sprechung mit nationalliberalen und konservativen Abgeordneten fort: er gesteht einen einjährigen Termin für die Kirchenvorlage zn, doch ließ er durchbacken, daß im Fall einer Ablehnung der Vortage oder Annahme in amendirter Fassung, die Regierung nicht zustimmen, das Han-Z dagegen auflösen oder er (Bismarck) seine Demission geben werde. Er besteht dringend auf der Bestimmung der Rückberu- fung der Bischöfe.
Den Berliner Technikern, die mit ihren Lehrern eine Pfingstfahrt nach Prag machten, wurden zwar von czechischen Studenten die Fenster eingeworfen, sie schüttelten aber nicht den Staub von den Füßen, sondern frischten Kehlen und Gemüther in Gemeinschaft mit den deutschen Studenten und Professoren in einem Festcommers an. Helle Freude machte ein Telegramm der Wiener Maschinenbauer: „Gottlob, die deutsche Cultnr ist stärker als Fensterscheiben." Diese Depesche ist in Prag geflügeltes Wort geworden.
Oesterreich—Ungarn.
Wien, 26. Mai. Auch Italien trat dem französischen Vorschlag betreffs der Nachkonferenz bei. Rußland und Deutschland schlossen sich den Rathschlägen an, welche Oesterreich der Pforte ertheilt hat, nämlich Skutari durch einen Truppenkordon von seiner Umgebung zu trennen.
Frankreich.
Paris. 25. Mai. In Betreff der an die Pforte zu richtenden identischen Aufforderung regte die franz. Re.-erring an, für die griechische Grenzregulirung die in Aussicht genommene Commission fallen und zur Erledigung der Frage die Nachcon- serenz der Mächte sofort eintretenzu lassen. England und andere Mächte haben bereits diesem Vorschläge zugestimmt. Die formelle Zustimmung einiger Mächte steht noch aus, ist aber auch hier mit Sicherheit zu erwarten. (Tüb. Ehr.)
Die Wahl in Lyon, wo der Kommunarde und Barrikadenheld Blanqui am meisten Stimmen erhielt, und in Stichwahl kommt, hat in Paris erschreckt; wie muß die Stimmung in einem Wahlbezirk sein, wo unter drei ultraradikalen Kandidaten — ein anderer tritt dort gar nicht auf — der Unmöglichste am meisten Stimmen erhält! Blanqui hat an seine Wähler einen Brief gerichtet, worin er den General v. Gallifet einen von Frauen- upd Kinderblut triefenden Henkersknecht nennt, Thiers den „unheilvollen Greis" und Gambetta „den fetten Satrapen, der in seiner Opportunistenhaut schwitzt."
Einige deutsche Offiziere, welche zu ihrem Privatvergnügen in Nordafrika sich die dortigen Häfen und Befestigungen ein wenig näher in Augenschein nahmen, haben den Herren Franzosen einen kolossalen Schrecken in die Glieder gejagt, so daß ganz Frankreich eines Morgens in seinen Journalen die Nachricht fand, Fürst Bismarck hätte ein Auge auf Algerien geworfen, wahrscheinlich, um dies herrliche Land französischen Colonialbesitzes für seine mißvergnügten Auswanderer zu annectiren. Um die Lippen unserer verehrten Leser sehen wir im Geiste ein mitleidiges Lächeln spielen.
Man hat es für nöthig gefunden, drei Schwadronen Kürassiere und andere Truppentheile in die Umgebungen der Stadt Reims zu legen wegen der dort herrschenden Arbeiter-Unruhen.
Belgien.
Brüssel, 23. Mai. Der Wiener Münner- gesang-Verein hat, nachdem er so viele glänzende Triumphe erlebt, bescheiden jede Abschiedsfeier abgelehnt. Unmittelbar nach dem letzten Concerte wurde die Fahne verpackt und die Sängerzeichen abgelegt. Heute Morgen ist ein Theil der Sänger direkt nach Wien zurückgekehrt, ein anderer Theil fuhr nach Antwerpen. Von dort begeben sich einige nach Holstein und Paris, andere nach Wien.
In Gent haben die Kunst- und Handelsgärtner, 71 an der Zahl, den Beschluß gefaßt, die Kultur des Weinstocks ganz und gar aufzugeben und sich fortan nur mit Pflanzen zu befassen, welche von der Reblaus nicht heimgcsucht werden. Die Handelskammer wird diese Erklärung dem Ministerium übermitteln.
England.
London, 23. Mai. Wer sollte es glauben! Der Prinz von Wales, der Kronprinz von England, des reichsten Landes, leidet an Nebenfluß an Geldmangel. Er hat zwar eine Apanage (ein Leibgedinge) von 40,000 Pfd. Sterling jährlich. (1 Pfund —
12 fl.) Aber er kommt nicht damit aus resp. er kommt zu früh aus, weil er mehr ausgibt, als einnimmt. Seine Frau Mama, die Königin Viktoria von England, welche 385,000 Pfund Sterling jährlich bezieht, soll dem Prinzen (weil derselbe mit den Liberalen sympathisirt) seine Bezüge aus ihrer Pri- vatschatule bis auf Weiteres ganz eingestellt haben, wodurch dem Throuprinzeu keine geringen Verlegenheiten erwachsen. Mr. Gladstone soll jedoch fest entschlossen sein, dem Prinzen von Wales für dessen bewiesenen Liberalismus ein Zeichen der Anerkennung der Liberalen zu geben, indem von dieser Seite im Hmise der Antrag eingebracht werden wird, die Apanage des Prinzen von Wales, im Hinblick auf die großen Ansprüche, die von dein öffentlichen Leben an ihn gestellt werden, auf 100,000 Pfund Sterling zu erhöhen.
London, 24. Mai. Wie die „Morning Post" erfährt, hat Fürst Bismarck cs abgelehnt, der internationalen Konferenz über Griechenland's Forderungen, im Falle dieselbe zu Stande kommen sollte, zu prüsidiren, und den Fürsten Hohenlohe für den Vorsitz in Vorschlag gebracht.
Rußland.
Nach den bisherigen Zeugen - Aussagen im Prozeß Weimar scheint die Sachlage folgende zu sein: Der Hauptangeklagte ist eigentlich nicht Dr. Weimar, sondern Michailow; derselbe ist überwiesen, bei dem Attentat auf den General Mesenzeff als Kutscher fungirt und dem Mörder des Generals Mesenzeff, sowie des Mörders Begleiter, welcher im Wegfahren einen Schuß aus einem Revolver abgab, gefahren zu haben. Oberst Mukarofs, der Begleiter Mesenzeffs, glaubt in dem Angeklagten Saburow jenen Revolverschützen, der Kammerhecr Bodisko dagegen in Saburow den Mörder selbst zu erkennen, welcher Mesenzeff mit dem Dolch niederstieß. Die Aussage Makaroffs, der dicht dabei war, ist die wichtigste, sie stimmt auch mit dem Gerücht, daß der wirkliche Mörder der ruyischen Regierung längst bekannt, jedoch in der Schweiz und deshalb unerreichbar sei. Er soll dort unter dem Namen Karschowski leben. Zuerst glaubte man noch, daß Einer der beiden Angeklagten gehängt werden würde, Michailow oder Saburow. Heute nimmt man an, daß an keinem Einzigen dieTvdesstrafe vollzogen werden würde.
Petersburg, 26. Mai. In der 13 -stunden dauernden Schlußsitzung des Prozesses Wey- mar wurden sämmtliche Angeklagte schuldig gesprochen. Das 3Vr Uhr Morgens verkündete Urtheil verfügt folgende Strafen: gegen Michailow und Laburow T o d mittelst Stranges, Troschtschansky zwanzigjährige Zwangsarbeit in Bergwerken, Wey- mar und Berdnikow desgleichen fünfzehnjährige, Kolenkina Fabrik-Zwangsarbeit von gleicher Dauer, Löwenthal zehnjährige Festungs-Zwangsarbeit, Na- thanson sechsjährige und Witaniewa vierjährige Fabrik-Zwangsarbeit, Malinowskaja Verbannung nach Tobolsk mit Verlust aller Rechte, Bulanew desgleichen ohne Verlust der Rechte. Bei Weymar und Kolenkina wurden Milderungsgründe bewilligt.
Orenburg. (Ländliche Misere.) Ist auch der Anblick der von Gram und Verzweiflung entstellten Gesichter der halbverhungerten Bauern und der dem Ruin rasch cntgegcn- gehenden Viehpächter an sich schon traurig genug, so wächst doch das Mitleid noch mehr, schreibt der „Orenb. Listok", wenn man das Vieh und die Pferde, oder richtiger gesagt, die sich vorwärts bewegenden lebenden Skelette derselben mit den abgefressenen Schweifen und Mähnen sicht. Sowohl die Pferde als auch das Hornvieh fressen sich nämlich gegenseitig die Schweife und Mähnen ab! Damit jedoch noch nicht genug: Die am Leben gebliebenen Thiere stürzen sich wie hungrige Wölfe auf die Kadaver der gefallenen und benagen sie von allen Seiten, so daß man kaum Zeit gewinnt, sie abzuhäuten. Ein trauriges und häßliches Bild, dies Elend und diese Noth in den Wohnsitzen der ländlichen Bevölkerung.
lieber einen schauerlichen Verzweiflungsact berichten die „Mosk. Wed." aus Chadshikent. Ein dort lebender Armenier, Namens Mirsa, der keine Möglichkeit mehr hatte, seine Familie zu ernähren, erschlug in seiner Verzweiflung mit einem Beil seine Frau und seine vier Kinder und stürzte sich dann selbst in die Flammen eines geheizten Backofens, wo auch er seinen Tod fand.
Türkei.
Dein Sultan wird es schier angst und bange ob seiner wackelhaften Herrlichkeit, und schon fühlt er das Halbmond-Diadem nicht mehr sicher auf seinem Haupte, seitdem der englische Botschafter Mr. Göschen in Constantinopel angelangt und dort nun allerlei Neuerungen in Scene zu setzen beginnt. Es ist bereits eine internationale Conserenz in Aussicht
genommen worden, welche eine Einigung der europäischen Mächte herbeiführen soll, um in Sachen der türkischen verschwommenen und noch mehr verfaulten Angelegenheiten einen summarischen Reinigungsprozeß vorzunehmen. Als Erstes beabsichtigen die zahlreichen Gläubiger des einst so ehrwürdigen Osmanen- reichs dahin zu streben, an Stelle des gegenwärtigen, überaus verschwenderisch lebenden Sultans eine Person zn setzen, welche mit etwas Wenigerem sich zufrieden sich erklären bereit ist. Man sieht, selbst für einen erhabenen Sultan existiren heutzutage noch Brodkörbe, die die unangenehme Eigenschaft besitzen, sich bisweilen einmal anstandslos höher hängen zu lassen.
Amerika.
New-Uork. lieber die immer noch andauernde starke Einwanderung Europamüder schreibt ein amerikanisches Blatt: „Die Einwanderung hat im letzten Monat allein über den Hafen von New-Port unsere Bevölkerung um mehr als 46,000 Köpfe vermehrt. Da die offiziellen Listen nur die Zwischendeckspassagiere aufführen und in anderen Häfen ebenfalls ganz bedeutende Mengen landeten, so wird die Einwanderung, sehr niedrig, auf 50,000 Köpfe geschätzt werden können. Das Ziel der großen Massen ist der weite Westen, wo ebensoviel Zehntausende bequem untergebracht werden können, wie sie jetzt ankommen. Dieser unerhört große Zufluß von Landbauern kann nur die wohlthuendsten Folgen für unsere Entwicklung haben, und namentlich das deutsche Element empfängt eine Verstärkung, die zu den freudigsten Hoffnungen für die Erhaltung echt deutsch-amerikanischen Geistes berechtigt. Der Anfang wird der großen Zahl der Neuaukommenden gewiß schwer werden, aber wir rathen ihnen, sich nicht abschreckcn zu lassen, die Erfolge werden die großen Anstrengungen reichlich lohnen und bald werden sie ihr Advptiv-Vaterland so lieb gewinnen, wie die alte Heimath, von der sie sich so schwer getrennt." Asien.
Eine Handschrift des Apostel Petrus. In einer Klause bei Jerusalem, woselbst ein anscheinend sehrarmer Greis schwedischer Herkunft lebte, wurde, wie ein in Konstantinopel erscheinendes Blatt mittheilt', eine Handschrift des Apostels Petrus gefunden. Die Hinterlassenschaft des Greises bestand außer vielen Gold und Silbermünzen im Werthc von 200,000 Frks. in einer Papyrusrolle, die mit hebräischen Buchstaben beschrieben war. Diese Rolle ist, wie in dem Texte derselben steht, von dem Apostel selbst beschrieben worden, und zwar ist die Arbeit im 50. Jahre seines Lebens am dritten Ostern nach dem Tode Jesu beendet. Die Gelehrten zu Jerusalem haben die Handschrift für ächt erklärt und die Bibelgesellschaft von London hat den Erben des verstorbenen Eigenthümers, einer reichen Familie zu Stockholm. 20,000 Lstr. (400,000 Mk.) für die Handschrift geboten, das Gebot ist jedoch nicht angenommen worden.
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Berlin. 24. Mai. Nach Mittheiiungen aus Petersburg wird iu allernächster Zeit die deutsche Eisenindustrie durch Erhöhung der Schutzzölle seitens der russischen Regierung abermals von einem schweren Schlage bedroht. Unter der Aegide des Finanz- und des Berkehrsministers ist eine Kommission zusammengetreten, welche eine so namhafte Steigerung des Einfuhrzolles auf Eisen und Eisenwaaren in Vorschlag bringt, daß dieselbe beinahe einer Prohibitivmaßregel gleichkommt, die namentlich den Export unserer landwirth- schaftlichcu Geräthe und Maschinen nach Rußland fast völlig vernichtet. Die Landwirthe der russischen Ostseeprovinzen lassen sich selbstverständlich nicht dadurch beruhigen, daß ihnen versichert wird, die russische Eisenindustrie sei durch die bisherige Zollsreiheit außer Stand gewesen, ans dem russischen Markte zn konkurriren. Wau weiß nur zu gut, daß die Beseitigung der Zollsreiheit für landwirthschaftliche Maschinen, welche Deutschland bisher zu billigen Preisen lieferte, keinen Einfluß auf die russische Eisenindustrie üben kann, weil letzterer die meisten Bedingungen zur Entwickelung fehlen. Was die neue Schutzzollmaßregel so verderblich für den deutschen Export und die russischen Konsumenten macht, ist der Umstand, daß Pflüge, Eggen, Säe-, Mähe- und Dreschmaschinen mit einem Zoll von nicht weniger als 1 Rubel 25 Kopek. per Pud belegt werden: selbst Sensen und Sicheln werden bis auf 1 R. per Pud gesteigert. Ebenso haben Gußeisen und Eisenbahnwaggons eine beinahe erdrückende Zollerhöhung erfahren. Oh sich Fürst Bismarck entschließen wird, aus eigener Initiative in Petersburg Vorstellungen gegen die Schädigung der deutschen Eisenindustrie zu erheben, und nöthigensalls Repressalien zu ergreifen, erscheint mindestens zweifelhaft. Daß in Rußland selbst seitens der Landwirthe nichts anderes als stille Klagen ge äußert werden, ist bekannt genug und so wird die deutsche Eisenindustrie sich in die Lage versetzt sehen, beim Kanzler des deutschen Reiches eindringlich zu petitioniren, daß der verderblichen Schutzzollpolitik der russischen Regierung Einhalt gcthan werde.
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