6V. Jahrgang.
Yro. 147.
Amts- uni! IiüelligenMatt für äen liezirli.
WMÄ
8am8tag, äen 12. Dezember 1885.
Abonnementspreis halbjährlich 1 80 durch
die Post bezogen im Bezirk 2 30 H, sonst i«
ganz Württemberg 2 70 H.
Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.
Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Zeile m Bezirk, sonst 12 H.
Amtliche Wekanntmachungen.
Calw.
OeAanntmacAung, öete. äie Vok^ 8 zäk»kung.
An die Ortsvorsteher.
Da es von allgemeinem Interesse ist, von der vorläufigen Bevölkerungs- Ziffer des Landes möglichst bald Kenntniß zu erlangen, so werden die Ortsvorsteher aufgefordert, die aus Spalte 5 der Kontrolllisten (Spalte 15—17 der Gemeindelisten) zu entnehmende Zahl der ortsanwesen männlichen und weiblichen Personen je von der Gemeinde im Ganzen (nicht parzellenweise) spätestens bis zum 21. Dez. d. I. hieher anzuzsigen.
Den 9. Dezember 1885. K. Oberamt.
Flaxland.
politische Wcrchvichten.
Deutsches Reich.
Berlin, 8. Dez. Die Abendblätter beschäftigen sich eingehend mit der Lage am Balkan. Der Nat.Z. wird vom 7. Dez. aus London geschrieben : In gewissen hiesigen Kreisen macht sich ein Gefühl der Genugthu- ung, man möchte sagen der Schadenfreude über den Verlauf der Balkanfrage rücksichtlich der Verhältnisse der Mächte zu einander bemerkbar. Dieses Gefühl datiert seit der Sendung des Grafen Khevenhüller. Es ist nicht Genug- thuung darüber, daß durch diese Sendung die Waffenruhe zwischeü Serbien und Bulgarien herbeigeführt worden. Denn ob man den Frieden zwischen diesen beiden Staaten hier ernstlich will, erscheint mehr als fraglich. Genug- thuung empfindet man dagegen darüber, daß seit jener Sendung ernste Zeichen einer Trübung der östreich.-russ. Beziehungen auftauchen. Eine solche, wie überhaupt eine Störung im Verhältnisse der 3 Kaisermächte herbeizuführen, war seit Beginn der Balkanwirren und wahrscheinlich schon vor denselben, sofern sie für diesen Zweck heraufbeschworen worden, die Richtung der herrschenden englischen Politik.
— Die Zucker st euervorlage, welche zur Zeit dem Kaiser zur Genehmigung vorliegt, soll auch die Möglichkeit vorsehen, den Industrien, welche stark zuckerhaltige Fabrikate exportieren, eine Ausfuhrvergütung zu gewähren; sonst schließt sie sich der Vorlage vor 2 Jahren an und nimmt eine Erhöhung des Steuersatzes von 20 ^ in Aussicht. — Gegenüber ven abfälligen Bemerkungen der Opposition über die deutsche Kolonialpo -
litik ist zu verzeichnen, daß von den 95 erstatteten Berichten deutscher Handelskammern 71 dieser Politik ausdrücklich zustimmen, 24 sich schweigend verhalten, hingegen kein einziger tadelnd sich ausspricht.
— Die Bänke des Reichstags waren in der letzten Zeit so spärlich besetzt, daß man Besorgnis hegt, es möchte vor Weihnachten ein beschlußfähiges Haus nicht mehr zusammenkommen. Die Konstatierung der Beschlußunfähigkeit ist in den letzten Wochen nur dadurch vermieden worden, daß Auszählungen nicht stattgefunden haben.
Serbien, Bulgarien, Ostrumelien.
— Die heute vorliegenden Nachrichten über Krieg oder Frieden auf der Balkanhalbinsel lauten widersprechend. Was zunächst die Waffenstillstandsfrage betrifft, so liegt in der Wiener „Polit. Korrespondenz" die Nachricht von einer Erklärung des Königs Milan vor, die er den Mächten abgegeben haben soll, daß er, auch wenn die Verhandlungen scheitern sollten, die Offensive nicht ergreifen werde. Eine direkte Einigung zwischen Serbien und Bulgarien über die Waffenstillstandsbedingungen wird zwar voraussichtlich nicht zu Stande kommen, da Serbien die Räumung von Pirot und den Verzicht Bulgariens auf die Vereinigung mit Ostrumelierl verlangt. Dagegen soll Fürst Alexander dem ihm erteilten Rat zuneigen, die Differenz durch eine Art Mediation unbeteiligter Mächte zum Austrage bringen zu lassen, eine Lösung der wohl auch Serbien zustimmen wird. Die beste Hoffnung, daß es nicht mehr zum Blutvergießen kommen werde, schöpft man daraus, daß beide Teile des Krieges überdrüssig sind. — Optimistische Berichte stellen die Versöhnung des Zaren mit dem Fürsten Alexander von Bulgarien in nahe Aussicht. Es handle sich nur um einen „klugen Schritt" des Fürsten, um ein Entgegenkommen von russischer Seite möglich zu machen. Der „Franks. Ztg." telegraphiert man aus Petersburg, es gehe das Gerücht, daß Verhandlungen mit dem Bulgarenfürsten im Gange seien, wonach der Fürst den russischen Offizieren Dekorationen verleihen soll für ihre Verdienste um die bulgarische Armee, worauf eine Dekoration des Fürsten seitens des Zaren erfolgen werde.
Afrika.
— Der Sultan von Sansibar zeigt neuerdings, wie man der „Köln. Ztg." schreibt, große Bereitwilligkeit, freundschaftliche Beziehungen zwischen Deutschland und Sansibar herzustellen. Dies sei namentlich hervorgetreten gelegentlich der Verhandlungen über den zwischen Deutschland und Sansibar abzuschließenden Handelsvertrag und in der Aufnahme, welche der Sultan dem Admiral Knorr und andern Offizieren der kaiserlichen Marine hat zuteil werden lassen.
Jeuillelon. «Nachdruck verboten.)
Der: Auswanderer:.
Erlebnisse eines Deutschen in Nord-Amerika.
Von Karl Zastrow.
(Fortsetzung.)
„Ist ein vernünftig Wort zur rechten Zeit", rief der Farmer, seinem Begleiter die Hand entgegenstreckend, „schlagt ein, und nun kommt mit zu meinem Advokaten, damit wir die Sache schwarz auf weiß in's Reine bringen."
Eine Stunde später saßen die Beiden wohlgemut in einem Waggon der Newyorker Zentral-Eisenbahn. Master Wilm, der Farmer, rauchte aus einer kurzen, derben Thonpfeife und blies heiter lächelnd mächtige Rauchwolken in die Luft.
Zuweilen klopfte er behaglich schmunzelnd auf seine Geldkatze, in welcher 75 Dollars, der größte Teil des Vermögens, mit welchem Borrmann sich eine Existenz in dem neuen Lande gründen «zollte, ihren Platz gefunden hatten. Der Einwanderer sprach wenig. Still und in sich gekehrt saß er in der Ecke des Coupes und ließ nur hin und wieder seinen Blick zum Wagenfenster hinaus schweifen über die bewaldeten blauen Höhenzüge in der Ferne, die Seen und Flüsse und unabsehbaren Waldungen, welche mit meilenweiten Strecken üppiger Mais- und Zuckerrohrfelder wechselten. Seine Seele hing noch zu sehr an den Bildern der Heimat und arbeitete noch zu mächtig gegen die Eindrücke des Neuen und Ungewöhnlichen, als daß er sich einer leichteren Unterhaltung mit dem Gefährten hätte überlassen können.
Zweites Kapitel.
ES war ein stiller, lauer Abend, als die Postkutsche nach einer halben Tagereise voll Rütteln und Stößen die Reisenden an einem riesigen Blockhause absetzte. Sie hatten am Vormittag das Ufer des oberen Mississipvi verlassen.
„Nun ist's nicht mehr weit, Freundchen!" tröstete Wilm den schweig
samen Reisegefährten, „hier in dem Blockhause machen wir eine kurze Rast, trinken eine Tasse Mocca und verzehren ein Stück Schweinefleisch mit Maisbrot. Nicht wahr, Alter?"
Diese letztere Anrede galt dem Besitzer des Blockhauses, welches eine Art Gasthaus für alle in dieser Gegend reisenven Farmer war. Er stand in Hemdärmeln vor der grobgezimmerten Thür und rauchte in phlegmatischer Ruhe aus seiner kurzen Pfeife. Mit gutmütigem Kopfnicken streckte er dem Heimkehrenden die Hand entgegen und lud die Beiden ein, in das Haus zu treten und es sich an einem wohlbesorgten Tische schmecken zu lassen.
Wilm sprach den Speisen und Getränken tüchtig zu. Borrmann erklärte sich schon nach einer Tasse Kaffee vollständig befriedigt. Die Nacht begann sich sehr merklich auf die Gegend herabzusenken, als die Beiden sich zum Aufbruch anschickten.
„Eine einzige Meile ist's noch, ein kurzer Spaziergang, der uns in der abendlichen Frische gut thun soll", rief der Farmer, als Beide hinaustraten und den Weg nach dem Walde in der schwachen Beleuchtung des Sternenhimmels antraten.
Schweigend schritten sie neben einander her. Der Wald wurde mit jedem Schritte unwegsamer und finsterer. Ein kühler Wind brauste durch die gewaltigen Wipfel und wieder unterbrach das Knacken eines Astes oder der Ruf eines irgend unbekannten Vogels das nächtliche Schweigen. Wilm schien jedoch über den Weg vollkommen im Reinen zu sein. Er schritt mit einer Sicherheit vorwärts, die seinem Begleiter, der an dergleichen nächtliche Streifzüge nicht gewöhnt war, geradezu unbegreiflich erschien.
Endlich erstiegen sie eine Anhöhe, die einen freien Blick in das gelichtete Thal gestattete. Der Mond war inzwischen aufgegangen und ließ die Gegend in bleichem, nebelhaftem Schimmer erglänzen. Der Deutsche konnte weit hinaussehen auf eingezäunte Felder und Gärten, zwischen denen sich ein neues, sauberes Wohnhaus mit einigen Seitengebäuden erhob. Ein kleiner Fluß schlängelte sich anmutig durch das Thal und verlor sich in den Riesenschatten