Gesellschafter.

Amts- und Intelligenz-Blatt für den Oberamts-Bezirk Nagold.

73.

Erscheint wöchentlich 3mal: Dienstag, Donnerstag und Samstag, und kostet vierteljährlich hier (ohne Trägerlohn) 80 4, in dem Bezirk 1 4,

außerhalb des Bezirks 1 20 4. Monats-

abonncment nach Verhältnis

Dienstag -en 24. Juni.

Jnsertionsgebühr für die Ispaltigc Zeile aus ge­wöhnlicher Sckrift bei einmaliger Einrückung 9 4, bei mehrmaliger je « 4. Die Inserate müssen spätestens morgens 8 Uhr am Tage vor der Herausgabe des Blattes der Druckerei aufgegebcn sein.

1884.

Die Wirkungen der Trunksucht.

Abonnements-Einladung.

Mit dem 1. Juli beginnt wieder ein neues Semester- bezw. Quartal-Abonnement auf den

>M-Gesellschafter",

weßhalb wir alle Abonnenten (ausgenommen die von Nagold) freundlichst ersuchen, ihre Bestellungen bei der nüchstgelcgenen Poststelle oder bei den betreffen­den Postboten zu erneuern.

In Betreff der Pränumerationsgebühr siche oben am Kopf des Blattes.

Die Wedcrktiorr L Expedition.

Am tlich es.

Nagold.

Aushebungsgcschäft pro 1884.

Die Militär-Aushebung seitens der K. Ober- Ersatzkommission findet Heuer:

i) am Frertag-r» 11.Juli 1884, vorm. 7 Uhr, der als dauernd untauglich und der zur Er­satz-Reserve II. Klasse in Vorschlag gebrachten Mannschaft und

2 am Samstag den 12. Juli 1884, vor

mittags 7 Uhr, der zur Ersatz-Reserve I. Klasse sowie der als tauglich und aushebunqsfühig be- zeichnctcn Mannschaft auf dem Rathaus in Nagold statt,

und erhalten die OrtSvorsteher den Auftrag, die vor die K. Ober-Ersatzkommission zu beordernden Militär­pflichtigen, über welche ihnen Verzeichnisse zukommen werden, mit dem Anfügen vorzuladen, daß sie bei Vermeidung der gesetzlichen Strafen und Rechtsnach­teile an genannten Tagen morgens präcis 7 Uhr mit ihren Losungs- und Gestellungs-Scheinen versehen auf dem Rathaus in Nagold zu erscheinen haben, auch wollen die Militärpflichtigen vor der Aushebung auf die Bestimmung des tz 64 Ziff. 3 der Ersatz-Ord­nung, wonach jeder Versuch zur Täuschung gericht­lich bestraft wird und auf tz 70 Ziff. 6 vgl. mit Z 71 Ziff. 2 der Ersatz-Ordnung aufmerksam gemacht wer­den, wonach die Entscheidungen der Ober-Ersatz- kommission endgültig sind und jeder in den Grundlisten des Aushebungsbezirks enthaltene Militärpflichtige be­rechtigt ist, im Aushebungstermin zu erscheinen und der Ober-Ersatzkommission etwaige Anliegen vorzutragen.

Auf möglichste Reinlichkeit der Militärpflichtigen am Körper und in der Wäsche ist hinzuwirken.

Wer an Epilepsie zu leiden behauptet, hat nach Z 64 Ziff. 5 der Ersatz-Ordnung auf eigene Kosten 3 glaubhafte Zeugen hiefür zu stellen.

Endlich wird erwartet, daß die Ortsvorsteher ortskundige Fehler von Militärpflichtigen geistige Beschränktheit, epileptische Anfälle soweit solche nichr schon bei der Musterung zur Sprache gebracht worden, und dies je in einem Falle unterlassen wor­den wäre, vor der Aushebung bei dem Zivil-Vor­sitzenden der Ersatzkommission nachholen. Eröffnungs- Urkunden von den Pflichtigen, welche den Vcrzeich- llissrn beizufügcn sind, werden spätestens bis zum 3. Juli erwartet.

Die Beiziehung der Ortsvorstehcr zum Aus­hebungs-Geschäft wird nicht für erforderlich erachtet.

Schließlich sieht sich der Unterzeichnete wieder­holt veranlaßt, darauf aufmerksam zu machen, daß Militärpflichtige, welche ihren Aufenthalt auswärts haben, z. B. in einem andern Aushebungsbezirk in Arbeit, Diensten stehen, auch dort gestellungspflichtig und dorthin zu überweisen sind.

Den 22. Juni 1884.

Zivil-Vorsitzender der Ersatzkommission:

Güntner, Oberamtmann.

Man hat schon viel darüber geschrieben und gelesen, und mancher mag dabei ein unbehagliches Gefühl empfinden; indessen läßt sich die Thatsache, daß der Mißbrauch der geistigen Getränke von un­geheuren Folgen für das Gesamtwohl eines Volkes ist, nicht aus der Welt schaffen. Ende 1882 ist von der dänischen Negierung ein Bericht über die dortige Trunkfälligkeit und ihre Folgen veröffentlicht worden, welcher jedem Menschenfreund sehr zu denken gibt. Der Verzehr von geistigen Getränken ist in Däne­mark ungeheuer, ungleich größer als in Norwegen und Schweden; in Norwegen kommen auf den Kopf der Gesamtbevölkcrung 5*/? Liter, in Schweden 11 Liter, in Dänemark 18 Liter; rechnet man aber nur die männlichen Einwohner über 20 Jahre, so kommen in Norwegen 21 Liter auf den Kopf, in Schweden fast 42 Liter und in Dänemark 67 Liter! Der un­geheure Verbrauch in Dänemark wird vor allem der niedrigen Fabrikationssteuer zugeschrieben, diese be­trägt bei Branntwein in Dänemark nur 11 L, in Schweden dagegen 42 L und in Norwegen 61 ^ pro Liter. Man sieht leicht, wie die Fabrikations- stcuer in fast ganz ähnlichem Verhältnis zum Ver­brauch des Getränkes in den 3 Nordstaaten steht. Und nun die Wirkungen der Trunksucht in Dänemark! Der Rcgierungsbericht untersucht zuerst, welche üblen Folgen dieselbe auf den Volkswohlstand habe und kommt nach genauen Erhebungen zu dem Resultat, daß unter 64 248 Personen, welche in Spitälern, Asylen oder Wohlthätigkeitsanstalten in den letzten 10 Jahren Ausnahme nachgesucht und gefunden haben, fast der 3. Teil, nemlich 19 333 wegen Trunksucht verarmt sind. Mit andern Worten, wenn es keine Trunksüchtige geben würde, so würde der 3. Teil der Armen nicht existieren, sie hätten ihr Auskommen.

Und welche Wirkungen hat die Trunksucht auf das Familienleben! In Dänemark kamen in 10 Jahren 3710 Ehescheidungen vor; davon sind 838 durch die Trunksucht des einen oder beider Ehegatten her­beigeführt worden, d. h. beinahe der 4. Teil aller geschiedenen Ehen leiten ihr Unglück vom Trinken her. - Daß die Trunksucht das Leibesleben wie das Seelenleben der Menschen stört, ist ebenfalls eine Thatsache, welche mit Zahlen bewiesen werden kann. In den Krankenhäusern Dänemarks lagen in dem letzten Jahrzehnt 187 225 Kranke; von diesen waren 9536 in Folge des Mißbrauchs geistiger Getränke erkrankt, oder von je 19 Kranken ist einer ein Trun­kenbold gewesen. Und wenn man von diesen Kranken die Gestorbenen noch in Betracht zieht, so findet man, daß von 100 solchen, welche in Folge des Trinkens erkrankt sind, immer 12 gestorben sind, wäh­rend von anderen Kranken nur 7 von 100 starben.

Das Uebel wirkt aber auch auf den Geist zer­rüttend: von 5572 Geisteskranken waren 630 Trinker, oder je unter 100 Geisteskranken 11 Trinker. Und noch die Nachkommen müssen unter den Folgen der Trunksucht leiden. Von 196 Blödsinnigen hatten 19 solche Eltern gehabt, die dem Genuß geistiger Getränke fröhntcn; von je 100 Trinkern stammen 28 wieder von trunksüchtigen Eltern ab. Daß endlich die Trunksucht Verbrecher hervorbringt, ist all­gemein bekannt. In den dänischen Gefängnissen wa­ren je unter 100 Verbrechern 18 Trinker und von allen polizeilichen Verhaftungen sind über die Hälfte in Folge der Trunkfälligkeit erfolgt. Endlich sind unter der Zahl der Selbstmörder fast der 3. Teil Trinker. Man sollte meinen, wenn die üblen Fol­gen eines Lasters im alltäglichen Leben vor den

Augen jedes aufmerksamen Beobachters so offen zu Tage liegen, werde das öffentliche Urteil wenigstens dieses Laster treffen. Aber der dänische Bericht fügt leider bei: In Folge des Umstandes, daß die Trunk- fälligkeit auf dem Lande in einem trsurigen Grade verbreitet ist, ist die Zahl der Fülle dieses Lasters, welche zur Kenntnis der Behörden gelangen, verhält­nismäßig sehr beschränkt, da die Bevölkerung es we­der als eine Schande, noch selbst als etwas Tadelns­wertes bei jemandem betrachtet, betrunken zu sein; im Gegenteil, man sieht fast allgemein darin etwas in vielen Fällen vollkommen Berechtigtes, wenn nicht gar Not wendiges." _

Tages-Neuigkeiten.

Deutsches Reich.

* Nagold, 23. Juni. Unsere Stadt ist seit fast acht Tagen in nicht geringer Aufregung, indem Leimfabrikant Harr, ein hier sehr geachteter Bürger, am letzten Dienstag von einer Geschäftsreise zurück- kchren sollte, aber von seinen Angehörigen bis zur Stunde vergeblich erwartet wird. Man ergeht sich über sein Ausbleiben in den verschiedenartigsten Ver­mutungen. Seine letzte Spur ist in Pforzheim nach- aewiesen, wo er, von Mannheim kommend, auf dem Bahnhof mit noch zwei andern Nagoldern und einem Rohrdorfer ausstieg und nach Zusichnahme einer kleinen Erfrischung in einem Gasthause sich von seinen Reisegefährten unter dem Borgeben entfernte, einen alten Bekannten besuchen zu wollen. Von da ab ging jede Spur von ihm verloren; auch blieben alle Nachforschungen bis jetzt erfolglos. Natürlich zeigt sich hier für die Familie des Vermißten die größte Teilnahme und wünscht man allgemein, daß dieselbe nicht noch eine schlimmere Hiobspost treffen möge.

* Die Mitglieder der Reichsfechtschule in Stutt­gart beabsichtigen, dem Verbände Nagold am 6. Juli einen Besuch abzustatten, wenn die Beteiligung zu einem Extrazuge stattfindet, welche hoffentlich nicht fehlen wird. Den Impuls zu einem solchen Besuche haben wir dem für die Reichsfechtschule hier sehr rührigen Mitgliede Herrn Bahnhofverwalter Haldenwang zu danken.

Unterjettin gen, 20. Juni. Gestern fiel in dem zur hiesigen Gemeinde gehörigen Weiler Sind­lingen der auf einem Dache arbeitende verheiratete Maurer Broß herab und brach beide Füße und einen Arm.

Freuden st adt, 17. Juni. Gestern wurde ein bei der Rollbahn beschäftigter Eisenbahnarbeiter auf dem zweiten Los der Kinzigthal-Bahn so un­glücklich zwischen zwei im starken Lauf befindlichen Rollwägen hineingedrückt, daß er sofort eine Leiche war.

InMariazell (Oberndorf) gab der 17 Jahre alte Jakob Broghammer drei mit ihm gleichzeitig das Vesperbrot einnehmenden Knaben im Alter von 8 bis 13 Jahren soviel Schnaps zu trinken, daß nicht allein alle 3 unmenschlich berauscht wurden, sondern sogar der jüngste, mit Namen Joh. Broghammer, in Folge des übermäßigen Genusses gestorben ist.

Stuttgart, 21. Juni. Nachdem für die am nächsten Mittwoch hier stattfindende Landtagswahl Oscar v. Wächter von den Konservativen und einem Teil der deutschen Partei, Rechtsanwalt Tafel von der Volkspartei und Wirt Bronnenmeier von den Sozialdemokraten als Kandidaten aufgestellt sind, er­scheint heute von einer anderen mächtigen Gruppe Liberaler der Aufruf zur Wahl des Ministers von Hölder als Abgeordneten für Stuttgart. Bei der Abneigung, welche in den meisten Kreisen gegen Wächter herrscht, dürfte auch diese neue Kandidatur