61. Jahrgang.

Mo. 54.

Amts- unä IntekkigenMatt für äen KezieA.

Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.

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Dienstag, äen N. Mai 1886.

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! ganz Württemberg 2 70 H.

H'okitische Wcrctzvictzien.

Teutsches Reich.

Der Friede zwischen Berlin und Nom ist vorläufig so gut wie abgeschlossen. Der Keim zu der Friedenseiche, die nach den Worten des Fürsten Bismarck aus den Trümmern der Maigesetze entstehen soll, ist nach den ersten Beratungen des Kirchenvorlage im Abgeordnetenhaus«, als gelegt zu betrachten. Eine Eiche ist ein zäher, langlebiger Baum, der Hunderte von Jahren wohl gedeiht; so hoffentlich auch dieser Friede. Fürst Bismarck, der in der Person des jetzigen Papstes eine Hruptgarantie für das Zu­standekommen und die Erhaltung des abgeschlossenen Friedenswerkes sieht, gibt dadurch dem Gedanken Raum, daß ein neuer Kulturkampf entbrennen könne, doch fügt er hinzu, daß er bann nicht dabei sein werde. Das preu­ßische Abgeordnetenhaus hat den Antrag, die bezügliche Vorlage sei an eine Kommission zur Vorberatung zu weisen, abgelehnt. Nur die Nationalliberalen und einige Deutschsreisinnige stimmten für denselben. Die Würfel sind gefallen! Was mag den gewaltigen Staatsmann bewogen haben, das Schwert in die Scheide zu stecken? Sind es die dunkeln Punkte, welche nach seinen Andeu-. tungen am Horizont der auswärtigen Politik aufgestiegen? Sind es parti- kularische Bestrebungen im Reiche, die an dessen Einigkeit zu rütteln drohen, oder ist es das rote Gespenst, welches das Zusammengehen von Thron und Altar wieder wünschenswert macht? Ist «s vielleicht der Wunsch des greisen Kaisers, baß er auch von den Päpstlichen in Frieden scheiden könne, da der Kanzler in seiner Rede betonre; er" fvThe dem'GsdankeN seines Monarchen? Oder will Bismarck von dem preußischen Herrenhause und Abgcordneterhause in den deutschen Reichstag hinüberspielen, um in diesem sich eine Mehrheit zu schaffen für seine wirtschaftlichen Pläne, seine Zoll-, Steuer- und Monopol- polilik? Letzteres mag vorzugsweise zutreffen, obwohl nicht anzunehmen ist, daß das Zentrum, welches durch den Kulturkampf stark geworden, seine Oppo­sition aufgebe und vom Kampfplatze zurücktrete. Gelegenheit zum Kampfe wird sich bald finden, denn die Regierung hat dein Papste, um die Konzession der Anzeigepflicht seitens der Kurie zu erhalten, eine weitere Revision der Maigesetze versprochen, ja letztere ist zur Voraussetzung der elfteren gemacht worden. Wenn dem auch so sei, der deutsche Kaiser und der Papst haben in gegenseitigen Handschreiben und Geschenken ihre Freundschaft kundgethan, Bismarck hatte seine politischen Gründe, wenn erzu Nutz und Frommen" des deutschen Reiches mit dem Vatikan Frieden geschloffen. Hoffentlich zum Wohl und Frommen des gesamten Volkes für dauernd.

Ueber dos Auftreten des Reichskanzlers in der Sitzung >

des preußischen Abgeordnetenhauses am Dienstag sagt ein Berichterstatter in der Vossischen Zeitung:Fürst Bismarck hat im Parlament selten eine so gute Laune zur Schau getragen, als am ersten Tag der Beratung über die tirchenpolitische Vorlage. Mit dem heitersten Gesicht betrat er den Sitzungs­saal, in seinen sehr lebhaft geführten Privalgesprächen lochte er viel und eben so stimmte er vielfach in jovialster Weise in die Heiterkeitsautzbrüche des Hauses ein. Ec lochte auch, als der Abg. Ser> fsardt in Goethe-Citaten seinem Mißtrauen gegen die Politik der römischen Kurie Luft machte, als der Redner dann aber mit den Worten aus demTasso" schloß:Wcr fänd' im Vatikan nicht seinen Meister?" war die lachende Miene blitzschnell verschwunden und die Brauen zogen sich ärgerlich zusammen. Von Herzen schienen ihm die Zeichen der Heiterkeit nicht zu kommen, am wenigsten die lachende Ironie, welche er der Richter'schen Rede entgegenzusetzen suchte. Er suchte sich vor Lachen fast ausschütten zu wollen, indessen bedurfte es keines besonderen Scharfsinns, um zu erkennen, daß der Reichskanzler innerlich durch diese schonungslose Aufdeckung der Situation, in welche seine Kirchenpolitik den preußischen Staat geführt hat, leidenschaftlich erregt war." Uebrigens hätte der Herr Berichterstatter noch hinzusügen können, was der Reichskanzler auf jenes Citat im Tasso geantwortet hat. Er sagte: Wohl möglich, daß auch i ch meinen Meister im Vatikan finde, ich strebe auch gar nicht, mit dem Vatikan an Klugheit oder an Schlauheit zu wetteifern. Mein Ziel ist nur, auf einem Gebiet meinen Meister nicht zu finden, auf dem der Fürsorge für das Wohl meines eigenen Vaterlandes.

Amerika.

Die von Arbeiter-Unruhen der gefährlichsten Art heimgesuchte Stadt Chicago hat Atzt etwa 700M0 Einwohner. Die Deuffchen dürften sich auf 150,000 Seelen annehmm lassen. Zu den Deutschen gesellen sich als eingewanderte Elemente in Chicago in großer Zahl Böhmen, dann Polen, Skandinavier und in geringerer Zahl Franzosen und Italiener. Nach der Nat.-Ztg." arbeitet an dem sozialdemokratischen Blatt m Chicago der aus Berlin nach Amerika ausaewanderte Agitator Paul Grottgau. Chicago ist der Herd aller großen Arbeiterbewegungen, weil die Fabriktätigkeit daselbst eine ungemein entwickelte ist. Auf der Südseite und Westseite reihen sich meilenweit Fabriken an Fabriken. Die Holzindustrie mit ihren Sägemühlen ist eine gewaltige, ebenso die Eisenindustrie. Aus diesem Grunde gehört die überwiegende Mehrheit der Bewohner auch dem Fabrikarbeiterstande an. Daß dieser in der durch den Telegraphen gemeldete» gewalttätigen ungesetzlichen Weise gegen die Ordnung und gegen die Polizeibehörde sich auflehnt, ist über­raschend : mnn wird, ehe man sich ein Urteil über diese beklagenswerten Vor­

Die Falschmünzer.

Kriminal-Romcm von Gustav Lössel.

(Fortsetzung.)

Ich sagte ihm so etwas in meiner Verzweiflung. Aber nun hättest Du ihn erst sehen sollen!

Er lachte wild und höhnisch."

Wahnsinnig soll ich sein!" rief er,wahnsinnig! Ja, ja, das sieht Euch ähnlich; es ist das Letzte, worauf Ihr Euch berufen könnt, um meine Anklage niederzuschlagen, um meine Beweise zu entkräftigen. Freilich, fast grenzt es an Wahnsinn, wenn plötzlich Jemand gegen einen allgemein geach­teten Mann sich erhebt und ihn des schwersten, furchtbarsten Verbrechens beschuldigt, welches Menschen begehen können, gegen einen Mann, dessen Ruf als Geschäfts- und Privatmann so zu sagen über der Verleugnung steht, und zu dem bisher Jeder mit dem allergrößten Vertrauen emporblickte. Es grenzt an Wahnsinn, sage ich, und ich wußte gleich' anfangs, daß Sie sich diese sehr beliebte Ausrede nicht würden entgehen lassen. Man hat schon aus dem gleichen Anlaß Menschen ins Irrenhaus gesteckt, in dem sie dann für immer verschwanden. Das könnte man auch hier, meinen Sie, weil ich nur beschuldigen könne, ohne etwas zu beweisen. Aber Sie irren. Ich habe ein furchtbares Beweismittel gegen Sie in Händen: hier diesen Brief meines Vaters. Es ist der letzte, den ich von ihm empfing."

Er wies mir einen Brief, nach dem ich unwillkürlich gierig griff, natür­lich nur mit einer Absicht, mich von der Wahrheit seiner Beweise zu über­führen.

Er mißverstand meine Bewegung und barg den Brief rasch noch ein­mal an seiner Brust.

Auf diesen Griff war ich vorbereitet", sagte er;aber so leicht ent­reißt man mir nicht einzige Waffe gegen Ihre Uebermacht von Ansehen und

gutem Ruf. Sie sollen wissen, was ec enthält, aber aus meinem Munde. Mein braver, alter Vater giebt mir darin mit Bedauern kund, daß er ge­gründete Ursache habe, zu glauben, der hochangesehene Kommerzienrat Etwold sei nicht der Mann, für den er sich ausgebe, ein Eiender, welcher seine ganze stolze Existenz einem Verbrechen verdanke."

Hier erlitt Klara's Erzählung eine sehr unerwartete Unterbrechung.

Die Phantasien eines Wahnsinnigen, als welche sie die Verdächtigungen des jungen Försters charaklerisirle, Hallen auf ihren Vater einen solchen Em- druck gemacht, daß er bei dem WortVerbrechen" seine sich stetig steigernde Erregtheit nicht mehr zu bemeistern vermochte. Er sprang auf die Füße. In seinem emsetzensbleichen Antlitz malle sich etwas, das selbst dem Ausdruck stieren Wahnsinns glich.

Mit einem halb erstickten Aufschrei sprang auch Klara empor. So hatte sie ihre Erzählung nicht bewegt, wie jetzt der Anblick ihres unglück­lichen Vaters.

Ein Verbrechen ich", stammelte Etwold,dieser Elende ah!"

Eine plötzliche Schwäche ließ ihn verstummen. Er sank mit dumpfem Stöhnen und am ganzen Körper zitternd auf seinen Stuhl zurück.

Klara warf sich vor ihm auf die Knie nieder und umschlang ihn liebe­voll mit ihren Armen.

Mein Vater!" rief sie.O, mein guter, lieber Vater! Komme zu Dir! Sieh mich an o, sprich mit mir ein Wort nur-ich be­

schwöre Dich! Ein Wort Vater! Zu Hülfe!"

Ihre flehend bewegte Stimme erhob sich zum Schrei; sie wollte sich losreißen, forteilen, um Hülfe zu holen.

Aber da belebten sich die starren Züge wieder; das zum Herzen zurück­gewichene Blut durchströmte glühend die erstorbenen Glieder; der bedrohende Schlaganfall war abgewendel.

Etwold rang nach Athem, und die Angst, die sich dabei in seinen Zü­gen ausdrückte, ließ Klara erkennen, daß sie keine Hülfe wünsche, als die, welche sie ihm gewähren könnte.