einer deutschen Hausfrau. Sie hatte Unglaubliches geleistet in den letzten Tagen, aber nun strahlte auch Alles im Festesglanze. An allen Fenstern waren weiße Gardinen aufgesteckt, die Fußböden frisch gebobnt.
Fast triumphierend blickte sie um sich, sie war fest davon überzeugt, daß es in keinem Hause in der ganzen Stadt so musterhaft blank aussah, wie in dem ihren. Drüben in dem gegenüber liegenden Hanse, da putzte das Mädchen jetzt erst die Fenster, den Kuchen haben sie erst vor einer Weile hcrausgetragen, und dort oben im zweiten Stock, du lieber Gott, da waren die Fenster heute noch nicht einmal ganz abgetaut. Einen Moment verweilen die Gedanken der Frau Krcisrichter hinter diesen zugcfrorcnen Fensterscheiben. Das arme, arme Fräulein, denkt sie mitleidsvoll, so ganz allein zu sein am heiligen Abend. Mädchen, die keinen Mann bekommen, sind doch schrecklich daran. —
Die so Beklagte trat soeben an ihr Fenster, ein Paar schwermütige blaue Augen blickten durch eine der nicht ganz mit den glitzernden Eisblumen bezogenen Scheiben auf die Straße hinunter. „Einsam," flüsterte sie, „einsam auch heute und wahrscheinlich all' die langen Jahre, die mir noch beschieden. Das grausame Schicksal hat das Wort einsam wohl in mein Lebensbuch geschrieben." —
Es wurde dunkel auf den Straßen, hier und da ward schon der WeihnachtSbaum angezündet. Neugierige Kiiideraugen lugten durch die Schlüssellöcher nach dem Hellen Schein. Auch bei Krcisrichters saß die Kinderschar erwartungsvoll im dunklen Ammer.
„In der Putzstube, da ist der Weihnachtsmann und baut all' die schönen Sachen ansi" sagte ihnen soeben Dora, die alte Köchin. „Seid aber ja hübsch ariig, so lange er hier ist, sonst trägt er alles wieder fort." Die Kinder wagten sich nicht zu rühren, nur ei» leises Ah ertönte jetzt von ihren Lippen; ein Heller Lichtstrahl drang durch die Thürritzen. Der lange Herr Keeisrichler halte die Lichter am Christbaum an- gezündet.
Die einsame Mädchengestalt im gegenüber liegenden Hanse sah noch den strahlenden Baum, dann zog die emsige Frau Krcisrichter eilends die Vorhänge an den Fenstern zu. Und nun ward cs auch in dem kleinen Zimmer hier oben hell. Die Bewohnerin desselben hatte ein winzig kleines Tannenbäumchen auf den Tisch gestellt, einige bunte Lichter daran befestigt und jetzt angezündet. Mit gefalteten Händen stand sie sinnend davor. Vergangene Jahre zogen an ihrem Geiste vorüber, ach wie so anders hatte sie doch einst die Zukunft erträumt. Da war ein Weihnachtsabend, mit fabelhafter Deutlichkeit trat er ihr vor die Seele. Unter der grünen Tanne lag ein duftiges weißes Ballkleid und ein Kreuz von künstlichen Rosen. Sie war achtzehn Jahre und sollte in den kommenden Festtagen ihren ersten Ball besuchen und sie wußte schon ganz genau, mit wem sie den Cotillou tanzen würde. „Wenn Du auf den Ball gehst, dann gehe ich auch hin, Helene, nur deinetwegen!" hatte Tags zuvor Bruno, der Sohn des alten Professors aus dem Nachbarhause, gesagt. Bruno war ihr treuer Cavalier gewesen von Jugend auf. Als sie noch ein ganz kleines Mädchen war, hatte er ihr die schönsten wunderbarsten Märchen erzählt, an heißen Sommertagen, wenn sie mit seinem Vater, dem alten Professor, weite Spaziergänge machten und dann irgendwo im kühlen Waldesschatten ruhten. Und im Winter da hatte er sie Schlitten gefahren in dem kleinen zierlichen Korbschlitten, den ihr der alte Professor einmal zum Geburtstage geschenkt; oder sie waren zusammen Schlittschuh gelaufen, weit, weit hinaus auf dem zu Eis erstarrten Fluß, Hand in Hand und dabei hatte er ihr das wundersame Wiutcrmärchen Andersens „die Schncekönigin" erzählt, von der kleinen Gerda, die den verlorenen Gespielen sucht. Wie schön war das alles gewesen, wie unvergeßlich schön. Und nun doch Alles vorüber, längst begraben in dem tiefen Meer Vergangenheit, der holde Kindhcitstraum. Nur die Schwärmerei und Poesie war ihnen davon geblieben
und hatte sie begleitet in das ausgehende Leben. Sie waren plötzlich groß und erwachsen geworden, sie muß- ten es selbst nicht wie; die Jugend war nun da mit all ihrem süßen Zauber, mit ihrem Hoffen und Träumen.
Eines Tages führte Bruno, welcher ein hochgewachsener Mensch geworden, Helene in sein sogenanntes Atelier. Er wollte Bildhauer werden und groß und berühmt, vertraute er ihr an. Helene entsetzte sich anfangs vor all den wunderbaren in Thon gekneteten Gestalten, die in dem Dämmerlicht einer Halbdunkeln Bodenkammer ein fast gespenstisches Aussehen hatten. Nur die zierliche »Figur einer Diana, welche wirklich schon ein künstlerisches Denken verriet, entzückte sie aufs lebhafteste und sie war fest davon überzeugt, daß in dem Jugendfreund, der solches habe schaffen können, ein großer Künstler stecke. Sie nahm von nun an lebhaften Anteil an Bruno's idealen Zukunftsplänen. Und auf jenem ersten Ball im Colillon, bei den Klängen heiterer Tanzweisen, da malten die beiden jungen phantastischen Köpfe die Znkuntt sich so traumhaft schön aus, wie es eben nur die Jugend vermag, der ja selten ein Ziel zu hoch, ein Traum zu kühn. Irgend wo aus der Erde, wo es recht schön war, vielleicht am Mecresstrande oder an einem herrlich gelegenen Alpensee — sie waren noch unentschieden, wo, denn sie kannten noch gar so wenig von der schönen Gokteswelt —- wollten sie sich ein Heim gründen. Eine Villa mit Sä ilengängen, rings herum ein Rosengarten, ein Balkon mußte nach dem See herausgehcn. erklärte Bruno der »Freundin; daß Helene seine Gattin werde, war natürlich selbstverständlich.
„In der Mitte des Gartens muß eine Flora stehen," ries diese, ebenso begeistert von diesen herrlichen Plänen.
„Natürlich ans meinem Atelier hcrvorgegan- gen," erwioerte Bruno, „ich bin ja dann ein berühmter Künstler." Wie stolz er das lockige Haupt em- porwars, wie hoffnnngsfrendig das braune Auge blickte!
Drei Tage nach diesem Ballabend stand er bleich und verstört vor Helene.
„Ich gebe, Helene, morgen schon, man verhöhnt mich und meine Kunst," rief er aufgeregt. „Mein Vater, Tante, Deine Eltern, Alle! Studieren soll ich, Pastor oder Lehrer werden; aber das trockene Lernen und Studieren taugt nicht für mich, der ich künstlerischen Beruf in mir fühle. Ich gehe in die weite Welt allen zum Trotz, und erst wenn ich Großes erreicht, kehre ich zu Euch zurück."
Helene schaute erschreckt zu ihm auf.
„Morgen schon willst Du gehen?" fragte sie dann und Thränen schimmerten in ihren Augen.
„Morgen ganz frühe, wenn die Andern noch schlafen," erwiderte er.
„Hast Du denn auch Geld?"
Bruno lachte sorglos.
„Geld? Nein! O, ich gehe nach dem sonnigen Italien, eine Hütte unter Palmen wird sich schon dort finden für mich."
Da hatte Helene stillschweigend ein Schränkchen aufgeschlossen und ihre Sparbüchse herausgelangt und sie ihm gereicht.
„Es sind gerade hundert Thaler, Bruno, nimm sie, damit Du nicht Not leidest," sagte sie schüchtern.
Eine seltsame Bewegung war über Bruno's Antlitz geflogen, zögernd hatte er nach dem Gelde gegriffen und dann hatte er zum ersten Mal die schlanke Mädchengestalt an sein Herz gezogen und die roten Lippen geküßt.
„Behalte mich lieb, auch in der Fremde," hatte das junge Mädchen unter heißem Erröten gebeten.
„Ich behalte Dich lieb in alle Ewigkeit," hatte Bruno heilig gelobt.
Dann war er gegangen und es war, als wäre mit seinem Scheiden aller Sonnenschein aus Helenens Leben gewichen. Einige Jahre nach jenem Weihnachtsfeste verlor sie kurz hintereinander beide Ellern. Trauernd stand sie an einem kühlen Novcmbertage an den frischen Grabhügeln und blickte mit müderHossnungslongkeit
in die Zukunft. Ihre Eltern hatten ihr nur ein kleines Kapital hinterlaffen, von dessen Zinsen sie nicht leben konnte; sie mußte daran denken, einen Erwerbszweig zu ergreifen. Noch war es ihr dunkel, was sie beginnen sollte. Düstere graue Wolken türmten sich am Abend- Himmel aus, kein Strahl der scheidenden Sonne drang hindurch, schaurig rauschte der Wind durch welke, dürre Blätter. Ein Gefühl unendlicher Verlassenheit erfaßte das junge Mädchen. War denn niemand auf der weiten Welt, zu dem sie sich flüchten konnte mit dem vereinsamten Herzen? Da tauchte das Bild des Jngendgcspielen vor ihrer Seele aus. „O, Bruno, Bruno," rief sie klagend hinaus in den trüben Winterabend, „hast Du mich denn ganz vergessen?"
Doch der Ruf verhallte in der öden Dämmerung, schauriger rauschte der Abendwind, geisterhaft flüsterte es in den welken Totenkränzen auf den Gräbern; toteseinsam ward cS um sie her. Seit einem Jahr war keine Kunde mehr von dem Jugendfreund zu ihr gelangt. In der ersten Zeit, nachdem er gegangen, hatte er fleißig an sic geschrieben. Sein Weg hatte ihn zunächst nach München geführt, dort hatte er Freunde und Gönner gefunden, die ihm die Wege seiner Künstlerlaufbahn geebnet. Sein letzter Brief war nur ein jubelnder Ruf gewesen: „Freue Dich mit mir, es geht nach dem Lande meiner Sehnsucht, nach Italien!" hatte er geschrieben Seitdem hatte sie nichts wieder von ihm gehört. Und cs mar gut so, daß sie es nicht wußte, wie er jetzt zu dieser Stunde, wo sie so verlassen an den einsamen Gräbern stand und seinen Namen rief, in Rom, in heiterer Gesellschaft von Kunstgenüssen »nd schönen Frauen, das Leben in vollen Zügen genoß, ihrer wohl kaum noch gedenkend. So blieb ihr doch ein Funken Hoffnung und dieser geleitete sie hinein i» das neue Leben in der fremden Stadt, welche sie zu ihrem Wohnsitz erwählt. Und die idealen Gedanken und Träume, die von Jugend ans in dem poesievollen Köpfchen gewohnt, verließen sie auch nicht. Sie nahmen Form und Gestalt an, in den einsamen stillen Stunden, die nun kamen. Der Genius der Dichtkunst erbarmte sich der Verlassenen. Kleine Erzählungen und Novellen entstanden; Sie wurde Mitarbeiterin an einer Frauenzeilnng, und das Honorar, was sie bezog? genügte vollständig für ihre bescheidenen Ansprüche an das Leben.
Die Lichter an ihrem Christbaiim waren beinahe heruntergcbrannt und immer noch stand Helene sinnend davor. Warum nur heute all' die Zugcnderinnerungen, die Gedanken an Tage, die niemals wiederkehren? War sie doch ein altes, verblühtes Mädchen, das nichts vom Leben zu erhoffen hatte, das ihr Herz hat bescheiden lernen. Mochte auch die Sehnsucht und das süße Träumen noch nicht vergangen sein, die kalte snhllose Welt hatte sie es längst gelehrt, daß sie, was ihr noch geblieben vom Jugendhoffen und Träumen, tief im Innern bergen mußte.
_(Fortsetzung folgt.)_
Allerlei.
— Der geborene Dieb ist in der Crimi- nalistik durchaus keine neue oder abnorme Erscheinung. Dennoch dürste dieselbe in der nachstehenden Qualifizierung, die sie bei einer treulichen Berliner Gerichtsverhandlung erfuhr, den Reiz unbestreitbarer Neuheit gewonnen haben. — Richter: Erst vor vier Wochen aus dem Gefängnis entlassen, wo Sie wegen Diebstahls gewesen, sind Sie nun heute wieder hier. Können Sie denn das Stehlen gar nicht lassen? — Angekl.: Nee, Herr Richter! — Richter: Sapperment! ES ist Ihnen doch nicht angeboren? — Angekl.: Leider Gottes doch, Herr Richter! Ich versichere Ihnen, ich hatte ein Paar richtige Rabeneltern.
Briefkasten: tt. in M. Ihr Artikel ist für unser Blatt nicht geeignet, indem mir wenige unserer Leser sich für die Naturschildernngcn des Dreifaliigkcilsberges und dessen Gegend interessieren wurden._ _
Verantwortlicher Redakteur Steinwandel in Nagold. — Druck und 'Verlag der G. W. Zaiser'scheu Buchhandlung in Nagold.
E g e n h a u s e n.
Aufforderung an Gläubiger.
Bei dem entwichenen
Johann Georg Maier, Fuhrmann von hier, dessen Liegenschaft kürzlich im öffenilr-
ArntNche nnd
chcn Aufstreich verkauft wurde, liegt z eine Überschutdnng vor und ergeht s nun behufs sicherer Verweisung des ^ disponiblen Vermögens, an diejenigen! Gläubiger des w. Maier, mrlche j ihre Forderungen «sch nichts angerneidet haben, hiemit die Ans-! forderung, ihre Ansprüche unter Anschluß etwaiger Beweis-Documente >
-WeLclNNtmclchurr<;eu Zmmen zwei Wochen
bei Gefahr der Nichtberücksichlignn diesseits geltend zu machen.
Nach Ablauf dieser Frist wird - wenn nicht ein Kvnknrserösfnungsan trag erfolgt oder ein Widerspruch ge gen den Vcrteilnngsmodus erhöbe wird — der nach Befriedigung de
Pfand- bezw. bevorrechteten Gläubiger und Berichtigung der Massekosten sich ergebende Vermögens - Überschuß unter den bekannten unbevorrechteten Gläubigern , deren Forderungen anerkannt sind, nach Verhältnis der Größe derselben zur Verteilung gebracht werden.
Den 26. Mai 1884.
Gemeinderat.