läßt sich dieses Nichtwiedersehenwollen schwer anf- rechterhaltrn, und darum wird die Conferenz mittelbar und unmittelbar dazu beitragen, die Freude an unserem nationalen Können zu mehren, nicht minder aber den Stolz auf den, der dieses „Können" eigentlicher Urheber ist!
Aber selbst dem Böswilligsten muß Angesichts dessen, daß heutzutage Deutschland es ist, auf dessen Ruf die Mächtigen dieser Erde zusammentreten, um gemeinsam friedliche Aufgaben zu lösen, wie sie an derselben Stelle vor 7 Jahren kriegerische Wirren gelöst haben, es klar werden, welch ungeheure Wandlung sich vollzogen, wenn er das „Einst" mit dem „Jetzt" vergleicht.
Es soll hierbei gar nicht zurückgegangen werden bis auf die Zeiten schmachvoller Schwäche, zu denen wie in Münster, Ryswick, Utrecht, Rastatt rc. die fremden Mächte zusammen kamen, mm auf Kosten Deutschlands die Beute zu verteilen. Es soll nur an den Wiener Congreß. an die Londoner Conferenz wegen Schleswig und Holstein, an die Pariser Conferenz wegen des Orients erinnert werden, bei welcher von einem deutschen Einfluß, von deutschen Interessen auch nicht die geringste Spur zu vermerken war. Die Großmacht Oesterreich perhorrescirte damals wie jetzt den deutschen Gedanken und die Großmacht Preußen in ihrer Gebundenheit war gezwungen , nach anderer Mächte Pfeife zu tanzen. ES gab zwar einen deutschen Bund, aber die patriotische Scham verbietet es, auch nur an die Ohnmacht und an die Erniedrigungen zu erinnern, welche als das Erbteil dieser politischen Vertretung Gesamtdeutschlands bei allen diplomatischen Actionen seitens des Auslandes angesehen wurden. Nach rechts und nach links, nach Frankreich, Rußland und England mußte erst herumgefragt und herumgchorcht werden, ob sie dem deutschen Staatenbund gestalten wollten, zu exi- stiren. Bor 20 Jahren hätte Jemand von einer deutschen Colonialpolitik, von einer Cougoconferenz in Berlin reden sollen! Der Aermste würde einfach als sonderbarer Schwärmer ausgelacht worden sein. Selbst noch nach 1866 wäre es undenkbar gewesen, daß die Großmächte — namentlich England und Frankreich — sich zu Arrangements bequemt hätten, die unter Deutschlands Vermittelung über fremde Gebietsteile getroffen werden sollten! England und Frankreich würden es recht komisch gefunden haben, daß Deutschland gleiche Rechte mit ihnen in Afrika beanspruchte. Die außereuropäische Welt gehörte bis vor Kurzem — Amerika ausgenommen— so ziemlich den beiden Westmächtcn; heutzutage kann nicht der kleinste streitige Streifen Landes in Afrika. Asien oder Australien vergeben werden, ohne daß Deutschland mitzureden hätte. Heutzutage kann in Europa kein Kanonenschuß — in kriegerischem Sinn —abgefeuert werden, ohne daß Deutschlands Stimme gehört worden sei, und ebenso kann heutzutage kein Staat die friedlichen Interessen Deutschlands verletzen, ohne sich schweren Gefahren auSzusctzen.
Die Errungenschaften basiren außer auf der Wucht der deutschen Waffen, auf dem machtvollen Ansehen unseres Vaterlandes bei allen Völkern der Erde. Es beruht nicht zuletzt auch auf dem gewaltigen Ansehen, das der deutsche Reichskanzler der Leitung der deutschen Politik zu verschaffen und zu erhalten gewußt hat. Dieses Ansehen nach Außen wiegt mehr, als die nörgelnde Kritik eigener Volksgenossen, und letztere können den geringen Werl und die absolute Unverständlichkeit ihrer Feindschaft beim Auslande am besten erkennen, wenn sie beobachten wollten, wie außerhalb Deutschlands man sich wohl der überlegenen Staatskunst des Fürsten Bismarck beugt, aber über seine Gegner zur einfachen Tagesordnung übergeht. Dieses Ansehen der deutschen Staatskunst ist nicht minder auch ein sicherer Hort deS Friedens und auch unter diesem Gesichtspunkte begrüßen wir diesen neuesten Triumph der deutschen Staatskunst — die afrikanische Conferenz mir freudigen Hoffnungen und mit nationalem Stolze!
Ein Vorschlag zur Förderung derHli- tischen Mündigkeit der Wähler.
Das allgemeine direkte geheime Wahlrecht ist das wichtigste politische Recht deS deutschen Volks. Indem die Reichsregierung dasselbe freiwillig ein- ränmte, appellierte sie gewissermaßen an den gesunden Sinn des Volks und traute ihm zu, daß es für politische Fragen ein Verständnis und für des Reiches Wohlfahrt ein Herz habe. Wie nun aber die Wahlen zeigen, ist politische Mündigkeit noch keineswegs
Gemeingut des ganzen deutschen Volks. Viele machen von ihrem Wahlrecht gar keinen Gebrauch und erklären sich damit für politische Nullen; andere haben so wenig eigenes Urteil, daß sie ohne Bedenken dem Agitator zusallen, der ihnen goldene Berge verspricht, wenn er auch in Wirklichkeit kein Jota zu halten vermag, sondern unter volksfrcundlicher Maske die verderblichsten Ziele anstrebt. Dabei zeigt sich von einer Wahlperiode zur andern im allgemeinen wenig Fortschritt, was seinen Grund darin haben dürfte, daß die Mehrzahl der Wähler nach vollzogener Wahl sich um politische Fragen gar nicht mehr kümmert oder in ihrer politischen Lektüre auf die dürftigen und einseitigen Berichte gewisser „Volksblütter" angewiesen ist. aus denen sie sich mit dem besten Willen kein richtiges Urteil bilden kann. Es ist aber absolute Notwendigkeit, daß jeder Wähler auch die Reichs- tagsverhandlungen in ihren Hauptfragen genau kennen lerne, denn dann erst kann er Stellung nehmen zu den Bestrebungen der Reichsregiecung und der Parteien. Um sich nun gegenseitig in politischer Erkenntnis fortzubilden und auch andern in der Hinsicht förderlich zu sein, haben sich mehrere hiesige Bürger vereinigt, um in öffentlichen Lokalen wichtige Fragen, die den Reichstag beschäftigen, zu erörtern. ES wird dabei jedesmal im Anschluß an einen Vortrag eine Debatte eröffnet werden, die jedem Teilnehmer Gelegenheit zu freier Meinungsäußerung geben wird. Zur Erzielung einer möglichsten Vielseitigkeit ergeht nun an alle hiesigen Bürger ohne Ausnahme die freundliche Bitte, diese Zusammenkünfte recht zahlreich besuchen und für diesen Zweck die jeweiligen Einladungen im Inseratenteil gefälligst berücksichtigen zu wollen.
Tages-Neuigkeiten.
Deutsches Reich.
Nagold. Allenthalben im Lande wurden die Ehrentage der Württemberger bei Billiers und Champigny von den Kriegcrvereinen in erhebender Weise gefeiert, so auch chier, worüber wir in nächster Nummer näher berichten werden.
Stuttgart, 29. Nov. In der Kammer der Standesherren haben die Kommissionsberatungen über den Feuerwehrgesetzesentwurs begönne«.
Stuttgart, 28. Nov. (63. Sitzung der Kammer der Abgeordneten.) Forlsctzung der Generaldebatte des Gemeinde- angehörigkeitsgesctzes. Frtzr. v. Varudüler erklärt, daß auch er auf die Berathung des Gesetzes cüigehen werde, jedoch habe er so viele Bedenken und Einwendungen gegen einzelne Teile desselben, daß er sich Vorbehalte, eventuell gegen das ganze Gesetz zu stimmen, wenn hierin nicht erhebliche Aendernngen ein- trekcn. Nach einem allgemeinen historischen Rückblick auf die Entwickelung der Bürgcrrechlsverhnltnisse in unserem Lande, anknüpfend, an welche er die Warnung ausspricht, man möchte sich hüten, eine neue Städte-Ordnung herbeizuführen, da wir alle Ursache hätten, mit unfern Verhältnissen zufrieden zu sein (faktisch habe heutzutage das letzte Schwarzwalddors mehr Freiheiten und Rechte, als die Hauptstadt deS deutschen Reiches), legt er sein Hauplbedenken gegen den Gesetzentwurf im Einzelnen dar. Hiezu gehört u. a. die Bestimmung, das; die unehelichen Kinder von der Erwerbung des Bürgerrechts ausgeschlossen sein sollen. Götz glaubt zunächst, das; im Gegensatz zu Varnbüler's Anschauung eine neue Slädte- und Gcmeinde- ordnung sehr dringend nötig sei, namentlich mit Rücksicht auf Stuttgart. Für die nächste Zeit dürfe eine wesentliche Aender- ung absolut nicht erwartet werden, umsoweniger, als die gegenwärtigen sozialen Reichsgcsetze (Krankenkasse-, Unfallvcrsichcr- nngs rc. -Gesetze) nach Kräfien die wunden Stellen zu heilen suchen, aus welche das Unlerst.-Wvhnsitzgcsetz so hart gedrückt habe. v. Lutz sür den Negierungscnlwurf; er sei die Vorbedingung für jede Reform: jetzt könne erst die Bildung der Gem.-Kollegien fcstgestellt werden. Das Untcrst.Wobnsitzgesetz werde nicht sobald revidirt werden. Deshalb könne man mit der Revision des Bürgerrechts nicht warten. Die Ausweisungen werden manchmal mit großer Härte behandelt. Existenzen werden vernichtet, Ehen gelrcnnt aus nichtigen Vorwänden; deshalb müsse mit dem Entwurf vorgcgangcn werden, v. Schlicrholz willebenfalls in die Beratung eintrcten, obwohl er den Ausschluß der Frauen und unehelichen Kinder bedauert und auch sonst im Einzelnen noch manche Abänderung für notwendig hält. Ebner: Er sei sür die Beratung des Entwurfs insbesondere aus dem Grund, weil der Entw. die erste Stufe sei, ans welcher weiter gebaut werden könne. Die Wirkungen des Unt.W.Ges. sollten durch die LandeSgesezg. zu mildern versucht werden. Wir baden zuviele Landarmenverbände, daher der unaufhörliche Schub und die zabllosen Prozesse. Statt 64 sollten wir nur l Landarmenvcrband haben; dann wäre dem Hebel großenteils abgcholfen. — Es sprechen noch die Berichterstatter Beutter und Minister v. Holder, worauf mit großer Majorität beschlossen wird, am Montag in die Beratung des Gesetzes einzutretc».
Am 30. überreichte eine Deputation der 26. Division ihrem früheren Kommandeur, Generallieu- tcnanl v. Knörzer, Exzellenz, einen prachtvollen Eh- rcnsäbel mit Adresse. Der Tag ist ein Ehrentag des Generals: vor 14 Jahren wurde er an der Spitze seines Bataillons, des damaligen 2. Jägcrbataillons
schwer verwundet, als dasselbe dockt Feind bei Champigny so brav entgegentrat. '
Aus dem Oderamt S u lz.i Nachdem in West- phalen, Rheinprovinz, Altbayern, Franken, Posen u. A. schon längst blühende Bauernvereine bestehen, hat sich auch in unserem Württemberg unter dem Namen „Schwarzwälder Bauernverein" ein solcher gebildet, der besonders über die Oberämter Sulz und Oberndorf sich verbreitet und in sietem Wachsen sich befindet. Das Programm desselben enthält im allgemeinen die Forderungen der übrigen deutschen Bauernvereine. Speziell seien unter seinen Zielen folgende Punkte genannt: Gleich hohe Besteuerung des inländischen und des ausländischen Getreides, d. h. Zollerhöhung auf ausländische Früchte, jedoch um den beliebten Besorgnissen und Anklagen wegen höherer Besteuerung und Verteuerung der nötigsten Lebensmittel zu begegnen, so daß der Ertrag dieser Zollerhöhung aus Verminderung unserer Grundsteuer verwendet werde. — Ferner: annähernd gleich hohe Besteuerung der Umsätze im beweglichen, wie im unbeweglichen Vermögen bei unserer jetzigen Gütcraccise, d. h. prozentuale Börsenstencr mit mindestens 1 von 1000 Umsatz; weiter: umfassende Ersparnisse am Justizetat, (der jetzt für Deutschland unter dem nachteiligen Einflüsse unserer allzu freisinnigen Reichstagsjuristen auf über 130 Millionen angeschwvllen ist. während er z. B. in Frankreich nur 28, in Oesterreich nur ca. 50 Millionen beträgt); Abschaffung des Advokatenzwangs, überhaupt keine Prozeßgesetzgebung mehr, sondern Nechtsfrieden, thnnlichst: Reduktion der Eide u. s. w.
Dem „Hohenstaufen" zufolge wäre auch gegen die Rcichstagswahl im 10. Wahlkreis (Frhr. v. Wöll- warth) Protest beim Reichstag eingelegt worden.
Brand fülle: In Weil im Dorf am 1. Dez. eine Scheuer und ein Wohnhaus.
Hannover, 28. Nov. .(Arbeitcrkolonie.) Die zur Aufnahme von 150 Personen eingerichtete hannoversche Arbeiterkolvnie in Kastors ist jetzt vollständig besetzt. Der Andrang von Arbeitslosen ist ausserordentlich groß; denn vom 1. bis 22, Novbr. meldeten sich zur Aufnahme 119, von denen nur 79 ausgenommen werden konnten, während 40 Personen, welche nicht aus hiesiger Provinz oder ans dem Herzogtum Braunschweig gebürtig waren, abgewiesen werden mußten.
Berlin, 29. Nov. Die Budget-Kommission des Reichstags nahm den Antrag des Frhrn. v. Franckenstein an, von der Position von 150000 „16. für die ans Erschließung Centralafrika's gerichteten wissenschaftlichen Bestrebungen 50 000 „16 zu streichen. Staatssekretär v. Bötticher, sowie die Abg. v. Bansen und v. Benda waren lebhaft für dea geforderten Betrag eingetreten. Die für die Stelle eines zweiten Direktors im Auswärtigen Amte etalisierte Position wurde gleichfalls abgelehnt. Die Position des Reichstagsetats für die Freifahrtkalten (48 000 „16) wurde nach längerer Debatte genehmigt.
Berlin, 1. Dez. In den Bundcsratsaus- schüssen wurde das Postiparkassengesetz nach den Vorschlägen Württembergs gegen die Stimmen Sachsens und Mecklenburgs angenommen. Bei der Gesammt- abstimmung enthielten sich Bayern und Württemberg der Stimmabgabe. Ebenso nahmen die Ausschüsse die Ausdehnung des Krankenkassen- und des llnfall- gesetzes auf das Trantzportgewerbe, mit zahlreichen Abänderungen, an.
Berlin, 1. Dez. Die Beratung der Dam- pfersubvcntionsvorlage wird durch eine Rede Ste- phan's eingelciret. Die Tribünen sind dicht besetzt, die Plätze im Hause nur mäßig. Die Parteien werden alle durch ihre Redner ihre Stellung zur Colonialpolitik declaricren. Namens der Natiouallibe- ralen wird Marquardsen sprechen. Die Absetzung der 50 000 M. Mehrforderung für die Erforschung Afrikas, sowie der 20 000 M. für einen zweiten Di- rector des Auswärtigen Amts durch die Budgetcommission erregt großes Aufsehen. Auch Conscrvative sollen dagegen gestimmt haben, die Nativnalliberalen stimmten geschlossen dafür.
B erlin, 2. Dezbr. Die Afrikakonfercnz nahm gestern die Kommissionsvorschiüge an, wornach der Handel aller Nationen im Congobecken, in der Küstenzone und ostwärts bis zum indischen Ozean frei ist und alle Flaggen freien Zugang zu den genannten Gebieten haben. Ferner sind die Einfuhrwaren zollfrei. Die Konferenz beauftragte ferner Deutschland mit ver Herausgabe des amtlichen Berichts