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61. Jahrgang
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Erscheint Kienslag, Ka««er»tag L Samstag.
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Donner»t«g, äen 21. Januar 1886.
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Deutsches Reich.
Berlin, 17. Januar. In der 25. und 26. Sitzung des Reichstags wurden die Anträge betr. die Ausweisungen beraten. Am Tische des Bundesrats war kein Vertreter, v. Reinbaben: Wenn die Herren von der Opposition auch noch so vorsichtig erklären, daß die Ausweisungen durch das nationale Interesse nicht gerechtfertigt seien, die Thatsache ist denn doch nicht aus der Welt zu schassen, daß die Polonisierung der östlichen Provinzen eine ernste Gefahr für das Deutschtum ist, auch der Abg. Hänel habe dies s. Z. erklärt und trotzdem habe er jetzt den Antrag seiner Partei unterschrieben. Die Sache gehöre aber nicht in den Reichstag, sondern ins Abgeordnetenhaus. Von Gegnern des deutschen Reichs sei übrigens keine andere Handlungsweise zu erwarten, als die der Opposition. Auch wir bedauern, daß es nötig gewesen ist, zu harten Maßregeln zu schreiten, aber wir wissen, daß in den östlichen Provinzen jeder nationalgesinnte Deutsche von der Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit überzeugt ist. — Rickert: Durch die Ausweisungen sei entsetzliches Elend über Hunderte von Menschen gebracht und die Existenz von ebensovielen treuen preußischen Unterthanen gefährdet. Wir unsererseits werden der ehrwürdigen Sitte unserer Vorfahren gemäß das Gastrecht wahren allen denjenigen, die vertrauensvoll den deutschen Boden betreten haben. — Marquardsen ist ebenfalls für Verweisung an das Abgeordnetenhaus. — Freiherr v. Ha mm er stein: Windthorst sagte, man werde sich hoffentlich im Landtag nach dem richten, was hier verhandelt werde; das ist nichts als ein unverhüllter Versuch, vermittelst des Reichstages die Hoheitsrechte in den Einzelstaaten zu beschränken. Nun hat der Führer Ihrer Majorität, der Abg. Liebknecht, uns in Aussicht gestellt, wenn der Reichskanzler die Reichsbude zumachen wolle, Sie dann auf dem Piinzip der Volkssouveränetät eine neue aufbauen würden. Ich gratuliere Ihnen dazu. Herr Liebknecht sagt, er stelle sich zunächst auf den Boden der Humanität, erst Mensch, dann Polei Wenn Freiheit herrschte, meinte Abg. Liebknecht, kämen nationale Streitigkeiten nicht vor, er verwies auf die Schweiz und Amerika. Er hätte aber besser Geschichte studieren sollen, in Amerika schlägt man die.Chinesen einfach tot, um sich vor dem Eindringen fremder Nationen zu sichern. Die eine Seite der Majorität meint, die Maßregeln richteten sich gegen die katholische Kirche, die andere meint, gegen das liberale Judentum. (Stürmische Heiterkeit.) Die Haltung des Zentrums angesichts dieser Sachlage ist mir unbegreiflich. In einer Delegiertensitzung der -Ulisaoe wraelite in Wien, der auch Abg. Löwe beiwohnte, hat der Referent folgendes
I e u i l l e t o n.
Der: Auswanderer.
Erlebnisse eines Deutschen in Nord-Amerika. Bon Karl Zastrow.
(Fortsetzung.)
Immer mehr vertiefte der fleißige Künstler sich in sein Werk, das unter seinem geschickten Pinsel mit jedem Tage der Vollendung näher rückte. Mit der höchsten Naturwahrheit traten die Figuren aus der nebeligen Färbung der Wirtshaus-Atmosphäre hervor, und der allem Ernst hatte das Ganze einen so unendlich komischen Anstrich, daß bei jedem, selbst dem einfachsten Zuschauer die Bewunoerung mit der Lachlust kämpfen mußte. Als er endlich den letzten Strich gethan hatte und das Gemälde nun in höchster Vollendung vor ihm stand, trug er es in die Gemälde-Gallerie eines reichen Mannes, der, selbst ein gewiegter Kunstkenner und Beschützer der Künste, eine Ausstellung eröffnet und einen sehr hohen Preis für das beste Genrebild ausgesetzt hatte. Hier erregte das Werk des jungen Meisters bereits in den ersten Tagen ein so bedeutendes Aufsehen, daß bereits enorme Summen dafür geboten wurden. Die Zuschauer umstanden es in Gruppen zu Dutzenden und hörten auf die Erklärungen bewährter Kunstkenner, die den jungen, talentvollen Künstler bis in den Himmel erhoben und ihm einstimmig den ausgesetzten Preis zuerkannten.
Wenige Tage, nachdem dieser an Goldberg ausgezahlt war, erstand ein reicher Engländer das Bild für eine enorme Summe. Goldberg sah sich auf diese Weise im Besitz eines hübschen Vermögens, und sein Name wurde nun- mehr in allen künstlerischen Kreisen mit Achtung und Anerkennung genannt. Die ehrenvyllsten Aufträge wurden ihm zu Teil und mit stolzer Freude sagte sich der junge Künstler, daß ein einziger Abend in einem amerikanischen Tanz
gesagt : „Der junge galizische Jude tritt ins Leben ohne Kenntnis eines Handwerks rc. Ist er pfiffig und findig, so wendet er sich Erwerbszweigen zu, die zwar außerhalb des Strafgesetzes stehen, doch dazu führen, ihm einen Erwerb zu verschaffen, aber auch dem galizischen Juden ein Stigma aufdrücken." Das ist das Urteil eines Juden über diejenigen Elemente, die am meisten ausgewiesen werden, ich stehe nicht an zu erklären, daß ich die Ausweisung gerade dieser Elemente für äußerst heilsam halte. — Payer warnt entschieden vor einer Fortsetzung der Ausweisungen. Wer vor Jahren von 30,000 Fremden eine Gefahr für unser Deutschland befürchtet hätte, wäre verhöhnt worden, ob denn nicht mehr Macht in unserem nationalen Leben liege, als daß es nur mit Hilfe der Polizei aufrecht erhalten werden könne. — In der Abstimmung wurden der soz. Antrag gegen die Stimmen der Sozialdemokraten, der Volkspartei und der Polen, der Antrag der Freisinnigen gegen die Stimmen derselben Parteien und der freisinnigen Partei abgelehnt, der Antrag Windthor st gegen die Stimmen der beiden Parteien der Rechten und der Nationalliberalen angenommen. — Der Antrag Jazd- zewski wird gegen die Stimmen der Polen,- der Volkspartei und der Sozialdemokraten abgelehnt.
Berlin, 18. Jan. Der Reichstag nahm heute die Etats, beratung wieder auf, und zwar mit dem Etat der Reichspost. Gamp (freikons.) kommt auf seine Forderung zurück, die unentgeltliche Beförderung der Postgüter durch die Eisenbahn auszuhcben. Staatssekretär v. Stephan erklärt sich gegen diese Forderung und führt weiter aus, daß beim Druck- sachen-Porto eine Aenderung, aber keine Erhöhung wünschenswert sei, die den Verkehr nur mindern würde. Bezüglich der Zeitungen halte er eine Tarifermäßigung für vorteilhaft. Baumbach (freist) anerkennt die Verwaltung der Neichspost und spricht für Besserung der Lage der Postbeamten besonders durch Annahme des Pensionsgesetzes seitens des Bundesrates. Windthorst schließt sich dem an. Lingens (Zentr.) kommt wieder auf die Sonntagsruhe der Postbeamten zu reden. Möller (freist) wünscht feste Anstellung der weiblichen Beamten mit Pensionsberechtigung nach mehrjährigem tadellosem Dienste. Kayser (soz.) ist prinzipiell gegen weibliche Beamte, wo solche aber vorhanden, für völlige Gleichstellung mit den männlichen. Der Reichstag genehmigte den Pofletat bis zum Titel 23 der einmaligen Ausgaben, darunter die ersten Bauraten für neue Postgebäude in Küstrin, Stettin, Celle, Bingen, Kreuznach, Wismar und Stralsund. Bei der Abstimmung über einen Vertagsantrag ergibt sich Beschlußunfähigkeit.
— Die Verhandlungen zwischen Deutschland und Portugal wegen einiger Kolonialgrenzbestimmungen haben einen befriedigenden Abschluß gefunden.
§ lokal, dessen eigentümliches Leben er mit der ganzen Schärfe seiner Beobachtungsgabe studiert hatte, seinen Ruf für alle Zeiten begründet habe.
Mit feiner Ironie hatte der geistreiche Maler zur Bezeichnung seines Bildes die Worte gewählt: „Die Macht der Musik im Kampfe mit dem freien Amerikanertum." Das Gemälde wurde vielfach kopiert und machte in unzähligen Oel- und Aqvarellfarbendrucken, ja selbst in Kupferstich eine Weltreise. Es war in allen Kunsthandlungen der europäischen Hauptstädte zu finden, und namentlich fand es in Berlin vielfachen Anklang. Im Fenster eines der glänzendsten Schauläden der norddeutschen Hauptstadt hing eine besonders schön ausgefallene Oeldruck-Copie, welche gleich am ersten Tage eine Menge Bewunderer angelockt hatte. Zu diesen letzteren gehörte auch ein kleiner, etwa dreizehnjähriger Knabe. dessen hübsches, aber ein wenig bleiches Antlitz unverwandt bereits eine volle Stunde mit dem Ausdruck kindlicher Neugier auf dem Bilde haftete. Der kleine Knabe war nur höchst einfach, aber äußerst sauber gekleidet. Ein ziemlich umfangreiches Paket von grauem Packpapier hatte er, wahrscheinlich der Schwere wegen, neben sich auf die Granitstufen gestellt, welche zu dem Laden des reichen Bilderhändlers emporführten. Als eine in der Nähe befindliche Kirchturmuhr die neunte Morgenstunde verkündete, nahm er schnell das Paket auf und begab sich damit in den Bilderladen.
„Ist Herr Neumann schon zu sprechen?" fragte er einen der im Laden beschäftigten Commis.
„Noch nicht, mein Söhnchen!" lautete die Antwort; bringst Du etwa die in Arbeit gegebenen Bilderbücher? Dann lege sie nur dort auf den Stuhl."
„Sie verzeihen. Herr Born", entgegnete der Knabe schüchtern, „es wäre mir angenehm, wenn ich die Bücher Herrn Neumann persönlich übergeben könnte."
Der Commis nickte. „Verstehe schon, sagte er halb gutmütig, halb verdrießlich, „werde einmal Nachsehen, ob der Prinzipal schon auf ist."
Er entfernte sich durch eine Seitenthür und kam nach wenigen Minuten