Der Gesellschafter.

Amts- und Intelligenz-Blatt für den Oberamts-Bezirk Nagold.

M 72.

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2 außerhalb des Bezirks 2 40 «>.

Donnerütag den 17. Juni.

Jnserüonsgebühr sür die Ispaltigc Zeile aus ge­wöhnlicher Schrift bei eimnaligcr Einrückung 8 bei mehrmaliger je 6 ^1.

1880.

Ein gutes Ziel für Auswanderung.

Unter vorstehendem Titel brachte jungst die Mg. Ztg." einen längeren Artikel, welcher wohl namentlich auch in weiteren Kreisen Beachtung ver­diente und namentlich in solchen Gegenden und in solchen Volksschichten, aus und unter welchen die Auswanderung am stärksten ist, verbreitet werden sollte. Wir wollen daher in gedrängter Kurze die Hauptgedanken desselben angebcn.

In erster Linie macht uns der Verfasser auf­merksam auf die Leiden, Kämpfe und Gefahren, wel­chen der Auswanderer nicht nur vom Momente des Verlassens seines heimathlichen Herdes und bis zur Ankunft am neuen Bestimmungsorte, sondern auch von dort an, bis es ihm gelingt, ein neues Heim zu gründen, ausgesetzt ist. Er zeigt uns, wie schwer es für die Meisten ist, sich an die fremde Sprache, die fremden Sitten, Gewohnheiten, Arbeits- und Verkehrs­verhältnisse zu gewöhnen, und wie die große Mehr­zahl in diesem Kampfe nicht nur ihr mitgebrachtes Kapital, sondern auch ihren nationalen Charakter zum Opfer bringen muß, ehe es ihnen gelingt, auf eigenen Füßen zu stehen.

Diese so traurige Wahrheit, welche den deutschen Nationalcharakter in den Äugen des selbstbewußten, stolzen Amerikaners entwürdigt, wird aber bestehen bleiben, solange die Mehrzahl der Auswanderer der ärmeren Klasse angehört und sich dieselben für ihre neuen Niederlassungen nicht Gegenden auswühlen, wo selbst sie in Folge ihrer mitgebrachten Fertigkeiten mit den Bewohnern nicht nur concurriren können, sondern denselben sogar soweit überlegen sind, daß diese unsere Culturweise annehmen müssen und nicht wie die ihrige!

Solche in gesundem Klima gelegene, äußerst fruchtbare Gegenden, welche der Bevölkerung bedürfen und wo der deutsche Auswanderer nicht nur ein gutes Fortkommen finden, sondern auch seinen National­charakter bewahren kann, finden sich aber in großer Ausdehnung in der südlichen Hälfte des amerikanischen Continentes. Die Berichte über die deutschen Nieder­lassungen im südlichen Brasilien, in Cihle und Argen­tinien lauten durchweg so günstig, daß sie unseren auswanderungslustigen Landsleuten nur empfohlen werden können.

Insbesondere werden wir auf einen Landstrich in Argentinien aufmerksam gemacht, welcher zwilchen dem 35. und 40. Grad südlicher Breite gelegen, ca. 6000 deutsche Quadrat-Meilen umfaßt und erst im vorigen Jahre durch General Roca von den Pam­pas-Indianern gesäubert wurde. Dieser wilde, räu­berische Volksstamm wurde über den Rio Negro zurückgetrieben und dürfte deren Wiedcrkommen durch die auf diesem Flusse stationirten Kanonenbote leicht verhindert werden, so daß die Sicherheit vor räuberischen Einfällen jene der nordamerikanischen Gegenden von Kansas und Texas übertrifft.

Ein feit 12 Jahren dort ansässiger Deutscher schildert das Klima als jenem von Oberitalien ähn­lich, mit äußerst milden Wintern und mäßig heißen Sommern. Die zu allen Jahreszeiten in genügender Menge fallenden Niederschläge machen das nicht ge birgige, aber doch nicht ganz ebene Land mit seinen: üppigen Gras- und Pflanzenwuchs zu einem wahren Eldorado für die Viehzucht. Es gedeihen auf dem vorzüglichen Boden, welcher jenem der berühmten russischen Steppe gleicht, alle unsere Obst- und Gemüsearten, und ist derselbe auch dem Weizenbane sehr günstig. Das nicht zu weit entlegene, auf große Einfuhr angewiesene Brasilien würde einen guten Absatz für die Erzeugnisse des Bodens bieten.

Der Ankauf des Terrains wäre gegenwärtig noch mit beispiellos geringem Kapitale möglich, in­dem laut dem angeführten Berichte das bayerische Tagwerk ans 35 Pfennige zu stehen kommt.

Am günstigsten zur Masscncrwerbung wären selbstverständlich die Künstcnländer wegen des er­leichterten Verkehrs.

Nachdem laut amtlichem Berichte die Auswan­derung ans unserem Vaterlande immer größere Di­mensionen annimmr, wäre es sehr wünfchenswerth, daß wackere, über jeden Verdacht des Grnnderthums erhabene Männer sich an die Spitze einer Gesellschaft zur Organisation der Auswanderung nach jenen Gegenden stellen würden,woselbst die Auswanderer unbeschadet ihrer materiellen Interessen Deutsche bleiben und einen Kern für weitere Zuzüge bilden könnten." (R. V.!

Gestorben: Den 13. Ju»i zu Großbottwar Friede. Hi »de rer, ZahlmeisterSaSpirattt, 23 I. a.

Tages-Neuigkeiten.

Deutsches Reich.

Nagold, 15. Juni. Je seltener hier bis jetzt die musikalischen Genüsse edlerer Art sind, desto mehr dürfte erwartet werden, daß sich die Freunde und Liebhaber derselben recht zahlreich daran bcthei- ligen, wenn sich ihnen eine günstige Gelegenheit dazu darbietet. Das in voriger Nummer d. Bl. angc- kündigte Kirchenc 0 nccrt dürste geeignet sein, eine größere Anzahl hiesiger und auswärtiger Musik­freunde, namentlich auch aus dem Stande der Geistlichen und Lehrer anzuzichen. Wir werden am Johannisfeiertag das Vergnügen haben, in hiesiger Kirche drei berühmte Musiker zu hören. Herr Krauß, der das Kirchcnconcert veranstaltete, ist der Sohn des wohlbekannten s- Pfarrers Krauß. Er ist Mitglied des Vereins für klassische Kirchenmusik in Stuttgart. Derselbe hat eine ungewöhnliche Fertig­keit in der Kirnst des Orgelspicls und spielt dieses größte nnd umfangreichste aller Instrumente in Ora­torien, in Solostücken sür die Orgel bei Kirchencon- certen des klassischen Vereins in Stuttgart. Er wirkt auch iu andern Städten bei Kirchenconcerten mit und hat sich dadurch einen guten Ruf erworben. Herr Huhn ist erster Bratschist der K. Hofkapelle nnd hat sich durch sein Spiel aus diesem Instrument in verschiedenen Kirchenconcerten sowie in einem Abonnementsconcert in Stuttgart einen Namen er­worben. Er ist der einzige Vertreter des genannten Instruments in Stuttgart. Herr Wagner darf sich wegen seiner schönen, kräftigen Stimme und seines gefühlvollen Vortrags des Beifalls eines größeren musikverständigen Publikums erfreuen. Er hat auch als Eoncertsängcr die günstigste Beurtheilung der Presse von Seiten Kunstverständiger gefunden. Was den Inhalt des Programms sür den 24. d. M., das in nächster Numer folgen wird (und auch besonders gedruckt jedem zu Dienste steht, der sich dafür inte- ressirt) betrifft, so heben wir daraus hervor, zwei Orgelvorträge von Krauß: das große Präludium nebst g-inoll-Fnge von Bach, sowie ein Tnckuiue in Gs cknr, dessen Variationen sehr schön und wirksam sind. Letzteres Stück soll die schwierigste Kompo­sition für die Orgel sein. Herr Huhn wird u. a. ein von dem berühmten französischen Organisten und Komponisten 8nint,-8uön8 sür die Viola ulta (Alt­geige) komponirtes Stück vvrtragen. Genanntes- Instrument, von Ritter erfunden, ist eine Verbesserung der landläufigen Bratsche. Der bekannte Richard Wagner hat die Viola altu als eine der wichtigsten Erfindungen sür die Instrumentalmusik anerkannt.

Sic eignet sich auch wegen ihres schönen, vollen Tones nnd ihrer weichen nnd natürlichen Ansprache sehr gut zu Kirchenconcerten. Die von Herrn Wagner zu singenden Solostücke sind theils dem Messias" von Händel (Sie schallt, die Posaun' rc.) theils demElias" von Mendelssohn (Es ist ge­nug :c.) entnommen.

8 Dem Uhrmacher H. in Haitcrbach wurden am Samstag den 12. d. Mts., Abends, während er sich in einem Gaslhausc befand, durch Erbrechen seiner Wohnstube über 50 verschiedene Taschenuhren im Werth von ca. 1000 gestohlen.

Stuttgart, 13. Juni. Das Ereigniß des Tages ist das Telephon von Graham Bell. Gestern Nachmittag war seine Einrichtung vollendet und im Hörfaalc der K. Ccntralstelle in Thätigkeit. Es fanden sich eine Menge Menschen ein, um die von den: Vertreter Armin Tenner, Hermann Böhle und von Dr. von Wurstemberge geleiteten Experimente zu sehen; dieselben fanden von 3 bis 7 Uhr Abends statt. Es hatten sich dazu eingesundcn der komman- direndc General v. Schachtmeyer, Geh. Rath Dr. v. Steinbcis, Obcrregierungsrath v. Luz, Postdirek- tvr v. Hosacker und viele Herren von der Wissen­schaft und dem Geschästsleben. Alle waren in ho­hem Grade von den in der That großartigen Leistungen überrascht. Die Verbindungen waren hergcstellt zwischen dem Hörsaal als Centralstation, dem Stiftskirchen-, Hospitalkirchen- und Leonhards­thurm, sowie zwischen der Polizeistation; des näheren Verkehrs wegen auch mit dem über dem Hof drüben gelegenen Eichamt. Man machte alle erdenklichen Versuche mit der menschlichen Stimme, mit Musik (Violine 1. u. 2., Flöte, Violoncell, große Spiel­uhr!, mit Geräusch aller Art, mit Pfeifen, Singen. Alle Versuche sielen gleich günstig aus: man ver­nahm das aus dem Stiftsthurme leise geflüsterte Wort, das Ticken einer Taschenuhr, jeden tiefen Athemzug. Das Telephon ist von einer wunder­baren Empfindlichkeit und gibt den Schall, den es empfangen, genau mit dem ihm eigenen Charakter wieder. Nichts von dem Bauchrednerton der frühe­ren Telephone. Kaum wird das neue Institut ein­geführt sein, wird es sich auch so eingebürgert haben, daß man dasselbe gar nicht mehr entbehren möchte.

In Stuttgart wurde in der Nacht vom Samstag auf Sonntag in dem Kassenzimmer der Hofökonomieverwaltung im alten Schloß eingebrochen und dabei gegen 1000 ^ entwendet.

(Württemb. Landesgewerbe-Ausstellung 1881.) Nachdem die Anmeldungen in solcher Zahl erfolgt sind (ca. 1200), daß der verfügbare Raum angemessen besetzt werden kann, setzte die Kommission den Schluß des Termins für die Anmeldungen auf 30. Juni fest.

(Die Handhabung der Schnlzncht in de» Volksschulen) ist durch eine Verfügung des Ministeriums des Kirchen- und Schulwesens neu geregelt worden. Was speziell die Schulstrafen betrifft, so sind als solche neben Ermahnungen, Verwarnungen, Roten, Zurechiwcisnngen, Ver­weisen, der Auflagen, versäumte oder mangelhaft geleistete Schülerarbeiten nachzuholcn, und neben der Zurücksetzung in der Klassenordnung zulässig: 1. gegen Werktagsschüler: 1) Strafstehen oder Strassttzen, d. h. Anweisung eines Straf­platzes im Schulzimmer während des Unterrichts; 2) Straf­arbeiten mittelst vermehrter Hausaufgaben: 3) einfacher Schnl- arrest d. h. Einweisung ins Schullokal oder Znrückbehaltcn in demselben außer der Schulzeit unter angemessener Beschäfti­gung, (bei Schülern unter IO Jahren nicht über yz, bei älter» in der Regel nicht über I Stunde): 4) einfache körperliche Züchtigung (bei älteren Schülern nicht über 4, bei jüngeren nnd schwächeren nicht über 2 Tatzen mit einem dünnen, etwas biegsamen knotenfrcicn Stückchen von mäßiger Länge: 5) ge­schärfte körperliche Züchtigung (nicht iibcr 6 Tatzen oder 8 Schläge aus das Gesäß mit dem schon genannten Stückchen):