfährt, bringt er mich um", stöhnte die Schnorpsin und soviel stand bei ihr fest, daß diese Schauergeschichte für den Augenblick auf alle Fälle vertuscht werden mußte.
Aber wie — wie?
Da fiel ihr Blick durch das Fenster auf das Nachbarhaus gegenüber und ein rettender Gedanke blitzte ihr durch den Kops. Leise schlich sie die Treppe hinab durch die Hinterthürc, stürzte hinüber zu der Frau Sekretär und erzählte der treuen Alten in fliegender Hast das Unglück, sie beschwörend, ihr für heute Abend wenigstens den Frack ihres Mannes zu leihen. Morgen werde ihr ja irgend ein Auskunftsmittel einsallen, nur heute — heute müsse Rettung beschafft werden.
Das leuchtete der gutmütigen Sekretärin denn auch ein und eine Stunde später wanderte Schnorps wohlgemut und ahnungslos in dem fremden Schniepel nach dem Hause des Obersten, während dessen Bursche ihm den riesigen Contrabaß nachschleppte.
Der Frack saß etwas eng, was seinen Träger beim Anziehen zu der Bemerkung veranlaßt hatte, er werde trotz seiner mäßigen Lebensweise immer dicker.
Armer — harmloser Schnorps!-
Die musikalischen Genüsse waren zur höchsten Zufriedenheit des alten Obersten ausgefallen und nicht minder zufrieden waren seine Gäste mit dem auf dieselben folgenden vortrefflichen Souper. Ter Contrabassist besonders schwelgte in Speise und Trank und hieb mit einer Ausdauer ein, als habe er sich durch ein vierzehntägiges Fasten auf diesen Festabend seines Magens vorbereitet.
Nichts blieb von ihm verschont, ein guter Bissen, ein Glas des famosen Weines nach dem andern verschwand in der unergründlichen Tiefe seiner Speiscanstalt und dabei griff er, sobald er sich unbemerkt glaubte, rechts und links nach den Dessertschalen, um ganze Hände voll von den gefüllten Bonbons in den Hinteren Taschen seines Frackes verschwinden zu lassen.
O, er war ein guter Vater, wenn es ihm keine Auslagen verursachte und wollte doch auch den Seinigen daheim eine kleine Freude bereiten! . . .
Die Gäste blieben sehr lange und Schnorps natürlich, blieb am längsten. Es war gegen zwei Uhr in der Frühe, als er in einem Zustand nach Hause wankte, wo jeder Heuwagen die moralische Verpflichtung hatte, ihm auszuweichen.
An der Thüre seines Häuschens stellte er noch lange tieffinnige Betrachtungen über die Größe der Hausschlüssel und die Kleinheit der Schlüssellöcher an — so tiefsinnig, daß er lange, lange Zeit auf der Steintreppe saß, das Haupt vornübergebeugt und die Augen geschlossen, bis ihn gegen Tagesgrauen ein kühler Luftzug aus seinem philosophischen Nachdenken erweckte, er sich fröstelnd erhob und hinter der Thüre verschwand.
Er erwachte nach einigen Stunden unruhigen Schlafes, in einem nicht gerade erbaulichen Zustande, denn war er sich auch stets seines dicken Kopfes bewußt, so dick, wie an diesem Morgen, war er ihm noch niemals vorgekommen. Er stierte mit seinen klotzigen Augen, die er zuerst äußerst energisch reiben mußte, im Zimmer umher und rieß dieselben plötzlich so weit auf, als ob er den Gegenstand, auf welchem sie hafteten, mit den Blicken durchbohren wolle.
Es war der neue Schniepel. Gerechter Himmel, wie sah der aus! Abgesehen von den überall sichtlichen Spuren des reichlichen Mahles und des Sitzens vor der Hausthüre, hatte Schnorps bei letzterem die sämmtlichen gefüllten Bonbons zerbrochen, die Mischung von Chokolade, Liqueur und Zucker aber hatte auf den Frackschößen eine klebrige Kruste erzeugt, die geradezu schreckenerregend aussah.
Entsetzt sprang der Contrabassist mit gleichen Füßen aus dem Bett und besah sich den unglücklichen Frack, der in der Blüthe seiner Jugend schon so Schweres zu erdulden hatte.
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(Schluß folgt.)