Amts- und Intelligenz-Blatt für den Oberamts-Bezirk Nagold.
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Samstag den 31. Mai.
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1884
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Wsstm 1884. AT
So hat sich denn wieder aus des eisigen Winters Armen der Frühling losgerungen, so ist er, mächtig und gewaltig, die Nebel vor sich hertreibend und zerstreuend, als Sieger in alle Lande eingezogen und wieder hat er seinen schönsten Schmuck und sein dusligstes Gewand an dem lieblichsten der Feste angelegt. Das liebe Pfingstfest, das Fest der Fröhlichen und der Glücklichen, das Fest der Hoffenden und Liebenden, das Fest der Gesundung, Belebung und Erfrischung, es ist wieder bei uns eingekehrt in seinem ganzen Glanze. Es führt wieder mit sich den duftenden Blütenflor und der Vögel jubelnden Gesang, balsamischer Düfte belebenden Odem und jene sich erneuende, nimmer versiegende Kraft der Natur, deren die Menschen allesamt teilhaftig werden, durch welche sie mit neuem Lebensmut erfüllt, gestärkt werden zu neuem Schaffen, neuem Wirken und Streben.
Selbst die eingefleischten Stubenhocker und selbst der Greis an der Krücke, wie das Kind, das zaghaft seine ersten Schritte macht, Alle, Alle strömen sie hinaus in Gottes frische, freie Natur, Körper und Geist zu baden in erquickender Frühlingsluft. Jener Geist, der sich einst auf der Jünger Haupt am Pfingstfestc ergossen, dag ihre Zungen beredt wurden, Gottes Wort frei und offen zu verkünden, jener Geist, er waltet noch heute wie damals auf Erden, er strömt gewaltig durch alle Adern der Natur, der Geist der Liebe, der Treue und der Freiheit. Das Gefühl der Freiheit, das Gefühl, daß nun wieder einmal die Fesseln gefallen und sich freier, ungehinderter und stolzer die Menschenbrust heben und dehnen kann, das Gefühl der wiederge- gebenen, zum freien Gebrauche gegebenen Kraft ist es vor Allem, was uns das Pfingstfest bringt. Wer aber die stumme und doch so beredte Sprache der Natur zu verstehen vermag, der wird es auch verstehen, daß uns die Kraft des Lebens gegeben, damit wir sie nützlich für uns selbst und für die Gesamtheit anwenden. Wie in den Säften und Kräften der Natur sich allüberall ein weises Walten bemerkbar macht, so soll auch der Mensch die ihm Von der Natur gegebenen und am Frühlings- und Pfingstfestc neu belebten Fähigkeiten und Kräfte weise verwerten.
Durch alle Feste der Christenheit und nicht zum wenigsten durch das Pfingstfest zieht sich als Grundton die ewige göttliche Liebe, llnd diese Liebe des Menschen zum Menschen, die Nächstenliebe, wie sie der Erlöser gepredigt und wie sie seine Jünger gelehrt, sie soll auch heute wieder das Menschentum durchziehen. Auch der heutige Tag soll eine Mahnung sein zur Liebe und Verträglichkeit, zum Wohlthun und zur Barmherzigkeit, zur Frömmigkeit und Gortvertrauen. Der heutige Tag, er ist ein Gedenktag jener Zeit, da die erste christliche Gemeinde durcb die von dem heiligen Geiste berührten und geweihten Jünger erstand, da „daS Christentum zum ersten mal in fester, der Öffentlichkeit kenntlicher Gestalt unter das Volk trat und in frommer Begeisterung des Erlösers hohe, heilige Lehre öffentlich von der Schar der von seinem Geiste Durchdrunge
nen gepredigt wurde. Und jene Lehre, sie gipfelte damals und sie gipfelt noch heute in dem schönsten Worte, das je auf Erden gesprochen, in dem Worte „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst." Wie sich damals die wenigen Anhänger zur ersten christlichen Gemeinschaft aneinander schlossen und aus dieser kleinen Gemeinde des Christentumes nimmer zerstörbare Macht hervorgiug. so soll sich auch heute noch der Mensch an den Menschen schließen und stets eingedenk sein, daß er selbst nur ein Mensch unter Menschen. Und nur iu diesem Gedanken kann jene Gesinnung und Humanität erstehen, wie sie zwar noch nicht gefunden, aber stetig erstrebt werden soll.
Wir aber, wie wir unfern Lesern stets nur Gutes gewünscht, wir wünschen ihnen auch Heuer wieder Recht vergnügte Feiertage!
Tages Neuigkeiten.
Deutsches Reich.
In Egenhausen schlug am Sonntag abend der Blitz in das Hans des Mich. Bäuerle, aber ohne zu zünden. Derselbe nahm seinen Weg durch das Hans und von da in die angebaute Scheuer, warf einen großen Teil der Bedachung von Haus und Scheuer herunter und teilte dem Futter einen solchen Schwefelgeruch mit, das dasselbe von dem Vieh nicht mehr gefressen wurde. Die Bewohner des Hauses erlitten durch den Blitzschlag keine Beschädigung.
Am 28. Mai fand in Nebringen die Grundsteinlegung der dort neu zu erbauenden Kirche in feierlichster Weise statt. Die alte Kirche wurde im Jahre 1492 erbaut und der Abbruch derselben am 26. April d. I. begonnen. Die Leitung des Baues der neuen Kirche ist dem Werkmeister Haug in Herrenberg übertragen.
Tübingen, 27. Mai. Gestern vormittag ereignete sich, wie der Vfrd. a. S. schreibt, hier ein tragischer Fall, der allgemeines Aufsehen erregt. Die noch jugendliche Frau des Oberlicutenants St., Mutter zweier Kinder, erschoß sich in Gegenwart ihres Gatten mittelst einer Pistole, die sie scherzend in Händen hielt. Der Schuß ging unmittelbar durchs Herz, so daß der Tod augenblicklich ersolgte. lieber das Motiv der That verlautet nichts Näheres, doch sollen seit einiger Zeit Spuren von Schwermut bei der unglücklichen Frau bemerkt worden sein.
Stuttgart, 26. Mai. Die Schwurgerichtsverhandlungen vom II. Quartal beginnen hier den 30. Juni d. I. Verwiesen sind bis heute 9 zum Teil sehr schwere Fälle, von denen die Verhandlung gegen den Anarchisten Kumitsch und den Raubmörder Hetze! das meiste Interesse erregen dürfte. Die Verweisung Döttling's als des Raubmords bei Pfandleiher Reinhardt verdächtig dürfte vorläufig nicht erfolgen, da die Einstellung des Verfahrens gegen denselben wohl möglich ist. In diesem Falle wäre daS fragliche schwere Verbrechen in absolutes Dunkel gehüllt.
Stuttgart, 28. Mai. Das Oberlandesgericht hat das Urteil in dem Beleidigungsprozeß Wieland gegen Pfau zum zweiten Mal verworfen und die Sache abermals an das Landgericht zurückverwiesen.
Stuttgart. Wegen schlechten Absatzes der Lose der Katholischen Kirchenbau -Lotterie ist die Ziehung, welche am 3l. Mai erfolgen sollte, bis auf 25. Juni verschoben worden.
Stuttgart. DaS Weite gesucht hat Friedrich Majer, Möbelhändler, welcher in der Sonne in der Eichstraße seit Jahren ein , wie es den Anschein
hatte, sehr lebhaftes Möbelgeschäft betrieb, unter Zurücklassung namhafter Schulden, lieber sein Vermögen ist das Gantverfahren eingeleitet.
Vom mittleren Neckar, 27. Mai. Unsere Obstbäume haben längst verblüht und es zeigt sich nun, daß unsere Hoffnungen auf ein gar reich gesegnetes Obstjahr nicht erfüllt werden. Die Aprilfröste haben unserer damals weit vorgeschrittenen Birnblüte so geschadet, daß sich nun an den Bäumen fast kein Fruchtansatz zeigt. Für die Apfelblüte war es zu heiß und trocken. Die Vermehrung der schädlichen Insekten wurde dadurch ungemein befördert und wir werden daher auch von dieser Obstsorte nur eine mäßige Ernte erhalten. Auf den Höhen, wo die Entwicklung eine spätere war, ist's besser. Auch das untere Remsthal hat Aussicht auf viel Obst. Die Halmfrüchte stehen ausgezeichnet und vielversprechend. Besonders üppig ist der Stand der Sommerfrüchte. In etwa 8 Tagen wird die Heuernte beginnen. Das Quantum des Heues bleibt hinter dem des Vorjahres zurück. Der Kälterückschlag zeigt auch hier seinen schlimmen Einfluß.
Zur Ausrechterhaltnng der Ordnung an dem am Dienstag den 27. Mai in Reutlingen stattgefundenen Maifest sah sich das Stadtschultheißen- Amt u. a. zu folgenden Bestimmungen veranlaßt: „Es darf niemand die Kirche betreten, der nicht anständig gekleidet ist, insbesondere dürfen Erwachsene den Gottesdienst nicht in Hemdärmeln oder init Körben besuchen."
Aus dem Oberamt Tuttlingen, 26. Mai. In einem Orte des Bezirks war vor einiger Zeit Beratung des Stiftungsetats. Da meinte ein mitberatendes Mitglied, auch der Zimmermann müsse sein Geschirr anschaffen, folglich solle auch der Geistliche die für die Kirche notwendigen Paramente u. s. w. selbst bezahlen.
Ravensburg. 20. Mai. Zum Kolportageschwindel wird dem „O. A." geschrieben: Gegenwärtig steht die Kolportage in Büchern, Zeitschriften und Bildern in einer Blüte, daß sie anfängt, zu einer wahren Landplage zu werden. Seit man im Norden den Kolporteuren gründlicher in die Mappe guckt, scheinen sie Süddeutschland und besonders Oberschwaben zum Terrain ihrer segensreichen Wirksamkeit ausersehen zu haben. Bei der Raffiniertheit, deren die meisten Kolporteure sich erfreuen, gelingt es in der Regel, ihre Ware an den Mann zu bringen und der Abnehmer sieht zu spät ein, daß er sein Geld für Schund ausgegeben und häufig ohne Wissen verderbliche Geistesprodukte unter Dach gebracht hat. Also doppelte Vorsicht ist sehr von Nöten. — Ein sehr bedauerlicher Schwindel wird gegenwärtig auch mit dem Bilderverkauf zu Gunsten armer Missionen oder restaurationsbedürftiger Kirchen getrieben. Wie die Bonifaziuöblätter seit Jahren Nachweisen, kommt der Erlös aus solchen Bildern zum allergeringsten Teile der armen Mission oder Kirche zu gm. Hinter der Mehrzahl solcher „Kolportagen für wohlthätige Zwecke" verbirgt sich ein unverantwortlicher Mißbrauch der Wohlthütig- keit und wir glauben in erster Linie den Geistlichen Vorsicht anempfehlen zu sollen; denn bei den Laien akkreditieren sich die Kolporteure dadurch, daß sie Empfehlungen geistlicher Herren vorwcisen.
In Spaltenstcin bei Friedrichshafen wurden iu der Nähe eines Bauernhauses 2 Skelette mit 2 Schwertern zu Tage gefördert, die der Beschaffenheit der letzteren nach aus dem 7. oder 8. Jahrhundert zu stammen scheinen; die Waffen sind für die
zM- Wegen -es Pfingstfestes erscheint nkchsten Dienstag kein Ktatt. -Mgk