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rock auf die Nachwelt vererben. Natürlich wurde der untere Teil des langen Kleides bereitwilligst entfernt." Der Kaiser ist frisch und munter und jeder, der ihn sieht, staunt über di^Beweglichkeit und Elastizität des fast 90jährigen Greises. , "

Sonntag um 12 Uhr fand in der Schloßkirche zu Kröchlendorf die Trauung des Grafen Wilhelm Bismarck mit Fräulein Sibylla v. Arnim statt. Bei derselben waren zugegen die Eltern des jungen Paares und die nächsten Verwandten, darunter Graf Herbert Bismarck, Geheimrat Bismarck-Külz nebst Familie, Herr v. Bismarck-Kniephof, Graf und Gräfin Rantzau, Rittmeister v. Arnim nebst Familie und Landrat v. Kotze nebst Familie. Ferner Gräfin Eickstädt, Prinz Hohenlohe, Geheimrat Rottenburg, Professor Schwenninger, Baron Pleffen, Baron Ohlen und Land­rat v. Balau. Um 1 Uhr fand ein Dejeuner statt.

Die amerikanischen Schützen sind galante Leute; sie haben von Bingen aus einen Ausflug nach Koblenz gemacht, wo sie am Fenster der Kaiserin vorüber unter Hurrahrufen defilierten. Die Kaiserin empfing eine Deputation, die im Auftrag der Amerikaner ein prachtvolles Bouquet überreichte.

Nun wird es bald ganz still werden in der Politik, die Zeit der sauren Gurken hat bereits begonnen und wird sich immer fühlbarer machen. Auch der Bundesrat ist nunmehr in die Ferien gegangen, der Reichskanzler verheiratet seinen Sohn Wilhelm in Kröchelndorf und geht dann nach Friedrichsruh, und die anderen, die die Politik machen, sind in den Bädern. Doch es wird der Leser sowohl wie der Zeitungsschreiber genug geben, die darüber, daß sie nun endlich einmal aufatmen dürfen, nicht beson­ders ungehalten sind.

Hages-WeirigkeiLen.

Calw, 10. Juli. Von Röthenbach wurde diesen Mittag Feuer gemeldet. In Zeit von Vz Stunde brannten Wohnhaus und Scheuer des Martin Kugele dort total nieder. Die Leute kamen eben vom Felde zum Essen nach Haus und konnten mit knapper Not das Vieh in Sicherheit bringen. Der Beschädigte ist nicht versichert.

Stuttgart, 10. Juli. In der vergangenen Nacht gegen 2 Uhr kamen in der Böblingerstraße die Pferde eines Drotschkenkutschers einem Loch zu nahe, welches behufs Herstellung von Gas- und Wasserleitung gegraben worden. Das eine Pferd geriet zuerst mit den Vorderfüßen in dasselbe, und als der Kutscher es von den Strängen befreite, stürzte es vollends in die Tiefe und konnte trotz vieler vergeblicher Versuche nicht mehr lebend herausgebracht werden. Erst heute morgen wurde der tote Körper des Tieres herausgeschafft.

Heute hat General v. Schachtmayer einen dreiwöchentlichen Ur­laub angetreten. Derselbe ist heute Vormitag 9 Uhr 5 Min. zunächst nach Tein ach abgereist, um seinen Urlaub im Schwarzwald zuzubringen.

6.?. Cannstatt, 8. Juli. (X. Württembergischen Landesschießen). Am heutigen Tag begann das Schießen beim schönsten Wetter sofort wieder lebhaft und da die meisten fremden Schützen, sofern nicht ihre bis­herigen Resultate beim Schießen sie zu der Hoffnung auf Erwerbung eines Preises berechtigten, abgereist waren, so schossen meist Stuttgarter Schützen und die der Feststadt, welche bisher aus Rücksicht für die Gäste zurück­gestanden waren. Ein Cannstatter Schütze, Rall, hatte denn auch bis Mittag mit 40 Punkten die meiste Aussicht auf den ersten Preis der Feldfestscheibe Württemberg.

Trotz des außerordentlich guten Wetters wollte sich bis 4 Uhr Mittags auf dem Festplatze kein reger Verkehr des Publikums zeigen und die konzertierende Dragonerkapelle konnte deshalb dem engeren Kreise der Gäste, den Schützen,

einige besondere außerprogrammliche Stücke in der Halle von Mergenthaler zum Besten geben.

Noch ist vom gestrigen Tag noch zu erwähnen, daß S. M. der König in einem huldvollen Antwortstelegramm den Schützentag ,für seine von den Schützen hiebei ausgesprochene Huldigung dankte.

Mittags 5 Uhr erfolgte der Einzug der Hauptscheiben und sofort begann das Schießkomitee seine Thätigkeit mit dem Abzirkeln der Schüsse und dem Einteilen der Preise, welche abends 7 Uhr zur Verteilung kamen und folgen­den glücklichen Schützen zufielen.

Landesschützenmeister Föhr leitete den feierlichen Akt mit einer Ansprache ein, in welcher er betont, wie man am Schluffe des schönen Festes wohl der Schützengilde Cannstatt und der Feststadt den Dank für das Viele, was bei dem Feste geboten worden, schulde, er fordere die Gäste auf, diesen Ge­fühlen in einem Hochrufe Ausdruck zu geben.

Stadtschultheiß Nast dankte und brachte sein Hoch dem Landesverein. Ehrenpreise auf Scheibe Württemberg:

1. Ein silberner, reich vergoldeter Pokal von Sr. Maj. dem König: Rall, Hugo, Cannstatt, 40 Punkte.

2. Ein vergoldeter altdeutscher Humpen von S. K. Hoh. dem Prinzen Wilhelm von Württemberg: Bachmann, H., Stuttgart, 39 P.

2. 200 cIL in baar, Deutscher Schützenbund: F. Schwenk, in Langenau, 37 Punkte.

4. Ein silbervergoldeter Pokal mit Kokosnußschaale Schützengilde Stuttgart: C. Berkhemer, Cannstatt, 37 P.

5. Ein Pokal Schützengilde Ulm: O. Prieger, Schloß Gerenth (Bam­berg), 37 P.

6. Ein gold. Remontoiruhr Schützengilde Cannstatt: Lieutenant Maier, Ulm, 36 P.

7. Ein silb. Pokal von Frhr. v. Spitzemberg: Ingen. Seeger, Calw, 35 P.

8. Ve Dutzend silb. Eßlöffel Carl und Louis Hartenstein: Gottl. Beeri, Hirsau, 35 P.

9. Ein silb. Pokal Landesschützenmeister Föhr: Chr. Müller, Stuttgart, 35 P.

10. Ein silbervergold. Pokal von C. Heermann jun. in Hongkong: Theod. Horn, Nürnberg, 34 P.

11. Silb. Pokal der Schützengilde Hall: Emil Perlen, Eßlingen, 32 P.

12. 50 baar, Landesschützenverein Württemberg: I. D. Barth, Eß­lingen, 32 P.

13. 50 baar 14 Schützen der Stuttgarter Gilde: Maler Leeb, Stutt­gart, 31 P.

14. Ein Rauchservice 9 Schützen Stuttgart: W. Sigel, Stuttgart, 31 P.

15. Ein Korb Champagner Oskar Hartmann, Stuttgart: Fr. Barth, Stutt­gart, 31 P.

Standfestscheibe Cannstatt:

Ebenfalls 15 Schützen, die wir hier nicht mehr aufführen, können.

Die Bankdiebe, welche in Hamburg 200000 Mark gestohlen haben, sollen dem Hannov. Courier zufolge in London, Paris und Genf beim Umwechseln der Banknoten verhaftet worden sein.

Kgl. Standesamt Kal w.

Nom 3. bis 8. Juli 1885.

Geborene.

4. Juli. Pauline Rosalie, T. d. Heinrich Gentner, Wagners hier.

Getraute.

4. . Gottlob Friedrich Gehring, Stcinhauer von Gechingen mit Christiane Marie

Din gl er von hier.

Gestorbene.

3. , Anna Wilhelmine Louise Maier, T. d. Karl Maier, Bäckers hier, 12 Tage alt.

8. » Marie Katharine geb. Köhler, Witwe des Christian Friedrich Exncr, Kürschners

von hier, 76 Jahre alt.

befriedigt. Dann näherte er sich etliche Male bei seinem Hin- und Hergehen dem am Boden liegenden Baltimore und ließ plötzlich ein geöffnetes Taschen­messer mit gefchicktem, schnellem Wurfe auf dessen Schoß fallen, so daß Bal­timore es mit den Knieen festhalten konnte. Keiner von den Soldaten hatte es bemerkt, und als Jsmael noch einige Male auf und abgegangen war, stellte er sich im Zimmer so vor Baltimore hin, daß er denselben den Blicken der Soldaten entziehen mußte, selbst wenn einer einmal nach dem Gefangenen sehen wollte. Mit seinen gefesselten Händen setzte Baltimore das Messer mit der offenen Schneide nach oben zwischen seinen Knieen fest und durchschnitt dann feine Handfesseln, indem er dieselben über die Schneide rieb, so daß in einigen Sekunden seine Hände frei waren. Er wollte eben seine Fußfesseln durchschneiden, als Leo wieder eintrat. Dieser war bleich und entstellt; er hatte siegreich neue Bitten Theresens abgewiesen, aber das Herz blutete ihm. Er besichtigte schnell den Raum, sah auf seine Leute, warf einen Blick auf Bal­timore, der seine befreiten Hände verbarg, indem er sich mit dem Oberkörper weit vornüber beugte, als erläge er dem Gewichte seiner Schmach und Scham, und dann wandte der Offizier sich nach einem Platze hinter dem Tische, um sich dort niederzusetzen. Jsmael lehnte wieder an der Mauer, mit dem Rücken gegen die Kupferplatte und verlor Baltimore nicht aus den Augen. Blitz­schnell hatte dieser, als ihm Leo den Rücken gewandt, mit einem kräftigen Streich die Fesseln seiner Füße durchschnitten und mit einem tigerartigen Sprunge das andere Ende des Gemachs in Jsmaels Nähe erreicht. Erschreckt waren die Soldaten aufgesprungen, um ihn wieder zu ergreifen, aber da that sich eine Fallthüre zu ihren Füßen auf, und Baltimore verschwand in der finsteren Tiefe.

Sagen Sie Ihrem Vater, Leo von Villefleur, daß ich eine schreckliche Rechtmng mit ihm zu regeln habe", rief Baltimore aus der Finsternis herauf, und gleich darauf ertönten die Schritte des Davoneilenden.

Die Soldaten, selbst die beherztesten, standen bestürzt an dem Rande dieses unbekannten Ausganges, und keiner wagte es, dem Fliehenden nach­zuspringen.

Das hat dieser Mensch gethan", sagte einer;er hat ihm zur Flucht verholfen."

Damit ergriff er Jsmael, der in der That durch einen Druck auf die hinter der Kupferplatte angebrachte Feder die Fallthür geöffnet hatte, aber die verdutzeste Miene von der Welt zu dieser Anklage machte.

Behaltet ihn im Auge!" befahl Leo und sprang beherzt in den unter­irdischen Gang, indem er einem Soldaten eine Fackel entriß. Ihm folgten die meisten seiner Leute. Sie befanden sich in einem kaum manneshohen Gange, der nach einigen Schritten sich bedeutend abwärts senkte, während sich das Gewölbe immer mehr hob. Leo und seine Leute folgten in schnellem Laufe einer von wunderbaren Tropfsteinsäulen getragenen, endlos scheinenden Höhle, einem wahren Wunder der Natur. Aber die Verfolger hatten keine Zeit, diesen unterirdischen Palast zu besichtigen und anzustaunen, sondern eilten, was ihre Füße sie zu tragen vermochten, hinter dem Entflohenen ein­her , während der Lärm dieser wilden Jagd sich in hundertfältigem Echa in der weiten Halle wiederholte. Bald aber hatte ein systematisches Verfolgen ein Ende, denn der anfänglich einzige Gang teilte sich plötzlich in eine ganze Anzahl von Galerien, die nach rechts und links abbogen. Leo war gezwungen, von fernerem Suchen abzustehen, das um so zweckloser sein mußte, da Bal­timore, der ohne Zweifel genauen Bescheid in diesen Höhlen wußte, einen zu bedeutenden Vorsprung hatte.

Und in der That war derselbe durch eine der Seitengrotten längst an einen Ausgang angelangt, als die Soldaten ihn noch in der Höhle suchten, und hatte quer durch die finstere Nacht den Weg nach Cauterets /genommen, wo er bereits nach einer halben Stunde anlangte.

Verwegen und tollkühn, wie er war, trat er in das Dorf und wandte sich nach dem Hause hin, in welchem Graf Villefleur und seine Familie ihr Absteigequartier genommen hatte.

Es schlug eben zehn Uhr, als er die Hausglocke zog. Ein Diener öffnete und fragte nach seinem Begehr.

Ich muß sofort den Grafen sprechen", antwortete Baltimore.

Der Herr Graf ist soeben nach Paris abgereist", lautete dieZittwort.

Zu spät!" knirschte wütend Baltimore. Aber gleichvielElende entgeht mir nicht."

(Fortsetzung folgt.)

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