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gegen den Fürsten scheint Karawelow nicht schuldig. Wessen man ihn eigentlich anklagt, ist nicht recht klar. Die Verhaftung wird daher verschieden beurteilt, wogegen das Vorgehen gegen Klement, Zankow und Genoffen allgemein gebilligt wird. Die höheren Offiziere der bulgarischen Armee sagen, daß gegen die Rädelsführer, Zivilisten und Offiziere, ein Beispiel statuiert werden müsse, wenn auch keine Hinrichtungen stattfänden. Das Telegramm König Milans von Serbien machte einen vorzüglichen Eindruck und ist durchaus geeignet, alles zu verwischen, was früher zwischen Bulgarien und Serbien geschehen ist. Allenthalben wird der chevalereske Schritt König Milans mit äußerster Genugthuung und mit der Erklärung entgegengenommen, daß man zu dem vollsten freundschaftlichen Entgegenkommen gegen Serbien bereit sei.

Sofia, 2. Sept. Der Fürst verfügte die Freilassung sämt­licher verhafteter Zivilpersonen, ungefähr zwanzig, darunter Karawelow, Zankow, Balabanow. Dieselben wurden gestern in Freiheit gesetzt. Die Untersuchung wird fortgesührt. Die Antidynastischen verbleiben unter Polizeiaufsicht. Die Stadt ist in freudiger Erregung. Bei dem Empfange des Fürsten werden große Demonstrationen beabsichtigt.

Sofia, 3. Sept. (2 Uhr 18 Min.) Die aufrührerischen Truppen haben sich auf Gnade und Ungnade dem Fürsten Alexander ergeben und seine Milde angerufen.

Von dem Einzug des Fürsten Alexander in Rustschuk erzählt das N. W. Tgbl. u. A. folgendes: Das Schiff Alexander verließ Giurgewo gegen 1 Uhr, um hinüber nach Rustschuk zu fahren. Unter den Hurrahs der rumänischen Bevölkerung und den Klängen der Militärmusik setzte sich die Dacht in Bewegung. Kanonenschüsse von Rustschuk herüber grüßen den Fürsten. Der Fürst blickt hinüber nach Bulgarien, jetzt wieder sein Land. Drüben ist alles schwarz von Menschen. Den langen Donauquai hin zieht sich in schier endloser Zeile die Menschenmenge. Die Tausende brachen in ein lautes Hurrah aus, als sie den Fürsten auf dem Verdeck erblickten. Fast eine Viertelstunde lang dauerte diese betäubende Hulvigung, welche der Fürst mit dem Schwenken seines Hutes erwiderte. Die Begeiste­rung der Leute kannte keine Grenzen; immer erneuerte sich die stürmische Begrüßung, daß die Luft davon erzitterte. Das Schiff legt an. Auf der Landungsbrücke erwarten die Vertreter der Stadt und die Mitglieder des Konsularkorps den Fürsten. Der russische Konsul ist in seiner grünen Uniform anwesend. Man bemerkt, daß er den dreispitzigen Hut erst lüftet, nachdem der Fürst die Landungsbrücke betreten hat. und daß er der Erste ist, der sich sofort wieder bedeckt, nachdem der Fürst, welcher ihm schweigend die Hand gereicht hat, an ihm vorbei ist. Das Volk am Berge und am Quai schreit wieder Hurrah, es jubelt dem Fürsten zu, ein Blumenregen geht nieder. Da winkt Stambulow mit seinem Taschentuch das Volk schweigt. Die Musik verstummt. Hier findet die amtliche Begrüßung des Fürsten, die Ueber- gabe der Regentschaft in seine Hände statt. Kurz, aber markig spricht Stam­bulow. Weithin ist seine sonore Stimme vernehmbar. Er begrüßt den Fürsten imNamen des Volkes" unv übergibt die Regentschaft Bulgariens seinem Fürsten unserem Fürsten! ruft Stambulow und wiederholt es dreimal: Ir'njas" ... Da unterbricht ihn der Fürst, indem er dem

Volksmann um den Hals fällt und ihn küßt. Lange dauert die Umarmung und immer wieder küßt der Fürst den Mann, der ihm seine Treue in so hochherziger Weise bewiesen. Die Bevölkerung begleitet diese ungewöhnliche Scene mit stürmischen Hurrahs, welche während der langen Umarmung in lautes Schluchzen übergehen. Nachdem der Fürst, welcher tief ergriffen war, sich wieder von Stambulow getrennt hatte, fährt dieser in seiner Rede fort, versichert den Fürsten der Treue des Volkes, das entrüstet sei über die Räuber, die den Fürsten gestohlen hatten, und bittet ihn, das Land, das ruhig und zufrieden sei, wieder wie bisher zu führen. Neue Kundgebungen. Mit Mühe konnte sich Fürst Alexander Gehör verschaffen, welcher in bulgarischer Sprache Stambulow und dem Volke für die bewiesene Treue dankte und versicherte,

daß erfür das Glück und den Fortschritt Bulgariens" mit allen Kräften einstehen werde. Ueber die Verschwörung ging Fürst Alexander hinweg, indem er sagte:Was geschehen ist, war der Wille Gottes."

Gages-WeirigkeiLen.

* Calw. Ständchen. Am letzten Samstag wurde von den Sängern des Liederkranzes dem für den Gesang so sehr eingenommenen und für die Sache des Liederkranzes aufs eifrigste wirkenden Mitglied, Hrn. Fabrikanten Emil Zahn, der an diesem Tage seinen Geburtstag feierte, ein wohlgelungenes Ständchen gebracht. Sehr erfreut über diese Aufmerk­samkeit, dankte der Gefeierte den Sängern und lud sie zugleich ein, mit ihm in seinem Garten noch einige gemütliche Stunden zuzubringen. Bei fröhlichem Sang und Becherklang verlief der Abend aufs schönste. Mögen dem ver­ehrten und beliebten Herrn noch viele glückliche und gesegnete Jahre be- scheert sein!

Calw, 6. Sept. Am Samstag, nachts 11 Uhr, passierte hier ein Unglücksfall, der leicht noch schlimmer hätte ausfallen können, immerhin aber noch einen empfindlichen pekuniären Verlust zur Folge hatte. Der Knecht eines Teinacher Gasthofbesitzers (M. z. kühl. Brunnen) war mit Wägele und Pferd von hier nach Teinach unterwegs. Derselbe mußte bereits nach Ver­lassen der Stadt eingeschlafen sein, wodurch das führerlos gewordene Pferd schon auf hies. Bahnhof von der Fahrstraße abkam und am Güterschuppen vorbei, dem Bahngeleise entlang lief. Dicht vor dem hohen Böschungskegel der Eisenbahnbrücke am Oelenderle scheint es seinen Irrtum gewahr worden zu sein, es blieb stehen, indem es sich, der Befehle seines Führers harrend, auf das Bahngeleise stellte. Einige Schritte weiter und Pferd samt Wagen wären auf die Teinacher Straße hinabgestürzt. Bahnwärter H., welcher die Brücke kurz vor dem Einkommen des 11 Uhr Zuges von Nagold beging, gewahrte das Fuhrwerk nicht, wahrscheinlich war es zurzeit noch nicht zur Stelle. Viel Geräusch kann dasselbe auf dem meist mit Gras bewachsenen Damm nicht verursacht haben, zudem führte es keine Laterne. Der Knecht schlief ruhig weiter und erwachte auch noch nicht, als der Zug über die Brücke brauste und die Lokomotive mit einem Puffer das Pferd an der Schulter fassend, vom Wagen getrennt, auf die Seite warf, wo es sofort verendete. Der Besitzer des noch jungen Pferdes erleidet durch die unverzeihliche straf­würdige Gleichgültigkeit und Unsolidität seines Kutschers einen harten Verlust.

Calw. DerSchwarzw. Bote" vom Sonntag bringt u. A. folgende Notiz:Der als gefährlicher Hochstapler seit geraumer Zeit in Untersuchungs­haft sitzende Goldarbeiter Spannseil von Liebenzell wußte durch auf­fälliges Benehmen die Kriminalbehörde insofern zu täuschen, daß seine Ueber- führung in eine Jrrenzelle des Stuttgarter Bürgerspitals für nötig befunden wurde. Letzten Samstag gelang es ihm, seinen Plan zu entweichen, zur Ausführung bringen, indem er sich an einem in Streifen gerissenen Laken in den Hof hinabließ. Bis jetzt konnte der Flüchtling nicht wieder beigebracht werden." Wie uns soeben mitgeteilt wird, ist Spannseil bereits wieder verhaftet, hier in Calw interniert gewesen und sollte in vergangener Nacht, Sonntag auf Montag, morgens 4 Uhr zur Bahn transportiert werden. Dem ihn begleitenden Landjäger wußte er jedoch zu entgehen indem er sich außerordentlich rasch flüchtend durch die Biergasse der Lederstraße zuwandte. Als er in deren unterem Teil ausgchalten zu werden drohte, schlug er sich plötzlich seitwärts und konnte infolge der dichten Finsternis nirgends mehr vorgefunden werden. Die ihm angelegten Gelenkfesseln dürften ihm das Fortkommen erschweren.

§ Liebelsberg, 5. Sept. Der seit 30 Jahren als Schullehrer hier angestellte, 63 Jahre alte I. Alber wurde heute unter großer Be­teiligung von nah und fern zu Grabe getragen. Er starb an einem Schlag­anfall, der sein so thatenreiches Leben plötzlich endete. Als guter, fleißiger

aber stets mit einer schwarzen Zahnbürste verglichen. Das Aeußere Gottliebs stand, wenn ich es ungeschminkt sagen soll, mit den Grundregeln der Reinlichkeit auf ent­schiedenstem Kriegsfuße.

Was nun die Schnorpsin anbelangt, so gab sie ihm in Betreff des Liebreizes der äußeren Erscheinung nichts nach. Die Natur hatte sie etwas stiefmütterlich behandelt und sie hatte nie den schwachen Versuch gemacht, derselben etwa durch Toilettenkünste zu Hilfe zu kommen. Auch sie war unsauber und klein, dafür aber mager und was die Nase ihres Gatten zu wenig, das hatte die ihrige an Schärfe zu viel. An der Spitze verlief sie, etwas nach links hängend, in einem Haken, so daß sie ungefähr wie ein Löschhorn für Kirchenlichter aussah.

Was ihren Charakter betrifft, so hatte er die größte Aehnlichkeit mit dem ihres Mannes. Beide waren sogenannte böse Zungen (möglicherweise war das Brummen und Knurren des Contrabasses auf das Gemüt geschlagen) und schimpften den ganzen Tag. Er über sie, sie über ihn Beide, wenn einmal vereint, über die ganze Welt. Ihre liebenswürdigste Eigenschaft aber war ihr Geiz und in dieser Beziehung gaben sie dem berüchtigten Harpagon ein Doubl« vor.

Ich könnte Ihnen allerdings noch einige Mitteilungen über die Sprößlinge dieses lieblichen Ehepaares machen, allein ich fürchte, Ihre Geduld mit Aufzählung der negativen Vorzüge derselben zu ermüden, und kann Sie nur im Allgemeinen versichern, daß das Sprichwort:Der Apfel fällt nicht well vom Stamm", hier in vollem Maße eintraf und daß die ganze Tchnorpserei, Alles in Allem, eine recht wider­wärtige Familie war- die in keiner Wohnung lange geduldet wurde und fast das ganze Jahr mit ihren Habseligkeiten auf der Wanderschaft war, bis sie endlich so viel zusammen­gescharrt hatte, daß Herr Schnorps ein Häuschen vor dem Thore erstehen konnte, gerade groß genug, ihn, seine Gattin, die vier jugendlichen Schnörpse und den Contrabaß zu beherbergen.

Ta hausten sie nun so recht von amore! Entweder keifte er mit der Frau

sie mit ihm Beide mit den Kindern oder diese unter sich dazwischen knurrte der Contrabaß, denn Schnorps studirte immer fleißig, das ließ er sich nicht nehmen

kurz es war eine recht nette Wirtschaft. Kein Mensch mochte sie leiden doch ja, eine ihnen befreundete Familie, welche das gerade Gegenteil von ihnen war.

Gegenüber wohnte ein Regierungssekretär, der in seiner Jugend bei Schnorpsens Vater Musikunterricht gehabt habe, und heute noch zuweilen an Sonntagnachmittagen dem Violoncelle einige Töne abquetschte, welche er mit dem stolzen NamenElegie" belegte. Sonst war er ein stiller, harmloser Mann, klein, dick und gemütlich, lebte mit seiner guten Frau und der ganzen Welt in Frieden und vertrug sich selbst, was viel heißen wollte, mit der Familie Schnorps, der er alle möglichen Gefälligkeiten erwies, wofür ihm der Contrabassist von Zeit zu Zell eine neue Saite auf sein Instrument aufzog oder ihn in einigen schweren Griffen unterwies. Denn ein tüch­tiger Lehrer war er,' das mußte ihm der Neid lassen und der Hofkapellmeister hielt große Stücke auf ihn.

Wenn er nur ein Bischen anständiger in seinem Aeußern gewesen wäre! Aber damit sah es schlimm aus und er machte dem königl. Orchester in dieser Beziehung keine Ehre. Seine Schäbigkeit war sprichwörtlich geworden. Mit besonderer Vor­liebe bediente er sich einer furchtbar großen Kravatte, um jedem spähenden Auge seine stets zweifelhafte Wäsche zu verbergen. Sein Rock wurde nur selten oder me gebürstet und der untere Teil seiner Rockärmel glänzte wie em Spiegel so abgerutscht war das Tuch durch den jahrelangen Gebrauch. O, er hatte noch manche Röcke im Schrank die Schnörpsen vererbten ihre Garderobe vom Vater auf den Sohn

- aber bediente sich stets desselben Exemplars, welches denn auch längst seinem seligen Ende nahe war und nur noch durch alle möglichen Schneiderkünste sein kümmerliches

Dasein fristete. . ,,

Das Glanzstück seiner Garderobe indessen war sein Frack, oder w,e er ihn nannte, seinSchniepel", den er nur bei außerordentlichen Gelegenheiten und bei den Abonnements-Konzerten trug, die das königl. Orchester alljährlich zum Besten seines Pensionsfonds veranstaltete. Es hatte ihn große Ueberwindung gekostet, sich dieses Garderobestück anzuschaffen aber er mußte sich dem eisernen Zwang der Etikette des Hoftheaters fügen, welche an gewissen Tagen gebieterisch einen Frack verlangte.

Einen neuen machen zu lassen, kam ihm nicht in den Sinn und er war lange von einem Trödlerladen zum andern gewandert, bis er bei Salomon Hoffa ein ihm paffend erscheinendes Exemplar vorfand, welches er gegen Erlegung von einem Thaler und etlichen Silbergroschen als unbestreitbares Eigentum erstand. (Forts, folgt.)