Aro. 70
61. Jahrgang
Amts- unä Intelligenz^üüL für äen Oezielr.
Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.
Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.
8am8tag, äen 19. Juni 1886.
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die Post bezogen im Bezirk 2 »K. 30 H, sonst in ganz Württemberg 2 70 H.
Arntkiche MekcrnntrncrcHurrgerr.
Calw.
An die Schnltheißennmter.
Die Schultheißenämter werden aufgefordert, die Zahl der in ihren Gemeindebezirken vorhandenen Gastwirthschaften (mit Angabe ob persönlicher oder dinglicher Natur), der Schankwirtschaften, (unter Anführung der einzelnen Getränke, zu deren Ausschank Erlaubnis erteilt ist), Konzessionen zum Ausschank und zum Kleinhandel mit Branntwein und Spiritus unter Bezeichnung der Eigenthümer, Pächter oder Stellvertreter, sowie unter Erwähnung, ob die genannten Gewerbe zur Zeit im Betrieb sind oder nicht, binnen 10 Tagen hieher milzuteilen.
Den 17. Juni 1886. K. Oberamt.
F l a x l a n d.
Aufklärung über den Tod des Königs Ludwig.
Was am Sonntag von Abends Uhr bis Nachts 12 Uhr auf Schloß Berg und im Hirschpark daselbst sich ereignet, ist nun klargestellt, soweit es überhaupt klarzustellen sein wird. Wir folgen den Berichten der „Allg. Ztg." und der „Neuesten Nachrichten" und finden daselbst folgende zusammenpassende bezw. übereinstimmende Angaben.
Der König war am Samstag Abend mit Dr. von Gudden zum e r st e n .Male im Park.hMzjLMLxgaygen. ,Eu;Pslegxr folgte in bescheidener Entfernung hinterdrein.' Am Sonntag gegen Mittag wurde ein zweiter Spazrergang unternommen. Gudden hatte sich jede Begleitung ausdrücklich verbeten. Die Unterhaltung drehte sich in beiden Fällen um die Eingebungen des beim König eingetretenen Verfolgungswahnes. Diese waren es auch, die dem König jetzt den Anblick der Gensdarmen verleideten. In Hohenschwangau wußte er sie zu seinem Schutze vorhanden, hier zu seiner Bewachung. Er wollte ihren Anblick nicht mehr haben, und man war darauf eingegangen, sie für ihn unsichtbar zu machen. Im Parke von Berg wurden unausgesetzt die Wege von Gensdarmen abpatrouillirt; diese hatten die Weisung, sofort bei Sichtbarwerden des Königs zu verschwinden. So verlief der zweite Spaziergang, der drei Stunden dauerte, für den ärztlichen Begleiter sehr zufriedenstellend. Der König wußte Dr. Gudden vollständig in Sicherheit zu wiegen und versprach die genaue Befolgung aller Vorschriften bezüglich seiner Lebensweise. Man warnte ihn vor übergroßer Vertrauensseligkeit und dabei fiel der volkstümliche Ausdruck „Einseifen". Gudden lächelte und sagte: „Darüber dürfen Sie sich ganz beruhigen, meine Herren; einseifen kann er mich vielleicht, aber balbieren laß' ich mich nicht!"
Um 4 Uhr nahm der König seine Mittagsmahlzeit, und zwar allein. Man hatte Gucklöcher in den Thüren angebracht, die Tischmesser waren abgestumpft und
abgerundet, so daß man einen Selbstmordversuch nicht zu fürchten brauchte. Die raffinirte Schlauheit, die erfahrungsgemäß den Irren eigen ist, die sich mit Selbstmordgedanken tragen, mag alle diese Vorsichtsmaßregeln wohl bemerkt haben. Der König lenkte deshalb sein Augenmerk auf ganz andere Gelegenheit. Schon am Mittag hatte er sich längere Zeit mit Gudden auf der Bank der Unglücksstätte gegenüber ausgeruht. „Jetzt, nach dem Essen, begab er sich auf dem dritten Spaziergang sofort wieder an diese Stelle. Dr. v. Gudden hatte sich ebenso wie am Mittag die Begleiter verbeten. Sein Berufsgenosse Dr. Müller schickte besorgterweise einen Wärter hinterdrein, der die beiden Männer bald einholte. Da flüsterte der König dem Dr. Gudden etwas ins Ohr, worauf sich letzterer umkehrte und wiederholt mit der Hand abwmkte. Nun zog sich der Wärter „ganz zurück". (Nach den „N. N." waren es mehrere Wärter, die sich zurückzogen; nach der „Allg. Ztg." nur Einer.) Der König schritt direct auf die Bank zu. Die Gendarmen scheinen den König gerade dort auf dem Wege bemerkt zu haben und zogen sich gerade von jener Stelle zurück. Als sie nachher die Strecke wieder ins Auge faßten, war Niemand mehr dort zu sehen. Deshalb setzten sie nun ihren Patrouillengang sott. Von dem Vorfall am Ufer haben sie nichts wahrgenommen, was sich damit erklärt, daß zwischen Bank und Ufer dichtes Gebüsch vorhanden ist. Und jedenfalls ist bei der Katastrophe kein Laut vernehmbar geworden, man hätte sonst davon hören müssen; denn Worte, die auf dem See gesprochen, schallen bis weit ins Ufer hinein.
Die Katastrophe erklärt sich am wahrscheinlichsten folgendermaßen:
Der König ist, als man der Bank nahe kam, etwas stärker ausgeschritten, zunächst von der Bank quer durch das Gebüsch gebrochen und in den See geeilt, (Entfernung 10—15 Schritte) auch im Wasser in seinen gewohnt großen Schritten vorwärts gegangen, ebenfalls etwa 15 Schritte. Tr. Gudden war quer nach der Stelle geeilt, wo der König ins Wasser kommen mußte, um ihm dort den Weg zu verlegen, kam aber zu spät, eilte dem König ins Wasser nach und holte ihn auch, 15 Schritt vom Ufer aus, ein. Im ersten Griffe hatte er den .König im Nacken erfaßt, und zwar beide Rockkragen, die er sehr fest hielt. Der König, sich loszureißen bemüht, ließ ihm die Röcke. Im demselben Augenblick muß Gudden nach Kopf und Schulter des Königs gegriffen haben. Der Hut des Königs blieb zerrissen in seinen Händen, der andere Griff scheint aber dem Körper des Königs eine Wendung gegeben zu haben, so daß sich beide Auge in Auge gegenüberstanden. Daß er dem Verfolger jetzt nicht mehr entrinnen könne, muß dem irrsinnigen König wohl klar geworden sein; er suchte sich des Arztes also im Kampf auf Tod und Leben zu erwehren, „wobei er dem Arzte den Schlag in das Gesicht und die Wundmale an Stirn und Nase beibrachte, und ihn sodann entweder würgte oder ins Wasser tauchte, bis v. Gudden todt war." (Allg. Ztg.) Dann erst setzte der König mit eiserner Consequenz seinen Todesweg in den See hinein sott. Wo er Gudden verlassen hatte, war das Wasser nur 4 Fuß tief. Von dieser Stelle aus finden sich nur noch des Königs große Schritte eine kurze Strecke weiter in den See hinein bis zu einer Stelle, wo plötzlich der Seegrund tief abfällt, und wo demzufolge auch die Schritte des Königs enden.
Aeulllelün " Nachdruck verdaten.,
Die Falschmünzer.
Kriminal-Roman von Gustav Lössel.
(Fortsetzung.)
„Sie kommen spät", sagte der Kommerzienrat mit leichtem Stirnrunzeln, als er dort eintrat.
Selbstverständlich war der Prokurist hier wieder ganz Demut und Ergebenheit.
„Um Verzeihung, Herr Kommerzienrat — meine Hand!" flüsterte er, diese vorweisend. „Ich hatte das Unglück, auszugleiten und mir die Hand im Fallen zu verstauchen. Ich Mg zum nächsten Bandagisten, der sie mir wieder einrenkte und mir wegen mehrerer Hautabschürfungen diesen Verband anlegte. Daher die Verzögerung."
Der Kommerzienrat sprach sein Bedauern aus. „Das ist allerdings Entschuldigung", sagte er. „Sie wissen nur, wie streng ich gegen mich selber bin." Sie sind ja auch sonst ein Muster von Ordnung und Pünktlichkeit."
Duprat vemeigte sich. „Doch wohl nur, Herr Kommerzienrat", erwiderte er, „weil ich immer bestrebt war und bin, der würdige Vertreter meines Chefs zu sein."
Etwold nickte beifällig.
„Nichts Neues von Eduard?" fragte er nach kurzem Schweigen.
„Von Ihrem Herm Sohn — nein", entgegnete Duprat bescheiden. „Soll ich anfragen?"
„Nein nein. Ich bin froh, Nichts zu hören. Denn bis jetzt konnten Sie mir nur Schlechtes melden."
Duprat zuckte bedauernd die Achseln. „Ich hielt mich verpflichtet, Ihnen die Wahrheit zu sagen", sprach er.
„Mehr verlange ich auch nicht", entgegnete Etwold etwas schroff.
„Und Ihr Fräulein Tochter? Sie befindet sich —"
„Schlecht — sehr schlecht, mein lieber Duprat. Der Sanitätsrat läßt mir wenig Hoffnung."
„O, wie beklagenswert", sprach der im Rücken seines Chefs stehende Prokurist im Tone lebhaften Bedauerns, während aus seinen Augen eine boshafte Freude leuchtete. Wenn sie jetzt starb und Dryden durch das Gespenst der verfolgenden Polizei verscheucht wurde, ivar er Herr der Situation. An Riston dachte er in diesem Augenblick nicht.
„Ja, weiß es Gott", sagte der Kommerzienrat? es ist, als ob ich an meinen Kindern keine Freude mehr erleben sollte. Sonst mein Stolz und meine Hoffnung, bin ich nun verdammt, nur Klagen von ihnen zu hören." Und halb für sich fügte er hinzu: „Ich möchte wohl wissen, womit ich eine so schwere Strafe verdient habe?"
Duprat hätte das auch gerne gewußt: aber der Respekt verbot ihm, diesen delikaten Punkt noch weiter zu erörtern. Der Kommerzienrat ging auch schon zu e nenr anderen Gegenstand über.
„Leisten Sie mir nur noch ein wenig Gesellschaft", sagte er dann; sie brauchen ja nicht zu arbeiten. Legen Sie die Feder hin. Erzählen Sie mir Etwas — von Ihrer Vergangenheit, wenn Sie wollen. Nur sprechen Sie, damit ich eine Stimme höre und weiß, daß ein teilnehmender Mensch in meiner Nähe ist. Es wird so einsam um mich her, und gerade heute liegt es mir wie eine dunkle Ahnung auf der Seele. Mir erscheint Alles wie in einen undurchdringlichen Nebel gehüllt. Wenn ich das nur abschütteln könnte!"
Duprat lauschte aufmerksam.
,Jeine so seltsame Stimmung", sagte er, „wenn man das Wetter in Betracht zieht, dessen Einfluß sich ja wohl kein Mensch entziehen kann."