Der Börscnconrier berichtet über einen Besuch in den Verbrecher- Höhlen: Es war Mitternacht, als wir auf einige Kriminalbeamte stieken, die eben den berüchtigten Schlafstellen Berlins eine Visite machten. Wir folgten ihnen zunächst vor das Haus der Prenzlauerstrabe 17, einem Fräulein Otto gehörig, und traten mit in dasjelbe ein. Fräulein Otto, eine alte Matrone, deren Züge nichts Weibliches verralhen und die trotz ihres enormen Reichthums wie eine arme Hülfloie gekleidet gebt, trat uns mit einer kleinen alten Oel-Handlampe entgegen, wie erkannte die Beamten der Behörde sofort und zeigte ihnen gegenüber eine kriechende Freundlichkeit- Sie öffnete uns das Flurzimmer, das nur für „anständige" Gesellschaft bestimmt ist, nnd dort fanden wir. theils auf der Erde auf Stroh liegend, tbeils auf «tühlen sitzend, etwa 25 Personen, Männer, Frauen und iunge Burschen schlafend. Es waren Leute, die wenigstens noch einem Gewerbe nachgehen, die Lumpensammler, Drehorgelspieler oder Hansirer sind. Das Zimmer selbst mar nicht größer als eine Mit- telstube und die Lust in demselben naturgemäß nicht die reinste. Die Beamten zündeten sich ein Licht an, weckten den und jene» Schläfer, der ihnen unbekannt war, während Uinen die meisten „alte, gute Bekannte" schienen, fragten nach dem Nationale und ließen die Schläfer weiter schlafen. Von dort aus wurden die Beamten über den Hof geführt. Der Anblick, der sich hier unseren Blicken bot, war ein grauenerregender, aller Beschreibung spottend. In schmutzigen, verwitterten alten Pferdeställen lagen auf bloßer Erde ohne Stroh wilde Gestalten uud einzelne Bevorzugte batten ihre Lagerstatt in den an den Wänden befindlichen vermoderten alten Krippen ausgeschlagen: sie wurden Einer nach dem Andern geweckt und antworteten ojt in trotziger Weise, weil man sie im Schlummer störe. Allein die Beamien wußten ihnen mit wenigen Worten das Murren zu verleiden. Die ganze Gesellschaft betrug etwa 00-70 Mann, die hier der Musterung unterworfen wurden. Von dieser Höhle des Elends und Lasters wunderten wir nach der Alten Schützenstraße 9. War schon das, was wir in der Prenzlansrstraße gesehen, eckelhaft gewesen, so fanden wir doch noch eine Steigerung. Nachdem wir einen dunklen Hof überschritten, fanden wir eine große Anzahl von Strolchen, Bettlern, Krüppeln u. s. w. oft nackt obne Hemde, in 4 schmalen verpesteten unsauberen Zimmern, Kopf an Kops auf bloßer Erde umherliegend, hier mußten alle Schläfer ihr Nationale angeben und einer der Gesellschaft theilts sofort den Beamten mit, wo sie einen Verbrecher finden würden, de» sie suchten. Ob er wahr gesprochen, ob er nur die Aufmerksamkeit der Fremden von sich ablenken wollte, wissen wir nicht. Doch waren wir glücklich, als wir die Straße wieder sahen und frische Luft schöpfen konnten.
Frau Blum in Berlin, eine Nie gäre, mißhandelte ein Mädchen, das sie freiwillig an Kindesstatt angenommen hatte, fortwährend abscheulich. Sie prügelte es fast täglich mit einem dicken Rohrstock und warf es zur Erde und sperrte es in den leeren Pferdestall, damit die Hausbewohner und Nachbarn die Striemen, Beulen und Wunden des armen Kindes nicht sehen sollten. Die Polizei ließ die Stallthüre aufsprengen und fand das Kind, das zum Skelett abgcmagert und mit Wunden über und über bedeckt und überhaupt so zugerichlet war, daß es bei jeder Berührung ausschrie, auf einem Misthaufen zusammengekauert. Vor Gericht bekannte das böse Weib rückhaltslos ihre Schandlhaten und bat um Gnade, wurde aber zu 6 Monat Gesängniß verurtheilt.
Frankfurt, 15. Okt. Wo soll das hinaus? So muß man sich in unseren Tagen unwillkürlich fragen, wenn man steht, wie auf alle» Gebieten der Boden unter den Füßen wankt. Wer sollte es für möglich Hallen, daß in einer Stadt wie Frankfurt die Arbeitslosigkeit und Geschäftslosigkeit so groß ist, daß Menschen wegen Brodlosigkeit Hand an sich legen? Und doch ist dieser Fall in letzter Woche vorgekommen. Uebcrhaupt spielt der Selbstmord jetzt eine große Rolle, jedenfalls ein Zeichen, wie ungesund unsere öffentlichen Verhältnisse sind. Vorgestern waren allein 68 Personen vor das Slodtamt geladen, um den Manifestationseid zu leisten, eine erschreckend große Zahl, von denen Einige zu keinen Abschlagszahlungen sich verstanden, Andere aber den Eis verweigerten und dafür sofort mit einer Haftstrafe belegt wurden.
Köln, 24. Okt. Die „Köln. Ztg." meldet aus Pera vom heutigen Tage, die Pforte mache die Annahme der russischen Forderung eines sechswöchentlichen Waffenstillstandes davon abhängig, daß vorher festgesetzt werde, jede weitere Verlängerung müsse ebenfalls sechs Wochen umfassen.
Wien, 23. Okt. Die „Montags Revue" schreibt: Die bevorstehende Entscheidung in Konstantinopel ist allem Ermessen nach nicht aussichtslos; wenn die Pforte sich der erneuerten Forderung Rußlands betreffs des sechswöchentlichen Waffenstillstandes rasch und bedingungslos fügt, hat sie damit jeden Borwand zu weiterem Eindringen auf ihre Entschließungen und neuer Demü- Ihigung ihrer staatlichen Würde abgeschnitten. Unzweifelhaft würde die Annahme des sechswöchentlichen Waffenstillstandes die erste Etappe zum Abschlüsse eines wenigstens relativ entsprechenden Friedens bezeichnen.
Wien, 23. Okt. Nach der „Deutschen Ztg." ist die russisch- östreichische Okkupation entschieden, und zwar als Konlrol-Okkupation, wenn die Pforte die Vorschläge Rußlands annimmt, und als Exekutions-Okkupation, wenn sie dieselben ablehnt. England bleibt unthälig, und hat nur erklärt, daß seine Flotte vor Konstantinopel erscheinen werde, sobald die Okkupationstruppen die aufzustellende neutrale Zone überschreiten würden.
Pest, 25. Okt. Der Fackelzug der Studenten zu Ehren des türkischen Eonsuls ist von Seiten der Polizei verboten worden.
Wien, 25. Okt. Die Pester Studenten erklärten auf das Verbot des Fackelzuges, nur der Waffengewalt zu weichen.
Wien, 25. Okt. Die „Nene freie Presse" berichtet: Tscher- najeff räumte Veliki, Siljcgovac und Bobovista aus strategischen Gründen.
Das Journal de St. Petersbourg bringt folgende seltsame Enthüllung: „Der Papst hat erklärt, selbst seiiien Nachfolger ernennen zu wollen und nur in Beckx (den Jesuiten General)
einen zu erkennen, der im Stande sei, den Kampf Roms fortzu- führen. Die Jesuiten sind in Rom am Ruder und der eigentliche Papst ist der Jesuiten General. Der Pater Beckx will die weltliche Macht des heiligen Stuhles wieder Herstellen, nnd da dies nicht wohl in Europa angeht, so denkt er an Asien, an Jerusalem. Er gedenkt Palästina möglichst billig von der Türkei zu erstehen, den päpstlichen Stuhl von Rom nach Jerusalem zu versetzen und dort die in Europa eingebüßte weltliche Macht des Papstes auf- zurichien. Diese Pläne sind der Gegenstand eifriger Verhandlungen zwischen dem Vatikan und der Pforte. Der Vermittler ist der armenische Patriarch Hassun. Man gedenkt die Eisenbahnlinie Jerusalem Bethlehem zu bauen, Jaffa einen großartigen Hase» zu geben; mau zählt auf die reichen katholischen Familien in Europa uud ihre 'Niederlassung i» Palästina und auf die vergrößerte Zahl von Pilgern. Hassun Hai der Pforte eine große Summe Geldes ange,ragen, mit der sie Krieg gegen Rußland führen und sich einer Provinz enlschlagcn könne, die ihr nichts einb.ingl und sie viel kostet."
Madrid wird öalb die Ehre genieße», ei» K l ein-Ko n sta n t i- nopet zu sein. Verschwörung hier — Verschwörung da. Mit der unbestrittenen Herrlichkeit des Königs Aisons hat es nicht lange gedauert, der ipanifche Thron ist bereits wieder ins Wackeln gekommen, das Ge- spenu eines Pronunciamentos ist drohend aufgetauchl und hat einen heillosen Schreck in den Negieriingspalast geworscn. Wie amtlich aus Madrid darüber gemeldet wird, überwachte die spanische Regierung schon seil längerer Zelt eine sozialistische Verschwörung, welche von Ruiz ZoriUa und dem irischeren Präsidenten Scümeron mit Unterstützung einiger joveralistisch gesinnter Militärs organisirt worden war. Nachdem nun der Behörde an der Grenze ein Schreiben Zvriilas in die Hände gejaUen, worin derselbe die Weisung zum sofortigen Losbruch erlheilt, entschloß sich die Regierung zum Handeln und ließ die Verhaftung der Hauptschuldigen vornehmen. Unter denselben befinden sich die Generäls Merelo, Areyro, Polin» und Acosta, welche nach dem Militärgesetz bestraft werden sollen, sowie einige ebemaiige Dcpntirte föderalistischer Richtung. Mehrere Verschworene haben die Flucht ergriffen. Das Bor. spiet zu neuen Revolutionen hat also wieder begonnen und die Lust in Madrid ist tchwüt geworden. Bel dem Weiber- und Pfasfenregiment, bas in Spanien sich von Frischem in de» Vordergrund gedrängt hat, ist diese Erscheinung erklärlich und wir fürchte», daß es nicht bei dem einen Versuch eines Pronunciamentos sein Bewenden haben wird.
Madrid, 25. Ott. In Folge der Verschwörung haben 126 Verhaftungen slaltgefuuden, darunter l>8 Generäle.
Pest, 24. Okt. Im Finanz-Ausschuß erklärte der Laudes- vertheldigungsminister v. Szeude auf eine Anfrage, es könnten nöthigeiisatls 2t?,000 Honvets binnen acht Tagen vollständig ausgerüstet uud mobilisin werden.
. Der Mörder France s con i ist der Sohn eines hohen italienischen Offiziers u»v hat seiner Familie schon viel Schande gemacht. In der letzten Zeit batte er eine Winkeladvocaiur errichtet, aber ohne Glück. Er mutz sehr frech oder sehr kopsl-'s sem: denn nicht nur floh er zu seiner Geliebten nach Klagensurt, wo man ihn zuerst suchen mußte, sondern er blieb auch dort einen ganzen Vormittag und besuchte mehrere Wirthshäuser und Weiukneipeu, obgleich ihn dort viele Leute als einen verkommenen und bedenklichen Meniche» kannten. Er war wenige Stunden vor seiner Weiterreise sogar so sicher und frech, im Landesgerichte nach dem Stand eines Prozeßes zu fragen, den er dort führte.
Paris, 25. Olt. Die „France" veröffentlicht folgende Depesche, weiche von Jguatieff au eine hohe diplomatische Persönlichkeit gerichtet wurde: „Konstantiuopel, 23. Okt. Ich verbürge mich für meine persönliche Mäßigung, aber ich verbürge mich nicht für die Weisheit eines Anderen."
In Pontiers wird ein Pfässlein, der Abbe Vareilles, wegen Erschleichung einer Ebschast von 300,000 Franks gerichtlich versetzt.
Petersburg, 24. Okt. Griechenland schloß mit Serbien ein Schutz- und Trutzbündniß ab. Serbien verpflichtet sich, keinen Separatfrieden mit der Pforte abzuschließen, Griechenland, den Feldzug gegen die Pforte zu beginnen. — In Makedonien und Thracien wird ein Aufstand vorbereitet. — Es kursirt beharrlich das Gerücht von der bevorstehenden Demission des Finanzmiuisters Baron Reutern.
Petersburg, 26. Okt. In officiellen Kreisen wird versichert, daß die Regierung nur einen sechswöchentlichen Waffen- Slillstand ohne Verlängerung annimmt. Die Lage ist kriegerisch. Börse flau. Geldstand knapp.
Rußland bildet drei Heere. 1) 120,000 Mann unter dem Kommando des Großfürsten Nicolai sollen in Bulgarien einrücken und die türkischen Donaufestungen einschließen. 2) 340,000 Mann werden unter dem Großfürsten-Thronfolger von der türkischen Grenze bis nach Südpolen aufgestellt. 3) 240,000 Mann sollen in die asiatischen Provinzen der Türkei eindringen. Mit den Zahlen darf man's nicht zu genau nehmen Bemerkenswerth ist, daß die „Berliner Post" diese Nachricht bringt, die der Regierung sehr nahe steht und auf einmal an den nahen Krieg entschieden glaubt. Den gänzlichen Geldmangel in Rußland bestätigt auch sie.
London, 26. Okt. Dem „Journal financier" zufolge wird am Sonnabend sine stärkere Anzahl Truppen nach Malta abgehen.
Der Zar ist unschlüssiger denn je. Einen Augenblick hieß es: der Großfürst-Thronfolger solle die Höfe von Wien, Berlin und London besuchen, was keinen andern Zweck gehabt hätte, als eben den Thronfolger in den Vordergrund zu stellen und ihm zugleich Gelegenheit zu bieten, die Voreingenommenheit zu bekämpfen, die an den verschiedenen Höfen gegen seine politischen