Nro. 143.
6V. Jahrgang.
Amts- unä Intelligenzökatt für äen Aezirü.
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Donnerstag, äen 3. Dezember 1885.
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! ganz Württemberg 2 «kL 70 H.
^otitifctze WcrcHrrichterr.
Deutsches Reich.
— Der Reichstag hat in der neuen Session bisher ein ziemlich harmloses Dasein geführt; aber es war vorauszusehen, daß, sobald der Kanzler auf seinem Platz erscheine, es an stürmischen Auftritten nicht fehlen werde. So ist es denn auch in der Sitzung am 28. Nov. gekommen; es kann aber Niemand sagen, daß der Reichskanzler durch sein Auftreten den Ton zu Zank und Streit angegeben habe. Allerdings, es sollte Händel geben uns recht kräftige. Der Plan dazu war längst angelegt: von ultramontaner Seite. Dort war es längst unangenehm empfunden, daß die Kolonialpolitik des Kanzlers in weiten Kreisen der Bevölkerung, einerlei der katholischen wie der protestantischen, lebhaften Anklang gefunden hatte; die Volkstümlichkeit des Kanzlers überhaupt schien dadurch bedenklich im Wachsen begriffen. So fanden es die ultramontanen Führer geraten, dem Kanzler, den sie sozusagen zu Lande und zu Wasser bekriegen, gerade von den Kolonien aus beizukommen. Ein kleiner Vorgang der letzten Zeit schien dazu eine geschickte Handhabe zu bieten. Ein paar französische Jesuiten hatten den Versuch gemacht, das auswärtige Amt in Berlin, nachdem sie erst Besuche bei der Kaiserin und dem deutschen Kronprinzen gemacht, zu überrumpeln. Kaiserin und Kronprinz hatten wahrlich mit der Sache im Grunde nichts zu thun; sie wurden dennoch belästigt, denn wenn man nur sagen konnte, daß sie dis Patres höflich behandelt haben, so wußten diese schon daraus einen Erfolg zu formieren. Um so schwärzer stand ja dann Bismarck und sein auswärtiges Amt da, welche die Patres rundweg'abwiesen und nun beschuldigt werden konnten, katholische Missionen, aller konfessionellen Gleichheit im deutschen Reich, ja dem Völkerrecht zuwider, in den deutschen Kolonien aus Feindschaft gegen die katholische Konfession nicht zulassen zu wollen. Nun hatte man wieder einen Stoff zum Hezen, um so gelegener, da Bismarck durch die außerordentliche Auszeichnung, die er gelegentlich des Karolinenstreits dem Papste soeben hatte zuteil werden lassen, fast populär bei den deutschen Katholiken geworden war und eher bei kindlichen protestantischen Seelen Anstoß erregt hatte. Die Germania, bekanntlich das Blatt, wodurch die Jesuiten ihre Sache in Deutschland betreiben, lebte wochenlang von der Weik-Stoffel'schen Angelegenheit. Nun ist sie gar in den Reichstag gebracht worden; die Leiter der Sache dachten wohl: in wunder wie geschickter Weise. An der Interpellation ist lange genug geschmiedet worden. Es sollten ja alle Herren vom Zentrum, darunter mancher Jurist, sie unterschreiben. Der Erfolg wird die Herren wenig befriedigen. Schonungslos hat der Kanzler der Sache alle Hüllen abgerissen; es handle sich nicht um katholische Missionäre, sondern um
französische, und ihre Eigenschaft als Jesuiten sei allerdings eine derart gefährliche, daß sie nun und nimmer mehr geduldet werden können! Da Wind- thorst sich in boshaften Anspielungen erging, so wurde ihm dafür die derbste Zurückweisung zuteil. Der Eindruck der ganzen Debatte ist der, und der Kanzler hat selbst diesen Schluß gezogen: mit der ultramontanen Partei ist für eine deutsche Negierung nun einmal kein Bund zu schließen. Dies gleich zu anfang der Session in feierlicher Weise dem Zentrum gesagt, das übermütiger als je ist, seit die Schaar Richters in ern trauriges Abhängigkeits- Verhältnis zu ihm getreten ist, das ist ein großer Gewinn. Hat die Regierung früher in der Not die Freundschaft des Zentrums benützt, um überhaupt irgend etwas noch zu erreichen, da sie sich sonst fast nur der öden Verneinung gegenüber sah, so sind jetzt die Zeiten andere geworden, oder versprechen doch besser zu werden. Man wartet, so scheint jetzt beschlossen, lieber ab, bis die Konstellation noch günstiger ist, ehe man wieder dem Zentrum eine Stellung einräumt, die dasselbe stets nur mißbrauchen wird. Die Freude Windthorsts dürfte gering sein, wenn er sich überlegen wird, daß das die Frucht der Interpellation in Sachen der französischen Patres ist.
Hamburg, 30. Nov. S. M. Kreuzer „Nautilus" hat nach hier eingetroffenen Nachrichten zu Anfang November die Marschalls-Inseln unter deutsches Protektorat genommen. (Die Marschall-Jnseln liegen östlich von den Karolinen und mit diesen unter gleichem Breitegrade. Jaluit oder Jaluit ist ein Jnselchen der Marschall-Gruppe.)
Spanien.
Madrid, 29. Novbr. Am Freitag flnikkägs wurde' die Leiche des Königs von Pardo hieher übergesührt. Den Zug eröffnet« ein Artilleriekorps, woran sich eine Militärmusik, 300 Hofedelleute mit schwarzen Armbinden, die Granden von Spanien, der Klerus anschloffen. Dann folgte de? Leichenwagen, bestehend aus einer den Sarg umschließenden Glasurne, von 8 Pferden gezogen. Dem Leichenwagen folgte die Leibgarde in Begleitung von Kavallerie. Hierauf folgte in einem Hofwagen die Königin mit ihren beiden Töchtern, und mehr als 2000 Wagen, in 3 Reihen geordnet, beschlossen den Zug. Auf den Straßen, welche der Trauerzug passierte, waren gegen 200,000 Menschen versammelt. Die Balkons waren schwarz drapiert. Das Volk stand entblößten Hauptes und begrüßte die verwitwete Königin mit ihren Töchtern auf das lebhafteste. Als die Leiche im königlichen Palaste ange- kommen war, wurde, einer alten Landessitte gemäß, eine Anzahl schwarzer Tauben freigelaffen. Der große Zeremoniensaal, „Salon de las columnas", wurde in eine Trauerkapelle umgewandelt. Hier wird die Leiche des Königs aufgebahrt und dem Volke der Zutritt gewährt. — Königin Christine
Jeu illeton.
Der Auswanderer.
(Nachdruck verboten.)
Erlebnisse eines Deutschen in Nord-Amerika.
Von Karl Zastrow.
Unter Glockengeläut lief der Dampfer in den prächtigen Hafen der Stadt New-Aork ein. Zischend und brodelnd wälzten sich die riesigen Dampf- und Rauchwirbel aus den mächtigen Schloten in die klare, reine Luft. Soweit das Auge reichte, traf es auf Schiffe aller Nationen, Flaggen und Wimpel in allen Farben, Häuser und Paläste im neuesten, architektonischen Style. Fern am Horizont hoben sich die langgestreckten, schönen Berglinien ab, welche dem Ansiedler sagten, daß es noch unermeßliche Strecken in dem neuen Erdteil gab, die seinem Fleiße und seiner Thatkraft mit den schönsten Früchten lohnen konnten. Eine Barke, von kräftigen Händen gerudert, flog heran. Douaniers kamen an Bord und durchsuchten schnell die Koffer der Passagiere. Die letzteren kletterten die Strickleitern und Schiffstreppen hinab in die bereit gehaltenen kleineren Fahrzeuge und pfeilschnell flogen diese über das spiegelblanke Hafenbecken dem Ufer entgegen.
Auf dem Quai herrscht ein nicht minder reges Leben und Treiben. Alle die Männer, Frauen und Kinder, welche ihre Heimat verlassen hatten, um hier jenseits des Ozeans das Glück zu suchen, das ihnen zu Hause stets fern geblieben war, stiegen ans Land und spähten mit Gesichtern, auf denen Sorge und Erwartung zugleich ausgeprägt lag, umher. Glücklich, wer einen Freund oder Bekannten traf, der ihm ratend zur Seite treten konnte. Kofferträger, Farbige und Mischlinge, rannten geschäftig hin und her oder prüften mit kaltem, geübten Blicke das Aeußere und die Habe der Ankömmlinge. Zurufe und Redensarten in englischer, deutscher und französischer Sprache ertönten. Lärm und Getümmel überall, aber nirgends machte sich eine Bewegung oder ein Wort bemerkbar, das auf eine wärmere Regung des Herzens oder Gemütes schließen ließ. Jeder schien nur auf seinen Vorteil bedacht
und sich um seinen Nebenmenschen nur insoweit zu kümmern, als er sich Nutzen davon versprach. Ein rastloses, atemloses Jagen und Nennen nach Geld machte sich überall bemerkbar. Auch dein kleinsten Negerjungen, welcher als Laufbursche seine Dienste hatte, anbot und von Einem der Auswanderer zum Andern lief, stand die Gewinnlust auf der Stirn geschrieben.
Ein hochgewachsener Mann mit einem ernsten, bleichen Antlitz und ein wenig ergrautem Haupthaar schritt, einen kleinen Reisekoffer in der Hand tragend, unbekümmert um den Lärm und das Getümmel um ihn her, dem East-River entgegen, welcher Fluß die Vorstadt New-Iorks von der eigentlichen Stadt trennt. Er hatte kaum einige Schritte gemacht, als sich ihm ein elegant gekleideter junger Mann mit einem ziemlich verschmitzten Gesicht näherte. Das schwarze Schnurrbärtchen, welches seine Oberlippe zierte, vermochte den gewinnsüchtigen Ausdruck seiner langen, hageren Züge nicht zu mildern. Die spitze, gebogene Nase, das lauernde Auge verlieh der ganzen Phisiognomie etwas so ungemein Gewöhnliches, Niedriges, daß jeder mit mehr oder weniger Zartgefühl begabte Mensch sich verletzt abwenden mußte. Auch der Neuangekommene Fremde schien sich von dem eleganten Amerikaner abgestoßen zu fühlen, denn als jener mit den Worten an ihn herantrat: „Well, haben Sie vielleicht schon ein Unterkommen oder kann ich Ihnen zur Erlangung eines solchen behilflich sein?" rief er in barschem Tone:
„Herr scheer er sich zum Kukuk mit samt seinem Unterkommen! Soll mich der Fuchs holen, wenn ich deshalb die weite Reise übers Meer gemacht habe, um mich von dem ersten besten Schwindler in Amerika plündern zu lassen. Kenne Eure Spitzbübereien recht gut. Denk aber, auf eigenen Füßen zu stehen."
„Das ist ein Dutschmann (Deutscher)", murmelte der Amerikaner von sich hin, „grob, aber dumm! wird uns schon noch kommen. Bin ichs nicht, ists ein Anderer! Es sind schon andere Leute zahm gemacht worden!"
Damit setzte er seinen Spaziergang am Strande entlang fort. Auch der Deutsche schritt weiter, ohne sich ferner um seinen zweifelhaften Gönner