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Beilage zum Gesellschafter.
110 .
Samstag deu 16 . September.
1876 .
Nagold, den 5. September 1876.
Nettßerung des Rechts-Anwalts Bohnenberger über den Entwurf einer deutschen Anwaltsord- uung im Zusammenhang mit der bevorstehenden
Prozeßgesetzgebung im deutschen Reiche.
(Mitgetheiit in der Gewerbevereinsversammlung in Nagold am 10. Sept. 1876).
Verehr!. Ausschüsse beehre ich mich, einem Wunsche des Herrn Vorstandes folgend, über die obenstehende Angelegenheit meine Anschauung milzulheilen, und zwar in der Richtung auf das, was in dieser Frage von allgemeinem Interesse, namenllich auch für den Handel und Gewerbestaiid, zu sein scheint.
Bekanntlich wird dem deutschen Reichstage noch in seiner dcmnächstigcn letzten Session ein Entwurf für eine gemeinsame deutsche Gesetzgebung über Straf- und Cioilproceß, Conkursord- nuug und Gerichtsverfassung vorgelegt werden; im engsten Anschlüsse an letztere steht auch eine deutsche Anwaltsordnung in Aussicht. Dieselbe würde nach der von der Justiz Commission des Reichstags beschlossenen Fassung u. a. folgende Bestimmungen enthalten:
8 l.
Der Anwalt muß an dem Orte des Gerichts, bei dem er zugelassen ist, seinen Wohnsitz nehmen.
§. x. Abs. 2.
Insoweit eine Vertretung durch Anwälte geboten ist, kann nur ein bei dem Prozeßgericht zugelassener Anwalt die Vertretung übernehmen.
Um die Tragweite dieser Bestimmungen ermessen zu können, muß man die künftige Gestaltung der Gerichtsverfassung, wie die Zuständigkeit der verschiedenen Gerichte in's Auge fassen; ich bemerke hiebei, daß es sich nur um die Eivilgerichle wesentlich handelt, ein kurzer Seitenblick auf Strafgerichte wird sich später und nur beiläufig von selbst ergebe».
Die Rechtsprechung wird künftig geschehen, wenn ich von unten beginne (abgesehen von den Gemeinderäthen)
1) durch Amtsgerichte; hier spricht ein Einzelrichter (ob mit oder ohne Zuziehung von Laienschöffen, ist noch ganz ungewiß, auch für unsere Frage unerheblich) Recht über Privatrechlsstrei- tigkeiten bis zum Wcrthe von 300 und es wird sich wohl diese Zuständigkeit noch etwas erweitern dadurch, daß dem Amtsgericht — wie seither bei uns dem Oberamtsgerichte — auch Streitsache» über diesen Betrag hinaus zugewiesen werden, welche einfacherer Natur sind, wie Aiimentenprozesse, oder raschere Erledigung verlangen, wie Marktstreitigkeiten und Gewährleistungssachen in Viehhändeln.
2) Die Landesgerichte entscheiden in Rechtssachen über 300 ^ oder nicht — wie erwähnt — den Amtsgerichten speziell zugewiesene Rechtsstreitigkeiten, und bilden außerdem die Berufungsinstanz gegenüber den Amtsgerichten.
3) Das Oberlandesgericht endlich ist Berufungsinstanz gegenüber den Landgerichten und im Falle der Zulassung eines 3fachen Jnstanzenzugcs (wir haben seil 1869 nur deren zwei) Oberberufungsinstanz.
Das oberste Reichsgericht kommt bei unserer Frage wohl kaum irgend in Betracht, weßhalb von demselben weiter keine Rede sein wird.
Für die Verhandlungen vor den Amtsgerichten wird kein Zwang für die Partieen bestehen, sich eines Anwalts zu bedienen, wohl aber für die Verhandlungen vor den Landgerichten und dem Oberlandesgericht.
Was die Sprengel der neuen Gerichte betrifft, so wird im Ganzen wohl anzunehmen sein, daß unsere seitherigen Oberamts' geeichte zu Amtsgerichten, also mit Einzelrichtern werden, nur daß etwa die größten und ineistbeschäftigten derselben mit mehr als Einem Einzelrichter besetzt werden, von denen aber doch Jeder selbstständig dastehen wird.
Die Landgerichte werden so ziemlich die Stelle unserer bisherigen Kreisgerichtshöfe einnehmen, jedenfalls werden wir nicht mehr Landgerichte bekommen als seither Kreisgerichtshöfe bestanden, auch wird an deren Vertheilung in unserem Lande nichts geändert werden.
Das Oberlandesgericht tritt an Stelle des bisherigen Obertribunais und behält selbstverständlich ebenfalls seinen Sitz in Stuttgart.
Der Anwaltzwang, welcher für die Prozesse bei den Landgerichten und dem Oberlandesgericht besteht, muß nun in Verbindung mit der Bestimmung des §. x Abs. 2, wonach nur ein bei dem betreffenden Prozeßgericht zugelassener Anwalt fungiren darf, und der Bestimmung des 8- I, daß die Zulassung eines
Anwaltes an einem Gericht von der Ansässigkeit am Orte dieses Gerichtes abhängig gemacht ist, mit Noihwendigkeit dahin führen, daß die Amtsgerichte mehr und mehr, und im Laufe nicht zu langer Zeit gänzlich von Rechtsanwälten enlblöst sind, over daß wenigstens künftig nur noch solche Juristen die Anwaltschaft an Amtsgerichten wählen werden, welche die Konkurrenz an frequenteren Gerichlssitzen zu scheuen haben, also mit Leuten, mit denen dem rechtssuchenden Publikum wenig gedient wäre. Dieser Zwang für die Rechtsanwälte, sich den höheren Gerichten ausschließlich zuzuwenden, beruht auf pekuniären sowohl als mehr idealen Gründen; pekuniär kann sich selbstverständlich der Anwalt nicht so gut stellen als seither, wenn er auf die Thätigkeit an einem Amtsgericht, ist dasselbe auch stärker beschäftigt, beschränkt ist; von der Uebernahme größerer und damit einträglicherer Streitsachen ist er durch die Competenz der Amtsgerichte ausgeschlossen; die Beschränkung der Anwälte soll aber außerdem so weit gehen, daß ein Amtsgerichtsanwalt den von ihm in erster Instanz geführten Prozeß, wenn derselbe, sei es von seiner oder der gegnerischen Seile, zur Bernsung kommt, in zweiter Instanz nicht mehr führen darf. Dieser Umstand muß weiter dazu führen, daß der Berufung fähige Sachen — und die Berufung soll in fast unbeschränktem Maße gestattet sein — von den Parteien lieber gleich von Anfang einem Landgerichts-Anwalt übergeben werden, weil die Aufstellung eines neuen Anwalts nothwendig mit höheren Kosten verknüpft ist, für neue Instruktion und dergl.; denn — um das nachzuholen — die Vertretung der Parteien bei den Amtsgerichten ist, weil ja hier kein Anwaltszwang besteht, allen Rechtsanwälten frei gegeben, nur mit der Beschränkung, daß die durch Beiziehung eines auswärtigen Anwalts verursachten Reisekosten von der unterliegenden Gegenpartei nicht ersetzt zu werden brauchen. Hiemit ist auch die früher einträgliche Praxis bei andern Oberamts- künftig Amtsgerichten wenn nicht ausgeschlossen, so doch keineswegs zur Erhöhung des Einkommens geeignet.
Aber nicht nur diese pekuniäre Seite der Sache ist es, welche die Anwälte aus den Sitzen der Amtsgerichte z» vertreiben bez. von der Wahl solcher abzuhalten geeignet ist, sondern ebenso sehr werden und müssen auch Erwägungen anderer Art dazu beitragen, die Rechtsanwälte zur Niederlassung an höheren Gerichtssitzen zu veranlassen. Bieten kleinere Siädte, und das ist doch die Mehrzahl der Amtsgerichte, an sich schon weniger Gelegenheit zu geistiger Anregung und Fortbildung, so muß die im Falle der wirklichen Lokalistrung der Anwälte (im beabsichtigten Maße) eintretende Einförmigkeit des Geschäftslebens eines Amtsgerichts-Anwaltes, die mangelnde Gelegenheit, auch bei anderen, höheren Gerichten sich umzusehen, mit Berufsgenossen und Richtern zusammen zu treffen u. s. w., einen halbwegs strebsamen Mann veranlassen, wo möglich sich nach einem andern Wirkungskreis umzusehen. Auch kommt hiezu noch, was auch in der Justizcommission und zwar von Gegnern wie Verfechtern der Lokalisation geltend gemacht wurde, daß in kurzer Zeit eben aus den oben angeführten Gründen und wegen des Ausschlusses von den Verhandlungen früherer Gerichte, welche in den Augen eines Theils des Publikums geradezu als eine Art Degredation angesehen würde, die Amtsgerichts-Anwälte zu Anwälten seonnäi xsneiis herabsinken würden, eine Aussicht, die bei den ganz gleichen wissenschaftlichen und geschäftlichen Anforderungen nichts Verlockendes hat.
Ich glaube, mit dieser wider Willen länger gewordenen Ausführung dargethan zu haben, daß die beabsichtigte Lokalistrung der Anwälte binnen kurzer Zeit das Resultat haben wird, daß Anwälte nur noch bei den höheren Gerichten sich finden werden, und komme nun aus die Hauptaufgabe meiner Darstellung, die Wirkung, die hievon auf das rechtsuchende Publikum, zu dem ja Gewerbe- und Handelsstand auch gehören, sich ergeben wird.
In Prozessen, welche gleich in erster Instanz vor die Landgerichte gehören, steht natürlich dem rechtsuchenden Publikum eine genügende Anzahl tüchtiger Anwälte, welche bei dem betr. Prozeßgericht zugelassen und ansässig sind, zu Gebote; es läßt sich daher hierüber nichts sagen, wenn gleich vielleicht mancher Geschäftsmann zunächst vorziehen würde, seine Angelegenheiten auch künftig nach freier Wahl einem tihm bekannten und in seine Geschäftsverhältnifse schon etwas eingelebten Anwälte zu übertragen, statt je nach dem Orte des Prozesses immer wieder einen Andern zu wählen, den er noch nicht durch eigene Erfahrung kennt.
Wenden wir uns nun aber zu den Sachen, die von den Amtsgerichten entschieden werden, so gestaltet sich die Sache ganz anders.