Dankbar ist dies nicht nur von Friedrich Wilhelm, sondern auch von allen späteren Regenten Brandenburgs und Preußens anerkannt worden und die französische Kolonie im märkischen Lande ist daher kräftig weitcrgediehen, da sie den tolerantesten Schutz der Hohenzollern genoß. Dafür sind aber auch die französischen Hugenotten ebenso loyale und ihrem Herrscherhause treu ergebene Unterthanen geworden, als die Märker selbst und in allen Kriegen Preußens haben jene mit ihr Blut für das neue Vaterland verspritzt. Bei dem Festgottesdienst am 29. Oktober im französischen Dome zu Berlin erschienen denn u. a. auch der deutsche Kronprinz und seine Gemahlin und man darf dies als einen sichtbaren Ausdruck der Gunst und Teilnahme betrachten, welche das Kaiserhaus der französischen Kolonie fortgesetzt zuwendet.
Straßburg, 2. Nov. Der am Donnerstag abends stattfindende Lampionszug der deutschen Vereine zu Ehren des neuen Statthalters scheint ein überaus glänzender zu werden; 2000 Träger von Lampions, 10 Musikkorps, 300 Sänger rc. werden Mitwirken. Wie leider nicht zu bezweifeln ist, werden die alt- elsässischen Vereine sich an dem Festzuge nicht beteiligen, obgleich einige derselben auf den ersten Aufruf der deutschen Vereine zur Teilnahme sich bereit erklärt hatten. Es ist dies Benehmen der Altelsässer in einem Straßburger Bericht der Metzer Ztg. bereits sehr scharf getadelt worden, es sei diese demonstrative Zurückhaltung der Altstraßburger Vereine „wie auf Kommando von Autoritäten, die im Finstern ihr deutschfeindliches Wesen trieben, in Szene gesetzt." Die Studenten der hiesigen Universität werden am Freitag nachm, eine glänzende Auffahrt zu Ehren des Statthalters veranstalten und durch eine Abordnung denselben zu einem am abend stattfinden- den Festkommers einladen. Wie es heißt, wird diese studentische „Auffahrt" an Glanz und Pracht Alles übertreffen, was je von flotten Studenten in Szene gesetzt worden ist.
Oesterreich-Ungarn.
Wien, 4. Nov. Im Budgetausschuß der österreichischen Delegatton bezeichnte der Kriegsminister die deutsche Dienstsprache als in den Traditionen der Armee wurzelnd, und es sei notwendig, daß die Unteroffiziere die deutsche Sprache kennen. Er müsse der patriotischen Ueberzeugung Ausdruck geben, daß die Verhältnisse bezüglich der Erlernung der deutschen Sprache in den Schulen sich verschlimmerten und er spreche den Wunsch aus, daß die deutsche Sprache besser gepflegt werde.
Wien, 4. Nov. Maßgebenden Ortes wird angenommen, daß die Konferenz unverrichteter Sache auseinandergehen wird.
Frankreich.
Die Ex-Kaiferin Eugenie soll einen vertraulichen Gesandten abgeschickt haben, um den Papst betreffs ihres Verhaltens in den gegenwärtigen Verhältnissen Frankreichs zu Rate zu ziehen. Im Vatikan wird geglaubt, wie dem römischen Korrespondent des „Standard" von hoher Seite versichert wird, daß ein großer Teil der bonapartistischen Partei Anhänger des Grafen von Paris werden würden, wenn der Papst ein solches Verfahren gutheißen würde. Aber Leo XIII. soll über den Gegenstand sehr verblüfft und zweifelhaft sein. Das läßt sich glauben.
England.
London, 4. Nov. In einer großen liberalen Versammlung in Threwsbury trat Lord Granville der Behauptung, der Berliner Vertrag sei ein Werk Bismarck's, entgegen und fügte hinzu, es sei Bismarck gleichgiltig gewesen, ob Bulgarien getrennt werde oder nicht. Was der deutsche Reichskanzler anstrebte, war die Sicherung des europäischen Friedens. Spanien.
Am 30. Okt. soll laut „Kreuz-Ztg." eine neue Note von Madrid nach Berlin abgegangen sein, die in einem Ministerrate unter Vorsitz des Königs beraten wurde. Es sei darin gesagt: „Wenn die spanischen Schiffe es unterlassen haben, die Flagge auf Jap zu hissen, so habe das seinen Grund in der Ueberzeugung gehabt, daß es überflüssig gewesen sei, da ja jene Inseln längst spanisches Territorium seien. Der ganze politische Feldzug sei vollständig überflüssig gewesen."
Die Journale wurden von der Regierung aufgefordert, den Ton ihrer Artikel im Konflikt mit Deutschland zu mäßigen.
Rußland.
Petersburg, 5. Nov. Ein kaiserlicher Befehl streicht den Fürsten Alexander von Bulgarien in sämtlichen Listen der russischen Armee, worin er als Generallieutenant a 1a, suito geführt wurde.
Balkan Halbinsel.
Die „H. B. H." erfährt aus Rustschuk: Die hiesige bulgarische Judengemeinde rüstet 600 Husaren nebst Pferden aus.
Amerika.
Newyork, 31. Okt. Neueren Berichten über den Orkan an der Küste von Labrador zufolge sind über 70 Schiffe verunglückt und gegen 300 Menschen ertrunken. 250 gerettete Personen sind hier in trauriger Lag e ang ekommen. _
Handel L Uerkehr.
Stuttgart, 2. Nov. Wir notieren per 100 Kilogr.: Weizen, bayerischer 19 4L 25 4—19 4L 75 4, russischer Sax. 20 4L, Kernen, bayerischer 19 25 4 , Gerste , bayerische
17 4L 60 4, la. Nördlinger 18 4, württembergische 17 4L 40 4, Haber 12 4L 50 4—14 4L, Dnrchschnittsmehlpreise pr. 100 Kilogr. incl. Sack pro November 1885. Mehl Nr. 1 28-29 4L, Nr. 2 26—26 4L 50 4, Nr. 3 24—25 4L, Nr. 4 20 4L 50 4—21 4L 50 4, Suppengrics 30—31 4!, Kleie mit Sack 8 4L 50 4 per 100 Kilo je nach Qualität.
Die Liebüngskinder- Nachdruck
Novelle von M. Gerbrand t. verboten.
(Fortsetzung.)
Arthur blickte ihn etwas verwundert an.
„Alexander," sagte er dann warm, „ich habe Sie immer für einen guten Menschen gehalten. Ich habe nie daran geglaubt, daß Sie es mit Ihrer männlichen Würde vereinbart halten könnten, ein armes, nur allzu schüchternes Mädchenherz durch die Sprache der Liebe zu berauschen, wenn diese Sprache nicht Ihr Ernst war. — Wie gesagt, ich habe nie daran geglaubt, und wäre ich damals hier gewesen, gewiß man sollte sich diese Auslegung ihres Benehmens nicht erlaubt habe». — Auch Valerie hat es so nicht aufgesaßt; dennoch genügt der Einfluß — nun ich bin ja längst wegen meiner brüsken Offenheit verrufen! — der Einfluß ihrer Angehörigen, Valerie einen Augenblick wankend, verwirrt zu machen, und dieser Augenblick wurde benutzt, ihr eine halbe Entscheidung abzuringen — aber mein Gott, Sie sind so bleich!"
„O nicht doch, nicht doch! — Fahren Sie nur fort!" — Alexander war aufgesprungen und ging hastig im Zimmer auf und ab.
„Eine halbe Entscheidung," sprach er dabei bitter, die mir als vollgiltiger, unabänderlicher Entschluß dargestellt, mich rasend machte, daß ich Narr nichts Eiligeres zu thun hatte, als ohne Abschied die Stadt zu verlassen. — O sehr gut, sehr gut! -Sie wollten noch etwas sagen?"
Arthur hatte sich gleichfalls erhoben und blickte ihn mit schmerzlichem Erstaunen an.
„Allerdings das noch, daß Valerie als einziges Rettungsmittel versuchte, mir einen Brief zuzustellen," fuhr Arthur nach einer Pause fort; „einen Brief, der mich auf der Stelle herbeigerufen hätte, wenn — ja, wenn er je in meine Hände gelangt wäre."
„O! — Sie übergab — verzeihen Sie, jetzt werde ich konfus! — Sie gab den Brief wohl einem nahen Angehörigen zur Bestellung?"
„Nein, sondern einem Buchhalter Papas, der jetzt bereits unser Haus verlassen hat, so daß man ihn noch nicht einmal zur Rechenschaft ziehen kann."
„Hm. Ich danke Ihnen!"
Starkow hatte seinen Ueberrock angelegt und trat jetzt wieder zu Arthur.
,,Noch eins! Neuigkeit gegen Neuigkeit! Ich habe mich soeben mit Ihrer jüngsten Schwester, Fräulein Leonie verlobt und unsere Vermählung ist auf einen Zeitpunkt nach drei Wochen festgesetzt."
„Also doch!" rief Arthur verwirrt. „Mein Gott, und ich —"
„Also doch, ja!" wiederholte Starkow mit seltsamer Betonung und Arthur sah ihn an mit einem langen, vielsagenden Blick.
„Was nun? fragen Sie? — Ich werde gleich nach der Hochzeit sehen, ob der Hof nicht im Auslande Verwendung für mich hat. — Und somit Gott befohlen! — Wir sind Freunde, Arthur, für immer, nicht wahr?"
Arthur drückte Starkows Hand. — Dann traten sie hinaus in den nun dicht niederströmenden Regen und gingen jeder seinen eigenen Weg.
7. K a p i t e l.
Ein kurzer Februartag neigte sich seinem Ende zu. Valerie saß am Fenster ihres Zimmers und blickte den eleganten Schlitten nach, die in schneller ^Reihenfolge vorüberfuhren. In der nächsten Straße lag das Haus eines ausländischen Gesandten, wo heute Abend eine glänzende Soiree stattfand. Valerie wollte nur das Gefährt abwarten, das ihre Schwester Leonie, die junge Frau von Starkow, vorüberbringen mußte, die sie sonst so selten sah.
Ihr Gatte hatte Leonie vor seiner Abreise, die ihn in vertrauter Sendung des Hofes ins Ausland geführt, den vornehmsten Familien seiner Bekanntschaft vorgestellt. Wer Glück hat, hat eben immer Glück! Leonie von Starkow war trotz mancher spitzen Zunge der Liebling der adeligen Gesellschaft geworden, wie sie früher der Liebling der bürgerlichen gewesen war. Besonders hatte die Gräfin Czernikau, eine wegen ihrer Eleganz, aber auch wegen der Freiheit ihrer Sitten viel genannte Dame Leonie in ihren Schutz genommen, und man sah Leonie fast überall an der Gräfin Seite.
Jetzt hörte man Schellenklingel, Peitschenknall — ein Schlitten schöner als die vorigen, sauste vorüber. Valerie lehnte sich lächelnd in ihren Stuhl zurück. Der flüchtige Moment hatte kaum der langen Mühe des Wartens gelohnt. Aber sie hatte doch in diesem flüchtigen Moment Leonie gesehen, das heißt ihr rotes Sammetbarett mit der lang wallenden Feder und ein Stückchen ihres blühenden Gesichts, welches sie im lebhaften Gespräch der Gräfin zugewandt hatte. Daß sie am Hause ihrer Schwester vorüberfuhr, hatte Valerie wohl nicht bebemerkt. Ebenso wenig der junge Offizier, der in glänzender Uniform den Damen gegenüber gesessen und wahrscheinlich dem Rufe, den Alphons Wolter als galanter Gefellschaster immer besesfen, mit zu großem Eifer entsprochen hatte.
Valerie erhob sich, ohne Groll, ohne Neid. Sie sah sich in dem Wohnzimmer um, dessen einfache Ausstattung wahrlich nicht auf den Reichtum seines Besitzers hätte schließen lassen — auch ohne Groll und Unzufriedenheit. Sie hatte so viel Prüfungen bestanden, daß sie nach den kleinen Vorzügen des Lebens wenig fragte. Von ihrem Gatten despotisch beherrscht wie einst von ihren Eltern, in enge Schranken gebannt wie noch immer in ihrem Leben, war ihr nicht einmal jene stürmische Sehnsucht, Freiheit und heiteren Lebensgenuß geblieben, die sie in ihren Mädchenjahren oft verzweifelnd an diesen Schranken hatte rütteln lassen.
Bergen hatte ihr gemeldet, daß er heute zum Abendeffen einen Verwandten mitbringen werde. Sie ließ die Lichter anzünden, setzte sich mit einer Handarbeit an den Tisch und erwartete ruhig die Ankunft ihres Gatten. Er kam pünktlich wie immer genau zur bestimmten Zeit und führte ebenfalls pünktlich, den versprochenen Gast ein.
Valerie stand, als er ihr gcgenübergestellt wurde, einen Moment völlig fassungslos da: Dieser Gast war Richard Hausmann, der ehemalige Buchhalter ihres Vaters, der Neffe ihres Gatten.
Hausmann schien ihr noch größer und schmäler als früher, sein Blick noch schärfer und kälter.
Wie ein starrer Reif legte es sich um ihr Herz, als Bergen ihr erklärte, sein Neffe werde die Leitung der Geschäfte, die er bisher in der Ferne für ihn geführt, jetzt hier übernehmen, also voraussichtlich im Hause bleiben, wie es bei seiner, Ber- gens schwankender Gesundheit ja leider notwendig geworden.
Valerie hatte wenig Gelegenheit, die Betrachtung , die sie gegen Hausmann empfand, an den Tag zu legen. Bergen schien noch bisher keine Zeit gefunden zu haben, seinen Neffen über die geschäftlichen Verhältnisse zu orientieren, und den Augenblick des Beisammenseins mit seiner Gattin für den geeignetsten dazu zu halten. Hausmann hörte ihm, auf die lange, schmale Hand gestützt, aufmerksam zu, und nur zuweilen warf er unter dieser Hand hinweg einen seiner nachdenklich forschenden Blicke auf Valerie.
(Fortsetzung folgt).
(Hiezn eine Beilage
Naturheilmethode des William Becker in Berlin betreffend.)
Verantwortlicher Redakteur Steinwandelin Nagold. — Druck und Verlag der G. W. Z » ise r'schen Buchhandlung in Nagold.