Mo. 63
61. Jahrgang
Amts- unä JatelligenMatt für clen Kezirß.
Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag. j
Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Zeile ! im Kestrk, sonst 12 T,.
Dienstag, äea I. Jam 1886.
Abonnementspreis halbjährlich 1 80 durch
die Post bezogen im Bezirk 2 „tt. 30 H, sonst in ganz Württemberg 2 70
'Mokilifche WacHvicHten.
Deutsches Reich.
München, 27. Mai. Die bisherigen sensationellen Meldungen und geheimnisvollen Andeutungen über „ernsteEreignisse", welche in Bayern bevorstehen, werden heute durch die nachstehende Korrespondenz des „Fr. Journ.", für die dem genannten Blatte die Gewähr überlassen bleiben muß, vermehrt. Ueber das Befinden des Königs, so berichtet der Korrespondent, wird mir heute von einer durchaus zuverlässigen Persönlichkeit so Bedauerliches berichtet, daß sich im Falle der Bewahrheitung leider nur zu wohl erklärt, warunr der König die Vorstellung der Minister bisher nicht beantworten konnte. Was am schmerzlichsten in diesen mir gewordenen Mitteilungen berührt, ist der Umstand, daß es gerade die Willenskraft des Geistes zu sein scheint, welche den Leidenszuständcn des Körpers zu erliegen droht. So tief es auch das Empfinden des bayrischen Volkes wie aller Verehrer des in den Zeiten der Entstehung des Reiches so energisch sich entwickelnden königlichen Jünglings erschüttern muß, so läßt sich doch die Besorgnis nicht mehr abwehren, daß der Landtag, sobald er wieder versammelt ist, lediglich damit befaßt werden dürfte, die für außergewöhnliche Umstände in der Verfassung vorgesehene Regierungsordnung einzurichten.
Amerika.
— Den Anarchisten in Amerika geht man jetzt energisch zu Leib. So berät sich der Stadtrat in Milwaukee über eine Verordnung, welche jeden, der in jener Stadt eine rote Fahne entfaltet oder jemanden „boycotiiert", mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bis'zu 500 Dollars, andernfalls mit weiteren 500 Tagen Hast bedroht. Auch in St. Louis hat die Polizei eine Suche auf anarchistische Agitatoren begonnen. Es sind bereits vier Führer verhaftet und gefänglich eingezogen worden.
Hcrges-Werrigkerten.
Calw, 30. Mai. Seit es als sicher bekannt geworden, daß der Stuttgarter Liederkranz mit ca. 120 Sängern am Himmelfahrtsfest seinen Sänger-Ausflug nach Calw machen wird, bildet dieses erfreuliche Ereignis in allen Kreisen den Gegenstand der Besprechung. Bei dem glänzenden Rufe hoher künstlerischer Ausbildung, der dem Stuttgarter Liederkranze schon seit langen Jahren zur Seite steht, ist es aber auch natürlich, daß die Erwartungen in Beziehung auf den uns bevorstehenden hohen Kunstgenuß ziemlich hochgradig sind und gewiß mit Recht. Die Sänger werden aber
auch gewiß ein dankbares Publikum finden, das dem an Abwechslung reichen Inhalte des mit feinem Sinne gewählten Programms ein williges und aufmerksames Ohr leihen wird, und es ist gewiß die Erwartung berechtigt, daß Stadt und Land zu dem in solcher Art hier noch nie gehörten Konzerte ein reiches Kontingent stellen werden. Für die Gäste der benachbarten Bäder wird dasselbe insbesondere eine willkommene Abwechslung in ihren einfacheren ländlichen Genüssen bilden. Daß auch Pforzheim, Nagold, Wildberg u. a. Orte Zuzug schicken werden, scheint bereits außer Zweifel zu sein und die Lehrer der gesangeslustigen jüngeren Generation der Umgegend werden ohnedies diese Gelegenheit nicht voiübergehen lassen, ihren Vereinen einen Gesang zu Gehör zu bringen, der ihnen für immer als ein wohl kaum erreichbares Vorbild in den Ohren klingen wird. Wir glauben darum die sichere Hoffnung aussprechen zu dürfen, daß die Stuttgarter Sänger unenttäuscht ihren Calwer Ausflug unter die Tage zählen werden, denen sie in ihrer Chronik ein besonderes Zeichen ickdmen und rufen ihnen darum von Herzen ein freundliches Willkommen zu.
Das Programm des Tages lautet, günstige Witterung vorausgesetzt, folgendermaßen: Ankunft von Stuttgart 7^', sodann Weitersahrt nach Station Teinach und Spaziergang nach Teinach, wozu namentlich auch die Sänger des hiesigen Liederkranzes freundlichst eingeladen sind; in Teinach im Hirsch kurzer Aufenthalt und sodann Gang nach Zavelstein. wo das Frühstück eingenommen werden soll. Abgang in Zavelstein um Vz12 Uhr und Ankunst in Calw um 1 Uhr. Mittagessen im Walohorn. Konzert in der Turnhalle um 3 Vs Uhr; nach Beendigung desselben gesellige Vereinigung mit dem hiesigen Liederkranze im Thudium'schen Garten. (Bei ungünstiger Witterung unterbleibt nur der Gang nach Teinach uÄe Zavelstein.) -Eintrittskarten zum Konzerte siud-bis Donnerstag-,Mittag 12 Uhr bei Hrn. E. Georgii ä 50 P, und Programme ü 5 H zu haben. Die Anzeige auf der letzten Seite dieses Blattes wird der besonderen Beachtung empfohlen. Rechtzeitiges Erscheinen wird im Interesse der Besucher liegen.
Alten steig, 28. Mai. Gestern fand die Grundsteinlegung zu der neu zu erbauenden Kirche in Anwesenheit des Oberbaurats Sautter, des Bauinspektors G. von Calw, der Geistlichen, Ortsvorsteher und Lehrer des Kirchspiels, sowie weiterer Geistlicher und Lehrer aus der Nachbarschaft unter zahlreicher Beteiligung der Einwohnerschaft statt. Pfarrer Grözinger hielt die Festrede, hierauf folgten Gesänge der Lehrer und Schüler. In der Kapsel, welche unter dem Grundstein eingesügt wurde, wurden neben der Stistungs- urkunde 1 Exemplar des „Staats-Anzeiger" und Nagolder „Gesellschafter" vom gestrigen Tag, sowie verschiedene Reichsmünzen und 1 Fläschchen mit Heidelbeergeist gelegt. Die am Bau beschäftigten Arbeiter wurden aus Kosten der Gemeinde bewirtet.
D e u t 1 k e 1 0 n. < Nachdruck verdaten.,
Die Falschmünzer.
Kriminal-Roman von Gustav Lössel.
(Fortsetzung.)
!). Kapitel.
Die Falschmünzer. »
Nachdem Riston seinen verhängnisvollen Wurf gethan hatte, eilte er mit solcher Hast weiter, daß die Anderen ihm kaum zu folgen vermochten. Er schien in Wahrheit auf den Wildenkrieg geübt, den er jetzt von der Prairie auf die Dächer übertragen hatte.
Zum Glück hatten sie nicht mehr weit zu klettern, bis Riston wieder den schützenden Bodenraum aufsuchte.
„Auch hier ist unseres Bleibens nicht", flüsterte er den Anderen zu. „Nur immer weiter!"
Nun ging es wieder treppab, dem nordischen Pfadfinder nach. Riston schlich kaum hörbar dahin, die Anderen polterten hinterdrein.
„Na, so müßten Sie auf dem Kriegspfad ziehen", sagte Jener mit heiserem Lachen. „Sie würden jetzt schon längst ohne Kopfhaut sein."
„Gott sei Dank, daß wir uns hier unter gesitteteren Gegnern befinden", entgeg- nete Duprat ebenso. „Aber wohin führen Sie uns denn eigentlich, Sie Halbwilder?"
„Sicher in sein eigenes Zelt", bemerkte Dryden.
„Sie haben's erraten, Baron", entgegnete Riston. „Aber kann man denn auch auf Ihre Verschwiegenheit rechnen?"
„Für meinen Freund hier bürge ich", sprach Dryden.
„Verschwiegen wie das Grab", bestätigte Duprat.
„Dann mir nach und keine Furcht gehegt!"
Diese wenigen Worte waren auf dem Flur des Hauses gewechselt worden. Von diesem betraten sie den Hof, auf welchen ein Keller mündete, der offenbar seit vielen
vielen Jahren nicht in Gebrauch gewesen. Die zertrümmerten Fenster waren mit Brettern vernagelt, die Thür verwittert und verbogen, das Schloß rostzersressen.
Dieses letztere öffnete Riston mit einem Nachschlüssel.
Er hieß seine Begleiter eintreten und verschloß dann die Thür wieder.
„Fallen Sie nicht. Hier führen mehrere Stufen hinab", sagte er. Diese waren von Stein.
„Haben Sie kein Licht, daß man etwas sehen kann?" fragte Duprat.
„Geduld! Geduld!" Rüston zündete eine kleine Blendlaterne an, welche er in seiner Brusttasche getragen.
„Ich wohne hier mietefrei," scherzte er, „und von Gras im Winter steht in meinem Kontrakte nichts."
Verwundert blickten die Anderen in der düsteren Höhle sich um; sie sahen nur die vier nackten Wände und keine Spur von Wohnlichkeit; nicht einmal eine Strohschütte war vorhanden. Zwischen den Steinfliesen des Bodens wuchs Gras hervor.
Riston weidete sich an ihrer Betroffenheit.
„Geht nichts über eine angenehme Häuslichkeit," sagte er. „Wie gefällt es Ihnen beim Vater Riston?"
„So gut, daß ich gleich wieder gehen möchte," erwiderte Duprat.
Riston lachte. „Sie sollen schon noch zu bleiben wünschen," sagte er. „Fürchten Sie sich vor Toten?"
Tie beiden Freunde blickten einander betroffen an.
„Tote?" riefen sie, wie aus einem Atem.
„Meine Palastwächter," scherzte Riston. „Sie sollen sie gleich vor Äugen haben."
Er schritt nach einer Ecke und hob eine schwere eiserne Platte mit erstaunlicher Leichtigkeit empor.
„Wir betreten jetzt ein unterirdisches Leichcnfeld," sagte er; „die Katakomben dieser Stadt."
„Hat sie denn solche" fragte Duprat erstaunt. Auch Dryden wußte nichts davon.
„Eine zufällige Entdeckung," erklärte Riston, „von der man da oben wohl noch nicht eimnal etwas wissen mag. Man munkelt von Katakomben, doch hat inan noch keinen bestimmten Begriff, wo und wie weit sie sich ausbreiten; auch die wenigen Zu-