Beilage zum Gesellschafter.
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Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokraten.
(Forschung und Schluß )
tz. 11. Druckschriften, in welchen socialdemokratische, socialistischc oder commnnistische, auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichtete Bestrebungen in einer den öffentlichen Frieden, insbesondere die Eintracht der BevölkernngSklasseu gefährdenden Weise zu Tage treten, sind zu verbieten. Bei periodischen Druckschriften kann das Verbot sich auch auf das fernere Erscheinen erstrecken, sobald auf Grund dieses Gesetzes das Verbot einer einzelnen Nnmer erfolgt.
K. 12. Zuständig für das Verbot ist die Landcs-Pvli- zeibehörde, bei periodischen, im Jnlande erscheinenden Druckschriften die Landes-Pvlizcibehörde des Bezirks, in welchem die Druckschrift erscheint. Das Verbot der fernere» Verbreitung einer im Anslande erscheinenden periodischen Druckschrift steht dem Reichskanzler zu.
Das Verbot ist in der im Z. 6 Abs. 2 vorgeschriebene» Weise bekannt zu machen und ist für das ganze Bundesgebiet wirks am.
tz. 13. Das von der Landes-Polizeibchörde erlassene Verbot einer Druckschrift ist dem Verleger oder dem Herausgeber, das Verbot einer nicht periodisch vorhandenen Druckschrift auch dem auf derselben benannten Verfasser, sofern diese Personen im Jnlande vorhanden sind, durch schriftliche, mit Gründen versebene Verfügung bekannt zu machen.
Gegen diese Verfügung steht dem Verleger oder dem Herausgeber, sowie dem Verfasser die Beschwerde (Z. 26) zu.
Die Beschwerde ist innerhalb einer Woche nach der Zustellung der Verfügung bei der Behörde anznbringen, welche dieselbe erlassen hat.
Die Beschwerde hat keine aufschicbende Wirkung.
K. 14. Auf Grund des Verbots sind die von demselben betroffenen Druckschriften da, wo sie sich zum Zweck der Verbreitung vorfindcn, in Beschlag zu nehmen. Die Beschlagnahme kann sich auf die zur Vervielfältigung dienenden Platten und Formen erstrecken; bei Druckschriften im engeren Sinne hat auf Antrag des Bctheiligtcn statt Beschlagnahme des Satzes das Ablegen des letzteren zu geschehen. Die in Beschlag genommenen Druckschriften, Platten und Formen sind, nachdem das Verbot eickgiltig geworden ist, unbrauchbar zu machen.
Die Beschwerde findet nur an die Aufsichtsbehörden statt.
tz. 15. Die Polizeibehörde ist befugt, Druckschriften der im Z. 11 bezeichneten Art, sowie die zu ihrer Vervielfältigung dienenden Platten und Formen schon vor Erlaß eines Verbots vorläufig in Beschlag zu nehmen. Die in Beschlag genommene Druckschrift ist innerhalb viernudzwanzig Stunden der Landcs- Polizcibehörde einzureicheu. Letztere hat entweder die Wieder- aufhebung der Beschlagnahme sofort anzuordnen oder innerhalb einer Woche das Verbot zu erlassen. Erfolgt das Verbot nicht innerhalb dieser Frist, so erlischt die Beschlagnahme und müssen die einzelnen Stucke, Platten und Formen freigegeben werden.
H. 16. Das Einsammelu von Beiträgen zur Förderung von socialdemokratischen, socialistischeu oder communistischen, auf den Umsturz der bestehenden Staats- oder Gesellschaftsordnung gerichteten Bestrebungen, sowie die öffentliche Aufforderung zur Leistung solcher Beiträge sind polizeilich zu verbieten. Das Verbot ist öffentlich bekannt zu machen.
Die Beschwerde findet nur an die Aufsichtsbehörden statt.
8- 17. Wer an einem verbotenen Vereine (K. 6) als Mitglied sich betheiligt, oder eine Thätigkeit im Interesse eines solchen Vereins ansiibt, wird mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder mit Gcfängnitz bis zu drei Monaten bestraft. Eine gleiche Strafe trifft Denjenigen, welcher an einer verbotenen Versammlung (K. i>) sich bethciligt, oder welcher nach polizeilicher Auflösung einer Versammlung (K. 9) sich nicht sofort entfernt.
Gegen Diejenigen, welche sich an einem Vereine oder an der Versammlung als Vorsteher, Leiter, Ordner, Agenten, Redner oder Kassierer bctheiligen, oder welche zu der Versammlung auffordern, ist auf Gefängnis; von Einem Monat bis zu Einem Jahre zu erkennen.
8- 18. Wer für einen verbotenen Verein oder sür eine verbotene Versammlung Räumlichkeiten hergibt, wird mit Gefängnis; von einem Monat bis zu einem Jahr bestraft.
8- 19. Wer eine verbotene Druckschrift (Ztz. 11, 12), oder wer eine von der vorläufigen Beschlagnahme betroffene Druckschrift (tz. 15) verbreitet, fortsetzt oder wieder abdruckt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Gefäng- niß bis zu sechs Monaten bestraft.
8- 20. Wer einem nach 8- 16 entlassenen Verbote zu- tviderhandclt, wird mit Geldstrafe bis zu fünfhundert Mark oder mit Gefängniß bis zu drei Monaten bestraft. Außerdem ist
Samstag den 2. November.
das zu'olge der verbotenen Sammlung oder Aufforderung Empfangene oder der Werth desselben der Armenkasse des Orts der Sammlung für verfallen zu erklären.
K. 21. Wer ohne Kenntnis;, jedoch nach erfolgter Bekanntmachung des Verbots durch den „Reichsanzeiger" (KZ. 6, 12) eine der in den 88- 17, 18, 19 verbotenen Handlungen begeht, ist mit Geldstrafe bis zu einhnndertfünszig Mark oder mit Haft zu bestrafe».
Gleiche Strafe trifft Den, welcher nach erfolgter Bekanntmachung des Verbots einem nach 8- 16 erlassenen Verbote znwiderhandelt. Die Schlnßbestimmnng des 8- 20 findet Anwendung.
Z. 22. Gegen Personen, welche sich die Agitation für die im 8- 1 Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen zun; Geschäfte machen, kann im Falle einer Vcrnrtheilnng wegen Zuwiderhandlungen gegen die 88- 17^20 neben der Freiheitsstrafe auf die Zulässigkeit der Einschränkung ihres Aufenthaltes erkannt werden.
Ans Grund dieses Erkenntnisses kann dem Vernrlheilten der Aufenthalt in bestimmten Bezirken oder Ortschaften durch die Landes-Polizeibchörde versagt werden, jedoch in seinem Wohnsitze nur dann, wenn er denselben nicht bereits seit sechs Monaten inne hat. Ausländer können von der Lnndes-Polizei- bchörde aus dem Bundesgebiete auSgewiesen werden. Die Beschwerde findet nur an die Aufsichtsbehörden statt.
Zuwiderhandlungen werden mit Gefängniß von einem Monat bis zu einem Jahr bestraft.^
Z. 23. Unter den im K- 22 Abs. 1 bezeichneten Voraussetzungen kann gegen Gastwirthc, Schankwirthc, mit Branntwein oder Spiritus Kleinhandel treibenden Personen, Buchdrucker, Buchhändler, Lcihbibliothckare und Inhaber von Lese- kabineten neben der Freiheitsstrafe auf Untersagung ihres Gewerbebetriebes erkannt werden.
H. 24. Personen, welche es sich zum Geschäft machen, die im 8- 1 Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen zu fördern, oder welche auf Grund einer Bestimmung dieses Gesetzes rechtskräftig zu einer Strafe verurtheilt worden sind, kann von der Landes-Polizcibehörde die Befngniß zur gewerbsmäßigen oder nicht gewerbsmäßigen öffentlichen Verbreitung von Druckschriften, sowie die Befngniß zum Handel mit Druckschriften im Umhcr- ziehen entzogen werden.
Die Beschwerde findet nur an die Aufsichtsbehörden statt.
8- 25. Wer einem auf Grund des 8- 23 ergangenen Urtheil oder einer ans Grund des 8- 24 erlassenen Verfügung znwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft.
8- 26. Zur Entscheidung der in den Füllen der KZ. 8, 13 erhobenen Beschwerden wird eine Kommission gebildet. Der Bundcsrath wählt vier Mitglieder ans seiner Mitte und fünf aus der Zahl der Mitglieder der höchsten Gerichte des Reichs oder der einzelnen Bundesstaaten.
Die Wahl dieser fünf Mitglieder erfolgt für die Zeit der Dauer dieses Gesetzes und für die Dauer ihres Verbleibens im richterlichen Amte.
Der Kaiser ernennt den Vorsitzenden und aus der Zahl der Mitglieder der Kommission dessen Stellvertreter.
H. 27. Die Kommission entscheidet in der Besetzung von fünf Mitgliedern, von denen mindestens drei zu den richterlichen Mitgliedern gehören müssen. Von der Entscheidung über die Beschwerde ist den Betheiligten Gelegenheit zur mündlichen oder schriftlichen Begründung ihrer Anträge zu geben. Die Kommission ist befugt, Beweis in vollem Umfange, insbesondere durch eidliche Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen zu erheben oder mittelst Ersuchens einer Behörde des Reichs oder eines Bundesstaates erheben zu lassen. Hinsichtlich der Verpflichtung, sich als Zeuge oder Sachverständiger vernehmen zu lassen, sowie hinsichtlich der im Falle des Ungehorsams zu verhängenden Strafen kommen die Bestimmungen der am Sitze der Kommission, beziehungsweise der ersuchten Behörde geltenden bürgerlichen Prozeßgesetze zur Anwendung. Die Entscheidungen erfolgen nach freiem Ermessen und sind endgiltig.
Im klebrigen wird der Geschäftsgang bei der Kommission durch ein von derselben zu entwerfendes Regulativ geordnet, welches der Bestätigung des Bnndesrathes unterliegt.
8- 28. Für Bezirke oder Ortschaften, welche durch die im K. 1 Abs. 2 bezeichneten Bestrebungen mit Gefahr für die öffentliche Sicherheit bedroht sind, können von den Centralbc- hörden der Bundesstaaten die folgenden Anordnungen, soweit sie nicht bereits landesgesetzlich zulässiig sind, mit Genehmigung des Bnndesraths sür die Dauer von längstens einen; Jahr getroffen werden:
_M.
1) das; Versammlungen nur mit vorgängigcr Genehmigung der Polizeibehörde stattfinden dürfen; auf Versammlungen zum Zweck einer ausgeschriebenen Wahl zum Reichstag oder zur Landesvertretung erstreckt sich diese Beschränkung nicht!
2) daß die Verbreitung von Druckschriften auf öffentlichen Wegen, Straßen, Plätzen oder an anderen öffentlichen Orten nicht stattfinden darf;
3) das; Personen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung zu besorgen ist, der Aufenthalt in den Bezirken oder Ortschaften versagt werden kann;
4) daß der Besitz, das Tragen, die Einführung und der Verkauf von Waffen verboten, beschränkt oder an bestimmte Voraussetzungen geknüpft wird;
lieber jede auf Grund der vorstehenden Bestimmungen getroffene Anordnung muß dem Reichstage sofort, beziehungsweise bei seinem nächsten Znsammentreten Rechenschaft gegeben werden.
Die getroffenen Anordnungen sind durch den „Reichsanzeiger" und ans die für landeSpolizeiliche Verfügungen vorgeschriebene Weise bekannt zu machen.
Wer diesen Anordnungen oder dei; ans Grund derselben erlassenen Verfügungen nrit Kenntniß oder nach erfolgter öffentlicher Bekanntmachung zuwiderhandelt, wird mit Geldstrafe bis zu eintausend Mark oder mit Haft oder mit Gefängniß bis zu sechs Monaten bestraft.
8- 29. Welche Behörden in jedem Bundesstaat unter der Bezeichnung Landes-Polizeibehörde, Polzeibehördc zu verstehen sind, wird von der Centralbehörde des Bundesstaates bekannt gemacht.
tz. 30. Dieses Gesetz trtit mit dem Tage der Verkün dignng in Kraft und gilt bis zum 31. März 1881.
Urkundlich re.
Gegeben re.
Berlin, den 21. Oktober 1878.
Der verlorene Schatz.
Novelle von Friedrich Hagen
(Nachdruck ver-oten.)
(Fortsetzung.)
Anna saß gerade an ihrem Arbeitstische, als der Vater mit bleichem Angesichte hereinlrat.
„Alles ist verloren, die Gläubiger wollen auf keinen Ausgleich eingehen; in 8 Tagen soll sogar all mein Hab uud Gut subhastirt werden. Was sind wir dann? Was bleibt uns übrig? Wir sind Bettler!"
Dann sank er erschöpft in einen Stuhl und hielt sich beide Hände vor das Gesicht, und saß lange so in bangem Schweigen.
Anna brach in heftiges Weinen aus.
„Ach, Vater, vielleicht kommt doch noch unverhoffte Rettung, laß nur den Muth nicht sinken, es wird sich schon Alles wieder gut machen. Weißt Du keine Hülse, keine?"
„Noch eine, mein Kind."
Und er sah sie bei diesen Worten groß an und ergriff ihre Hände.
„Der Pastor hat mir gestern gesagt, daß er Dich heiralhen wolle. Du weißt, er ist ein Mann in den besten Jahren, ein braver, rechtlicher Mann, hat sein gutes Auskommen und außerdem noch ein großes Vermögen. Was meinst Da dazu?"
„Ach, Vater, alles Andere, nur Dies fordere nicht von mir. Ich will arbeiten für Dich Tag und Nacht, will gern Arbeit und Entbehrung hinnehmen, nur laß mich nicht gegen meine Liebe und meinen Willen heirathen! Du weißt, ich Haffe den Pastor, es ist mir schon der Gedanke einer Vermählung mit ihm schrecklich."
„Aber mein Kind, cs hängt doch so viel davon ab. Ja der Ehe vergißt man dieses leicht, und Eure Herzen werden sich schon durch die Länge der Zeit zusammenfinden, cs ist vielleicht nur Vorurtheil. Es bleibt uns nur die furchtbare Wahl, ehrlich in unserem Familienbesitze weiter zu wohnen, oder morgen, mit Schimpf und Schande beladen, diese theure Stätte zu verlassen. — Verlassen! O, Du, meine Tochter, könntest Alles ändern, opfere einmal Deine Ueberzeugung in der Liebe zu Deinem Vater, sei einmal wahres Kind."
„Ich kann, ich mag es nicht, Vater. Alles kannst Du von mir verlangen, mein Leben gebe ich Dir, ja ich wollte es opfern; aber das Leben an der Seite dieses Mannes ist ein tausendfältiger Tod!"