1878

Beilage zum Gesellschafter.

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Die niedere Dienstprüfung im Departement des Innern Hot u, a. mit Erfolg bestanden: Karl Friedrich Brvdbek von Herrenberg._

Tages-Neuig ketten.

Deutsches Reich.

Nagold, 8. Juni. Telegramm der Telegra- phendireklion: Berlin, 7. Juni, 10 Uhr Vormittags. Nach einer sehr guten Nacht ist bei Sr. Mas. dem Kaiser eine wirkliche Hebung der Kräfte zu consta- tircn, ebenso hat eine erfreuliche Abschwellung des rechten Vorderarmes stattgefunden. Der Verlauf der übrigen Krankheit ist ein normaler. Der Appetit läßt immer noch zu wünschen übrig. Fieber ist nicht vor­handen. 4'/, Uhr, Nachmittags. Eine Veränderung im Befinden Sr. Mas. des Kaisers und Königs ist seit heute Vormittag nicht eingetreten. 8. Juni, früh 6'/r Uhr. Se. Mas. der Kaiser u. König haben die vergangene Nacht mit einer kurzen Unterbrechung ruhig geschlafen.

gez. vr. v. Lauer, vr. v. Langenbeck, vr. Willms.

Calw, 7. Juni. Gestern Abend brannte das Brauerei- und Oekonomiegebäude des Bierbrauers Bozcnhard zur Linde (an der Stuttgarter Straße) bis auf die Umfassungsmauern vollständig ab. Entstehungs- Ursache noch unbekannt. (Sch. M.)

Stuttgart, 6. Juni. Auf Pfingsten ist im ganzen Lande Kirchengebet für die Genesung des Kai­sers angeordnet. Die Bulletins werden an den grö­ßeren Telegraphenstativnen deS Landes öffentlich an­geschlagen. (Fr. I.)

Stuttgart, 7. Juni. Am letzte» Dienstag wurde der Schreiner Joh. Hauser von Ebhausen, wohnhaft in Gablenberg (Sozialdemokrat), verhaftet, weit derselbe am letzten L-onnlag, als die erste Nachricht von dem auf den Kaiser verübten Attentat bekannt wurde, in einer Wirthfchaft in Gablenberg schwer beleidigende Aeußerungen gegen den Kaiser gethan haben soll. (Neue Ztg.)

Besigheim, 3. Juni. Die Gewohnheit der Kinder den süßlich schmeckenden Wiessubocksbart (auch Süßling oder Gugauche genannt) auf Wiesen auszusuchen, hatinLöchgau ein Opfer gefordet. Ein üsähriger Knabe war mit Beauf­sichtigung seiner zwei Geschwisterchen von 6 und 3 Jahren betraut und machte sich auf die Suche nach oben bezcichneter Pflanze. Aus Unkenntniß hielt er auch die Blätter der Herbstzeitlose für das gesuchte Kraut, davon und gab seinen Geschwisterchen ebenfalls. Das 3jährige Kind starb an dem Genüsse dieser Giftpflanze, die beiden anderen kamen mit Leibschmerzen und Abweichen davon.

Nürnberg, 4. Juni. Die Gemeindevertre­tung hiesiger Stadt trat heute zu einer außerordent­lichen Sizung zusammen, um dem Gefühle der Ent­rüstung über das Attentat Ausdruck zu geben. Es wurde beschlossen, eine Adresse an den Kaiser zu senden, in welcher der Abscheu über die fluchwürdige That ausgedrückt wird. Wir heben aus der Adresse nachstehnde Stellen besonders hervor:Unserer erneuten Betheuerung vollster und unwandelbarer Hingabe gegen Euere kaiserl. Majestät als das Oberhaupt des deut­schen Reiches glauben wir ein weiteres Wort beifügen zu sollen. Wir fühlen uns nämlich zu der Versiche­rung gedrungen, nimmermehr rasten und ruhen zu wollen in der Bekämpfung des nun Allen klar ge­wordenen Urgrundes dieser beklagcnswerthen Er­scheinungen unserer Zeit, nimmermehr zu erlahmen in dem Kampfe gegen Zuchtlosigkeit, gegen Lüge und Niedertracht und geloben Euerer kaiserlicher Majestät, was in unseren schwachen Kräften steht beizutragen, daß wieder erwache und erstarke der Glaube an Gott, die Hoheit der Staatsidee, der Sinn für Gesetzlichkeit, Ordnung und ehrbare Arbeit." Aus der Adresse an den König von Bayern heben wir nachstehende Stelle hervor:Verstummen muß jetzt der Hader, der Gut­gesinnte getrennt hat, vor Allem in unserem Bayerland. Neugeschaart um Euere Majestät unseren König wollen wir sein ein Kämpe für Familie und Haus, ein Kämpe für Religion und Staat. Einig wollen wir sein denen gegenüber, die das Herzblut unseres Volkes vergiften, welche die Grundpfeiler der Familie, des Staats und der Kirche untergraben."

In der Nacht vom 29. auf 30. Mai wurden in der Kirche zu Föching (Oberbayern) die Monstranze und das Liborium gestohlen und erstere gleich in der Kirche in Trümmer geschlagen. Die Monstranze war eine außerordentlich schöne Arbeit. Die konsekrirten Hostien schüttete der Dieb auf den Altar.

Frankfurt. Die hauptsächlichen Sitze sozial­demokratischer Wühlereien sollen mit stärkerer Garnison

Samstag den 8. Juni.

bedacht werden. Nach Hanau (das bei der letzten

Reichslagswahl nahe daran war, seinen nationallibe- ralen Vertreter durch einen Sozialdemokraten verdrängt zu sehen) werden drei Schwadronen rheinische Dragoner von Hofgeismar verlegt. Auch sonstige Garnisons- Veränderungen stehen bevor.

Dresden, 6. Juni. Hansen, der Bekannte Nobilings und wahrscheinlich der Verfasser des in Ber­lin aufgefangenen Pariser Briefs an letzteren, schreibt an dieSozial Korrespondenz", Nobiling habe ihm gegenüber geäußert: Zweierlei sei in unserer sozialen Entwicklung möglich, entweder die Reaktion oder die Revolution. Ich (Nobiling) werde noch einmal eine Rolle in der Geschichte spielen, es ist unschwer, es zu einem berühmten Namen zu bringen. Nobiling war Materialist unv entschiedener Sozialdemokrat; er be richtete über seine fünfwöchige Reise in dem Dresdener sozialdemokratischen Arbeiterverei. (Neue Ztg.)

Lhemnitz, 4. Juni. Wie dasTagblatt" .meldet, ist der Agitator Most wegen Zuwiderhandlung gegen die Vorschriften des Vereinsgesetzes vom Gericht zu 0 Wochen Gesängnißstrase oerurlheUt worden.

Berlin, 6. Juni. Berichten hiesiger Zeitungen zufolge mar im Befinden Nobilings Besserung eilige- treten; es sei Aussicht auf Erhaltung seines Lebens vorhanden. Ferner ist den Zeitungsberichten zu entnehmen: Heute Abend soll ein Komite zusammen­treten, welches beabsichtigt, das Haus unter den Linden Nr. 18 anzukaufen und dasselbe religiösen Zwecken zu widmen. Zwei Brüder Nobilings, Offiziere im 59. bezw. 79. Infanterieregiment, trafen heute früh hier ein und wurden Vormittags von einem der höchsten Offiziere aus der Umgebung des Kaisers empfangen. Der Wunsch derselben, sich zu jeder Vernehmung zu stellen, fiel zusammen mit dem der Behörden, durch sie über ihren Bruder Auskunft zu erhalten. Beide fan­den durchaus wohlwollende Aufnahme. Bei dem auswärtigen Amte ist ein Telegramm der Deutschen in Pokohama eingelausen, worin Beileid ausgesprochen und Nachrichten über das Befinden des Kaisers erbe­ten werden. (Neue Ztg.)

Berlin, 6. Juni. Die Kräfte des Kaisers werden durch Darreichung sogenannter Analeptica, kräftiger Bouillon, starken Thees, erhalten und gestärkt, und so weit vorauszusehen, wird der Verlauf der Hei­lung auch fernerhin ein günstiger sein. Jetzt erst werden mehrere von einander unabhängige Aeußerungen des Kaisers bekannt, nach welchen ihn die Ahnung überkommen hatte, daß das Attentat sich wiederholen würde. Gleichwohl war er nicht zu bestimmen, seinen gewohnten Weg nach dem Thiergarten zu ändern oder wenigstens die Stunde seiner Ausfahrt; so fest war sein Vertrauen, daß sein Leben in Gottes Hand stehe, wie er es nach dem Attentat des Hödel wiederholt betont hatte. Er war innerlich so dankbar für alle die Beweise der Liebe und Treue, die ihm geworden, da­für, daß ihn die Bevölkerung Berlinsso allgemein freundlich beurtheilte", wie er sich ausdrückte. Es war kein Stachel, kein Groll in seinem Herzen zurückge blieben, denn er hatte, wie er sich ausarnctte, von dem Anfalle aus sein Leben nur Freundliches gehabt. Auch jetzt soll der Kaiser geäußert haben:Wenn mich der liebe Gott gesund werden läßt, so fahre ich doch wieder im offenen Wagen nach wie vor unter den Linden."

Berlin, 6. Juni. DieNordd. Allg. Ztg." hört aus diplomatischen Kreisen, daß die Anwesenheit der fremden Minister in Berlin auf ungefähr 8 bis 10 Tage bemessen ist. Sobald über die Grundbedin gungen eine Einigung erzielt sein wird, dürfte die Regelung der Details und die Feststellung der Proto­kolle auf eine europäische Kommission übergehen.

Berlin, 6. Juni. Anscheinend ist eine große Mehrheit der Nationalliberalen zu weiten Vollmachten an die Reichsregierung entschlossen; auch ein bedeuten­des Mitglied der Fortschrittspartei präsumirt für die Partei die objektivste Prüfung jedes Antrages und die Bereitwilligkeit zu Maßnahmen, welche zum Wähle des Kaisers und Reiches dienen. (Fr. I.)

Berlin, 7. Juni. Im Bundesrath ward gestern von Preußen der Antrag auf Auflösung des Reichstags gestellt. Molivirt wurde derselbe durch die Haltung des Reichstags gegenüber dem Ge­setze zur Abwehr sozialdemokratischer Ausschreitungen.

Berlin. Das Befinden des Hotelbesitzers Holtfeuer ist befriedigend.

Augenzeugen, welche am Sonntag Nachmittag den wundgeschossenen Kaiser nach seiner Wohnung zurückfahren sahen, schildern in Berliner Blättern mit lebhaften Farben den herzzerreißenden Anblick des Wagens mit dem blutenden, wie ohnmächtig zusammen­gebrochenen Kaiser. Während der Wagen langsam dem Palais zufuhr, sprang ein Offizier in den Wagen, Major v. Roscnberg, der Führer der marokkanischen Gesandtschaft, um den Kaiser zu unterstützen. Seine Handschuhe waren über und über mit dem theuren Blute getränkt, als er den kaiserl. Herrn aus dem Wagen hob. Als der Kaiser in's Palais zurückgebracht worden war, sagte er u. A.:Ich begreife nicht, warum immer auf mich geschossen wird?" Das zu Ehren des Schah von Persien angesagt gewesene Galadiner kam natürlich in Wegfall. Der greise Monarch, der am Abend seine Gemüthsruhe voll wieder gewonnen hatte, gedachte in der ihm eigenen Herzensgüte seines nunmehr vernaH, läsfigten Gastes und meinte:Der arme Schah kommt nun um sein Diner." Als Graf Perponcher dem Kaiser meldete, daß auch die Galavorstellung im Opernhause abbestellt worden sei, meinte Se. Maj. : Es ist unrecht, daß Sie die Leute um ihr Vergnügen bringen." Um 9 Uhr las der Kaiser mit verbundener Wange in einem Lehnstuhl sitzend, noch persönlich die zahlreich einlaufenden Beileidsdepeschen. Der Schah schickte noch spät Abends einen seiner Adjutanten, während der Marokkanische Gesandte gleich nach der That sich im Palais mit dem Major v. Rosenberg einfand. Der greise Gesandte verließ thränenden Auges, Verwünschungen gegen den Verbrecher aus­stoßend, das Palais und begab sich zu Fuß nach dem Hotel de Rome, wo er sich noch lange Zeit in erregter Stimmung am Fenster seines Wohnzimmers zeigte.

Ueber die innere deutscheLage nach dem Attentat äußert sich die MünchenerSüddeutsche Presse", deren Urtheil sich vor dem mancher andern nationalliberalen Blätter stets durch eine wohlthuende Mäßigung und Besonnenheit auszeichnet, folgender­maßen : Gewiß ist, daß selbst das fluchwürdige Atten­tat des 2. Juni eine Unterdrückung der gewerbsmäßigen Agitation nur dann rechtfertigt, wenn man fest ent­schlossen ist, dem arbeitenden Volk an sozialer und wirthschaftlicher Reform das Erreichbare zu gewähren. Man kann die Noth nicht aus der Welt schaffen, aber man kann mildern und mindern, was schlimmer ist als die Noth, die in Hunderttausend von deutschen Seelen lebende Verstimmung über den Gang der wirthschaft- lichen Dinge in Deutschland. Die Wucherfrage, die Lebensmittelfrage, die Lehrlingsfrage schreien nach Ab­hilfe. Der Humbug, die Reklame, der Schwindel muffen nach Thunlichkeit eingedämmt werden. Mit der offiziellen Frömmigkeit ist es nicht allein gethan, obgleich gegen die Religionsverspottung in Büchern und Publi­zistik bisher eine viel zu milde Praxis geübt worden ist; aber die tiefe Unsittlichkeit eines Theiles unserer Literatur und der Annoueenspalten gewisser zu Dreißig­tausenden verbreiteter Organe ist zu einer Quelle deutscher Seelenverwüstung geworden und muß einmal ein Ende nehmen.Deutsche Ehrlichkeit und Treue" hört sich bei Festreden ganz gut an; in gewissen halb­deutschen Nachbarländern existirt neuerdings das Schlag­wortdeutscher Blagueur" und nach gewissen Zeitungen ja Reichstagssitzungen und Rednern zu schließen würde das Wortdeutsche Frivolität" ein sehr zeitgemäßes sein. Das Alles muß anders werden. Wir gehen in Deutschland sehr ernsten Zeiten entgegen; machen wir dieselben mit Geduld und möglichst weniger gegenseitiger Parteierbitterung durch. Was jetzt kommen wird, mußte und muß kommen und die Nation muß dasselbe auf sich nehmen. Sie hat es nach ihrer verhängniß. vollen politschen Anlage nicht anders haben wollen oder vielmehr können. (Neue Ztg.)

Als die marokkanischen Gesandten das Berliner Rathhaus besuchten, ließen sie 3200 Mark für die verschämten Armen der Stadt und 800 Mark für die Waisenkinder zurück.

Aus Hamburg wird geschrieben: Der Hofprc» diger Stöcker aus Berlin wollte einen Vortrag im großen Konventgarten über die christlich-soziale Partei halten, und es wurden die Einladungen bereits auf der Straße verbreitet. Die Polizei hat die Versamm­lung verboten.