61. Jahrgang.
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Erscheint Aleusiag, Dr««erstsg L Samstag.
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Dienstag, äen 23. Februar 1886.
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Deutsches Reich.
Berlin, 17. Febr. Nachdem heute der Bundesrat dieSprit- m om o p o l v o r l a g e rasch durch Annahme erledigt hat, ist der Eingang des Gesetzentwurfs im Reichstag von morgen ab täglich zu erwarten. Man nimmt an, daß spätestens am Samstag das Spritmonopol der Volksvertretung zugehen werde. Alsdann treten wir in der That in die Zeit der parlamentarischen Hochflut erst ein, obwohl es manchem so vorkam, als stecken wir schon seit einiger Zeit darin. Der Reichstag hat alsdann außer der Unfallversicherung für die först- und landwirtschaftlichen Arbeiter die große Monopolvorlage sowie sämtliche anderen kleineren, aber durchaus nicht unbedeutenden Gesetze, welche ihm Teils von den Regierungen teils aus seiner eigenen Mitte im Laufe der Session zugegangen sind, noch zu erledigen. Vollendet ist lediglich bis jetzt der Etat und das Unfallversiche- rungsgesetz für Betriebsbeamte. Alles Uebrige befindet sich entweder in der Arbeit der Kommissionen (deren jetzt schon ein Dutzend beschäftigt sind) oder harrt noch der 1. Lesung im Plenum. Von der parlamentarischen Pause, die man sich eine Zeit lang in der Hoffnng wiegte gönnen zu dürfen, ist jetzt, da das Monopol so rasch an den Reichstag herantritt, keine Rede mehr. Es muß Tag für Dag weiter gearbeitet werden, wenn sich die Session nicht allzutief in den Sommer hinein ausdehnen soll. Eine Auflösung wegen Ablehnung des Sozialistengesetzes wird nach der heutigen Debatte und nach alledem, was aus Zentrumski eisen verlautet, nirgends mehr erwartet. Die Annahme der Verlängerung jenes Gesetzes, wenn auch vielleicht nicht auf 5 Jahre, steht vielmehr so gut wie außer Zweifel. Während die Geschäftslage im Reichstag nach diesen kurzen Andeutungen zu ermessen ist, befindet sich der preuß. Landtag, der auf eine kurze Session gerechnet hatte, ganz in demselben Drange. Auch er ist, seitdem zu dein ursprünglichen Pensum die Polenvorlagen (eine fünfte, betr. die Fortbildungsschulen in der Provinz Posen, ist noch zu erwarten) und das kirchenpolitische Gesetz hinzu- 'gekommen ist, 'so stark im Drange der Geschäfte, daß er fast täglich Sitzungen ohne Rücksicht auf den Reichstag zu halten sich gezwungen sieht; und trotzdem wird er nicht bis Ostern, wie man Anfangs hoffte, sondern schwerlich vor Anfang Juni seine Session beenden können. Er ist überdies noch auf etwa 3—4 Wochen mit dem Etats beschäftigt und wird sich den andern großen Vorlagen, wozu demnächst noch das Kanal- und das Sekundärbuhngesetz kommen, erst im folgenden Monat widmen können.
Berlin, 18. Februar. Der Bundesrat stimmte in seiner heutigen Sitzung dem Gesetzentwurf über das Branntweinmonopol zu. Nach Depeschen der „Köln. Ztg." und des „Franks. Journ." stimmten die Freien und Hansa-
Jeu illeton. <N°chdruck°-rb°t°n.>
Der: Auswanderer.
Erlebnisse eines Deutschen in Nord-Amerika.
Von Karl Zastrow.
(Fortsetzung.)
Sie waren noch in diesem Gespräche begriffen, als ein leises Klopfen an der Thüre ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Auf Borrmann's lautes „Herein!" trat ein elegant gekleideter junger Mann in das Zimmer, der sich artig und mit leichter Sicherheit gegen die Anwesenden verneigte.
„Ich habe wohl das Vergnügen, Master Borrmann vor mir zu sehen?" wandte er sich dann an den ehemaligen Kassenbeamten, und als dieser, sich leicht verbeugend, bejahte, fuhr er fort: „Mein Name ist Anton Goldberg. Ich bin Maler uyd habe meinen bedeutenden Ruf einem Bilde zu verdanken, das ich in einem'Tanzlokal entwarf. Auch Sie, Master Borrmann, haben, wenn auch unfreiwillig, zu diesem Bilde gesessen, und somit einige Steine zum Bau meines Glücks geliefert.
„Ich hatte längst den Wunsch, mich Ihnen erkenntlich zu zeigen, wußte jedoch, da Sie Ihre alte Wohnung verlassen und die Angabe der neuen nicht hinterlassen hatten, Ihren Aufenthalt nicht zu ermitteln. Nach vielem Forschen ist es mir endlich gelungen, Sie zu finden. Sie sehen mich sonach jetzt hier, das Versäumte nachzuholen, und wenn ich Ihnen in irgend einer Weise einen Dienst leisten kann, so soll es mich von Herzen freuen."
„Ich wüßte nicht, daß Sie die geringste Verbindlichkeit gegen mich hätten," erwiderte der Hausherr. „Im Gegenteil glaube ich bedeutend hoch in Ihrer Schuld zu stehen, da ich wohl kaum so frisch und gesund heute hier stehen würde, wenn Sie nicht an jenem Abend in so liebevoller, herzlicher Weise mir zu Hilfe gekommen wären." Und nun stellte er seiner
Städte Hamburg und Bremen gegen den Entwurf; die süddeutschen Staaten enthielten sich der Abstimmung.
Berlin, 19. Febr. Die Z u ck e r st e u e r k o m m iss i o n des Reichstages nahm heute das ganze Gesetz mit 12 gegen 5 Stimmen in 3. Lesung an. Abweichend von den Beschlüssen zweiter Lesung ist bestimmt, daß unter den zur Ausfuhrvergütung aufgeführten Formen des Zuckers (harte Brote, Blöcke, Platten) Würfel, welche der Regierungsvorlage entgegen eingeführt waren, wieder gestrichen werden. Ferner soll in steuerfreien Niederlagen eingelageöter Zucker für die Ansprüche der Steuerbehörde ohne Rücksicht auf die Rechte Dritter haftbar sein. (Ob im Plenum des Reichstags das Gesetz zu Stande kommt, gilt noch für sehr zweifelhaft.)
— Dem Contre-Admiral Frhrn. v. Schleinitz, Vorstand des Hydrographischen Amts der Admiralität, ist, wie ein Privat-Telegramm der Voss. Ztg. aus Kiel meldet, auf Grund seines Gesuches der Abschied unter Verleihung des Charakters als Vice-Admiral bewilligt worden.
— Berliner Blätter brachten dieser Tage die Meldung, daß zwei russische Aerzte, Vater und Sohn, Dr. Heftler, aus Berlin ausgewiesen worden seien. Auch in diesem Falle war die zur Schau getragene Entrüstung verfrüht und unbegründet; die Blätter müssen sich nun auf Grund amtlicher Zuschriften dahin berichtigen, daß, wenn die beiden Herren ihren Wohnsitz von hier nach Paris verlegten, sie andere Gründe dafür gehabt haben.
Rußland und Pole«.
In Petersburg wurden am 15. ds., wie der „Köln. Ztg." von dort- gemeldet wird, nihilistischer Umtriebe verdächtig, acht Studenten der Universität und zwölf Studierende der militär-medicinischen Akademie verhaftet. Seit Montag werden in der Universität hektographische Aufrufe verbreitet, in denen aufgefordert wird, nicht an dem Stiftungsaktus der Universität teilzunehmen, da während desselben man abermals sehen würde, daß die russische Studentenschaft nur gedrückt und geknechtet wird. Man trifft alle Vorbereitungen, um etwa beabsichtigte Störungen der Feier im Keime zu ersticken.
Httges-Weirrgkeiten.
Calw, 22. Febr. Wie uns eben mitgeteilt wird, ist der Einbrecher ini Comptoir des Wochenblattes in Ludwigsburg bei einem wiederholten Einbruch betroffen und verhaftet worden. Es ist derselbe, der in Herrenberg die hier gestohlenen Bezirkspostwertzeichen in Geld umzuwechseln versucht hatte.
In der Nacht vom Samstag auf Sonntag wurde um 1—1>/z Uhr im Hause von Frau Lehrer Staig er durch 2 Individuen die gegen den Garten führende Hausthüre gewaltsam zu erbrechen versucht; da die Haus-
Familie den Gast als seinen Lebensretter vor und dieser wurde jetzt mit Beweisen aufrichtiger Freundschaft und Dankbarkeit überhäuft.
„Ich habe in Berlin eine Copie, Stahlstich, von Ihrem Bilde bekommen," fing der kleine Fritz darauf an, zu erzählen. Es hat mir außerordentlich gefallen und ich habe es koloriert. Wollen Sie es sehen?"
„Ei! darauf wäre ich sogar äußerst neugierig, mein kleiner Bursche" versetzte der Maler freundlich. „Zeige es mir doch."
Man brachte das Bild, und Goldberg konnte nicht umhin, die saubere Art, in welcher die Farben aufgetragen waren, sowie die geschmackvolle Zusammenstellung derselben rühmend anzuerkennen. „In dem Jungen steckt ein bedeutendes Talent, und es wäre wirklich Schade, wenn es nicht ausgebildet werden sollte," sagte er in ernstem Tone.
„Sprich einmal, Fritzchen," nahm der Vater lächelnd das Wort, „möchtest Du wohl ein rechter Maler werden?"
„O, ob ich will, Papa! mein ganzes Dichten und Trachten ist darauf gerichtet!" versetzte der Kleine rasch.
„Wohlan, so überlassen Sie mir seine Ausbildung, Mr. Borrmann! Er mag allwöchentlich einige Stunden zu mir auf mein Atelier kommen und Unterricht im Zeichnen nehmen. Ich verspreche Ihnen, einen tüchtigen Künstler aus dem aufgeweckten Knaben zu machen. Ohne jede Entschädigung, Master Borrmann — das versteht sich von selbst," fügte er hinzu, als er sah, wie der Beamte ihn mit einem bedenklichen „aber" unterbrechen wollte. „Ich habe meine Freude an dem Fortschreiten und an der Entwickelung eines echten Talentes, wie dies bei dem echten und wahren Künstler stets, der Fall ist."
Man blieb noch eine geraume Zeit beisammen und plauderte in heiterster Weise von der Vergangenheit und Zukunft, und als Goldberg sich endlich verabschiedete, war es jedem einzelnen aus der Familie, als habe er den