Heute morgen wurde die Umgebung der königlichen Villa von Schutzleuten besetzt. Um 10 Uhr erschien der Polizeipräsident und begab sich mit einigen Polizeisergeanten in die Wohnung der Königin. Er wiederholte der Königin seinen Auftrag. Die Königin weigerte sich, den Kronprinzen herauszugeben. Auf die Erklärung des Polizeipräsidenten, daß er dann zur Anwendung von Gewalt schreiten müsse, erklärte die Königin schließlich, daß sie der Gewalt unter Protest weiche. Der Polizeipräsident eröffnete darauf dem Kronprinzen, daß der Wille seines königlichen Vaters ihn zu sich rufe und fuhr sodann, nachdem die Königin von ihrem Sohn Abschied genommen hatte, in Begleitung der Tante und des Gouverneurs des Kronprinzen, Dr. Dokitsch, zum Bahnhof. Dortselbst erwartete der Kriegsminister General Protitsch mit zwei Adjutanten den Kronprinzen, um mit demselben und seinen Begleitern einen Salonwagen zu besteigen. Vor der königlichen Billa und am Bahnhofe hatte sich eine groß- Menschenmenge eingefunden. Kurz nach 12 Uhr fuhr der Zug zunächst nach Frankfurt ab. Der Königin Natalie wurde eröffnet, daß sie 10 Stunden nach Abreise des Kronprinzen Deutschland zu verlassen habe. ES heißt, daß die Königin aus heute Abend einen Extrazug bestellt habe.
Wiesbaden, 13. Juli. Die Königin Natalie reist heute abend 7 Uhr von hier ab.
Berlin, 12. Juli. Der Botschafter Graf de Lauay begab sich vorgestern im Aufträge des Königs Humbert nach Potsdam und legte in der Friedenskirche, von den Geistlichen, sowie den Flügeladjutanten des Kaisers Wilhelm empfangen, einen goldenen Kranz mit der Inschrift: »Ilmborto I., rs ä'jtalia, gl 8uo imAliors gmieo Isteckoriov III., Irnporatoio v Uo." Der Kranz ist ein hervorragendes Kunstwerk und ging aus dem Atelier von Castellani in Rom hervor.
Berlin, 12. Juli. Heute abend 7 Uhr fand im Stadtschloß zu Potsdam das Diplomatendiner statt. Der Kaiser trug die Gardehusarenuniform mit dem großen Bande des schwarzen Adlerordens. Es war ein Diner ohne Damen und ohne die König!. Prinzen. Die fremden Vertreter am Kaiserhofe waren nahezu vollständig erschienen. Die Tafel gewährte im Schmucke des Königlichen Silberschatzes und der herrlichen Blumen einen prächtigen Anblick, zu dem die Zeichen der Trauer an den goldstrahlenden Uniformen einen ergreifenden Gegensatz bildeten. Se. Mas. der Kaiser und König nahm hierbei Gelegenheit, die verschiedenen Herren durch huldvolle Ansprachen auszuzeichnen.
Berlin, 12. Juli. Fürst Bismarck begab sich heute in Begleitung des Grafen Rantzau nach Friedrichsruh, wo er während des ganzen Sommers verweilen will.
Der Besuch des Kaisers beim Zaren wird, je näher er rückt, desto mehr von Personen, die unterrichtet sein können, als ein politisches Ereignis von höchster Bedeutung angesehen. Man will wissen, daß die Reise nicht nur, was natürlich ist, in Uebereinstimmung mit dem Fürsten Bismarck erfolgt, sondern daß dieser auch die Anregung dazu gegeben hat, und man hält es nahezu für ausgemacht, daß im Anschluß an diesen Besuch politische Verhandlungen stattfinden, die, wenn sie zu einem günstigen Resultat führen, den jungen deutschen Kaiser als den Hort des europäischen Friedens erscheinen lassen werden, durch dessen persönliches Eingreifen ' die Spannung beseitigt wird, in welcher seit jetzt fast ^ zwei Jahren mit kurzen Unterbrechungen Europa gehalten worden ist. Es wird auch nicht ausbleiben, daß von den Ergebnissen der Reise die Welt sehr bald unterrichtet wird.
Berlin, 12. Juli. Die Begegnung der beiden Kaiser findet nicht am 19., sondern schon am 18. Juli, und nicht zu Schiff, sondern in Peterhof statt.
Die Nachricht, daß der Kaiser auf der Rückreise von Petersburg an den Höfen von Stockholm und Kopenhagen Besuche abstatten werde, ist von der „Kreuz-Zeitung" bestätigt worden.
Berlin, 13. Juli. Gutem Vernehmen nach ist Prinz Alb recht von Preußen zum Generalin- l spekteur der ersten Armeeinspektion, General v. Ca- ! privi zum kommandierenden General des 10. Armeekorps ernannt.
Die Berliner Kreuz-Zeitung reitet viel auf dem Freimaurer-Orden herum, seit es bekannt geworden ist, daß Kaiser Wilhelm II. nicht in
den Orden cingetreten ist. Sie behauptet, kein guter Christ könne dem Orden angehören und ermahnt namentlich die Offiziere aus demselben auszutretcn. Unter den Kaisern Wilhelm I. und Friedrich III., die beide oft in den Logen das Wort nahmen, dem Orden zeitlebens angehörten und immer ihre Hand über ihn hielten, hätte sie diese Angriffe nicht gewagt. Sekundant der Kreuz-Zeitung ist der „Reichsbote". (In der Breslauer Loge sagte der Kaiser Wilhelm jals Prinz von Preußens: „Es war immer meine Ueber- zeugung, daß im Interesse des Bundes ein dem Regentenhaus Angehöriger an der Spitze desselben stehen müsse", und fügte hinzu: „Den Widersachern des Ordens gehe zum mindesten eine richtige Kenntnis desselben ab, da diese nur in dem Orden selbst genommen werden könne".)
Berlin. Von Münzen mit dem Bilde Kaiser Friedrichs III. sind insgesamt bisher 1536 786 Stück ausgeprägt worden. Alles ist aber in festen Händen, im Verkehr sieht man kein Stück.
Die Saatenstandsberichte aus den verschiedenen preußischen Landesteilen lauten leider mehrfach wenig günstig und dürfte ein beträchtlicher jAus- fall leider kaum zu vermeiden sein.
Berlin. Aus vielen deutschen Bädern, Sommerfrischen und Erholungsorten kommen endlose Klagen über das kühle Wetter und die permanenten Regengüsse. Aus der Schueekoppe waren in der Nacht zum Donnerstag stürmische Schneefälle bei 2 Grad Kälte. Die Fenster auf der Windseite zeigten eine Eisschicht von 1 Millimeter Stärke. In den Thälern zwei Grad Wärme. In England herrscht ebenfalls außergewöhnliche Kälte. In vielen Teilen des Königreiches hat es geschneit. Nettes Jahr.
Kiel, 14. Juli. Der Kaiser ist hier eingetroffen und wurde mit ungeheurem Jubel begrüßt.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 12. Juli. Nach der „N. Fr. Pr." äußerte ein hervorragender, in Karlsbad weilender russischer Diplomat: „Der Zar wolle absolut den Frieden; wir werden an Bulgarien nicht rühren, und wir unternehmen nichts gegen den Prinzen von Coburg, solange nicht Oesterreich uns dazu nötigt. Der Friede wird trotz der Kriegsbefürchtungen nicht gestört werden. Die einzige Frage, die heikel ist, betrifft Serbien; wenn sich hier Oesterreich loyal verhält, ist der Friede gesichert. An Konstantinopel denke man in Rußland nicht."
I Frankreich.
! Paris, 11. Juli. Aus der Provinz kommen ! geradezu herzergreifende Nachrichten. Seit 6 Wochen fällt Tag und Nacht ein feiner, kalter, schneidender Sprühregen. Dazu noch Hagelschläge in Süd und ! Nord. Getreide, Wein, Kartoffeln, Heu, alles miß- ! rät. Welches Unglück angesichts der überaus schwierigen Notlage der Landwirtschaft in Frankreich!
Paris, 12. Juli. Der Präsident der Republik gedenkt am 14. Juli gelegentlich des bevorstehenden Monstrebanketts einen mächtigen Trumps auszuspielen und in einer großen Programmrede nicht nur die Gegner der Republik, sondern auch ihren neuesten Anhänger und ritterlichen Verteidiger, den General Boulanger, endgiltig abzuthun. Äoulan- ger scheint sich aus der angedrohten „Vernichtung"
> nicht viel zu machen. Wenigstens fährt er ganz un- ! gestört in seiner Agitations- u. Aufreizungs-Hatz fort.
Paris, 13. Juli. In der Kammer beantragte ^ Laffon die Unterdrückung aller geistlichen Ordensgesellschaften anläßlich von in der Ackerbauschule Citeaux vorgekommenen Unmoralitäten. Freppel bekämpfte den Antrag. Die Kammer beschloß mit 264 gegen 219 Stimmen dessen Dringlichkeit. Boulanger beantragte unter heftigen Angriffen auf die Kammer eine Resolution, welche den Präsidenten Carnot zur Auflösung der Kammer auffordert. Floquet erklärte, die Regierung werde Carnot die Resolution Bou- ^ langers nicht Vorschlägen; eine Kritik der Kammer stehe am wenigsten dem Boulanger zu, der niemals ^ in die Kammer gekommen sei und nichts gethan habe, ! als sich in den Sakristeien und prinzlichen Vorzimmern herumzutreiben. Nach heftigem Wortwechsel zwischen Floquet und Boulanger, wobei letzterer ! sagte, er habe Floquet bereits viermal des unverschämten Lügens bezichtigt, erklärte der Kammerprä- ! sident, er gebe, bevor er die Zensur über Boülanger ' verhänge, demselben noch das Wort. Boulanger be- ! zichtigte den Präsidenten der Kammer der Parteilichkeit, legte sein Deputiertenmandat nieder und verließ ,
den Sitzungssaal. Die Kammer beschloß dessenungeachtet die Verhängung der Zensur gegen Boulanger.
Paris, 13. Juli. Gutem Vernehmen nach wird infolge der gestrigen Vorgänge in der Kammer noch im Laufe des heutigen Tages ein Duell zwischen dem Ministerpräsidenten Floquet und Boulanger stattfinden.
Paris, 13. Juli. Der Zweikampf zwischen Boulanger und Floquet ist sehr erbittert gewesen, beide wurden zweimal aber leicht verwundet. Die Wunde Boulanger's am Halse hat stark geblutet. Floquet soll trotzdem der Einweihung des Gam- betta-Denkmals beiwohnen wollen.
Paris, 13. Juli. Der Sieg Floquet's, des Zivilisten, über den Helden Boulanger hat allgemein lebhafte Befriedigung erregt. Während des Duells hat sich Boulanger wie ein Rasender geberdet, während Floquet kaltblütig geblieben ist. — Bei der Einweihung des Denkmales Gambetta's wurden Floquet stürmische Ovationen bereitet. Es ist allgemeine Ansicht, daß durch den Zwischenfall die Stellung des Conseilpräsidenten wesentlich befestigt worden ist.
Paris, 14. Juli. Der gestrigen Einweihung des Denkmals für Gambetta auf dem Carous- selplatze wohnte eine zahlreiche Menschenmenge bei. Floquet hielt dabei eine Rede, worin er die Verdienste Gambetta's pries und mit der Aufforderung schloß, alle Kräfte dem Volke zu widmen, welchem Gambetta gedient, der Armee, welche er liebte, sowie dem Vaterlande, welches er verteidigte. Der Wunsch aller könne aber nur auf die Republik gerichtet sein, die Reformen zugeneigt, in Wahrung ihrer Rechte friedliebend, zugleich aber unveränderlich in ihrer Stärke sei.
Paris, 14. Juli. Die letzten Berichte über Boulanger lauten bedrohlich. Sehr heftiges Fieber, verbunden mit Teilnahmlosigkeit, ist eingetreten; der Atem ist fliegend, zuweilen schwierig. Die Aerzte wagen nicht, das Leben zu garantieren.
Belgien-
Brüssel, 14. Juli. Dem „Nord" zufolge beschloß die russische Regierung den Bau von 1600 Kilometern neuer sibirischer Eisenbahnen.
England.
London, 14. Juli. Einer weiteren Meldung aus Capetown zufolge sind von ca. 800 Personen, welche sich in der Diamantengrube Debeers (Kimber- ley) befanden, bis jetzt 400 Eingeborene und 43 Weiße lebend und unversehrt aufgefundcn.
Rußland.
Petersburg, 13. Juli. Ein kaiserl. Ukas setzt das diesjährige Rekrutcnkontingent auf 250000 Mann gegen 235000 im Vorjahre fest. Ferner wird die Dienstzeit für die losgemäß eintreten- ^ den Mannschaften auf 18 Jahre normiert, wovon 5 Jahre aktiv. Die Abiturienten der höheren Lehranstalten und Freiwillige genießen gewisse Privilegien. Die Dienstzeit der Landwehr wird bis zum 43. Lebensjahr verlängert und besteht die Landwehr aus bereits aktiv gedienten Soldaten. Dieselbe wird in zwei Klassen eingeteilt, wovon die erste den Stamm bildet, die zweite jedoch nur durch kaiserliches Manifest einberusen werden kann.
Türkei-
In türkischen Kreisen ist der Glaube verbreitet, der deutsche Kaiser werde nach der Unterredung mit dem Zaren die Vermittlerrolle in der bulgarischen Frage übernehmen. Wenn der Glaube nur nicht trügt!
Serbien.
Belgrad, 15. Juli. König Milan ist mit dem Kronprinzen um 7^/t Uhr hier eingetroffen und wurde von sämtlichen Ministern, den Spitzen der Behörden, der Generalität, dem Episkopat, sowie den Vertretern Oesterreichs und Deutschlands empfangen. Auf den Straßen begrüßte eine zahl- ^ reiche Menschenmenge den König und den Kronprinz ! enthusiastisch. Die Stadt ist beflaggt und illuminiert. Um 9 Uhr fand ein Fackelzug statt und wurde eine Serenade gebracht.
Amerika.
New York, 12. Juli. Eine furchtbare Feuersbrunst in Alpena (Michigan) hat in kurzer Frist 200 Gebäude eingeäschert. 1300 Personen sind obdachlos.
— Aus der Birginia-Midlandbahn verunglückte ein nach Süden gehender Zug durch den Einsturz einer Brücke. Fünf Passagiere wurden getötet, vierzig schwer verwundet.
In Port - au - Prince auf Haiti sind schwere