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denselben tritt insbesondere die Tendenz der Konzentrierung eines starken Aufgebotes an der rumelischen Grenze zu Tag. Es ist die Mobilisierung von 80 Bataillonen von Redifs (Reserve erster Klasse) im Zug. Für den Fall, daß zwei Armeekorps in Verwendung gelangen sollten, wird allgemein Marschall Moukhtar Pascha als Oberkommandant mit den Generalen Foud Pascha und Tahir Pascha als Untergeneralen bezeichnet; Letzterer kommandiert gegenwärtig die an der rumelischen Grenze vereinigte türkische Streitmacht in der Stärke von ungefähr 9000 Mann. Das Kriegsministerium hat im Hinblick auf die Möglichkeit eines Winterfeldzugs bereits namhafte Bestellungen von Schuhwerk, Monturen und anderen Bedarfsartikeln gemacht. Auch das Marineministerium fährt fort, Vorbereitungen für die Indienststellung mehrerer Panzer- und Transportschiffe zu treffen. Der der Dampfschiffahrts-Gesellscha't „Mashousse" gehörige Steamer „DolmaBagdsche" ist von der Regierung gechartet worden, um Truppen von Smyrna nach Salonichi zu transportieren und bereits nach seinem Bestimmungsort abgegangen. Auch in Bulgarien und Ostrumelien werden den in Konstantinopel eingelangten Nachrichten zufolge sehr große militärische Vorbereitungen getroffen und in türkischen Kreisen behauptet man, daß bisher für diesen Zweck schon mehr als 15 Millionen Francs verausgabt worden sind.
Hages-Werrigkeiten.
Stuttgart. 13. Oktober. Ihre Majestäten der König und die Königin sind heute nachmittag von Friedrichshafen wieder hier eingetroffen.
Stuttgart, 13. Okt. Gestern nachmittag hatte sich die 2. Strafkammer mit einer Körperverletzung im Amt, deren der 25jährige Lehrer A. Kühnle in Hausen, OA. Leonberg, angeklagt war, 4 Stunden lang zu beschäftigen. Derselbe hat 2 Knaben und 2 Mädchen im Alter von 8 und 10 Jahren vorschriftswidrig über den Rücken geschlagen, einen in einer Viertelstunde zweimal, und Mädchen an den Haaren gerissen, daß am andern Tag der Mutter ein Haarbüschel in den Händen blieb. Der Lehrer läugnet, zu weit gegangen sein, aber die Zeugen halten d.ie Angaben aufrecht. Einer derselben, Wagner Saitter, hat sogar Nebenklage gestellt und beansprucht Schadenersatz, weil sein Knabe von den Streichen über Gesäß und Rücken einen Laistenbruch bekommen habe. Dem ist jedoch schon OA.Wundarzt Günzler in Leonberg schriftlich entgegengetreten, welcher einen Zusammenhang des Leidens, das allerdings vorhanden ist, mit den Schlägen in der Schule nicht zugibt. St.A. Herrschner beantragt, ohne die Nebenklage zu vertreten, Bestrafung im Sinne der Anklage. In Anbetracht des schweren Standpunktes der Lehrer würde eine mäßige Gelostrafe von 50—40 genügen. Das Urteil lautete auf 25 vkL Geldstrafe wegen zweier fahrlässiger Körververletz- ungen. Dagegen erfolgte Freisprechung von zwei weiteren Körperverletzungen.
Brackenheim, 12. Okt. Heute abend 5'/-, Uhr — die meisten Einwohner waren mit der Lese auswärts beschäftigt — brach, augenscheinlich infolge von Brandstiftung, in dem an der Heilbronner Straße stehenden, sehr ausgedehnten Feucht-Haiberffchen Hause Feuer aus, das sofort den ganzen Dachstuhl ergriff und diesen ausbrannte. Weitere Ausdehnung wurde durch die Feuerwehr, welche Unterstützung von Botenheim, Dürrenzimmern, Meims- heim und Güglingen erhielt, Einhalt gethan. Vor l'/r Jahren schon vermutete man, daß das in nächster Nähe des Hauses in Rebendüscheln entstandene, aber sofort entdeckte und gelöschte Feuer gelegt sei. Als verdächtig ist der Miteigentümer C. H. sofort in Haft genommen worden.
Von der Alb, 10. Dkt. Gestern wurde in der Nähe von Zwiefalten von dem Forstwächter Gawatz ein Fischadler (lalco bnliaetvs) geschossen, welcher nebst einem andern Genossen schon seit einigen Tagen als äußerst geschickter Fischfänger den Forellen der Aach hart zugesetzt hatte, indem er hoch aus den Lüften herab auf die von seinem scharfen Auge erspähten Fische wie ein Pfeil in den Fluß berniederschoß, so daß die Wellen
über ihm zusammenschlugen, und mit dem erbeuteten Fisch in den Fängen wieder auf- und einem sicheren Ort zuflog. Es wird nun auch auf den zweiten Vogel, um ihm sein schädliches Handwerk zu legen, eifrig gefahndet.
Rom, 8. Okt. Zwei furchtbare Erdstöße haben, wie dem Fanfulla aus Catania geschrieben wird, die Gemeinde Nicolosi vollständig zer - stört. Der Schaden ist unberechenbar, da der ganze Ort zusammengestürzt ist. Die Verwüstung ist grenzenlos; die Ueberlebenden sind trostlos. 2 Kom- pagnien Genie-Soldaten sind abgegangen, um für die Unglücklichen, welche ohne Obdach geblieben, Holzbaracken zu bauen.
Die Ikrrostfpannert.*)
Unter diesem Namen sind zwei Arten den Kernobstbäumen, namentlich den Aepfelbäumen, höchst schädlicher Schmetterlinge bekannt, durch deren Auftreten oft ganze Obsternten vernichtet werden. Da die Zeit, in der die Vertilgung derselben am erfolgreichsten ist, bei uns in Oktober und November fällt, werden in vielen Gegenden durch die Ortsschelle öffentlich aufgefordert, die bekannt gegebenen Mittel gegen diese Schädlinge jetzt anzuwenden. Die Weibchen beider sind flügellos, und darauf beruht der erfolgreiche Kampf gegen diese gefährlichen Feinde der Obstkultur.
Der großeObstspanner, Kibernia (biäonia) äskolisrl», ist 14 Mm. lang mit einer Flügelspannung von 41 Mm., hat große dünnbeschuppte Flügel von hell-ockergelber Farbe, dunkel gesprenkelt und mit einem Mittelfleck versehen. Das kaum mit merklichen Flügelstumpfen versehene, dicke Weibchen hat borstenförmige Fühler und ist auf ockergelbem Grunde schwarz gefleckt; Flugzeit Oktober und November. Die zehnfüßige Raupe ist schlank, lichtgelb, Kopf rotbraun mit einem mehr oder weniger lebhaft rotbraunen Streifen über den Rücken. Vom April bis Juni frißt die Raupe an den verschiedensten Bäumen und Sträuchern, wird aber mehr im südlichen Deutschland und der Schweiz den Obstbäumen gefährlich. In Mitteldeutschland dagegen und weiter hinauf gehört aber zu den entschieden gefährlichsten Feinden unserer Obstbäume der kleine Frostspanner Otioimstodi» brumm». Die bleichgrüue Raupe zerstört im April und Mai zu Millionen die Knospen und Triebe der Obstbäume und vernichtet dadurch fast die ganze Obsternte. Der schmutzigstaubgraue Schmetterling hat 10 Mm. Länge und eine Flügelspannung von 31 Mm. Das staubgraue Weibchen hat kurze Flügelläppchen mit je einer dunkeln Querbinde. Anfang November erscheint der Schmetterling. Das Weibchen kann seiner verkümmerten Flügel wegen nicht fliegen, kriecht aber an lauen Novemberabenden behend am Stamme des Baumes hinauf und legt seine Eier — über 250 — an die Knospen. Die Räupchen schlüpfen anfangs Mai, oft schon früher aus und sind Mitte Juni vollständig entwickelt, nachdem sie die Bäume kahl wie Besenreis gefressen haben. Dann fangen wohl alte, kränkliche Bäume an, sich wieder zu belauben, treiben aber höchstens an der Spitze der Zweige Blätter, nicht Sprößtinge; junge Bäume machen nur kleine schwächliche Triebe. Bedenkt man, daß nur 30 Weibchen eine Nachkommenschaft von über 7000 Frostschmetterlingen erzeugen, so ist es erklärlich, welche außerordentliche Verheerung durch das nur einigermaßen Umsichgreifen dieses Schmetterlings zu befürchten sind. Das Insekt muß also mit Nachdruck und gleichzeitig überall, wo es sich zeig) bekämpft werden.
Früher suchten die Obstzüchter ihre Ernten dadurch zu sichern, daß sie um die Baumstämme Teer-Ringe strichen. Weil aber Teer die Bäume brandig macht, so kam man davon ab und wendet jetzt allgemein und mit dem besten Erfolg den von dem Lehrer C. Becker in Jüterbog, Reg.-Bez. Potsdam, dargestellten B r u m a t a - L e i in an. Breite Bänder von Papier oder Leinwand werden dick mit diesem Leim bestrichen und in halber Höhe rings um den Stamm gelegt; diese Klebbänder müssen dicht am Stamme anliegen,
*) Fr. Jvurn. Nro. 669.
eines Sohnes — und begann die Souper's und Diner's des Harders'schen Hauses als glänzend, vortrefflich und sehr amüsant zu finden. Man war nicht skrupulös in diesen delikaten Dingen und bedeckte sie, nachdem sie einige Zeit das Tagesgespräch gebildet hatten und bald durch neue, pikantere verdrängt worden waren, schließlich mit dem Mantel der Vergessenheit! —
Sechstes Kapitel.
Sechs Jahre waren seit diesen Ereignissen verflossen. Im Waldschlößchen prangte der große, schöne Garten, der als ein Muster m Schönheit der Anlage, der Rabatten und des Blumenflors m der ganzen Umgegend galt, in herrlichster Pracht. Besonders waren es die Rosen, welche Lma's Hand sorgfältig pflegte und in üppigster Fülle überall zu sehen waren.
Auch an dem heutigen taufrischen Junimorgen ging die junge Frau mit einem Körbchen von Strauch zu Strauch und sammelte die abwelkenden Rosen ; hie und da schnitt sie eine abgefallene Blüte ab Ihre Gestalt hatte sich nicht verändert, sondern zeigte noch immer die zarten, schmächtigen Formen. Ihr Antlitz, sonst bleich, war heute von der frischen Morgenluft zart gerötet, der Zug stillen Grames um den lieblich geformten Mund trat weniger scharf hervor.
Sinnend blieb sie vor einem Strauch besonders schöner Moosrosen stehen und betrachtete lange die reizend verhüllten Knospen. Was mochte ihr wohl dabei durch den Sinn gehen?
Der Anblick der Mooslöschen zauberte ihr ein anderes Bild vor die Augen — ein liebliches Kindergrsickt ml großen, sinnendtn, schönen Augen. Das war ihr einzig Kind — ihr Töchterchen Jetty! Glich sie nim auch in ihrer kindlichen Lieblichkeit einer zart verhüllten Nosenkrospe? Ob sie sich zu vollster Vlütenpracht erschließen würde? Wird rhr Lebe» von dem Gttt- hauch des Grames verschont bleiben, der das Herz der Mutter gebrochen? Ach, wie so ungewiß ist die Zukunft und wer vermag der. dunklen Schleier zu lüften?
Plötzlich ließen sich leichte, schnelle Tritte hrruer Lma vernehmen, und zu gleicher Zeit sprang ein großer, schwarzer Neufundläncur, Jelty's treuester
Spielgefährte, freudig bellend und schwanzwedelnd an Lina empor. Sich umwendend, gewahrte sie ihr Töchterchen, welches mit ausgebreiteten Armen auf sie zuflog.
„Mütterchen, nicht böse sein, daß ich so früh aufgestanden!" rief das liebliche Kind schon von Weitem, dessen blonde Löckchen in der Morgensonne wie flüssiges Gold erglänzten und das reizende, blühende Gesichtchen wie mit einem Glorienschein umgaben, der auch vollständig zu dem wunderbar tiefen Glanz der großen, dunklen Augen paßte. Sie hatten keine bestimmte Farbe, diese selten schönen Kinderaugen, bald erschienen sie mehr blau, bald mehr braun, auffallend war der sinnende, ausdrucksvolle Blick und der tiefe intensive Glanz, der aus dem Innersten dieser Kinderaugen zu kommen schien und auf ein besonders reiches, tiefes Gemüt schließen ließ.
Klein Jetty war auch der verhätschelte Liebling des ganzen Hauses. Der Bauernjunge, der die Schweine hütete, versäumte nie, ihr zur Mittagsstunde die schönsten und duftigsten Walderdbeeren und Waldblumen mitzubringen. Er war reichlich für die gehabte Mühe belohnt, wenn Jetty mit ihren Händchen über die braune Wange strich und sagte: „Du bist gut, Anton, ich danke Dir sehr, sehr dafür!" Der Kutscher, die Stallmagd, die Köchin, alle wetteiferten um Jetty dienstfertig zu sein und freuten sich des sonnigen, glücklichen Lächelns, das stets auf ihrem Gesichtchen strahlte.
Der alte Pflegepapa nannte sie den „Sonnenstrahl seines Alters" und konnte stundenlang ihren kindlichen Spielen stilllächelnd zusehen, während die Pflegemama oder Großmama, wie sie Jetty nannte, gar schöne Geschichten zu erzählen wußte, von Elfen und Gnomen, den friedlichen Bewohnern des Waldes, von Nixen und Wassermännern im Krystallpalafl aus dem Meeresgründe, verwunschenen Prinzen und Prinzessinnen und anderen schönen merkwürdigen Dingen, denen Jetty mit verwunderten Augen lauschte und oft Fragen that, welche die alte Großmama in Betreff der Wahrheit der erzählten Begebenheiten sehr in die Enge trieben.
(Fortsetzung folgt.)