II. u
Die „Germ." sagt, mit dem Sturz v. Puttkamers falle dem deutschen Volke ein Stein vom Herzen.
Berlin. 11. Juni. Der „Reichsanzeiger" pub- liciert die Entlassung v. Puttkam er's unter Be- lassung des Titels und Ranges eines Staats Ministers und unter Verleihung des Sterns der Großkomthure des Hohenzollern'schen Hausordens. — Die Nachrichten über die Demission des Finanzministers v. Scholz sind höchst ungeschickt erfunden.
Berlin, ll. Juni. Heute abend 6 Uhr findet beim Reichskanzler ein Adschiedsdiner für Herrn von Puttkamer statt, an welchem außer sämtlichen preußischen Ministern auch der Chef der Admiralität, Caprivi, die Staatssekretäre Jacobi, Stephan, von Schelling, die Unterstaatssekretäre Hohmeyer und Herrsurth, sowie der geheime Oberregiernngsrat Dr. von Rottenburg teilnehmen.
Berlin, 11. Juni. Die Verhandlungen der Kommission zur Einführung eines neuen Exerzier- Reglements für die Infanterie, denen auch der Kronprinz beiwohnen wird, sollen so gefördert werden, daß die Redaktion des neuen Reglements im Herbste vollendet ist und dasselbe schon bei der Ausbildung der neuen Rekruten zur Anwendung gelangen kann. Die Grundlagen des neuen Reglements sind nach vom Kaiser Friedrich persönlich gegebenen Anordnungen aufgestellt.
Berlin, 11. Juni. Hiesige Blätter bringen die Nachricht, daß der Kaiser von Oesterreich bei einem Cercle in der Hofburg die Hoffnung auf das Gelingen des Versuches, den Frieden zu erhalten, ausgesprochen, daß er aber immerhin die Verhältnisse als solche bezeichnet?, welche die Fortsetzung der Rüstungen notwendig machen.
Berlin, 11. Juni. Die Schlingbeschwerden, an denen der Kaiser in den letzten Tagen litt, bestanden darin, daß beim Essen zuweilen Teile der Nahrung in die Luftröhre gerieten. Durch eine entsprechende Veränderung der Kanüle ist einer daraus etwa erwachsenden Gefahr vorgebeugt worden. Es können jetzt Nahrungsteile nicht mehr in den unterhalb der Kanüle liegenden Teil der Luftröhre gelangen. Das Allgemeinbefinden, der Appetit und die Stimmung sind heute befriedigend.
Potsdam, 11. Juni. Nach einer Depesche des Wiener „Fremdenblatts" läßt das Befinden des Kaisers keine augenblickliche Gefahr befürchten, doch sind die Aerzte immerhin beunruhigt, weil Schlingbeschwerden ähnliche Erscheinungen im Gefolge haben können, wie sie während der Aprilkrisis eingetreten sind. Der allgemeine Zustand ist anscheinend günstig. Die neue, vorgestern eingesetzte Kanüle wird mit einer zweiten Oeffnung versehen sein, an der ein kleines Mundstück sitzt. An diesem Mundstück wird ein Schlauch befestigt, der in einen Ball ausläuft. Bei etwaigen Atmungsbefchwerden kann mit der Hand durch Zusammendrücken des Balles frische Luft von außen eingesührt werden.
Berlin, 12. Juni. Die „Nat. Ztg." schreibt: Bor etwa 14 Tagen hatten die Aerzte des Kaisers die Frage erörtert, wie sich der weitere Verlaus der Krankheit wohl gestalten würde, da angenommen werden mußte, daß das Grundleiden nicht stillstehen werde. Wie wir erfahren, hatten sie sich im Allgemeinen dahin verständigt, daß, soweit der damalige Krankheitsbesund ein Urteil zulasse, das Grundleiden zunächst nicht nach hinten auf die Speiseröhre, sondern eher nach vorn sich ausbreiten werde. Leider scheint die Krankheit nun auch nach anderer Richtung sich fortbewegt und nach hinten übergegriffcn zu haben, und es ist die Besorgnis nicht zu bannen, daß die Wand der Speiseröhre affi- ziert sei.
Die Kaiserin A ugusto, welche in voriger Woche die Kur in Baden-Baden begonnen hat, lebt dort ganz zurückgezogen. Die bisher anhaltende, gewitterschwüle Witterung ist für die erhoffte all- mälige Wwderkehr der K: äste noch nicht sehr günstig gewesen. - Nach einer soeben ergangenen Hofansage trägt die Kaiserliche Familie nach Ablauf der Hoftrauer noch 3 weitere Monate, also bis zum 6. September Familientrauer.
Es war ein schönes Wort, daß der Reichskanzler Fürst Bismarck cs so weit gebracht habe, daß Rußland und Oesterreich nun ernstlich über eine Verständigung verhandeln wollten; aber leider ist die Nachricht nicht wahr. Soweit ist es noch nicht, doch wird die allgemeine Lage jetzt weit ruhiger als bisher aufgefaßt. In Wien und Pest sollen ganz
bestimmte Nachrichten aus der nächsten Umgebung des Reichskanzlers eingegangen sein, welche dahin lauten, daß die Friedenshoffnungen des Fürsten Bismarck nicht gemindert, sondern eher verstärkt sind, und daß er wenigstens für eine nahe Zukunft den Frieden für gesichert halte.
Oesterreich-Ungarn.
P e st, 9. Juni. Die österreichische Delegation wählte Smolka zum Präsidenten, welcher in einer Ansprache auf die schwierige Aufgabe hinwies, welche hoffentlich durch patriotisches Zusammenwirken eine glückliche Lösung finden werde. Redner verwies auf die Notwendigkeit der Schlagfertigkeit der Armee an- . gesichts der steigenden Rüstungen und betonte den allgemeinen Wunsch nach Erhaltung des Friedens. Der Begründer des zwischen Oestreich-Ungarn und Deutschland bestehenden Freundschafts- und Bündnisverhältnisses, Kaiser Wilhelm unvergeßlichen glorreichen Andenkens, sei gestorben, allein der jetzige hochherzige, menschenfreundliche Kaiser Deutschlands, dem Gott vollkommene Genesung gebe (Beifall), sei von demselben edlen Geiste beseelt und wir wissen, daß das Freundschafts- und Bundesverhältnis unerschüttert fortbesteht als die wertvollste und sicherste Gewähr für die Erhaltung eines langen Friedens. Die Hoffnung auf eine längere Friedenserhaltung werde durch die Ueberzeugung gestärkt, daß unser Kaiser alles mögliche aufbieten werde, um uns die- ! ser Wohlthat teilhaftig werden zu lassen. Hierauf l wurde dem Kaiser ein dreimaliges begeistertes Hoch ! gebracht. Zum Vizepräsidenten wurde Hauswirth ^ gewählt.
Frankreich.
- Paris, 1 l . Juni. Doroulöde bewirbt sich im ! Departement Charente um die Abgeordnetenstelle. Er I sagte in seiner Wahlrede: „Man giebt mich für einen ^ Anhänger des Krieges aus, Anhänger des Krieges bin ! ich gewesen, aber seit dem Tode Wilhelms I., seit Deutsch-
^ land von einem hochherzigen Kaiser regiert wird, be- ! klage ich nur noch Elsaß-Lothringen, aber ich sage ? mir, daß es nicht unglücklicher unter deutscher Herr- ^ schaft ist, als es sein würde unter der Herrschaft der ! Reinach, Ranc und Clemenceau." Der „Tslsgraphe" macht dazu die Bemerkung: „Das ist der Patriotis-
- mus der Boulangistcn: „Entweder Boulanger wird ! Gebieter von Frankreich oder es ist uns schon recht,
^ wenn Frankreich an Deutschland überliefert wird."
^ Italien.
Bologna, 9. Juni. Das 800jährige Jubel- ! fest der Universität begann heute mit einem feierlichen Einzuge der Sludentenvertretungen der ans- ^ wärtigen italien. Universitäten. Den Zug eröffneten 40 Studenten zu Pferde. Auf einem bändergeschmückten, von 4 weißen Stieren gezogenen Wagen kam ^ sodann das Riesenfaß voll Nebbiolo, welches die 'Turnier Studenten gespendet hatten; auf einem an- ! deren Wagen befanden sich zwischen Rosen das Ge- ^ schenk der Universität Pavia, eine umfangreiche Form von Parmesankäse, und das des Mailänder Polytechnikums, ein riesiger Kuchen. Dann folgte, mit Opfer- ^ bändern geschmückt, ein weiß-schwarzer Ochse, das Geschenk der Universität Padua. Bacchus, L-ileii, Waldnymphen und auf einem schwellenden Aehren- bette Ceres schlossen den Zug. l Bologna, 9. Juni. Der Empfang der Fremden, besonders der deutschen Vertreter von Universitäten, ging unter dem ungeheuren Jubel der Studenten und einer enormen Volksmenge vor sich. Bei dem Erscheinen deutscher Coleurstudeuten erscholl ein allgemeines begeistertes »swiva, Oormania!"
Mexiko.
Aus Mexiko wird gemeldet, daß unweit Tampico ein Bauzug entgleiste, 18 Arbeiter wurden getötet, 41 verletzt.
Kleinere Mitteilungen.
Kreuznach, 8. Juni. Die dem freiwilligen Hungertods erlegenen Eheleute Bernhardts Hierselbst haben ihr ganzes Vermögen, 45 000 .4t, dem Dichter W. Helffenstein vermacht.
Ein Mammuthzahn, über 2 Meter lang und vorzüglich erhalten, ist im Flußbett der Ems, nahe der Stadt Warcndors, gefunden worden. Der Zahn wiegt 46 Pfund. An der gleichen Stelle fand man schon vor etlichen Jahren einen vermutlich von demselben Tiere hcrrührenden Zahn, den man aber unverständiger Weise zerschlug, um aus den Stücken Würfel und dergl. Knochengeräte Herstellen zu lassen.
Einen selten festen Schlaf hat ein junger Mann in Telgte in Wcstphalen. Derselbe stürzte nachts, als er sich im Traum dem Fenster näherte, durch dasselbe 16 Fuß tief hinab ans ein Blumenbeet, wo man ihn am andern Morgen schlafend fand, ohne daß er den geringsten Schaden genommen.
Ein kleiner Leidensgefährte des Kaisers. Die Nordd. Allg. Zrg. berichtet über folgende allerliebste Geschichte: Seit einiger Zeit weilt in Perl in ein kleiner Leidensgefährte unseres Kaisers, an dem vor ungefähr einem Jahre Dr. Mackenzie in London den Luftröhrenschnitt ausgeführt hat und der seitdem eine Kanüle trägt. Es ist der 6jährige Percy Dresel, der Sohn eines mit einer Engländerin verheirateten Deutschen. Dr. Mackenzie hatte die Mutter seines Patienten ersucht, ihn mit dem Kleinen aufznsuchen. Als Frau Dresel Mittwoch vormittag im Schlosse erschien, wurde sie von Mackenzie dem Kaiser vorgestellt. Als Frau Dresel das Zimmer des Kaisers betrat, kam ihr der hohe Herr entgegen und reichte ihr die Hand, fragend, wo der Kleine, welcher sich ängstlich hinter seiner Mutter versteckt hielt, sei. Frau D. erzählt, daß sie, welche ja an die tonlose Stimme ihres Sohnes gewöhnt sei, jedes Wort des Kaisers verstanden habe. Der Kaiser forderte Frau D. zum Sitzen auf und nahm, selbst im Lehnstuhl sitzend, den Kleinen, welcher zutraulich wurde, zwischen die Knice und unterhielt sich beinahe eine Stunde mit Frau D. über die Krankheit des Kindes, ab und zu mit dem kleinen Percy freundlich scherzend, dem er alle Taschen mit krystallisiertcr Chokolade füllte, bemerkend. Laß diese Cho- kolade zur Linderung des böse» Hustens, welcher ihn ja auch quäle, diene. Zum Schluß der Unterhaltung, welche auch nicht einen Augenblick stockte, schrieb sich der Kaiser die Adresse der Frau D. auf und erkundigte sich eingehend nach den Verhältnissen, in welchen die Familie lebe. Beim Abschied legte der Kaiser seine Hände auf den Kopf des Knaben und sagte: „Ach, mein lieber, armer Junge, wie bedauere ich Dich, daß Du schon jetzt nn dieser Krankheit leidest, hoffentlich aber wird es Dir bald besser gehen." Hierauf entließ der Kaiser Frau D. mit dem Wunsche, sie bald wieder zu sehen, da er dann den Kleinen der Kaiserin, welche sich während dieser Zeit in Berlin befand, vorstcllen wolle.
Ueber die Jungfernrede des Kaisers Friedrich hat die „Gartenlaube" vor einigen Jahren die nachstehende Mitteilung gebracht: Bei Gelegenheit seiner Anwesenheit in Köln besuchte Kaiser Friedrich, damals noch Kronprniz, in Begleitung des Oberbürgermeisters Dr. Becker den Jsa- bellensaal im Gürzenich. Als er in den Saal trat, schaute er sich uw, und auf eine Stelle zeigend, wandte er sich an seinen Begleiter mit den Worten: „Sehen Sie, Herr Oberbürgermeister. an dieser Stelle habe ich einmal in: schwersten Sinn des Wortes Blut geschwitzt". „Wieso, kaiserliche Hoheit?" fragte der Oberbürgermeister. In seiner liebenswürdigen Weise erzählte der hohe Herr nun Folgendes: „ES war während der ersten Zeit meines Besuchs der Universität Bonn, als mir mein Vater einst in einem Brief n. a. schrieb,
daß ich zu einer Festlichkeit in Köln, die hier im Jsabellcn-
saal stattsinden sollte, eingeladen werden würde und daß ich dieser Aufforderung würde Folge leisten müssen. Nun kenne ich meinen Vater und weiß, daß, wenn er in einem solchen
Ton redet, dies einem Befehl gleichkommt und er keinen Wi
derspruch duldet. Ich nahm daher, als die Einladung kurz darauf an mich erging, dieselbe an und sagte mein Erscheinen bei dem Fest zu. Es war dies die erste Festlichkeit, welcher ich offiziell als Repräsentant meines Hauses beiwohnte, und da ich voraussichtlich als solcher von den Festgebern begrüßt werden würde, so setzte ich mir eine Rede ans, die ich als Antwort auf jene Begrüßung halten wollte. Ich lernte diese Rede auswendig und bald konnte ich sie zu meiner Freude den Wänden meines Studierzimmers ganz flott und ohne zu stocken vordeklamieren. So vollständig auf die Dinge, die da kommen sollten, gcrüster und vorbereitet, reiste ich am Tag des Festes seelenvergnügt nach Köln, begab mich zur festgesetzten Stunde in den Jsabellcnsaal und wurde hier mit Herzlichkeit empfangen. Das Fest nahm seinen frohen Verlauf, und als die erwartete Ansprache an mich vorüber war, erhob ich mich von meinem Platz und begann: „Meine Herren!" Aber so ausgezeichnet ich auch vorher meine Rede konnte, so ohne Anstoß ich sie auch kurz vor dem Eintritt in den Jsabellcnsaal mir noch einmal rekapituliert hatte, jetzt, wo ich aller Augen auf mich gerichtet sah, jetzt konnte ich den Anfang nicht finden. Vergeblich suchte ich mich in der Eile auf denselben zu besinnen, umsonst! Der Faden war mir völlig abgeschnitten. „Meine Herren!" begann ich nochmals, einen neuen Anlauf nehmend, hoffend, daß ich nunmehr den Anfang der Rede '.reffen würde; eitles Bemühen! Denn auch jetzt wollte sich meine so schön einstudierte Rede vor dem geistigen Auge nicht aufrollen. Und doch hingen aller Blicke an meinem Mund, meiner Rede erwartungsvoll entgegenschend; Totenstille herrschte im ganzen Saal. Heiße Angst überfiel mich; dicke Schweißtropfen perlten an meiner Stirn; tausend Gedanken flogen blitzschnell durch mein fieberndes Hirn; sollte ich, ein Hohenzoller, mir das Armutszeugnis geben müssen, keine freie Rede halten zu können? Nein, das konnte, das durfte nicht sein, und mit einer Verzweiflustg, die nur derjenige kennt, der sich in ähnlicher Lage befunden hat, erhaschte ich ein Wort, welches, als in der Mitte meiner Rede stehend, mir eiiifiel, sprach cs ans, erinnerte mich der nächstfolgenden Worte und ich hatte den Faden meiner Rede. Zwar hatte ich diesen nur von der Mitte an, allein ich wurde jetzt sicher, verflocht gelegentlich die Gedanken des ersten Teiles der Rede mit denen des zweiten Teils, damit Logik, sowie der richtige Sinn der Rede herauskäme, und schloß dieselbe sodann genau mit den Worten, die ich mir als effektvolle Schlußworte in dem Konzept meiner Rede niedcrgeschrieben hatte. Wie froh, wie glücklich war ich, als ich mich wieder niedersetzte! Und mit heiterem Sinn wohnte ich sodann dem Fest bis nahe zum Schluß bei. Sehen Sie, lieber Herr Oberbürgermeister» das war meine Jungfernrede und nun glauben Sie bei den dieselbe begleitenden Umständen mir wohl, wenn ich vorhin sagte, daß ich damals Blut geschwitzt habe." Und lachend zeigte der hohe Herr dem Oberbürgermeister Dr. Becker nochmals die betreffende Stelle. Seitdem ist er nie mehr stecken geblieben.
Ans Nordschleswig, 7. Juni. Ein „siamesisches Zwillingspaar" wurde kürzlich in dem Dorfe Schauby bei Apcnrade geboren; die beiden armen Kleinen waren am Rücken vollständig zusammengewachsen und sind bis jetzt am Leben geblieben.