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Die franMschen Wahlen.
Die Nachrichten aus Paris sind in hohem Grad überraschend. Zum erstenmale sollte sich das neue Wahlsystem erproben, das, eine Hinterlassenschaft Gambettas, ein untrügliches Mittel für die herrschende Partei sein sollte, sich die Herrschaft zu erhalten. Und diese Probe ist aufs ungünstigste ausgefallen. Das Machtmittel hat gänzlich versagt; sei es, daß es an sich untauglich war oder von ungeschickten Händen gebraucht wurde. Die Republik hat eine Niederlage erlitten durch ihre vereinigten Gegner. Oder genauer, die Männer der gegenwärtigen Regierung, die gemäßigten Republikaner, die Opportunisten, sind geschlagen worden durch die Extreme, hier durch die Radikalen, welche nicht nur ihren Bestand aufrechterhalten, sondern auf Kosten der Gemäßigten gewonnen haben, der durch die Monarchisten, welche in sehr bedeutend verstärkter Zahl in die Kammer einziehen und zum erstenmal eine Macht in derselben sind. Das französ. Volk hat also an der Wahlurne der Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Staatsform Ausdruck gegeben. Dieser Spruch des allgemeinen Simmrechts mag wohl verdient sein, und er ist keineswegs unerklärlich, aber er ist vom Standpunkt der allgemeinen Interessen und des Weltfriedens aus wenig erfreulich. Wir sehen das französische Volk wieder einmal launisch, mißvergnügt und zum großen Teil der gegenwärtigen Staatsform überdrüssig, auf Neuerungen bedacht, reif für einen Staatsretter. Wenn nicht die Republik abgewirtschaftet hat, so doch ihre bisherigen Leiter; das Volk scheint ein neues Bild, eine abermalige Verwandlung der Scene zu verlangen. Auch der Umstand gewährt nicht viel Trost, daß es im Wesentlichen gerade die friedlichen und konservativen Neigungen des Volks sind, die dasselbe den Republikanern entfremdet haben. Allgemein wird zugegeben, daß die kriegerischen Abenteuer des herrschenden Opportunismus in erster Linie dessen Niederlage verschuldet haben. Tonkin, das „Sedan der Republik", das „Moskau des Opportunismus", das „Mexiko des Gambettisten" schwebt auf allen Lippen. Ohne Zweifel hätte das Volk die kriegerische Ausdehnungspolitik in Afrika und Asien leicht verziehen und die Opfer an Gut und Blut gern gebracht, wenn nur mehr dabei herausgekommen wäre, mehr Kriegsruhm, mehr sinnbethörender Glanz, und wenn ein sicherer, greifbarer, gewinnbringender Abschluß da wäre. Aber ganz erfolglos und ohne Aussicht aus ein Ende in eine kostspielige Kriegspolitik verwickelt zu sein, das ist allerdings verdrießlich, und das verdiente eine Lektion an die verantwortlichen Staatskünstler der Republik. Uebrigens wird Tormn doch nicht der einzige Grund des Mißvergnügens sein. Die kläglichen Spaltungen unter den Republikanern haben ihrem Ansehen gewaltig geschadet. Dazu wird die Geistlichkeit stark gewühlt haben, die zwar bisher noch wenig Einbuße erlitten, aber bei einer längeren Dauer der republikanischen Staatsform wenig zu hoffen, manches zu fürchten hat. Mehr als eine Lektion, eine Verwarnung wird man nun allerdings in dem jetzigen Wahlausgang für den Augenblick nicht zu sehen haben. Die Gefahr für die Republik ist noch keine unmittelbare. Neber mehr als ein Drittel der Sitze werden erst die Stichwahlen entscheiden und mittelst dieser hoffen die Republikaner sich jedenfalls im Besitze der Mehrheit zu erhalten. Allein ihre moralische Niederlage bleibt darum doch, und die Hitze des Wahlkampfs wird die Spaltung zwischen den gemäßigten und den radikalen Republikanern nur noch verschärft haben. Ob diese also die in dem Wahlausfall gegebene Lehre beherzigen und den beweglichen, von den Opportunisten in ihrer Not angestimmten Ruf zur Einigkeit befolgen werden, das steht noch dahin. Zu statten kommt ihnen für jetzt noch, daß die Monarchisten selbst unter sich nicht einig sind, kein gemeinsames Programm und keinen gemeinschaftlichen Prätendenten haben, und daß auch nirgends eine Persönlichkeit in Sicht ist, auf welche die Augen des Volkes und seine Hoffnungen gerichtet wären. Aber das ist keine Frage, daß die bisherige Staatskunst der Republikaner eine Lage geschaffen hat, wie sie für einen kecken Ehrgeizigen, der zuzugreifen verstünde, gar nicht angenehmer sein könnte.
Schw. Merk.
'UokiLifche WcrcHvichtsn.
Deutsches Reich.
— Die Wahl des Prinzen Albrecht von Preußen zum Regenten von Braunschweig durch die vom 19./20. d. M. einberufene Landesversammlung wird allgemein als feststehend angesehen. Wie verlautet, würde Prinz Albrecht nach Antritt der Regentschaft das Generalkommando des 10. Armeekorps abgeben und die durch den Tod des Prinzen Friedrich Karl erledigte dritte Armee-Inspektion übernehmen, zu welcher außer dem 7., 8. und 12. auch das 10. Armeekorps und somit das braunschweigische Kontingent
gehört. Letzteres dürfte in den Rahmen des preußischen Heeresverbandes eintreten.
— An dasJnslebentreten der Unfallversicherung in Deutschland knüpft ein republikanisches Blatt in unserer Nachbarschaft, die Berner Post, folgende Bemerkungen: „In einiger Zeit, da auch unter den sonst fortschrittlich gesinnten Republikanern so wenig zu verspüren ist von einer fröhlichen Inangriffnahme der dringendsten Aufgaben der Gegenwart, da man vor jeder Neuerung als vor einem dunkeln Abgrund, wo weder Halt noch Ausweg zu finden, ängstlich zurückschreckt, da man sich von den Anhängem des Alten mehr und mehr in die Defensive zurückdrängen läßt und auf Schritt und Tritt in Klagen ausbricht über die Verheerungen der immer weiter um sich greifenden Reaktion, in einer solchen Zeit muß Einem das Bild eines Mannes imponieren, der weiß, was er will, und unbekümmert um die Zerfahrenheit und Haltlosigkeit seiner Zeitgenoffen keck und kühn auch davor nicht zurückschreckt, bisher unbetretene, von Allen Seiten gemiedene Wege, zu gehen. Gewiß ist der deutsche Reichskanzler ein richtiger Konservativer, ein strammer Monarchist, ein felsenfester Positiver. Alles Dinge, die nicht zu unfern Liebhabereien gehören. Sicherlich geht er auf sozialem Gebiet in vielen Dingen durchaus auf Irrwegen. Aber er geht wenigstens, er bleibt nicht stille stehen. Er wagt etwas. Und das ist es schließlich, was die Menschheit vorwärts bringt. Auch die Irrwege führen uns schließlich zur Wahrheit. Wer nicht zu irren wagt, kann auf keinem Gebiete menschlichen Lebens etwas für den Fortschritt leisten."
Gages-Weingkeiten.
Freuden st adt, 5. Okt. Der Bau der Kinzigthalbahn schreitet bei uns rasch voran. Auf der Strecke Freudenstadt-Loßburg ist die Schienenlage beinahe fertiggestellt. Vorgestern fuhr die erste Lokomotive von hier auf der neuen Bahnstrecke bis nach Lauterbad (2 Kilometer), wo in Anwesenheit des Oberingenieurs, Herrn Oberbaurat v. Morlok, und der hiesigen Eisenbahnbaubeamten die Belastungsprobe mit dem dortigen Eisenbahnviadukt vorgenommen wurde. Die neue Kinzigthalbahn wird einen hervorragenden Anziehungspunkt für die Touristenwelt bilden.
Nürnberg, 2. Oktbr. Eine eigentümliche Umtaufung muß jetzt von den Behörden hier vorgenommen werden. Ein im Jahr 1865 dahier geborenes Kind wurde, nachdem die Hebamme dasselbe irrtümlich als Mädchen angegeben, damals als „Johanne Mathilde" getauft. Jetzt erst stellte es sich heraus, daß man es mit einem Manne zu thun hat, der nun auch zur Militärpflicht herangezogen wird und dessen bisherige Tausnamen in Johann Matthäus umgewandelt werden.
Bochum, 2. Okt. Unsere Stadt ist vorgestern der Schauplatz eines furchtbaren Verbrechens gewesen. Zwei zwölfjährige Jungen baden einen neunjährigen Knaben in einen dortigen Neubau hineingelockt, ihm Haare und Füße mit Stricken verschnürt, Nase, Mund und Ohren mit Erde uns Steinen verstopft und dem armen, völlig wehrlosen Kinde mit ei.iem besser einen Stich beim Ohre beigebracht, so daß die Klinge am Munde wieder herauelam. Das arme Opfer wurde erst nach mehreren Stunden zufällig uuige'unden und ist bereits gestern nachmittag an den Folgen der erhaltenen Verletzungen gestorben.
KcrnöeL L WerrkeHv.
Herbstbericht. Schnaith im Remsthal, 7. Okt. Lese in vollem Gange. Preis 26, 262/z, 27>/z und 28l/z pro 1 Hektol. Qualität gut. Quantität schlägt vor.
Kleinheppach, 7. Okt. Ein Kauf zu 96 pro 3 Hektol.
Kak. Standesamt Kakw.
Vom 1. bis 7. Oktober 1885.
Geborene.
1. Okt. Friederike Marie, T. d. Christian Riemann, Fabrikarbeiters hier.
4. „ Christiane Karoline, T. d. Georg Wackenhuth, Mechanikers von hier.
7. , Rosa Luise, T. d. Adolf Ziegler, Metzgers von hier.
Getraute.
4. „ Karl Gustav Linkenkeuheil, Schreiner von hier, mit Sofie Katharine
Lorch von hier.
6. „ Rudolf Max Bordolo, Koch von Bühl bei Baden-Baden mit Luise Sofie
Linkenheil von hier.
- Gestorbene.
2. » Christian Walkamm. Tuchmacher von hier, 61 Jahre alt.
2. » Ernst Eugen Staib, S. d. Christian Staib, Schriftsetzers hier, 2 Monate
alt.
4. „ Wilhelm August Klein dienst, S. d. Gustav Kleindienst, Maschmen-
strickers hier, 6 Monate alt.
Amtliche KeklUMtMlichMM
Calw.
Haus-Verkauf.
Tuchmacher Michael Weber bringt sein zweistöckiges Wohnhaus in der Vorstadt, welches zwei Wohnungen, Stallung und gewölbten Keller enthält, am
Montag, den 12. Oktbr. 1885, vormittags 11 Uhr, auf dem Rathaus zum zweiten und letzten Mal zur Versteigerung.
Anschlag 1500
Ratsschreiberei.
Hausen a. d. Zaber,
bei Brackenheim.
Keeö^tanzeige.
Die Lese des schwarzen Frühgewächses hat
Donnerstag, den 8. Oktober
begonnen.
Die allgemeine Weinlese wird sich hieran
Montag, den 12. Oktober anschließen, und kann von Mitte kommender Woche an schon Weinmost gefaßt werden. Der Stand der Weinberge ist schön und läßt eine gute Qualität erwarten. — Erzeugnis ca. 2400 Hektoliter, wovon die Hälfte schwarz, die Hälfte gemischt Gewächs.
Die Herren Weinkäufer werden zu zahlreichem Besuche, freundlichst eingeladen.
Den 8. Oktober 1885.
Gemeinderat.
Vorstand Köhler.
Primrt-Anzeigen.
Weineul-fehlung.
Gastwirte und Private, die einen extra feinen, edlen 85er Weißwein und 84er und 85er dto. Rotwein (Burgunder und Trollinger), auch billigen 84er Tischwein ä 20 H pr. Liter zu kaufen wünschen, wollen sich wenden an den Unterzeichneten. Der Wein ist eigenes Gewächs von vorzüglichen Berglagen.
F. A. Wider, z. Krone, in Meimsheim b. Brackenheim.