das Auftreten des Generals Boulangcr entschieden mißbilligt; er hat ihm mitteilen lassen, er bedaure tief, daß der General die Regierung durch sein unkluges Auftreten in eine so unangenehme Lage gebracht habe. Das hindert indessen nicht, daß Bon- langer im Amte bleibt, denn die Regierung will besonders wegen der dem Parlament vorliegenden militärischen Gesetzentwürfe die Verantwortlichkeit für seine Entlassung nicht übernehmen und der Kammer die Entscheidung überlassen.
Paris, 10. Aug. Die Kellner manifestieren unter Beteiligung aller Bummler und vieler Metzgerburschen und griffen gestern abend die Polizei an, welche ihnen die Fahnen fortnahmen und ihre Rädelsführer verhaftete. Die Polizei glaubt, daß die Kundgebungendnrch Anarchisten ins Werk gesetzt wurden.
Ein schönes Früchtchen ist das 16jährige Söhuchen des Bankiers Jolly inParis. Er entwendete seiner Mutter einen Schmuck, der Hunderttausend!: wert ist, und bot ihn einem Juwelier an, welcher den Schmuck zurückbehielt und der Dame Anzeige machte. Um Geld zur Flucht zu erhalten, telegraphierte das Bürschlcin an seinen Großvater in Marseille: „Vater bankerott! Schick umgehend 30000 Frks.; wir haben keinen Heller und leiden Not!" Der Großpapa übersandte kein Geld, denn ihn hatte Leim Lesen der Lügcudepcsche der Schlag gerührt.
Marseille, 9. Aug. Von hier wird berichtet, daß dem dänischen Konsul Jansen in Cette eine Million in Wertpapieren gestohlen wurde.
Belgien-
Brüssel, 10. Aug. Ein Befehl des Kriegs- Ministers konsigniert auf kommenden Sonntag die sämtlichen Truppen in den Kasernen.
England.
Belfast, 9. Aug. Der Aufruhr nahm am Samstag und Sonntag an Ausdehnung und Intensität zu. Das Schlimmste seit dem Beginn desselben ereignete sich: es gab laut „Frkf. Ztg." 12 Tote und über 100 Verwundete. Truppen und Polizei waren genötigt, die Straßen mit blankem Bajonnet zu säubern.
Belfast, 10. Aug. Im Lause des gestrigen abends fanden zwar noch mehrere Ruhestörungen statt, sie wurden aber von dem Militär und der Polizei unterdrückt. Die Nacht ist ohne Ruhestörungen verlaufen. Die Aufregung scheint nachzulassen. Falls die Unruhen sich erneuern, wird die Verhängung des Belagerungszustandes erwartet.
Die Unruhen in Belfast nehmen eine Ausdehnung an, die besorgniserregend ist und das neue konservative Kabinet vor die Notwendigkeit stellt, energische Repressivmaßregeln zu ergreifen. Der Ursprung dieser Ruhestörungen liegt in dem Umstande, daß die Protestanten Belfasts, die Majorität des Ortes bildend, den Home-Rulern den Sieg in einem der Wahlbezirke des letzteren nicht verzeihen können und die Wahl des Parnelliten Sexton an der katholischen Minderheit rächen. Das Kabinet Salisbury wird gezwungen sein, zu Ausnahmemaßrcgeln zu greifen, und zwar gegen seine eigenen Parteigänger. Dänemark.
In Kopenhagen ist der König von Griechenland zum Besuch bei dem ihm verwandten dänischen Königspaarr eingetroffen. Die Königin von Griechenland weilt noch in Rußland.
Schweden und Norwegen.
Christiania, 10. Aug. Die Stadt Skien ist fast gänzlich abgebrannt. Der Schaden beträgt 5 Millionen Kronen.
Handel L iyerkehr.
Stuttgart, 9. Aug. (Laudesproduktenbörse). Wir notieren per 100 Kilogr.: Weizen, russisch fax. 19 .kL 80 -4 bis 20 russisch 85er 19 kaliforn. 20 ^ 50 <4, amerik. 20 .6, ungar. neu 20 50 Dinkel neu 11 , Haber
12
Stuttgart, 9. Aug. (Mehlbörse). An heutiger Börse sind von inländischen Mehlen 1310 Sack als verkauft zur Anzeige gekommen zu folgenden Preisen (per Sack von 100 Kilo, Brutto für Netto, bei Abnahme größerer Posten): Nr. 0 „tö 29-^. 30.50, Nr. 1 27.50 28.50, Nr. 2
.« 25 . 50 —^ 26.50, Skr. 3 23.50—24.75, Nr. 420
bis ^ 21.50.
.Konkurseröffnungen. Johannes Manie, Trikotfabrikant von Onstmettingen (Balingen), zur Zeit mit unbestimmten Aufenthalt abwesend. Michael Theurer, Taglöh- ncr in Calw. Johann Martin Bosch, Schuhmacher von Gcr- stetten (Heidcnhcim). Friedrich Schecrcr, Sattler von Birkcn- feld (Neuenbürg) entwichen. Christian Schmid, Söldner in Breitingen (Ulm) nnd dessen Ehefrau Angelika geb. Wörz.
Durchs Leben erzogen. 82?
Novelle von Th. Hcmpcl.
(Fortsetzung.)
Vorzüglich ist cs den Frauen gegeben, durch
leises Walten, durch Fernhalten störender Einflüsse besänftigend einzuwirken auf beschwerte, friedlose Herzen.
Zu diesen segenspendenden Geistern des Hauses gehörte Martha; wenn auch selbst betrübt und niedergeschlagen, trocknete sie still ihre Thränen um der Andern willen. Sie sorgte für den Onkel, pflegte die Tante, die kummervoll in ihrem Zimmer den Tag verbrachte, begegnete mit milder Freundlichkeit der Kousine, die sie so hart, so verletzend behandelt hatte, und wenn nach und nach die Gemüter wieder Ruhe fanden und jedes in feiner Art den traurigen Vorgang sich zurecht zu legen suchte, so war dies zumeist ihr Verdienst.
Matt und müde war Anna von ihrer langen Wanderung heimgckchrt, hatte sich auf ihr Lager geworfen, aber kein Schlummer kam, ihr die Angen zu schließen. Zuviel batte sie erlebt in wenig mehr als Tagcsfrist. Glanz und Schimmer, Seelenqnal und bittere Reue, Angst und Schrecken waren in buntem Durcheinander an ihr vorübergezogen und umkreisten in stetem Wechsel ihre Gedanken. Von einem besonders konnte sie ihr Denken nicht abwenden, so wenig es ihr auch gelingen wollte, daiübec I zur Klarheit zu kommen. Was war ihr geschehen, als sie so plötzlich auf einsamem Wege stand? ein holdes Traumbild mußte sie umfangen haben, sie hatte süß geträumt von seliger Rahe und tiefem Frieden nach Angst nnd llnruhe, von einem sicheren Schutz, der sie umgab, von einem strahlenden Auge, das auf ihr ruhte in Augst und Liebe und dann als goldner Stern vom Himmel niederschien. Das schöne Bild entschwand, ermüdet vom laugen Gehen fand sie sich auf einsamem Wege, neben ihr Wettiner, in den feinen Formen des gebildete» Mannes ihr seine Begleitung anbietend. Wie er an ihre Seite gekommen, vermochte sie nicht zu fassen, so viel sie sich auch mühte, das Rätsel zu lösen. —
Wochen und Monate waren dahin gegangen. Der Winter eilte seinem Ende entgegen und schon verkürzten die länger werdenden Tage die gemütlichen Abende am traulichen Kamin im Kreise der Familie, oder geboten der rauschenden Geselligkeit Einhalt, welche den Abend noch weit in die Nachtstunden hinausdehnt.
Die Baronin von Steiner hatte dringend gewünscht, den Winter in stiller Abgeschiedenheit in ihres Hauses Frieden zu verleben, um nach dem erschütternden Abschnitt im Leben des geliebten Sohnes erst wieder Ruhe zu 'erlangen. Allein sie mußte sich den dringenden Wünschen ihres Gatten fügen und nach kurzer Pause dem geselligen Verkehr wieder ihre gastlichen Räume öffnen.
Allwöchentlich versammelte sich an einem bestimmten Tage ein Kreis von Bekannten und Freunden in dem gastfreien Hause, um in gemütlicher Unterhaltung, bei Musik und Kartenspiel einige angenehme Stunden in den Steiner'schen Salons zu verbringen, wobei auch die materiellen Genüsse in reichster und seltenster Auswahl den verwöhntesten Gaumen befriedigten.
Eines Abends hatte sich ein solcher Kreis zusammengefunden, eine Schar von Verehrern umgab die schöne Tochter des Hauses, unter denen der Kammerherr von Norden sich am eifrigsten bemühte, Herz und Hand der kalten Schönheit zu erringen, ohne daß es ihm gelungen wäre, seinem Ziele auch nur einen Schritt näher zu kommen.
Auch eine Anzahl junger Damen hatte sich zu Anna gesellt, sie mit der Versicherung inniger Freundschaft überhäufend, vielleicht im Stillen die Bevorzugung des reichen, schönen Mädchens mit Neid beobachtend.
Direktor Wellmer, durch seine vorzügliche Leitung des Geschäfts immer höher in der Gunst des Prinzipals steigend, war stets ein gern gesehener Gast bei dei artigen Veranlassungen. Vielleicht hatte der Wunsch des Barons, eine nähere Verbindung zwischen dem Direktor und seiner lieblichen Nichte anznbahuen, nicht den kleinsten Anteil an der Zuvorkommenheit, mit welcher er ihn in seinen Familienkreis zog. So wenig Neigung auch Wellmer hatte, öfter als Gast in diesen Kreisen zu erscheinen, war er doch mitunter dort, um nicht für undankbar und unhöflich zu gelten, und außerdem bot cs ihm Gelegenheit, sich der Kommerzienrätin und Martha zu nähern und ihnen Nachricht von Ernst zu bringen.
Der freundschaftliche Verkehr, der seit Ernst's Abreise zwischen ihm und Martha entstanden war,
! konnte wohl manchen auf den Gedanken bringen,
daß Steiners Wünsche für die jungen Leute ihrer Erfüllung entgegen gingen, sehr zu Anna's Verdruß, die dieser Verbindung, ohne sich Rechenschaft darüber geben zu können, entschieden abgeneigt war, und sich auch au diesem Abend wiederholt bemühte, die Unterhaltung zwischen Beiden zu stören, indem sie Wellmer mit in das Gespräch zu ziehen suchte, welches sie selbst mit einigen Herren und Damen führte.
Es handelte sich um das Trauerspiel: Uriel Acosta, das am Abend vorher im Hoftheater gespielt worden war.
„Haben Sie sich gestern im Theater gut unterhalten?" wendete sie sich direkt an Wellmer und fuhr auf seine bejahende Antwort fort: „Von mir kann ich das nicht sagen, mir gefüllt dies berühmte Stück nicht, besonders unangenehm berührt mich die Auffassung Judilhs. Wie kann ein Mädchen ihres Standes sich so weit vergessen und sich einem Manne, der noch dazu unter ihr steht, gewissermaßen an den Hals werfen?"
„Diese Ansicht kann ich nicht teilen, mein gnädiges Fräulein, unter Judith steht Uriel Acosta nicht. Er ist es gewesen, der durch höhere geistige Anschauungen, durch umfassendes Wissen ihren Geist bereichert und über den Kreis erhoben, dem sic angehört."
„Sie stellen diesen Uriel, der alles Bestehende umstoßcn möchte, sehr hoch."
„Allerdings, er ist ein bedeutender Gelehrter. Daß in seinem Innern sich Zweifel erheben an den höchsten Interessen, ist zu beklagen, ebenso wie seine fried- und heimatlose Jugend, die ihn schon früh Nachdenken läßt und klar sehen lehrt, daß manches Falsche dem Judentum anhaftet, was er dem zelo- tischen Rabbiner nicht verhehlt. Er ward verflucht und ansgestoßcn aus der Gemeinde, und es gehörte von Judiths Seite kein geringer Mut dazu, jetzt sich zu ihm zu bekennen. Sie glaubte diesen Mut in sich zu fühlen nnd that cs, aber sie konnte sich nicht erhalten auf der Höhe, auf welche sie sich mit kühnem Selbstvertrauen emporgcschwungen hatte — sie stürzte herab. Sie verlangte von dem Geliebten die größten Opfer und verließ diesen doch nach Darbringung derselben. Der Getäuschte starb durch eigene Hand, tief beschämt, seiner Ueberzeugung einmal untreu geworden zu sein. In den Worten: „Ich fürchte mich beinahe vor Frauenlicbe!" verurteilte er Judiths Wankelmut. Es war eine rasch anfloderndc Leidenschaft, die sich wohl im höchsten Afffkt bekennt, aber nicht die Kraft hat, Alles zu ertragen um der Liebe willen."
„Sie billigen also, daß das Mädchen dem Manne sich anbietet, den es liebt, wenn sie nur bei ruhiger Ueberlcgung ihre Ansicht nicht ändert?" rief Anna höhnisch aus.
„Sie mißverstehen mich, mein gnädiges Fräulein, ich kenne und ehre sehr hoch die enge Grenze, die den Frauen gezogen ist, sei es in Liebe, sei cs in Haß, und die sie nicht ungestraft überschreiten dürfen; aber es kann Situationen im Leben geben, wo diese Gesetze keine Anwendung finden, wo die edle, feinfühlende Frau ihr reines Herz allein zur Richtschnur ihres Handelns machen kann. Usbrigens mußte Judith längst gefühlt haben, daß sie von llriel geliebt ward und daß nur die Verhältnisse eine Erklärung verhindert hatten."
„Dieses Entgegenkommen mag der Eitelkeit manches Mannes schmeichelhaft sein, mir ist die Frau ebenso verächtlich, die jenen Schritt thut, wie der Mann, welchem dies eine Genugthuung sein kann, llriel sowohl als Judith hatten ihr Schicksal verdient, ich kann sie nicht beklagen," rief Anna aus. Hätte eine ahnende Stimme ihr gesagt, was die nächste Zukunft ihr bringen würde, sie hätte wohl geschwiegen.
„O wie recht haben Sie, mein gnädiges Fräulein," — beeilte sich der Kammerherr ihr zu versichern — „welche neue, originelle Auffassung, von Ihnen kann man immer nur lernen."
(Fortsetzung folgt.)
Allerlei.
— Taktlos. Staatsanwalt (zum Angeklagten) „Sic haben also weiter nichts zu ihrer Verteidigung anzmnhrcn?"
- Angeklagter: „Herr Präsident, Sie können unmöglich so taktlos sein, mich an einem Tage wie dem heutigen zu verurteilen." „Was für ein Tag?" fragt der Staatanwalt verdutzt. — „Sic sollten ans den Akten wissen, mein Herr, daß heute mein Geburtstag ist."
Verantwortlicher Redakteur Steinwandel in Nagold. — Druck und Verlag der G. W. Z a i s e r'schcn Buchhandlung in Nagold.