großes Musikgedächtniß bewundern? Sein Bravourstück schien uns seine 1. Piece „das Konzert" v. R. und das Abendlied v. Sch. zu sein; als ausübenden Künstler wie als Komponisten lernten wir ihn schätzen in der Phantasie über die russische Nationalhymne für Viola. Die Nummern für gemischten Chor, welche leider eingetretencr Hindernisse wegen als gemischtes Quartett gesungen wurden, fanden allseitigen Beifall; von geradezu durchschlagender Wirkung war die wundervolle, übrigens in Takt und Harmonisirung sehr schwierige, vielen Musikfreunden neue Komposition von Kücken: „Schau mich nicht so." Das Quartett: Ach du klarblauer Himmel, hätte wohl etwas frischer im Tempo sein dürfen: Ade du l. Tannenwald (so schon es gesungen wurde) eignet sich doch besser für einen starken Männerchor. Die So- lopartieen, Duette :c. mußten, weil Frau F. Heigelin und Frln. Cammerer durch Trauerfälle verhindert waren, theilweise ganz ansfallen oder durch Einlagen ersetzt werden: in die Lücke trat Fr. Mezger, welche namentlich in dem herzig schönen Liede v. Prvch: der Wanderer, wiederholt gute Schulung der Stimme und musikalisches Gefühl und Verständnis) bekundete. Auch dem Streichquartette wurde lebhaft applaudirt, besonders in der liebt. Piece: das Alpenhorn. Die Klavierbegleitung (mit Ausnahme der Eingangsouvertüre zu Egmont, sein gespielt von H. Maier und Pf. Hcher) hatte grvßtentheils Hr. Stadtps. M., theilweise auch H. Renz übernommen. Leider war der erwartete Besa g wenigstens von Seiten der h. Bürgerschaft kein so zahlreicher wie tonst, da die Familie von Hrn. Mühlebesitzer srchill durch den raschen Tod von dessen: einzigen Kinde, einem 18jührigen, blühenden Mädchen in tiefe Trauer versetzt worden ist. — Alle anwesenden Musikfreunde sind Sängern und Spielern, besonders auch dein kunstsinnigen Dirigenten, gewiß von Herzen dankbar mit dem Wunsche einer baldigen Wiederholung „ohne Hindernisse". Der Ertrag bezifferte sich aus 41 cM
Fr: udeiistadt, 27. Jan. Gegenwärtig werden die Gerüste an den Viadukten Mischen hier und Dvrnstetten abgebrochen. Heute Morgen glitt nach dein „N. T." bei diesem ein junger Ziininerniaiin auf einem mit einer Schnee- und Eiskruste überzogenen Stamme aus, siel von schwindelnder Höhe herab und war sofort lobt. Es ist dies das dritte Opfer an Menschenleben, welches die Ausstellung urd Abnahme der Gerüste an den Viadukten gefordert.
Stuttgart, 29. Jan. Ucber die gestrige in Karlsruhe wegen des Heidelsheimer Eisenbahnunfalles stattgehabte gerichtliche Verhandlung, welcher von hier aus Finanzrath von Misani und Assessor Bolz in Vertretung der K. Eisenbahn anwohntcn, erfährt man Folgendes: Zngmeister Siegle wurde zu 6 Monat und Heizer Volmer zu 4 Monat Gefängnis) verurlhcilr und Beide wurden für unfähig erklärt, ferner im Dienste der Verkehrsanstalten zu bleiben. Die vorgcbrachte Beschuldigung, daß Zug- meister Siegle bei jenem Unfälle betrunken gewesen sei, wieS v. Misani energisch zurück. Siegle sei nie ein Trinker gewesen und niemals im Dienste betrunken betroffen worden. Siegle wird durch das Urtheil hart betroffen, zumal er dadurch die Aussicht aus ein sorgenfreies Alter einbüßt. (W. L.)
Stuttgart, 29. Jan. (Abgeordnetenkammer.) Präsident v. Holder eröffnet die 120. Sikung nach 11 Uhr. Er Heini die Mitglieder kurz willkommen. Urlaub hat für die ganze Session erhalten der Abg. v. Schmid, mehrere Abgeordnete haben ihr Ausbleiben mit Unwohlsein oder Berufsge- schästen entschuldigt. Nach Berlesurtg der Einläufe und Beschlußfassung über" deren geschäftliche Behandlung erstattet Frhr. v. Geinmingcu Namens der staatsrechtlichen Kommission Bericht über die während der Vertagung der Kammer erfolgten Wahlen. Die Abgg. Frhr. v. Gültlingcn, Hartenstein (Cannstatt,, Haas (Gaildorf), Hohl (Geislingen), Miller (Gmünd), Dr, v, Weber (Tübingen) werden für legilimirt erklärt nnd die genannten Abgeordneten eingeführt. Die Herren Hohl »nd Frlir. v. Gültlingen werden aus ihren früheren Ständeeid Angewiesen, die Ncugewählten beeidigt. Mayer bat eine Interpellation an den Minister des Innern eingereicht, betreffend die polizeiliche Ucberwachnng der Landesversammlung der Volkspartei am 6. Jan. d. I. Nächste Sitzung: Freitag 9 Uhr. Tagesordnung: Rechenschaftsbericht des ständischen Ausschusses. (W. L.)
In Nottweil erhielt nach dem „D. V." der Stadtvorstand vor einiger Zeit einen anonymen Brandbrief zugesandt, worin die Forderung auf Herausgabe des Bürgerholzes in natura kategorisch gestellt wird, unter dem Androhen, das Rathhaus u. s. w. in die Luft zu sprengen.
Heilbronn. Von der Strafkammer des hiesigen Landgerichts wurde der technische Leiter der Ackermann'schen mechanischen Garn-Zwirnerei, H. F. Ackermann, wegen fahrlässiger Tödtung zu 4 Wochen Gefängniß und wegen Üebcrschreitung der
gesetzlichen Arbeitszeit für jugendliche Arbeiter zu I 300 ^ Geldstrafe »verurtheilt. Eine Arbeiterin der Fabrik war von der sog. Königswelle erfaßt und getödtet worden. Diese Welle, an welcher nur ein schmaler Pfad vorbeiführt, Hütte nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Teichmann von Stuttgart iunbedingt mit einer Schutzvorrichtung, wie sie früher in jener Fabrik selbst schon bestand nnd in den meisten ähnlichen Fabriken besteht, versehen sein müssen. Die zweite Verurthcilung gründete sich darauf, daß Ackermann jugendliche Arbeiter am Anfang und am Ende des Tags je um eine halbe Stunde zu lang bei der Arbeit behielt. Das letztere Vergehen war im Rückfall begangen.
Welzheim. Ein schreckliches llnpliick hat sich am Sonnurg Abend zwischen 3 — 4 Uhr in der Leinecksmühle zu- gctragen. Ein 9jähriges Söhnchen des Leinecksmüllers wollte in der Mühle hernmpehen, wurde aber unversehens von einer eisernen senkrechten Welle, die in Bewegung war, an seinem langen wollenen Halstuch erfasst und im Augenblick baumelte cs lautlos erwürgt um die Welle. Erst das Ansschlagen der Füße an iiebenbcfindlichem Gebälk machte den Mühjknecht aus das Geschekenc ausmerksam. Aber bis er die Mühle zur Ruhe gebracht hatte, war alle Retung zu spät.
In Mannheim ist in der Nacht znm 20. Jan. das Haus, in welchem A. v. Kotzebue einst durch Sauds Hand den Tod fand, niedergebrannt.
Allerjüngstes Reservatrecht Bayerns. Nach dem offiziellen Rechtschreibbüchlein für Bayern ist das h abgeschafft, nur für „Bayern" bleibt das auf den Index gesetzte y auch fürderhin reservirt.
Eydtkuhneu, 26. Jan. Für den Empfang der heimkehrenden Kaiserin von Rußland werden auf dem Bahnhof Wirballen bereits alle Vorkehrungen getroffen. Es werden auf den beiden Perrons zeltartige Bauten errichtet, welche heizbar sind, und die hohe Kranke vor jedem Luftzug bewahren sollen. Ihre Majestät wird dem Vernehmen nach in 10 bis 12 Tagen in Wirballen eintreffen und daselbst vor der Fortsetzung der Reise nach Petersburg eine eintägige Rast machen. Der Extrazug, welcher Ihre Majestät nach der Hauptstadt bringen soll, steht schon jetzt in Bereitschaft.
In Bonn übte dieser Tage eine Dame einen schönen Akt der Wohlthätigkeit. Sie hatte nämlich alle momentan in der Stadt befindlichen, beschäftigungslosen Handwerksburschen zu sich erbeten, nnd nicht weniger wie 120 junge Leute leisteten dieser Aufforderung gerne Folge. Es wurde den vielen Gästen ein sehr vergnügter Abend bereitet, ein kräftiges Essen und ein guter Trunk dazu aufgetragen, auch sonstige Geschenke verabfolgt, und Verließen die also Bcwirthcten die Gastgeberin mit dem Gefühle tiefsten Dankes.
Berlin, 27. Jan. Dem Bnndcsrathc ist ein Gesetzentwurf betr. die Anzeige der in Fabriken nnd ähnlichen Betrieben vorgekommenen Unfälle zuge- gangen, wonach ein Unfall, durch den ein Mensch getödtet oder durch einen Theil der Maschinerie ic. derartig verletzt worden ist, daß er die Arbeit verlassen muß und dieselbe den folgenden Tag nicht wieder aufnehmen kann, bei der Ortspolizeibehörde und den zuständigen Äufsichtsbeamten schriftlich anzuzeigen ist. Diese Vorschriften sind auch anwendbar auf Unfälle in Steinbrüchen, Grübeleien, bei Betrieben, wo Dampfkessel oder durch elementare Kraft (Wasser, Gas, heiße Luft) bewegte Triebwerke verwendet werden, beim Eisenbahnbetrieb, ferner bei Hüttenwerken, Banhütten, Werften, Bauten. Die Unterlassung der Anzeige wird mit Geldbuße bis zu 150 oder Gefängnißstrafe bis zu vier Wochen bestraft.
Berlin, 28. Jan. Nach den Reichsamtsetats kommen an Ueberweisungen aus dem Ertrage der Zölle und der Tabaksteuer an die Bundesstaaten zur Bertheilung 40 624 500 Auf Preußen kommen 24 475 480 Die Zolleinnahme beträgt 166 851 000 die Tabaksteuereinnahme
369 000 cM, Zoll- und Tabaksteueraversen 3 404 500 Mark, zusammen 170 624 500 -46. (St.-A.)
Berlin, 28. Januar. Der „Reichsanzeiger" publicirt eine kaiserliche Verordnung, durch welche der Reichstag zum 12. Februar einberufen wird.
Der Kronprinz konferirte gestern zwei Stunden lang mit Fürst Bismarck und tritt heute die Reise nach Italien an.
' Der „Tribüne" wird berichtet, daß nach Privatnachrichten aus Apia (Samoa) von Bord des Kriegsschiffes „Bismarck" bei der großen Hitze und Sonnenglut der Dienst für die Mannschaft ein aufreibender sei. Von der aus 400 Mann bestehenden
Besatzung des Schiffs wären nach dieser Mittheilung 30 gestorben.
In Neuenburg in Westpr. sind in voriger Woche beim Brande eines Hauses vier Menschen, der Volksanwalt Kuttner und Frau, ihr Dienstmädchen und ein Schuhmachergeselle in den Flammen umgekommen.
Frankreich.
Paris, 24. Jan. Freycinct hat die Papiere des Herzogs von Gramvnt mit Beschlag belegen lasten.
Die Erhöhung des Deutschen Reichs-Militair- ctats beginnt bereits auch hier einen großen Eindruck zu machen. Natürlich sind die Bemerkungen in recht verdrießlichem Tone gehalten. Es sei der Traum der Berliner Politik, Deutschlands Streitkräfte einer Verbindung seiner östlichen und westlichen Nachbarn überlegen zu machen und so habe sich selbst die gerühmte östreichisch - deutsche Allianz, welche ein unfehlbares Mittel für die Ruhe des europäischen Festlandes bilden sollte, als unzureichend erwiesen. Nach den neuesten strategischen Berechnungen des Kanzlers sei es für die Aufrechterhaltnng des europäischen Friedens unerläßlich, daß Deutschland in den Stand gesetzt werde, gleichzeitig über jede seiner Grenzen eine Jnbasionsarmee (!) zu entsenden. Jede Regierung habe ihren Geschmack und folge ihrem Schicksal. „Louis XIV. liebte die Bauten, Friedrich Wilhelm I. ließ Europa durchwühlen nach langen Grenadieren und die Nachfolger dieses Souveräns sehen weniger auf den Wuchs als ans die Menge der Soldaten."
Spanien.
Madrid, 28. Jan. Die Irrenärzte erklären den Königsmörder Qtero für geistesschwach und unzurechnungsfähig. Der Prozeß gelangt am 8. Feb. zur Verhandlung.
Madrid. Die Wiener vfficielle „Pol. Corr." bringt eine interessante Mittheilung. In Oesterreich, so schreibt man ihr, wird es gewiß freudig begrüßt werden, daß die Königliche Familie einem frohen Ereignisse entgegensieht, welches das spanische Volk an seine Dynastie durch ein neues Band knüpfen wird.
Schwede» und Norwegen.
Stockholm. Dem schwedijchen Reichstage wird u. A. auch ein Gesetzentwurf betreffend die Einführung der Civilehe zugehcn.
England.
Das religiöse England zählt, soweit sich dies konstatiren läßt, 384 Sekten, welche auf dem gemeinsamen Baume des christlichen Bekenntnisses ihr oft recht sonderbares Leben fristen. Unter diesen kuriosen Auswüchsen nehmen die Shakers eine hervorragende Rolle ein. Die vollste Gütergemeinschaft herrscht unter ihnen. Sie leben einträchtlich als Brüder und Schwestern, und bringen das Kunststück fertig, zu leben ohne zu arbeiten. Diese Art Existenz gefällt selbstverständlich nicht Wenigen, und die Sekte der Shaker ist daher in starkem Zunehmen, und wird es bleiben, bis der Reiz der Neuheit vorüber ist und die Leute gleich anderen Sterblichen um das liebe Brod werden arbeiten müssen. Unlängst trat in ihre Reihen auch eine junge Frau ein. Als sie den Vorstellungen ihres Mannes kein Gehör gab und, statt zurückzukehren, es vorzog, in der Brüdergemeinschaft zu leben, machte sich der junge Ehegatte mit einigen Freunden auf und überfiel das Feldlager der Shaker in der Nacht vom 18. zum 19. ds. bei Hardle. Es kam zum Kampfe. Die Shakers wehrten sich unter dem Kommando ihres Kapitäns, Mrs. Girting, sehr tapfer, wurden aber geschlagen und der junge Ehemann trug, wie ein Sabiner, seine Gattin triumphirend von der Wahlstätte. (W. L.)
Rußland.
Die russische Regierung will mit einer Verkürzung der Militärdienstzeit Vorgehen. Wie die „Ruff. Wed." mittheilt, ist das im Kriegsministerium ausgearbeitete Projekt bereits vom Kaiser bestätigt worden. Ursprünlich war in Aussicht genommen worden, die Dienstzeit auf 3 Jahre herabzusetzen; aus „praktischen Gründen hat man indeß schließlich sich dahin entschieden, die Dienstzeit nur ans 4 Jahre herabzusetzen. Gegenwärtig liegt das Project dem Reichsrathe vor. Außer militärischen Gründen sind für diesen Entschluß der russischen Regierung jedenfalls auch finanzielle Erwägungen maßgebend gewesen. Die fortwährende Vermehrung der stehenden Heere und die ins Ungeheure steigenden Kosten der Unter-