„Frks. Ztg." etwa 15000 Personen. Es erschallten die Rufe: Es lebe das allgemeine Stimmrecht. Die Regierung konsignierte vom frühen Morgen an alle Truppen und lies; von Antwerpen mehrere Regimenter kommen. Sie verfügt mit der Bürgergarde über 30000 Mann. Diese Maßregel ist überflüssig, denn die Ordnung wird nicht gestört werden. Der Zug, der am Mittag begann, kommt soeben vor dem Ministerium an. Eine in sehr gemäßigter Form abgefaßte Petition um Revision der Verfassung wurde im Namen der Arbeiterpartei als rekommandierter Brief an Beernaert abgesandt. Um 3Vs Uhr löste sich der Zug an dem Schaerbeeckthore ruhig aus. Die Aufnahme, welche die Kundgebung bei dem Publikum fand, war eine freundliche.
England.
London. 16. Aug. In der Nacht vom Samstag zum Sonntag erneuerten sich die Unruhen in Belfa st. Bewaffnete Mannschaften, Protestanten und Katholiken, feuerten vier Stunden lang auf einander; auf beiden Seiten gab es niehrere Tote und Verwundete. Erst in früher Morgenstunde unterdrückte das Militär die Ruhestörung ohne Blutvergießen.
London. Die medizinische Zeitschrift „Lancet" entwirft ein entsetzliches Bild von den Armenwohnungen Windsors. Seit 2 oder 3 Monaten .wüten daselbst die Blattern. Ein Mann, welcher in einem dumpfen Zimmer ohne Ventilation auf einem Lager von Holzspänen der Krankheit zum Opfer fiel, blieb einige Tage lang unbeerdigt, so daß die Luft in der Nachbarschaft noch mehr verpestet wurde. Als endlich die Leiche fortgeschafft werden sollte, weigerte sich der Leichenbesorger, den schon halb vermoderten Sarg mit einem Leichentuche zu bedecken und der Geistliche, welcher die Grabrede hielt, leidet seit der Zeit am Halse. Der Zustand der Häuser, in denen die Blattern herrschen, wird genau beschrieben. Die Epidemie ist jetzt schon bis auf wenige Schritte von den Mauern des Schlosses und der Kaserne vorae- drungen.
In England liegen die Geschäfte in der Eisenbranche bedenklich darnieder. Die große Eisengießerei von Kimmersley u. Cie. in Kidsgroee, Grafschaft Nordstaffordshire, hat wegen schlechten Geschäftsganges ihre Arbeitsstätten geschlossen; gegen tausend Arbeiter sind hierdurch brotlos geworden.
Dänemark.
Ein König als Lebensretter. Am vergangenen Sonntag machte der König von Dänemark in Begleitung des Herzogs von Chartres einen Spazierritt in die Wälder von Klampenberg. An einer Stelle, wo der Waldweg sich sehr verengt, begegnete ihnen eine Eguipage, deren Lenker die Pferde anhielt, um die hohen Herrschaften passieren zu lassen. Die Insassen der Equipage erhoben sich, um den König zu grüßen. In demselben Augenblicke scheuten die vorgespannten Pferde und infolge der heftigen Bewegung stürzte ein alter Herr kopfüber vom Wagen, und zwar so, daß sein Kopf vor eines der Räder geriet, während er mit dem Stiefelabsatz im Wagen hängen blieb. Eine einzige weitere Bewegung des Wagens wäre zweifellos für den Herrn totbringend gewesen. Doch schnell wie der Blitz war König Christian abgesprungen und zog den Kopf des Mannes hervor, während Herzog Chartres den Pferden in die Zügel fiel und dieselben zum Stillstehen zwang. Mittlerweile war aber des Königs eigenes Pferd durchgegangen und dieser genötigt, auf dem Rosse des Stallknechtes nach Schloß Bernstorff zurückzureiten. Zu Hause angelangt, erließ der König eine Verordnung, wonach das Publikum das Aufstehen im Wagen zu seiner Begrüßung unterlassen möchte.
Rußland.
Aus Moskau wird telegraphiert: Viertägige Wolkenbrüche im ganzen Gouvernement haben ungeheuren Schaden angerichtet. Gebäude, Dämme, Brücken, Holzvorräte, Heu und Getreideschober sind fortgeschwemmt.
Amerika.
Newyork, 12. Aug. Die Waldbrände in Wisconsin lassen nach. 12 Personen sind, wie gemeldet wird, in den Flammen umgekommen. Man fürchtet, daß viele Holzhauer dasselbe Los ereilt hat. Der Verlust au Vieh ist furchtbar. In Calumet, Clark, Marathon und angrenzenden Counties sollen 500 Familien obdachlos sein. '
Handel K Uerkehr.
Stuttgart, 17. Aug. (Kartoffel- und Krautmarkt.) Lconhardsplatz: 15V Säcke Kartoffeln zu 2 50 -4 3
per Ztr. Marktplatz: 2000 Stück Filderkraut zu 20—25 ^ per 100 Stück.
Stuttgart. 16. Aug. (Landesproduktenbörse.) Wir notieren per 100 Kilogr.: Weizen, bayerischer, neu 20, Wctterauer, neu .« 19.25, russischer.« 19.75, Kernen, Oberländer, alt, 20.25, Dinkel 11.40, Haber 12.70, Kohl- rcps 21.
Stuttgart, 16. Aug. (Mchlbörsc). An heutiger
Börse sind von inländischen Mehlen 1185 Sack als verkauft zur Anzeige gekommen zu folgenden Preisen: Nr. 0 29.50
bis 90, Nr. 1 27.50-.« 28, Sir. 2 25.50 ^ 26,
Nr. 3 23,50-.« 24, Nr. 4 20-.« 21.
Fellbach, 13. Aug. Die Weinpreisc steigen bedeutend: 1884er (Kelterprcis 90—125 ^c) wird von 160 bis 215 bezahlt, und 1885er Rotgewächs (Kelterprcis 65 bis 80 .«) gilt jetzt 100-130 Most ist zu 36—48 .« erhältlich^_
Durchs Leben erzogen. LLk
Novelle von Th. Hempcl.
(Fortsetzung.)
Eine glänzende Gesellschaft füllte die taghell erleuchteten Salons der Steiner'schen Villa, Alt und Jung vertreten, Militär und Civil, selbst der Fürst hatte sein Erscheinen zugesagt. Der Ehrgeiz des Barons war befriedigt.
Die tanzlustigen jungen Damen waren von Herren umschwürmt, unter ihnen Anna, wie immer, die gefeiertste von Allen.
Ihr Vater näherte sich ihr plötzlich und flüsterte ihr leise zu: „Anna, ich habe einen dringenden Wunsch, den Du mir erfüllen wirst. Schenke Wellmcr einen Tanz! Ich weiß, Du hast ihn nicht gern, aber ich möchte ihm eine Auszeichnung zu Teil werden lassen; er erweist mir große Dienste und wird mir hoffentlich auch ferner nützlich sein."
„Ich thue es ungern, aber auf Deinen Wunsch geschieht es natürlich. Doch sehe ich es als eine Geschäftssache an, die ich bald erledigen will."
„Herr Direktor," redete Steiner den eben Nähertretenden an, „meine Tochter bittet Sie um einen Tanz."
Wellmer verneigte sich vor Anna und bat, ihm zu bestimmen, wenn er die Ehre haben werde. Sie bezcichnete ihm den Tanz und er trat zurück.
Bald begann die Jugend sich im fröhlichen Kreise nach den Tönen der Musik zu bewegen.
Mehr als je bemühte sich Kammerherr von Norden um Anna's Gunst, die gelangweilt durch seine übertriebenen Huldigungen, sich in ein Nebenzimmer flüchten wollte, um dort wenigstens auf kurze Zeit mit sich und ihren Gedanken allein zu sein. Aber im Begriff, es zu betreten, hörte sie auch dort Stimmen und bemerkte ihre Kousine mit Wellmer in eifriger Unterhaltung, von welcher sie nur einzelne Worte verstehen konnte, die aber nur geeignet waren, ihre Aufmerksamkeit zu erwecken und sie zu der Annahme zu berechtigen, daß ihres Vaters Wünsche betreffs der beiden jungen Leute ihrer Erfüllung entgcgengingen.
Sie hörte Worte von Liebe, Sehnsucht, Glück, von ernsten Stunden, von tiefem Geheimnis und dereinstiger Erfüllung heißer Wünsche. Daß es eine Nachricht war, die Wellmer der Braut ihres Bruders überbrachte, daran konnte sie natürlich nicht denken, aber sie hatte genug gehört und ging zornglühend hinweg.
Der dem Direktor von Anna bestimmte Tanz begann, doch als Wellmer vor ihr stand, hatte Anna bereits ihre Hand auf Herrn von Nordens Arm gelegt und entschuldigte sich: „Ich bedaure, ich hatte mein Ihnen gegebenes Wort vergessen und habe diesem Herrn erlaubt, den Walzer mit mir zu tanzen!"
„Der Herr Kammerherr wird wissen, daß das ältere Recht den ersten Anspruch hat, und da ich nicht gewillt bin. es aufzugeben, so ersuche ich Sie, mein gnädiges Fräulein, mir Ihr Versprechen zu halten."
Ohne noch eine weitere Auseinandersetzung abzuwarten, schob er den verdutzt dreinschauenden Kammerherrn bei Seite, legte Anna's Arm in den seinen und führte sie in die Reihen der Tanzenden. Von seinen Armen umschlungen schwebte sie leicht durch den Saal dahin, und bewundernde Blicke folgten dem jungen Paare.
Anna, deren Reizbarkeit sich durch Wellmers entschiedenes Handeln nur noch mehr gesteigert hatte, begann: „Nun ist ein Teil des Geschäfts bereits abgewickelt; denn dieser Tanz mit ihnen war ein Wunsch meines Vaters, also eine Geschäftsangelegenheit!"
Mit kaum zu bekämpfender Erregung, nur mühsam seine Stimme zur Festigkeit zwingend, ent- gegnete Wellmer: „Da mir der Tanz gewährt war, war mir zu Mute wie dem Kinde zu Weihnachten, wenn ihm das Christkind die Lichter an dem Christ- banm anzündet. Dieses Gefühl entschwand, als Sie durch eine Unwahrheit sich von der drückenden Verpflichtung freizumachen suchten; ich habe mir mein
Recht gewahrt. Da Sie aber den Tanz nur als eine Geschäftsangelegenheit betrachten und da man Geschäfte gern so schnell als möglich erledigt, um sich dann ungestört dem heitern Treiben der Geselligkeit hiugcben zu können, so überlasse ich ihnen die selbstübernommene Verpflichtung, länger mit mir zu tanzen und bitte um Erlaubnis, Sie nach ihrem Platze führen zu dürfen, es wäre ein zu großes Opfer, den ganzen Tanz von ihnen zu verlangen."
Ein tätliches Erblassen, dem glühendes Erröten folgte, überflog Anna's schönes Gesicht. Ihre Lippen bebten, sie fühlte sich unfähig auch nur ein Wort zu entg-gnen. Sie war nur an Aussprüche der Bewunderung und Vergötterung gewöhnt, eine Menge Schmeicheleien umtönten stets ihr Ohr. So offen, oder vielmehr so schroff zu ihr zu sprechen, hatte noch Niemand gewagt, nur er, der Untergebene ihres Vaters, fand den Mut dazu.
Ein wahrer Haß bemächtigte sich ihrer, sie hätte ihn zurückstoßen, ihm verächtlich den Rücken kehren mögen und ging doch an seinem Arm scheinbar im besten Einvernehmen mit ihm, durch den Saal. Sie konnte sich nicht verhehlen, daß dieser Mann ihr imponiere, der ihr so unumwunden die Wahrheit gesagt hat.
Mit einer förmlichen Verbeugung, ohne nur ein Wort, nur einen Blick an sie zu verschwenden, wendete sich Wellmer. nachdem er sie auf ihren Platz zurückgeführt hatte, von ihr und verließ sogleich das Fest-
„Er wird mir nicht wieder mit seinen Zudringlichkeiten zu nahe kommen," murmelte Anna und wandte sich zu Herrn von Norden, der die günstige Gelegenheit benutzt hatte, sich sofort wieder an ihre Seite zu stellen. Wie ganz anders verstand er es, mit Damen zu verkehren; jedes seiner Worte war ein feine Artigkeit. Daß er ihr oft herzlich langweilig gewesen war, hatte Anna in diesem Augenblick vollständig vergessen. Sie suchte sich zu überreden, daß seine Unterhaltung ihr ganz besonders zusage, war lebhafter und zugänglicher für seine Huldigungen als bisher und noch ehe an diesem Abend die letzten Töne der rauschenden Musik verklungen waren, hatte er die längst ersehnte Erlaubnis erhalten , bei Herrn von Steiner um die Hand seiner schönen Tochter anzuhalten.
Anna war Braut und wie sie ihrem ob dieses Ereignisses staunenden Bekanntenkreis gern glauben machen wollte, eine glückliche Braut. Man fand es ganz natürlich, daß ihr Hochmut befriedigt sei. Norden gehörte einer der ältesten Adelsfamilien an, er nahm eine bevorzugte Stellung in der Umgebung des Fürsten ein und wenn er mit äußeren Glücksgütern nicht allzureichlich gesegnet war, konnte in dieser Beziehung der Schwiegerpapa mehr als zur Genüge ausgleichend eintreten.
So leicht es Anna ward, Andere über ihre Gefühle zu täuschen, so schwer gelang es ihr, sich selbst zu überreden, daß sie wirklich die glückliche Braut sei, die sie zu sein schien. Als sie sich mit Herrn von Norden verlobte, geschah es im höchsten Zorn gegen Wellmer. Sie wollte diesem zeigen, daß andere Männer ihre Vorzüge besser zu würdigen wüßten, als er. Sie bedachte nicht, daß sie ihr ganzes Lebensglück auf's Spiel setzte.
Oder wollte sie sich schützen vor dem Einfluß, den jene Augen auf sie ausübten, selbst wenn sie voll Verachtung und Zorn auf sie blickten. Wollte sie jede Erinnerung an das schöne Traumbild zu verwischen suchen, das zu vergessen ihr so schwer, ja unmöglich war? Wenn sie im geselligen Kreise, vor den beobachtenden Blicken die glückliche Braut gespielt hatte, dann mußte sie um so schwerer kämpfen, wenn in stiller Nachtstunde der ersehnte Schlummer ihre Augen floh und unendliche Angst schnürte ihr das Herz zusammen, ob sie auch würde durchführen können, was sie unternommen hatte.
Martha hatte ihr schweren Herzens, mit einer Thräne im Auge Glück gewünscht, ihr mit aller Entschiedenheit versichernd, daß von einer Verlobung ihrerseits keine Rede sei, daß Wellmer für sie nie etwas anderes sein werde, als was er ihr bisher gewesen: ein treuer Freund.
(Fortsetzung folgt.)
Auflösung des Rätsels in Nr. 95. Maul w u r f.
Verantwortlicher Redakteur Steinwandel in Nagold. — Druck und Verlag der G. W. Zaiser'schen Buchhandlung in Nagold.