414
wachte aus das Geräusch ein Hofbeamter, der im Parterre schlief. Dieser hatte kaum einen Blick in den Hofraum geworfen, als ihm die Situation vollkommen klar wurde. Es muß bemerkt werden, daß der Fürst am Freitag vormittags einen anonymen Brief erhalten hatte, der ihn warnte und ihm das ganze Komplot mitteilte. Der Fürst, dessen Unerschrockenheit bekannt ist, lachte über die Drohung, las sie seinen Vertrauten und seinem Bruder vor und — warf das Schreiben in den Papierkorb. Der Beamte stürzte sofort in das Zimmer des Prinzen Franz Josef, dieser trat in den Hof hinaus und den Verschworenen entgegen, es entspann sich ein heftiger Wortwechsel, der so laut geführt wurde, daß Fürst Alexander durch denselben geweckt wurde und wenige Minuten später bereits, nur halb angekleidet, im Hofe an der Seite seines Bruders erschien.
„Was geht da vor?" war seine Frage. Die gebieterische Gestalt des Fürsten und feine Ruhe machten einen imponierenden Eindruck auf die Verschwörer , die sich unwillkürlich verneigten und beim Erscheinen des Fürsten verstummten. Grueff, der mit zwei Offizieren in vorderster Reihe stand, nahm nun das Wort und setzte in ruhigem und gemessenem Tone dem Fürsten auseinander, daß das Wohl Bulgariens seine Abdankung erheische." Der Fürst wies diese Zumutung kurz zurück, ohne sich übrigens in irgend einen Austausch der Meinungen mit den Verschwörern einzulassen. Grueff wurde darauf dringender, wies beim Fenster auf die vor dem Schlosse aufmarschierte Truppe hin und sagte, „die ganze Armee verlange stürmisch die Abdankung des Fürsten und den Schutz des Zars aller Russen, den er — der Fürst — „so schwer beleidigt" habe. Der Hinweis auf die unten aufgestellte Truppe, der Anblick der hoffnungsvollen militärischen Jugend Bulgariens , die ihren ersten Schritt ins junge Leben mit dem Verrate ihres Kriegsherrn begann, der persönlich ihre Bildungs-Anstalt geschaffen und eingerichtet, übte auf den Fürsten eine erschütternde Wirkung aus. Die Stirne auf die Glasscheibe gelehnt, blickte Fürst Alexander einen Moment sinnend zum Fenster auf die Truppe hinaus. Dann wandte er sich um und sagte nicht ohne Weichheit in der Stimme: „Wohlan, verfassen Sie die Abdankungs- Urkunde, ich werde sie unterschreiben. Wenn mich meine Truppen verlassen und die Offiziere und Soldaten im Stiche lassen, die ich zum Siege geführt, dann habe ich in dem Lande nichts weiter zu suchen. Schreiben Sie, was Sie wollen, aber schnell!" — Dann verließ der Fürst das Vestibül des Parterres, in welchem diese Scene stattgefunden, und schritt die Treppe zum ersten Stock hinauf, wo sich das Schlafzimmer befand, um sich völlig anzukleiden.
Die Verschwörer hatten aber die Abdankungs-Urkunde schon fertig in der Tasche. Sie folgten daher dem Fürsten auf dem Fuße, ließen ihn nicht mehr aus den Augen und legten ihm oben im Zimmer das Aktenstück zur Unterschrift vor. Der Fürst durchlas schweigend die Urkunde und schrieb mit sicherer Hand darunter:
„Alexander.
Gott schütze Bulgarien!"
Darauf wurde dem Fürsten in sehr dringlicher Weise nahe gelegt, sofort abzureisen. Er zeigte sich hierzu bereit, verlangte aber, in Gesellschaft seines Bruders, des Prinzen Franz Josef, die Fahrt anzutreten. Das wurde ihm bewilligt, jedoch bedeutet, daß der Prinz nur in einem zweiten Wagen ihm folgen, ferner auch, daß Niemand von der fürstlichen Umgebung sich den Abreisenden anschließen dürfe. Im Ganzen wurde dem Fürsten höflich begegnet, nur titulierten ihn die Verschwörer nicht mehr mit „Hoheit", sondern einfach n a 8«. Der Fürst vervollständigte sodann seinen Anzug und ging, geleitet von einem Spalier Soldaten, ferner von Grueff und zwei Offizieren, in das etwa 150 Schritte seitwärts des Palais liegende Kriegsministerium, wohin auch später Prinz Franz Josef gebracht wurde. Inzwischen fuhren zwei Wagen vor, in welchen Fürst Alexander und Prinz FranzIosef mit je zwei Offizieren und einem bewaffneten Soldaten auf dem Kutschbocke Platz nahmen. Einige Kavalleristen eröffnten
und schloffen den Zug. Es war 3^ Uhr morgens, als die Kaleschen auf der Straße gegen Berkowicza und den Ginci-Paß sich in Bewegung setzten. Bevor die Wagen abfuhren, sagte der Fürst zu Grueff: „Ich habe gar kein Geld bei mir, lassen Sie doch Herrn Menges kommen." Letzterer, ein Deutscher und erprobter Vertrauensmann des Fürsten, verwaltete nämlich die Privatschatulle. Den Verschwörern war aber vor Allem darum zu thun, den Fürsten schleunigst aus der Stadt hinauszubringen. In Folge dessen wollten sie in keinem Falle eine Begegnung desselben mit irgend einer Person seines Gefolges gestatten. Daher sagte nun Grueff, er werde selber dafür Sorge tragen, daß Herr Meng es dem Fürsten Geld nach Lompa- lanka nachsende — was thatsächlich auch am selben Tage geschehen ist.
Was für Mittel die Verschworenen angewendet haben, kann man aus Folgendem ersehen. Es durfte aus den besetzten Häusern Niemand austxeten, ohne Unterschied wurde Jedem mit Erschießen gedroht. Der Sofianer Vertreter des Barons Hirsch durchbrach die Consigne, gleich darauf flogen ihm zwei Kugeln nach, und er zog es vor, umzukehren und hübsch und bescheiden in seiner Wohnung zu bleiben. Am Samstag und noch am Sonntag wurden alle Depeschen und Befehle mit den Namen Karaweloffs und des Kriegsministers Nikiforoffis unterzeichnet. Beide protestierten, drohten, besonders Nikikoroff geberdete sich wie wütend — die Fälschung dauerte fort, und nur dieser Fälschung ist der geringe Erfolg zu danken, der ursprünglich erzielt worden war.
Inzwischen wurde unter das gemeine Volk reichlich Geld ausgeteilt; aber die Leute murrten doch trotz des terroristischen Regiments. Vor allem wurde verordnet, daß keinerlei Depeschen abgeschickt werden dürften, nicht einmal die der Diplomaten. Darauf verständigten sich der deutsche und der österreichisch-ungarische Vertreter und sandten ihre Berichte mit einem Vertrauten ab, der sie in Pirot nach Wien und Berlin aufgeben sollte. An der Grenze wurde der Bote aufgehalten. Er wollte nach Sofia telegraphieren, um dem deutschen Vertreter das Geschehene zu melden, die Depesche wurde nicht ausgenommen. Da kam er selbst zurück, der deutsche Vertreter begab sich zu Zankoff und sprach mit diesem in einem Tone, der der rechte gewesen zu sein scheint; darauf gab Zankoff sofort Ordre, den Boten passieren zu lassen, dieser ging ab und kam glücklich nach Pirot. Solche Intermezzos passierten etliche, aber nur der deutsche Vertreter hatte mit seiner Reklamation etwas erreicht.
Ueber den Fürsten und seinen Verbleib wußte man in der Stadt bis zu meiner Abreise gar nichts. Sozusagen mit jeder Minute wurde seine Partei größer und mutiger und der größte Zorn bemächtigte sich des Publikums, als man erfuhr, daß etliche Schurken nicht nur dem Fürsten Gewalt angethan, sondern ihn auch durch Lüge und Betrug entfernt hatten. Am Sonntag sah man nur noch bezahlte Leute, die gegen den Fürsten sprachen. Der Belagerungszustand war proklamiert und damit trat auch für die Gegenpartei Schweigen ein. Ich reiste ab und einer Intervention, die ich nicht nennen darf, verdanke ich, daß ich über Pirot hinauskam.
Depeschen des Frkf. Journ.:
Lemberg, 28. Aug. Prinz Ludwig von Battenberg ist heute früh hier eingetroffen. Ueber die Weiterreise des Fürsten Alexander von hier verlautet bisher noch nichts.
Jugenheim, 28. Aug. (4 U. 56 M.) Der Fürst Alexander hat von Lemberg aus seinem Vater soeben die Kunde zugehen lassen, daß er nach den gepflogenen Unterhandlungen nach Bulgarien zurückzukehren gewillt und gleichzeitig dorthin abgereist ist.
Lemberg, 28. August. Der Fürst von Bulgarien ist heute nachmittag nach 2 Uhr mittelst Separatzuges nach Rumänien abgereist.
Darmstadt, 29. Aug. (10 U. 20 Min.) Eine Nachricht, daß Zankoff vom Volke gelyncht worden, wird in einer hieher ge« gelangten Bukarester Privatmeldung als richtig bezeichnet.
lich ein Scharmützel dem anderen und wenn einmal der erwähnte Sessel leer blieb, was allerdings nur höchst selten vorkam, dann wurde der abwesende „Dicke" schwer vermißt und die Lucke in der Unterhaltung war gewöhnlich eben so bemerkbar, wie seiner Zeit die Zuglucke in der 4. Kompagnie.
Einmal jedoch in jedem Jahr mußten wir uns einige Wochen lang ohne den „dicken Schmer" behelfen und mancher sehnsüchtige Blick streifte dann das breite, blank gesessene Lederpolster des schweren Eichensessels, der seine weiten Arme verlängert nach dem Abwesenden auszurecken schien. Es war dies die Zeit zwischen dem Manövern und der Einstellung der Rekruten, die der Bezirks-Adjutant stets zu einer längeren Urlaubsreise benützte. So sehr wir ihn aber auch inzwischen entbehrten, so gewährte uns die Gewißheit Trost, daß er jedesmal von seiner jährlichen Erholungstour neu gekräftigt, in billantester Laune und sprudelnd von Witz und Humor zurückzukehren pflegte. „Er lacht, wie der „dicke Schmer" nach seinem großen Urlaub!" war zur stehenden Redensart in unseren Kreisen geworden.
Groß war daher auch diesmal die Freude am runden Tisch als es eines Morgens unerwartet hieß, Herr von Schmerwitz sei schon aus seinem Urlaub zurück, man habe ihn in Helm und Schärpe zur Meldung auf das Bezirks-Komando gehen sehen. „Es war Schlag 10 Uhr; die Hauptwache trat gerade zur Ablösung ins Gewehr", setzte Lieutenannt Freihof hinzu, als er uns die erfreuliche Kunde brachte. So unglaublich es klang, wir konnten nicht länger an der Thatsache zweifeln, daß der ersehnte Mann volle 24 Stunden vor Ablauf seines Urlaubs zurückgekommen und daß wir ihn jeden Augenblick erwarten durften.
Wirklich dauerte es nur wenige Minuten bis wir die wohlbekannte Gestalt im Parade-Anzug gravitätisch über den Marktplatz auf den „Schwarzen Wallfisch" zusteuern sahen und gleich darauf erschien sie unter brausendem Jubel der Anwesenden in der geöffneten Thür des Frühstückzimmers. Einen Augenblick betrachtete „der Dicke" prüfend die in vollem Aufruhr befindliche, fröhliche Gesellschaft, als er aber bemerkte, daß seine Begrüßungsrede in dem tollen Stimmengewirr ungehört verklingen müsse, hing er gelassen Helm, Schärpe und Degen an den gewohnten Platz und sank schwerfällig in den ächzenden Lehnstuhl. Jetzt erst fiel uns auf, daß das runde, ehr
liche Gesicht des Ankömmlings nicht den erwarteten strahlenden Ausdruck launigen Humors trug, daß sich auf demselben vielmehr eine uns allen fremde Melancholie, eine tiefe Niedergeschlagenheit breit machte. Diese ungeahnte Wahrnehmung ließ uns wie auf Komando sämtlich verstummen, allein nur einen Moment lang und schon wurde Herr von Schmerwitz von allen Seiten stürmisch um den Grund seiner ungewohnten Stimmung befragt.
„Es ist Ihnen wohl das Unglaubliche passirt, daß Sie sich in der Dauer Ihres Urlaubs verrechnet haben und ganze 24 Stunden zu früh wieder im Dienst eingetroffen sind?" fragte Hauptmann von Strettow mitleidig, aber er erhielt nur ein trübes Kopfschütteln zur Antwort.
Erst als verhältnismäßig Stille eingetreten und unser ältester Premier, der allgemein beliebte Holm, den Deprimirten ernstlich bat, zu erzählen, was denn so Gräßliches passirt sei, da erwiderte „derDicke", endlich mit dumpfer, vorwurfsvoller Stimme:
„Passirt?" Kinder, und das könnt Ihr noch fragen? Passirt?! Allerdings das unglaublichste von allem, denn ich habe heute Morgen bereits die traurige Erfahrung machen müssen, wie sehr es mit unserer Armee bergab geht. Und davon habt Ihr tagtäglich hier die schlagendsten Beweise vor Augen, ohne daß Ihr es aber auch nur merkt. So hättet Ihr z. B. vorhin erst sehen können, wie leichtsinnig die Grundlage aller unserer kriegerischen Erfolge die Instruction über den Garnison- Wachdienst von Euren eigenen Leuten gehandhabt wird! Und dabei soll man sich nicht der trostlosesten Niedergeschlagenheit hingeben, wenn man es ehrlich meint mit Größe des deutschen Vaterlandes?!"
„Nanu! Oho! Wieso!" rief es von allen Seiten.
„Ja, ja, Kinder!" fuhr Schmerwitz in demselben Unkentone fort: „Ich hätte es auch nicht für möglich gehalten, daß es in der kurzen Zeit meiner Abwesenheit hier zu solchen Zuständen kommen könnte."
„Hört, hört! Beweisen! Erklären!" sielen verschiedene Anwesende ein, bereits wieder fröhlich lachend, denn man fing allgemein schon an, einen kolossalen Ulk zu ahnen. (Fortsetzung folgt).