60. Jahrgang.
Aro. 132.
Amts- unä IntekkigenMatt ^ür äen Rezir^.
Erscheint Dienstag» Donnerstag L Samstag.
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8amstag, äen November 1885.
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ganz Württemberg 2 70 H.
H"oMfche WcrchvichLen.
Deutsches Reich.
Berlin, 5. Nov. Die Germ, veröffentlicht ein von dem Stellvertreter des Reichskanzlers, v. Bötticher, ihr am 3. d. Mts. auf Grund des Preßgesetzes zugefertigtes Schreiben, welches die Ausführungen der Germ, vom 27. v. M. über die Religionsfreiheit in den Kolonien berichtigt. Gegenüber der Behauptung, daß in Angra Pequenna und Kamerun die Katholiken ausgeschloffen werden, wird erklärt, seitens des Reichs sei keinerlei dahingehende Anordnung getroffen. Den Pariser Missionären von der Kongregation Saint Esprit sei eröffnet worden, daß die Kongregation nach Bundesratsbeschluß als mit dem Jesuitenorden verwandt anzusehen und folgeweise Niederlassungen weder in den Schutzgebieten, noch in Deutschland selbst zugelaffen werden dürfen. Gegenüber der Behauptung, den vorerwähnten Missionären sei auf dem ausw. Amt mitgeteilt worden, die Niederlassungen katholischer Missionen in Kamerun seien nicht gestattet, weil seitens der Reichsregierung mit der Baseler Missionsgesellschaft ein diesbezüglicher Vertrag abgeschlossen sei, erklärt das Schreiben, es sei mit keiner protestantischen Missionsgesellschaft irgendwelche Vereinbarung getroffen. Insbesondere sei seitens des Reichskanzlers niemals ein angeblich von Lüderitz mit einer protestantischen Missionsgesellschaft abgeschlossener Vertrag, durch den den kathol. Missionären der Aufenthalt und die Wirksamkeit in Ängra Pequenna untersagt ser, anerkannt oder abgelehnt worden. Das Vorhandensein des angeblichen Vertrags sei nicht einmal zur Kenntnis der Reichsbehörden gelangt. Endlich seien die Verhältnisse in Natal und den Südseeinseln bei jener Gelegenheit mit keinem Worte berührt worden.
Düsseldorf, 4. Nov. Der Vorstand des deutschen Kolonialvereins genehmigte in seiner heutigen Sitzung die Entsendung einer Kommisston nach den südbrasilianischen Provinzen, um geeignete Plätze für deutsche Ansiedelungen zu ermitteln und zu sichern. Der brasilianische Generaldirektor der Telegraphen, Capanema, begrüßte das Vorgehen des Kolonialvereins im wohlverstandenen Interesse beider Länder. Dr. Ham mach er berichtete über die Schritte, die geschehen seien, um für koloniale Unternehmungen geeignete neue Formen des Gesellschaftsrechts zu schaffen.
Spanien.
— Der „Voss. Ztg." wird aus Madrid geschrieben: Der König ist, woran die in regelmäßigen Zwischenräumen erscheinenden Dementis nichts ändern können, ernstlich krank, leidet an Durchfall und einem tückischen Fieber, das beinahe keinen Tag ausbleibt.
<Nachdrilck verboten.)
Gin Irauenleöen.
Roman aus den baltischen Provinzen Rußlands.
Von Milly Pabst.
(Fortsetzung.)
Lautlose Stille herrschte. Die das kleine Sterbebett Umstehenden wagten kaum zu atmen. Es war ihnen, als fühlten sie die heilige Nähe des Todesengels, als hörten sie seine Fittige rauschen und könnten wahrnehmen, wie die lichte Seele des Kindes sich schmerzlos von dem zarten Körper losrang, um in reinere Sphären hinauszuschweben.
Erhabene, heilige Ruhe des Todes! Auch der tiefste Schmerz hält vor dir einen Augenblick still.
In dem kleinen Raume vernahm man kaum die Atemzüge der Anwesenden. Lina kniete regungslos vor dem kleinen Bette, das Haupt in die Kiffen vergraben.
Da beugte sich Frau Falkenstein tiefbewegt zu der gebrochenen Gestalt der armen Mutter nieder und suchte ihren Kopf sanft emporzurichten; er schien ihr schwer wie Blei und als sie liebevoll in das gebeugte Antlitz schaute, erschrack sie über die totenähnliche Bläffe der Züge. Sollte hier der Tod gleich zwei Opfer gefordert haben? Doch nein, Lina bewegte sich, sie öffnete die Augen, aber der Blick war leer und geistesabwesend — keine mildernde Thräne löste den ungeheuren Schmerz des vereinsamten Mutterherzens.
Drei Tage darauf fand die Beisetzung der Leiche in dem Parke von Hardershof statt. Feodor hatte darum gebeten, daß er den Grabhügel seines Kindes in seiner Nähe habe. Er selbst schien um Jahre gealtert, als er so tief gebeugt an der kleinen Gruft stand und starr auf den blumengeschmückten
Türkei.
Konstantinopel, 5. Novbr. Die Pforte ernannte den zweiten türkischen Konserenzbevollmächtigten in der Person Server Paschas; auch stellte der gestern abgehaltene Ministerrat die Weisungen für die türkischen Bevollmächtigten fest. Infolge dessen wird die Eröffnung der Konferenz sofort erwartet.
Icrges-Weirigkeiten.
Calw. Am Mittwoch abend >/^7 Uhr brach im Hause des Martin Hanselmann in Neubulach Feuer aus. Das Haus brannte total nieder. Gefahr für andere Gebäude war, weil alleinstehend, so ziemlich ausgeschlossen. 3 Schweine sind mit verbrannt, das übrige Vieh konnte gerettet werden. Zur Hilfe waren herbeigeeilt die Löschmannschaften von Altbulach, Liebelsberg und Oberhaugstett. Die Entstehungsursache ist unbekannt.
Pforzheim, 4. Nov. Die Thätigkeit des hier gebildeten, die Erbau n g eines neuen Theaters erstrebenden Theatervereins hat nun eine feste Gestalt angenommen. Statuten sind beschlossen und ein Vorstand ist gewählt worden. Auch liegen schöne Plane zu einem Neubau vor, welche von Herrn Professor Warth am Polytechnikum in Karlsruhe (Erbauer der Straßburger Universität), entworfen wurden. Mit Nächstem wird eine Liste zirkulieren zum Einzeichnen neuer Vereinsmitglieder. Der jährliche Beitrag eines Mitgliedes beträgt 10 — Das Oktroierträgnis m
hiesiger Stadt betrug im Monat Oktober 15,442 Im Oktober 1884 belief sich dasselbe nur auf 13,984 Das verhältnismäßig starke Er
trägnis ist auf Rechnung von eingeführtem neuem Wein zu setzen.
Merklingen, OA. Leonberg, 3. Nov. Heute früh 4 Uhr brach in der Doppelscheuer des Steinhauers Sülzle und des Bauern Georg Geiger Feuer aus, welches sämtliche Futter- und Erntevorräte, sowie ein von Sülzle im Auftrag erkauftes größeres Quantum (ca. 100 Zentner) Haber, welches nicht versichert war, zum Opfer forderte. Sülzle erleidet dadurch einen namhaften Schaden. Als Entstehungsursache des Feuers wird Brandstiftung vermutet.
Heidenheim, 31. Okt. Die kalte Witterung und der baldige Schneefall brachte unter das Geflügel in unserer Gegend eine bösartige Seuche. Hühner, Gänse, Enten verenden rasch und in großer Anzahl; ganze Geflügelställe sind ausgestorben. Den kranken Tieren läuft dicker Schleim zum Schnabel heraus und bei den toten findet man Leber und Milz angegriffen.
kleinen Sarg blickte. Lina, die sich am Arm ihres Pflegevaters kaum aufrecht erhalten konnte, starrte gleichfalls thränenlos hinab.
Der höchste Schmerz hat keine Thräne.
Herzzerreißender Jammer sprach aus jedem Zuge ihres totblassen Antlitzes. Nur die Angehörigen des Waldschlößchens, die das reizende, herzensgute Kind alle so sehr geliebt hatten, äußerten ihr Bedauern durch lautes Wehklagen. Ueber der ganzen Feier, auf allen Gesichtern lag ein so tiefer Seelenschmerz, daß es auch dem müßigen Zuschauer in die Seele schnitt. Unter den geschäftigen Händen der Totengräber entstand bald der kleine Hügel, welcher in wenigen Augenblicken mit den köstlichsten Blumenkränzen bedeckt war.
Langsam rollten die Trauerkutschen wieder ihrem Bestimmungsorte zu.
Ueber Lina's Wesen lag noch immer dieselbe starre Unbeweglichkeit, die sie seit ihres Kindes Tod ergriffen hatte. Sie schien nichts wahrzunehmen — nichts zu empfinden.
Ratlos und tiesbekümmert sahen sich die schwergeprüften Pflegeeltern an. Ein Wort des Trostes wollte ihnen nicht über die Lippen — sie fanden eben keinen Trost für diesen Schmerz.
Endlich, als sie in den stillen Räumen daheim angelangt waren, wo forthin ihnen kein fröhliches Kinderlachen, kein leichter Kinderschritt mehr entgegenhallen sollte und wo doch Alles an das Dasein des geschiedenen Engels erinnerte, hielt es Frau Falkcnstein nicht länger. Mit mütterlicher Zärtlichkeit schloß fie Lina in die Arme und drückte unter Thränen einen Kuß auf deren blasse Lippen.
Da endlich schien sich der starre Bann zu lösen. Ein Schauer schüttelte Lina's Körper und mit einem Wehlaut, der den ganzen Jammer ihres Mutterherzens in sich schloß, brach der lang verhaltene Thränenstrom sich Bahn.
Wie ein willenloses Kind ließ sie fortan Alles mit sich geschehen.
Die alles mildernde Zeit verwandelte nach und nach auch ihren Schmerz in sanfte Wehmut, und stille Resignation prägte sich in den blassen Zügen ein und grub tiefe Linien um den schmerzverzogenen kleinen Mund. Das Leben schien ihr keine Teilnahme mehr abgewinnen zu können; sogar die