Platz abgestiegen. Gestern abend folgte er der Ein­ladung in das kaiserliche Palais. Der Kaiser, im besten Wohlbefinden und heiter, die Kaiserin, der Kronprinz und seine Gemahlin, Prinz Wilhelm, alle übrigen Prinzen und Prinzessinnen begegneten dem berühmten Franzosen mit großer Aufmerksamkeit. Auch die Minister, Graf Moltke, viele Diplomaten waren anwesend. Lesseps trug das Großkreuz des preuß. Kronordens. Der Kronprinz, welcher ihn schon von der Einweihung des Suezkanals 1869 her kannte, unterhielt sich */s Stunde mit ihm. Lesseps versichert jeden, der es hören will, daß die Franzosen aufrichtig den Frieden wollen und daß auf die paar Revancheblätter nicht zu gehen sei. DieNordd. Allg. Ztq." widmet dem französ. Gelehrten einen großen Artikel; sie hebt hervor, daß Graf Lesseps mit einer seltenen Universalität des Geistes und mit rastlosem in den Dienst der Wissenschaft gestellten Streben eine unbeugsame Willens- und Thatkraft verbindet.Obwohl in hohem Lebensalter stehend, arbeitet der Gelehrte noch immer mit nicht versiegen­der Kraft an der Verwirklichung der großen, auf die Verbindung der Völker und Weltteile gerichteten Pläne, die dem Handel und Verkehr der Nationen neue Impulse geben, die überseeischen Beziehungen derselben vermehren und dem wirtschaftlichen Leben der Gegenwart eine neue Aera der Entwickelungen erschließen sollen.

Berlin, 10. März. Herr v. Lesseps wird hier mit der größten Auszeichnung behandelt. Bei der gestrigen Hofsoiroe war er der Hauptgegenstand der Aufmerksamkeit der gesamten kaiserlichen Familie.

Berlin, 10. März. DieNat.-Ztg." berich­tet: Im Reichstag wurde heute erzählt, daß es in den letzten Tagen im Zentrum zu den heftigsten Kämpfen gekommen und daß die Stimmenthaltung der Fraktion das einzige Mittel gewesen sei, den Zerfall derselben zu verhindern. Die freisinnige Lib. Korr." bezeichnet das heutige Verhalten des Zentrums als dessenAbdankung".

Berlin, 11. März. Der Kaiser empfing gestern den Abgeordneten des 3. württemb. Wahl­kreises, Frhrn. v. Ellrichshausen, und sprach demselben gegenüber seine Freude über den glänzen­den Ausfall der Wahlen in Württemberg aus, er­griff ihn sodann bei der Hand und sagte ihm hiebei: Ich danke Ihnen für das große Opfer, das Sie für mich gebracht haben." Weiter äußerte der Kai­ser:Die Wahlen haben mich um 20 Jahre ver­jüngt." Auf heute mittag ist Ellrichshausen vom Fürsten Bismarck zur Tafel geladen.

Berlin, 11. März. Zum gestrigen Ge­burtstag des Zaren erhielt Graf Herbert Bismarck den russischen weißen Adlerorden unter Ueberspringung der sonst streng innegehaltenen un­teren Grade.

Berlin, 11. März. Der Reichstag nahm debattelos in dritter Lesung die Militärvorlagc au in namentlicher Abstimmung mit 227 gegen 31 Stim­men : 84 enthielten sich der Abstimmung. Die Grup­pierung der Parteien war bei der dritten Abstimmung wie bei der der zweiten Lesung. Das Resultat der Abstimmung wurde mit lebhaftem Beifall begrüßt.

Berlin, 11. März. Der Reichstag lehnte in längerer Debatte die Resolution, betreffend die Einführung der Reichscinkommensteuer ab.

Berlin, 12. März. Das Deutsche Tage­blatt bestätigt gegenüber einem Dementi anderer hie­siger Blätter die Nachricht der Schlesischen Zeitung, wonach der Kronprinz an einem hartnäckigen Hals- übel leide, und fügt hinzu, dieses Halsübel sei schon seit längerer Zeit vorhanden. Herr v. Lesseps folgte gestern einer Einladung des Kronprinzen zum Dejeuner, nachdem er vorher vom Reichskanzler in längerer Audienz empfangen worden war.

Die Reise Lesseps nach Berlin wird auch mit dem Projekt der Neutralisierung des Suez- kanales in Verbindung gebracht.

Gestern (Donnerstag) begann der Reichstag die zweite Lesung des Etats. Bei dem Etat des Aus­wärtigen Amts rechtfertigte Fürst Bismarck gegenüber den Angriffen Virchow's das Verfahren der Regierung bei der Verwendung der Mittel zur Erforschung Mittelafrikas, welche gegenwärtig im Interesse Deutschlands auf die Hin­terländer von Kamerun und dem Togogebiet gerichtet sei. Bei dem Etat des Reichsamts des Innern erklärte Staatssekretär v. Bötticher auf eine Anfrage des Abg. v. Ow, daß die Vorarbeiten für ein neues Unterstützungs­wohnsitzgesetz fast vollständig beendet seien;, doch halte die Regierung den Zeitpunkt für die Einbringung des Gesetzes noch nicht gekommen. Tie Regierung beabsichtige dagegen

schon in nächster Session ein Gesetz betr. Alters- und Invalide »Versorgung einzubringen. Auf eine Anfrage Rickerts erklärte Hr. v. Bötticher, ein Gesetzentwurf über die Zulässigkeit von Zusätzen beim Wein sei in Vorbereitung. Beim Militäretat teilte der Kriegsminister mit, daß die gesetzliche Regelung der Unterstützung von Angehörigen der zur Uebung cinberufenen Reservisten und Landwehrmänner noch in der Schwebe sei. Der Gesetzentwurf, betr. die mög­lichste Sicherstellung der Familien der im Felde stehenden Reservisten und Landwehrmänner sei in der Ausarbeitung begriffen.

Fürst Bismarck hat am Donnerstag eine längere Konferenz mit dem russischen Botschafter in Berlin gehabt. Darauf erschien er Nachmittags in der Theestunde im Salon der Gemahlin des Bot­schafters, der Gräfin Schuwaloff, die gerade an die­sem Tag ihren Geburtstag feierte. Der Kanzler gratulierte auf's herzlichste und unterhielt sich eine halbe Stunde lang sehr liebenswürdig mit den an­wesenden Damen. Der Besuch hat Aufsehen in Ber­lin erregt.

Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen", so heißt es jetzt von seiten der Ultramontanen ihren demokratischen Bundesgenossen gegenüber. Die welfisch-jesuitischeGermania" in Berlin lohnt bereits mit einem derben Fußtritte die thatkräftige Unterstützung, welche ihrem Anhang von der süddeutschen Volkspartei vor und während der Wahlen zuteil geworden ist. In einer Korrespondenz derGermania" aus Stuttgart heißt es u. a.:Die demokratische Presse ist wegen ihrer dünnen Verbrei­tung ohne Macht und Bedeutung, und sie hat genug l zu thun, daß sie sich mühsam über dem Wasser hält. DenBeobachter" kennt man in vielen Gegenden ! kaum mehr dem Namen nach und die gestürzten De­mokraten werden wohl jetzt Zeit haben, über die ^ Haltlosigkeit ihrer Presse Betrachtungen düsterer Art ^ anzustellen."

Frankreich.

Belfort, 11. Mürz. Ueber eine gestrige Melinit-Explosion im Arsenalpark erfährt .man: 17 Artilleristen hatten mit dieser gefährlichen Substanz zu thun. 2 Feuerwerker und 3 Artilleri­sten wurden sofort in Stücke zerrissen; ein 6. starb auf dem Transport ins Spital; 11 andere sind in einem verzweifelten Zustand. 18 Soldaten vom 9.

^ Festungsbataillen waren eben angekommen , als die Detonation erfolgte; sie wurden umgeworfen, aber nicht schwer verletzt. Es sollen schwere Fehler beim Einfüllen der Materie begangen worden sein.

Italien.

R o m, 12. März. Die Kammer lehnte mit ^ 219 gegen 192 Stimmen das von Crispi gegen das ^ Kabinett beantragte Tadelsvotum ab.

Mentone, 12. März. Gestern nachmittag ^ 3 Uhr 10 Sekunden erfolgte ein heftiger Erdstoß, j welcher Möbel, vielfach auch Mauern einftürzte.

! Der Erdstoß wurde von Savona bis Nizza verspürt. Unter den Fremden in Monaco herrscht panischer Schrecken.

! Die Nachrichten aus Sardinien lauten immer l schlechter. Die ganze Insel ist in Währung. An , verschiedenen Punkten mußten Ausschreitungen mit bewaffneter Macht unterdrückt werden. Die Güter ? der Verwaltungsräte der falliten Bank, die mit sechs ^ j Millionen Lire engagiert war , wurden sequestriert.

! Der Präsident der Bank, Abgeordneter Ghiani-Maneli, l der vom Volke für den Haupturheber der Krisis ge- ! halten wird, ist geflohen. Dem Parlamente wird der Vorschlag auf Zulassung der gerichtlichen Ver- i folgung gegen denselben unterbreitet werden. Der ^ Ministerrat verfügte telegraphisch, daß den Arbeitern Brot gegeben werde, ferner die sofortige Inangriff­nahme des Baues dreier Zweigbahnen, sowie eines neuen Bahnhofs-Gebäudes in Cagliari.

Spanien.

Lissabon, 11. März. Der König läßt dem Kaiser Wilhelm zu seinem 90. Geburtstage durch den General Carneiro einen in Portugal gearbeite­ten Degen überreichen.

Belgien.

Brüssel, 10. März. Es soll sich herausgestellt ha­ben, daß 57 Arbeiter, welche man unter der Zahl der in dem Kohlenbergwerk unweit Mons Verunglückten glaubte, gleich anfangs sich gerettet haben. Daß diese 4 Tage lang zu Hause blieben, ohne sich zu melden, ist zu erklären aus der wahnsinnigen Angst, die jedesmal die Leute, die bei schla- genden Wettern entkommen, ergreift. Wie von Furien ge- j

> hetzt, stürzen solche Arbeiter davon und laufen oft nicht ein- mal nach Hanse, sondern soweit als möglich fort von der j Stätte des Unglücks. Die Anzahl der Verunglückten bc- ^ schränkt sich also auf 113, von denen 4 noch mit dem Tode ^

> ringen.

Rußland.

Die russischen Drohungen, Deutschland in der Stunde der Gefahr in die Armee zu fallen, geben den Oesterreichern neue Hoffnungen auf ein enges Bündnis mit Deutschland. DieN. Fr. P." sagt darüber: Das Bündnis zwischen Deutschland und Oesterreich schöpft aus der deutschfeindlichen Stimmung Rußlands frische und erhöhte Kraft. Deutschland weiß jetzt genau, wo seine wahren, seine einzig verläßlichen Freunde zu finden sind. Wenn Bismarck etwa einen Augenblick geglaubt Hütte, daß die Freundschaft Rußlands ihm das Bündnis mit * Oesterreich ersetzen könne, heute ist er sicher davon abgekommen und der trübe Schatten, den seine Reichs­tagsrede auf dieses Bündnis geworfen, entweicht. Deutschland ist nicht die Macht, die man mit dem Schrecken gewinnen kann, und wenn Rußland etwa nur eine ungeschickte Werbung versuchten, so gehen sie sicher fehl. Indem Rußland seine Karten auf­deckt, stößt es Deutschland ab und wir sehen die Stunde kommen, da man in Berlin sich nicht länger der Erkenntnis verschließen wird, man müsse den Angelegenheiten im Orient einige Beachtung schenken um des treuen, des einzigen Freundes willen, den Deutschland besitzt, eines Freundes, der die friedlichste Politik befolgt und nichts beansprucht, als billige Rücksicht für seine Stellung im Orient, und im Not­fälle über eine Million von Streitern gebietet. ,»

Balkan-Halbinsel.

Sofia, 11. März. Die Klagen wegen der angeblichen Mißhandlung der verhafteten Verschwö­rer haben sich als unbegründet herausgestellt.

Bukarest, 11. März. Nach einer Meldung aus Rustschuk erhielt Oberst Filoff auf das Verlangen Rußlands Erlaubnis, Bulgarien zu ver­lassen. Das Kriegsgericht verurteilte gestern zwei Unteroffiziere zu »jähriger, fünf zu achtjähriger und fünf zu lebenslänglicher Festungshaft; die Soldaten ohne Charge wurden begnadigt. Man erwartet die Entschließung des Majors Petroff, welcher unbedingte Vollmacht besitzt, die Urteile abzuändern.

Kalnoky unterstützt energisch die Wünsche Rußlands: nämlich die Demission der Regent­schaft und die Bildung einer Koalitions-Regierung > und die Ernennung eines Russen z um Krieg smi nister.

Kleinere Mitteilungen.

(Einedirekte.") Vor den Wahlen sah sich ein sozialdemokratischer Volksbeglücker veranlaßt, auf einem Dorfe bei Ronneburg seine Weisheit den dortigen Bewohnern bcizubringen. Bel dem Kapital über Stenern vermaß sich der Weisheitsprediger die Worte fallen zu fassen:Aber die dummen Bauern wissen ja gar nicht, was direkte und in­direkte Stenern sind!" Ein Bäuerlein, welches wohl nicht so dumm war, als wie es der Redner hielt, verließ in aller Ruhe seinen Platz, begab sich in die Nähe des Redners, schwang die Faust und applizierte dem letzteren eine anständige Bauernmaulschclle" mit de» Worten:So das war eine direkte." Der direkte Steuerausteilcr begab sich wieder aus seinen Platz, während der Empfänger sich wieder in die Höhe krappeltc, denn die unsanfte Berührung hatte ihn das Gleich­gewicht verlieren lassen. DieRede" war natürlich zu Ende.

Nicht ein Zeichen der Zeit, aber doch neben vielem anderen ein Zeichen der Ver wilder ungin Fr an kr eich ist der jüngste Meuchelmord und seine Verherrlichung in Paris. Ein Arbeiter Deruytcn war wegen Unfähigkeit und Ungehorsams aus einem Stahlwerk entlassen worden, er * lauerte bald nachher dem Direktor Stilamt auf, ermordete ihn meuchlings und erschoß sich dann selbst. Bei seiner Be­erdigung wurde er als Held und Rächer, als Opfer der Ar­beit, als Soldat der sozialen Revolution gefeiert,es lebe die Rache und der Mord, jeder folge seinem Beispiel!" schrie die Menge. Acht Tage nachher ermordete ein Arbeiter den Werkführer, den er an seiner Entlassung schuldig glaubte, mit vielen Dolchstichen.

In Wien hat die 28jährige Frau eines Maschinen­schlossers in entsetzlicher Weise ihrem Leben ein Ende gemacht.

Sie kaufte sich 1 Liter Petroleum, ging auf's freie Feld und begoß ihre Kleider mit der Flüssigkeit, woraus sic dieselben anzündete. Halb verkohlt wurde sie aufgefunden. Der Selbst­mord ist wahrscheinlich in einem Ansall von Geistesstörung verübt. _

Handel L Uerketzr.

Vom untern Neckar, 9. März. Die Fnttcrprci sc sind gegenwärtig bedeutend niedriger als zu gleicher Zeit des vorigen Jahres. Es kostet der Ztr. Heu.L 2.602.80, der < Zentner Stroh 1.802. Mit Eintritt milderer Witterung kam auch wieder Leben in den Kartoffelhandel. Von Händ- . lern werden solche (Wurstkartoffeln) zum Preise von 2.60 per Ztr. aufgekauft, in Schiffe verladen und rheinabwärts bis Köln und Belgien versandt. - Die Heilbrunner Zucker­fabrik schloß in letzter Zeit den Rübenakkord mit den Güter­besitzern ab und zwar zum Preis von ^ 1.80 für den Dop­pelzentner, oder nach Heilbronn geliefert 2.

Konkurseröffnungen. Lukas Clement, Käsehänd­ler von Göppingen. Wilhelm Knapp, Metzger in Reutlingen.

J ohann Georg Frömmlet, Bauer von Eggcnrente (Wangen).

BeraiMvortlichkr Nrdakrcur Sl-inwand-l in Nagold. Drucken»

«erla, der Ä. w. Zais« r'schiN «uchhandlun, in Nagold.