1876 .
Beilage zum Gesellschafter.
Samstag den 23. Dezember.
152 .
Lessiug als Sohn.
Von Emilie Heinrichs.
(Forlsetznng.)
Lessiug hatte kaum einen Blick aus die Adresse geworfen, als er halb beklommen, halb erfreut ausrief: „Bon meinem Baker! Ei, vielleicht gar eine treffende Antwort auf meine Plaumacherei."
Er öffnete hastig das Schreiben, dessen Juhalt wir bereits kennen und überflog es mit raschen Blicken.
„Bei Gott, das ist seltsam," sprach er dann düster, „cs ist in Wahrheit eine kurze und bündige Antwort auf meine hochflicgenden Plane, bei denen ich so keck und kühulich Znun und Gebiß von mir geworfen."
Er reichte den Freunden das väterliche Schreiben, welches in crniten und strengen Worten die verhängnißvolle Frage über Sein oder Nichtsein, dieser ominösen Behauptung hinsichtlich seines Treibens, an den Sohn richtete.
„Das war vörauszusehen, Gotthold!" meinte Weiße. „Besser, früher als später; je früher Du die beengenden Fesseln, welche den guten Sohn ja so ganz natürlich noch fort und fort drücken müssen, von Dir streifest und des vernünftigen Vaters Einwilligung zu dem neuen Beruf erhältst, desto eher wird sich Dein Genius entfalten und die Menschheit beglücken."
Lange saß Lessing, schweigend und düster vor sich hinbrütend, dann hob er plötzlich den Kopf und sagte zu den Freunden: „Es lauert ein Feind, ein heimlicher, boshafter Schwätzer Himer diesem väterlichen Ermahnungsbriefe, meint Ihr nicht auch?"
„Hm, dachte wirklich soeben auch daran, weil der Brief im Grunde noch zu viele Zweifel an der Wahrheit der grausigen Geschichte vom verlorenen jSohn enthält," erwiderte Mylius ruhig.
„Ja, wohl, ein großes väterliches Fragezeichen," setzte Weiße trocken hinzu.
„Der würdige Magister will, so dünkt mich, seinen Katechismus auf seinen Sohn anwenden," fuhr Mylius lächelnd fort, „ist aber doch kein großer Katechet, sonst müßte er zu seiner Kalechismusfrage in des Sohnes Charakter auch alsogleich die Antwort gefunden haben. Doch Scherz bei Seite," setzte er rasch hinzu, „die Sache ist zu ernst, um sie nicht fest ms Auge zu nehmen. Sie stehen jetzt am letzten Scheidewege, mein junger Freund! Wählen Sie, doch gehen Sie im Stillen recht ernstlich mit sich selber zu Rathe, unser Wort soll kein Gewicht daber haben. Bergessen sie deshalb, was ich vorhin gefaselt, der Vater steht vor Ihnen, er ist eine mächtige Autorität, — doch nur Sie allein können ihr eigener und treuester Rathgeber sein. Und damit Gott befohlen."
Er reichte ihm bewegt die Hand und drückte sie fest, dann wandten sich Beide rasch der Thüre zu.
„Noch ein Wort," rief Lessing mit fester Stimme, und überrascht wandten sich die Freunde um.
„Ihr wißt," fuhr der junge Dichter eben so fest und ruhig fort, „daß mich zweierlei zum Scribenten gemacht hat: das Gefühl, den Wundermaun Gottsched und seine Herde mit Leichtigkeit übertreffen zu können, und zum Anderen meine Armuth, deren ich mich wahrlich nicht schäme, denn meine braven Eltern thun mehr an mir, als eigentlich in ihren Kräften steht, doch reicht's, selbst mit dem kleinen Stipendium, das ich vom Magistrat zu Kamen; erhalte, nicht aus, mich lockern Burschen zu unterhalten. Da muß ich wohl arbeiten, um nicht Noch zu leiden, wenn ich's mal zu flott gemacht. Habe da nun wieder eine Scriptur fertig, einige Sinngedichte, welche sich wohl für den -Naturforscher" eignen. Und hier," setzte er zögernd hinzu, „ein Lustspiel: ,Die alte Jungfer" betitelt; sollte ich das wohl nach Hamburg für die -Ermunterungen" senden können? Bei'm Pluto, dem alten, reichen Fuchs!" fuhr er dann heftig fort, „ich brauche Geld, muß den Mielhzius zahlen und kann den Wirth nicht warten lassen, sollte ich auch meinen letzten Rock in's Leihhaus bringen."
Das hatte ihm viel gekostet; er trocknete sich die Hellen Tropfen von der Stirn und sah wie ein Verbrecher vor sich nieder.
Mylius nahm das Manuskript und sprach ruhig, indem er ein Goldstück auf den Tisch legte: „Wenn ein junger Akademiker flott darauf los lebt, ärgere ich mich nicht, wenn er leere Taschen hat, aber so ein Duckmäuser, so eine Ameise, ein Stubenhocker, der Wasser aus der Quelle, wie Diogenes trinkt, sollt' aufgehäufte Goldberge haben. Schämt Euch, junger Mann, so geizig zu sein, man sollt' Euch bald keinen Lohn mehr auszahlen."
,,Ach ja, so redet der witzige Professor Kästner auch immer," meinte Lessiug, trübe lächelnd, „aber es ist ein Verdienst arm zu sein. Dann lernt der Mensch schon frühzeitig aus sich selbst vertrauen, und speist reicher als ein König, denn er ißt selbstver
dientes Brod. Gott beföhle», Ihr Lieben!" setzte er dann plötzlich erhetter! hinzu, „grüßt mir die Neuberin uno wacht darüver, daß mir der gestrenge Herr Gottsched, den jungen Gelehrten, meinen liebenswürdigen Damis, nicyi als Chrysander ganz und gar mit den Blocken eigener belehr iamkcit verblasst."
„O, unbesorgt," kachle Weiße, ,,die witzige Lffette soll ihn schon zu Boden raisonuiren "
Die beiden Freunde verließe» ihn und Goithold setzte sich, das Goldstück gleichgiltig bei Seile schiebend, an den Tisch, um einen Brief an die Eltern »ach Kamenz zu sch,eiben und sich auf die schweren Anklagen zu veriheidigen und seinen Lebenswandel, Punkt für Punkt, bis in die kleinste Falle seines treuen, kindlichen Herzens den besorgten Eltern darzulegen. Er log nicht, um sie zu beruhigen, aber er konnte in seinen Neigungen, wozu ihn ein innerer, göttlicher Berns trieb, auch nichts Verdammtickes finden, und offen, mit edlem Fieimulh erklärte er, nicht zum Theologen und dereinst für die Kanzel zu laugen, sondern seinen Freunden, ja selbst dem als Freigeist so arg und ungerecht verschrieenen Mylius treu bleiben zu wollen. Schließlich bat er seine Ellern de- und wehmüthig um Verzeihung, ihnen ohne sein Wissen und Wollen so große Sorge verursacht za haben, überzeugt, daß dieses sein Schreiben alle Wolken zwischen Ettern und Sohn verbannen würde.
Doch der ehrliche Gotthold täuschte sich in dieser Hinsicht gar sehr. Der alte Magister Lessing nebst seiner Frau waren nichts weniger als beruhigt, nachdem sie des Sohnes Schreiben gelesen, und die Mittler weinte und härmte sich Tag und Nacht gar sehr, wähnte sie doch, daß ihr armer Sohn, an welchem ihr mütterliches Herz so ganz besonders hing, auf ewig an Leib und Seele verderbt und verloren sei.
So vergingen mehrere Wochen und das Weihnachtsfest stand vor der Thür, da empfing der gute alte Magister eines Tages auf's neue eitlen Brief mit dem Poststempel „Leipzig", und die Handschrift deutete auf denselben Anonymus hin, der schon einmal über Gotthold den Sturm aus Käme»; heraufbeschworen. Dieses Schreiben war noch dringender als das erste, es schilderte des jungen Studenten Treiben noch schrecklicher, noch verdamm- licher, denn zuvor, ja, der Teufel schien darnach schon seinen höllischen Nachen anfgesperrt zu haben, um den Sünder zu verschlingen.
Sorgenvoll und kopfschüttelnd las der alte Prediger seiner tiefbetrübten Gattin diese fürchterliche Epistel vor, und diesmal nahm auch Gottholds Schwester an dem Kummer der Eltern ihren Antheil. Doch wie wir das wohl Alle mehr oder minder aus eigener Erfahrung wissen, so betrachtet die Jugend dergleichen dem Alter so fürchterliche Dinge mit ganz anderen Augen, und das junge Mädchen vermochte nun platterdings die Thränen der Mutter nicht zu verstehen, sondern fand im Gegentheil diesen Anonymus so abscheulich heimtückisch, daß sie ihn kurz und gut für Gottholds Todfeind erklärte.
„Du redest, wie Du's verstehst," meinte der Vater unwillig „ich erkenne sogar setuen besten Freund in diesem treuen Warner. O! hätte ich den unbesonnenen Jungen doch hier, ich würde ihm das teuflische Comödiauteuweseu schon mit Güte und Gewalt austreiben. Ist es nicht eine Sünde wider den heiligen Geist? Der Gotthold ist der Reichbegabteste von allen meinen Kindern, und nun sollte dieses Pfund dem Satan und seinen Werken, anstatt dem Himmel zu Gute kommen?"
„In wenigen Tagen ist das heilige Weihnachtsrest," meinte die Tochter, „schreiben Sie dem Bruder, daß er nach Kamenz komme, um das Fest daheim zu verleben, lieber Vater!"
Das war ein glücklicher Gedanke, der Vater nickte beifällig, während die Mittler ihre Sorgen um das Reisegeld Halle, obgleich das Wetter nach ihrer Ansicht so recht zum Reisen noch geschaffen schien, milde wie im Frühling, wenn auch ein wenig trübe.
„Aber", setzte sie zweifelnd h'nzu, „der Junge wird Ausflüchte machen, und nicht kommen. Und her müßte er doch, daß mein Herz wieder ruhig und zufrieden würde."
»Ja, her muß er", rief der Magister, seine Pfeife hastig in die Ecke stellend, das labende Kraut hatte ihm in der letzten Zeit säst gar nicht mehr schmecken wollen, „her muß der Gotthold, Mutter, und sollt' ich selber eine abscheuliche Nothlüge auf mein Gewissen nehmen. Her muß er, Gott wird mir diese erste Lüge verzeihen."
»Ach, Johann, wozu kann doch ein Kind seine Ellern bringen", schluchzete die Magistern:.
„Will ihm schreiben, und drs sogleich", fuhr der Magister fort, „daß er auf der Stelle, wie der verlorene Sohn sich auf- machen und heimkehren soll, alldieweil sein Vater sterbenskrank geworden."