Wro. 133
K». Jahrgang.
Amt»- uncl Inteikigenzökatt für äen Aezirß.
Erscheint Nienstag, Nonnerstag L Samstag.
Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Zeile im Bezirk, sonst 12 H.
Dienstag, äea 10. November 1885.
> Abonnementspreis halbjährlich 1 80 durch
I die Post bezogen im Bezirk 2 ^ 30 sonst in
> ganz Württemberg 2 «kL 70 H.
'MoEifcHe WcrcHvilHten.
Deutsches Reich.
— .Berlin. 5. Nov. Die Kreuzz. schreibt: Das kühne, selbstbewußte Auftreten des Füisten Alexander hat auch in Deutschland, namentlich im Kreise seiner ehemaligen Kameraden eine gewisse sympathische Kundgebung veranlaßt. Wir wollen der Jugend des Monarchen die Zuneigung und das Vertrauen seiner bulgarischen Unterthanen nicht mißgönnen und wünschen, daß seine neubefestigte Volkstümlichkeit nicht erkalte. Allein die Schneidigkeit, welche wir an preußischen Kavallerieosfizieren schätzen, ist mit staotsmännischer Umsicht nicht immer verbunden und darf nicht zu Wagnissen Hinreißen, deren Durchführung von vornherein unsicher ist und die großen Ländergebiete in kriegerische Verwicklungen verstricken können. Fürst Alexander wird jetzt erkannt haben, daß sein Schritt ein übereilter war, sein Unternehmen durch die eigenen militärischen Hilfsmittel nicht genügend gesichert ist. Diese Erkenntnis wird wohl den Ausgleich mit der Pforte erleichtern. Sollte die Unabhängigkeitspartei in Ostrumelien der Wiederherstellung des Status quo gute mit den Waffen wiederstreben, so wird nichts übrig bleiben, als das militärische Einschreiten der Pforte. In jedem Falle wird in der Aufrechterhaltung der Rechte des Sultans, mag sie durch Waffengewalt oder in den Wegen friedlicher Verständigung sich vollziehen, das alleinige Mittel gefunden werden, die Abrüstung der beiden ausdehnungslustigen Königreiche vorzubereiten und den Balkanländern wenigstens vorläufig den Frieden zu sichern.
Berlin, 6. Nov. Dis Zusammensetzung des Abgeordneten-Haus es kann nunmehr mit Sicherheit folgendermaßen angegeben werden: Konservative 198 (Frei- und Deutschkonservative lasten sich noch nicht genau einzeln berechnen). Nationalliberale 74, Fortschritt (oder Deulfrei- sinnige) 43, Zentrum und Welfen 101, Polen 15, Dänen 2. Die Wilden sind hiebei der Fraktion zugezählt, der sie am nächsten stehen. Fortschritt und Polen verloren im Ganzen 19 Stimmen, welche sämtlich den rechts stehenden Parteien zufielen. — Es bestätigt sich, daß der Streit mit Spanien sich neuerdings wieder erheblich verschärft hat. Der erneute Schriftwechsel mit Madrid schlägt nicht mehr den friedlichen und freundschaftlichen Ton an, sondern wahrt in sehr bestimmter und strenger Weise den deutschen Standpunkt, die bis jetzt hier gezeigte Langmut scheint nachgerade erschöpft. Und es ist nicht unglaubhaft, daß, wie die Dinge so weit gekommen, die Drohung mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen gefallen ist. Es ist kaum
zu bezweifeln, daß man im Vatikan Kenntnis von dieser Lage der Dinge hat, und man vermutet, daß infolge dessen der Papst seine Vermittlerthätigkejt etwas verzögert habe.
— Zur Karolinenfrage berichtet der römische Korrespondent der „Times", es werde dort der in Madrid veröffentlichten Nachricht Glauben geschenkt, daß Leo Xlll. die souveränen Rechte Spaniens über die Karolineninseln anerkannt habe, während er gleichzeitig verlange, daß Spanien Zugeständnisse an Deutschland mache, darunter Handelsfreiheit, Plantagenrechte, welche den deutschen Eigentümern dieselben Privilegien gewähren, deren sich spanische Unterthanen erfreuen, und die Herstellung einer deutschen Flottenstation.
— Das Gesamtbefinden des Marinechefs v. Caprivi ist leider derartig, daß die Aerzte eine längere Erholungszeit für notwendig erklärten. An die Wiederaufnahme der Amtsgeschäfte durch ihn ist daher vorläufig nicht zu denken.
Straßburg, 6. Nov. Heute nachmitag fand die Auffahrt der Stu- dentschast in 22 vier- und sechsspännigen Wagen, mit einem berittenen Musikkorps an der Spitze, statt. Der Statthalter empfing die Vertreter der Studentenschaft und sagte sein Erscheinen zu dem heutigen Kommerse zu. Er dankte den Vertretern der Studentenschaft für ihre Kundgebung und sprach die Hoffnung aus, daß die Studentenschaft der Kaiser-Wilhelms-Universität stets fest stehen werde zu Kaiser und Reich und daß dieselbe in treuer Pflege der Wissenschaft dem schönen Lande Elsaß-Lothringen Nutzen bringen werde.
Hages-Hleurgkeitsn.
(Amtlich es.) Für besonderen Fleiß und Leistung in der Winterabendschule wurde seitens des evang. Konsistoriums mit einer Prämie bedacht : Schullehrer Beutelspacher in Beinberg, OA. Calw.
Stuttgart, 7. November. Bei den hiesigen Truppenteilen wurden gestern 1000 Rekruten eingestellt. Die letzten Transporte trafen mit den Abendzügen ein. Die Einkleidung der jungen Mannschaften erfolgte gestern Nachmittag und heute früh. Die Beeidigung derselben wird wie alljährlich in der Garnisons- und St. Eberhardskirche in feierlicher Weise stattfinden. Wie wir hören, ist hiezu der nächste Montag in Aussicht genommen. — Auf heute abend 8 Uhr hat der Kommandant der Stadtgarde zu Pferd, Herr Stallmeister Wilhelm Fritz, alle Gönner und Freunde dieses Korps zu einer Besprechung zu Rauh eingeladen. Die Absicht geht dahin, dem Korps
AiöUitzlelOPP. (Nachdruck verboten.»
Gin Krauerrkeken.
Roman aus den baltischen Provinzen Rußlands.
Von Milly Pabst.
(Schluß.)
Feodor verhüllte sein Angesicht.
„O, Lina", stöhnte er, „welchen Schmerz bereitest Du mir! Soll's mir denn nicht vergönnt sein, zu sühnen, was ich verbrochen?! Hab Erbarmen mit meiner Qual — laß Dich nach Italien bringen!"
„Zu spät, Feodor — zu spät!" entgegnete sie sanft und ohne Vorwurf. „Du weißt doch, es blüht kein Herz auf's Neue, das schon gebrochen ist! Mit meinem Kinde ist auch mein Lehen entwichen! Ich bin eine entblätterte Pflanze, die nur des letzten Sturmes harrt, der sie vollends zerbricht. Betrübe Dich darum nicht so sehr, mein Freund. Du hast Dein einstiges Unrecht, welches Du in blinder Leidenschaft begangen, schon tausendfach gesühnt — es bedarf keiner Sühne mehr!" — Gedenke meiner, wenn ich nicht mehr bin, in freundlicher Erinnerung, und laß uns die kurze Zeit unseres Beisammenseins nicht unnötig verbittern. Es hat so sollen sein!"
Sie sprach das so ruhig, so überzeugungsvoll, als wenn ihr naher Tod sich ganz von selbst verstände.
Feodor konnte nichts entgegnen. Die Kehle war ihm wie zugeschnürt von bitterem Weh.
Wortlos drückte er einen Kuß auf ihre Hand und stürmte hinaus.
Mit einem Blick voll Wehmut und Liebe sah ihm Lina nach.
„Armer Feodor", flüsterte sie, „auch Dir blüht kein Glück mehr auf Erden! Ein rauher Frost hat die Blüten unserer Liebe vernichtet — sie sind daran zu Grunde gegangen!" —
Draußen irrte Feodor verzweifelnd umher. Er konnte — erwollte es nicht fassen, daß Lina sterben mußte, so jung, kaum 25 Jahre alt. Und wie sollte e r dann das Leben weiter tragen ohne sie — ein entlaubter Stamm — ohne Lebenslust und ohne Kraft, ein Stamm, in dem der Totenwurm
nagte? Es stürmte so wild in seinem Hirn, es war ihm, als rauschten schon die dunklen Fittige des Wahnsinns über seinem Haupte. Dennoch bezwang er sich soweit, daß er bei seinem nächsten Besuch Lina gefaßt und ruhig gegenüberstehen konnte.
Sie aber sah sehr wohl die düstere, hoffnungslose Schwermut, die auf seinen Augen schlummerte.
So ging es weiter in den Herbst hinein. Nie kam eine Klage über Lina's Lippe und dennoch sah man täglich mehr ihre Kräfte jäh abnehmen.
Und als der rauhe Herbstwind die letzten Blätter von den Bäumen schüttelte — da erfüllte sich ihre Voraussagung. Sanft und schmerzlos schlief sie eines Nachmittags in Feodor's Armen ein, selige Verklärung auf den sanften, friedvollen Zügen, als habe sie schon, bevor noch der Todesengel ihre Stirn berührt, das heißgeliebte Kind wiedergeschaut! —
- Sie wurde gleichfalls im Parke zu Hardershof neben Jetty beigesetzt. Ein Monument, darstellend einen Engel mit einer geknickten Rose in der Hand, wurde ihr zu Häupten errichtet, daneben eine Ruhebank, auf der Feodor viele Stunden des Tags in düsterem Sinnen zubrachte.
Neuntes Kapitel.
Fünfzehn Jahre waren im Strome der Zeiten dahingerollt. Wiederum grünte und blühte es in der Natur.
Auf der Ruhebank, neben der im schönsten Blumenflor prangenden Gräbern von Mutter und Kind, saßen ein dem Anschein nach in den besten Jahren sich befindender Mann, dessen volles Haar jedoch schon viele Silberstreifen zeigte, neben ihm die gebeugte Gestalt einer alten Frau mit schneeweißem,Haar.
Es mar Feodor mit seiner Mutter.
Kummer und Gram hatten sie frühzeitig gealtert. Still und nachdenklich blickten sie auf die Gräber. Da nahte sich ein Diener und berichtete, daß eine herabgekommen aussehende Frau draußen am Parkthore von den heimkehrenden Feldarbeitern gefunden worden sei.
„Bringt sie in's Haus und legt sie in ein Bett", befahl Frau Harders. „Ich werde selbst nach ihr sehen! — Gewiß wieder eine von den Abgebrannten in Janischek, die vor Hunger und Erschöpfung zusammengebrochen ist!" fügte sie gegen Feodor hinzu.