Schulden all sein Hab und Gut habe verkaufen müssen; desgleichen soll sein ältester Sohn mit derartigen Geschäften so hineingefallen sein, daß er „wieder in die Armee zurückgetrete» sei." Nun kommt auch noch der frühere General-Staatsanwalt Williams und erklärt vor dem Ausschuß des Parlaments, er habe einem früheren Zollbeamten Namens Davenport in New Aork aus dem für die geheime Steuerpolizei bestimmten Fonds auf unmittelbaren Befehl des Präsidenten Grant eine Summe von 30,000 Doll, zu Wahlzwecken auszahlen müssen! Das gibt wieder eine recht böse Untersuchung.
Kredit und „Pump".
Unter dem Titel: „Die Kredit-Mißverhältnisse in Deutsch land, ein treues Spiegelbild der Gegenwart", hat ein Herr A. O. Crawford eine kleine Broschüre erscheinen lassen (Kommissionsverlag von H. Reinhardt in Dresden), welche wir der Beachtung unserer Leser empfehlen können. Der Verfasser läßt auf einen faulen Fleck unserer modernen sozialen Verhältnisse scharfe kritische Streiflichter fallen und schließt mir den Worten: „Vermögen wir auch nicht, ans Propheten- oder Sehergabe zu vindiciren, so sind wir nichtsdestoweniger überzeugt, die Macht der Verhältnisse wird cs dazu bringen, daß es in ganz Deutschland zum geflügelten Wort werde: „Kredit unter gewissen Voraussetzungen mit Vergnügen — Pump und Borg dagegen ist überwundener Standpunkt."
Wir wollen als Jnhaltsprobe einen Abschnitt des Büchleins im Auszuge mittheilen. Derselbe ließe sich etwa betiteln: Die Leiden.unseres kleinstädtischen Schnittwarenhänülers der Neuzeit. Crawford sagt:
Vergegenwärtigen wir uns die Lage eines Manufaktur- warenhändlers in einer kleinen oder Mittelstadt, die 2 bis 10 Meilen von einer Groß- refp. werdenden Weltstadt entlegen sein soll. Der junge Mann hat Tüchtiges gelernt, verbindet eisernen Fleiß mit angeborener Liebenswürdigkeit seinem Publikum gegenüber, während mit Charakterstärke Mutter Natur ihn gerade nicht bevorzugte. Von einem Onkel hatte er die runde Summe von 30,000 Mark geerbt, so daß die HerzenSschnsucht aller jungen Kaufleute — die Selbstständigkeit — verlockend vor ihm liegt! Persönlich, vorsichtig und vortheilhaft gemachte Baareiu- käuse bilden den Grundstock seines Warenlagers, welches sich lebhaften Zitspruches erfreut. Die kühnsten Hoffnungen unseres Manufakrurisien verwirklichen sich, er kann mit dem Anfang zufrieden sein, das Geschäft führt sich umsomehr ein, als der Inhaber streng reellen Prinzipien huldigt und dem ersten Grundsatz jedes verständigen Kaufmannes: „Gegen gleiche Konditionen gleiche Preise für Alle" treu bleibt. Ein kleiner Uebelstand'wäre jedoch zu beklagen. — Der Anfänger hat schon in den ersten ! Tagen ein „Buch", eine „Kladde" anlegen müssen, um denjenigen feiner chrenwerthen Kunden, Veiten cS zu bequem war, gleich in die Tasche zu greifen, denen es augenblicklich nicht „paßre", die der Vereinfachung halber stattVierteljahres-Jahresabrechnung vorzuziehen Vorgaben, gebührend zu belasten! Zwar wäre baar Geld, welches angeblich „lachen" soll, angenehmer gewesen, doch unser Mannsakturist, kennt ja seine Leute, weiß, daß sie unzweiseihasl sein und zahlungsfähig sind! Wollte er nicht krcditiren, so könnte er nicht allein absolut kein Geschäft machen, sondern die allen Klatschschwestern hätten in ihren Kaffeegesellschaften nichts Eilt-' geres zu thnn, als die noch nie dagewesene „Jncoulanz" zu geißlen, — kurzer fühlt instinktiv richtig: ohne Pump kein Geschäft — ohne Pump bist Du unmöglich! Bon seinen früheren Stellungen als Kommis ist er mit dieser Misere auch vertraut, er sühlt. sich nicht dazu berufen, als Neuerer und Weltverbesserer anfzutreten, die vorliegende Macht der Verhältnisse wäre noch stärker als der eisernste Wille! Ueberdieß hat es im Grunde auch nicht viel auf sich, wenn er borgt, steht ihm doch gleichfalls gewissermaßen unbegrenzter Kredit offen!
Täglich kommen Reisende aus allen Richtungen der Windrose, und werden diese Herren nicht müde, zu versichern, daß es . ihrem Hause und ihnen zu besonderer Freude und Ehre gereichen würde, mit dem junge», hoffnungsreichen, vielversprechenden Geschäft' in Verbindung Zu treten. Von Ziel, resp. Zahlungsmodus ist beim Kauf feilest od.er nie die Rede, in der Manusakiurbranche versteht sich ein sechsmonatliches bei den meisten Artikeln von selbst — die Herren Reisenden vermeiden es auch vielfach, den Kauf durch die Erinnerung an die einstige Zahlungssttmde zu erschweren. Der junge Anfänger muß sein Lager ergänzen. Die Novilätcn sind auch so , reizend nndsbestechend, die Ueberredungs- kunst der Herren Reisenden, gewürzt mit geschickt hingeworfeue» Schmeicheleien so überzeugend, daß er schließlich die Achtung vor sich selbst verlieren müßte, sollte ihm der Math zu vörlheithaflem Kaufe fehlen! „Was soll Ihre Kundschaft von. Ihnen denken,, wenn Sie zur Saison nicht die nöthige Auswahl h.ghen? Sehen Sie gefälligst her — hflr Hai Ihr Aoncurrent, Herr T., der doch bei Weitem keine so vortheilhafte. Lage hat,, zehn Stück be stellt und Sie wollen sich mit drei Stück! begnügen?" - Dieser mit dem nöthigen Pathos ausgespielte letzte Trumpf deH Herrn Oommis vogagour wirkt — der Manufaktürist kauft, ist, wie.
der Herr Reisende Abends Kollegen und Bekannten bei einer Flasche Wein in burschikoser Weise mittheilt, „eingeseift" worden, resp. „dafür genommen worden, avM er werth ist!"
Die bestellte Ware kommt an, der junge Kaufmann hat seine Lust an überraschend schönen Dessins, die sofort sein Schaufenster zieren. Zwar kommt es ihm ahnungsvoll vor, als wenn er bei den verschiedenen Häusern doch ziemlich viel bestellt hätte, aber der Zahlten»!,, ist noch in weiter Ferne, seine Kundschaft wird sich mit ihm freuen, daß er soviel Neues, Zeitgemäßes, Pceiäwerthes bietet! Die feine Damenwelt hat denn auch nichts Eiligeres zu thnn, als ihre kritischen Blicke dem Schaufenster und Laden des Herrn N. N. zu widmen. Die Ware gefällt zwar, die Preise sind nicht zu hoch, doch zum Kauf kann er sich dessen ungeachtet nicht entschließen, weil Papa nächste Woche nach Dresden, Leipzig, Berlin, München fährt und Frau und Tochter mitnehmen will. Wie könnte man solche Gelegenheit verpassen, in der großen Stadt, aus der ja der kieinstädtijche Manusakiurist. seine Waren bezieht, selbst Einkäufe zu machen, von der größeren Auswahl zu profitiren? Die Familie fährt nach Berlin, kauft dort gegen baar, .läßt sich vielleicht mehr ausschwatzen, als sie braucht.
Unser kleinstädtischer Manufaktnrisl ist zu sehr Geschäftsmann, als daß er sich derartige Vorfälle zu sehr zu Herzen nehmen sollte. Weit mehr wird er davon berührt, daß trotz größter Vorsicht und Zurückhaltung nicht nur sein Lager, sondern auch die Zahl seiner Ausstände wächst. Die Folgen bleiben nicht aus. War es zuerst sein Stolz, gegen Kassa kaufen zu können, war er dann genölhigt, das-,Ziel von 6 Monaten zu benutzen, so tritt jetzt der Fall ein, daß er auch dieses nicht mehr kann; er steht sich genölhigt, seine Geschäftsfreunde um Geduld zu bitten, sie zu vertrösten, resp. den dringendsten Gläubigern 2—4 Monate Akzept zu geben, für deren prompte Einlösung er oft schon erhebliche Opfer zu bringen hat, da baare Kassa wenig eingeht, die Kundschaft vielmehr hartnäckig anschreiben läßt — Jahresabrechnung ist am bequemsten, steht auch nobler aus l Also Neujahr ist Deine Ernte, dann kannst Du mit Sicherheit darauf rechnen, die jämmtlichen ausstehenden Forderungen, dieffctzl schon dje Höhe des Betriebskapitals erreicht haben, einzuziehe». Der lang ersehnte Jahreswechsel tritt endlich ein — Chef, Commis und Lehrling sind mit Ausjchreiben der Rechnungen beschäftigt, der „gute Ton" verlangt jedoch, daß Nenjahrsgratulation und Rechnungen uicht etwa zusammen übermittelt werden — man muß Anstandshalber 14 Tage, 4 Wochen mit Letzteren warten. Die Grossisten und Fabrikanten aber, inzwischen durch dis langsamen Regulirrmgea etwas kopfscheu geworden, nehmen nicht so zarte Rücksichten. Sofort nach Neujahr treffen Ko»to-Kurrenie und AvisbncfeMin mit dem stereotypen: „Wir werden uns ertauben, den veuaUeneu Saldo von M. . . . auf Sie 14 Tage cluto za entnehmen und bitten um gütige Schutznnhme. Sehst- süchlig harrt der junge Geschäftsmann aus die nun doch mit Bestimmtheit erwarteten Zahlungen. — Die Prüfung und Vergleichung der Rechnungen, wobei es ohne manche unberechtigte Reklamation nicht abgehl, nimmt Zeit in Anspruch; Ausflüchte werden versucht, um die Zahlung zu verschieben; mit u oonto- Zahtungen muß der Kaufmann sehr zufrieden sein, während die mahnenden Rasenden einen ganz andern Ton cmschlagen. Der Monat März ist,Heraugekommen, auch noch nicht der dritte Theil der Ausstände war flüssig zu machen; man darf nur gegen, notorisch saut gewordene Schuldner den langwierigen, kostspieligen, gerichtlichen Weg Einschlagen, Andere muß man zart zu erinnern suchen — aus duffe Welse stümpert sich der. Mannsakturist Jahre lang durch, um vor Sorgen und Aerger seines Lebens nicht froh zu werden. Die mit ihm arbeitenden Häuser machen, weil sie sehen, daß aus Geld am Verfalltage nicht zu rechnen, höhere Preiser Zinsberechnungen wären entschiede» angemessener und ehrlicher, oocy. verstehen sich nur wenige Firmen dazu, denn die höheren Preise sind weniger stlytvar. Schmeichelt sich doch der Kleinstädter mtt trügerlscher Hoffnung, das Publikum müsse ihm, da er semen Nutzem nach bestimmtem Prozentsatz berechnet, Ersatz dafür, leisten. Loch mit Nichten l
Ist der Mann auf dein Standpunkt angelangt, wo er nicht mehr konkurrenzfähig ist, was das Publikum, wenn auch langsam, yeraussühti. Nan noch einige Verbindungen mit Halsabschneidern, die man zur Deckung der laufenden Accepte nicht hat entbehren können, einige Wechselreiterei, Krankheit, Veruntreuungen Lettens o-r jungen Leute, und das seiner Zeit vielversprechende Eiavtisssment ist ans dem abschüssigen Wege zum -Bankerott!, .
So weit Crawford. Wir ipollen auf, die. Moral, chclche er zieht, auf die feine Unterscheidungslinie zwischen „Kredit" und „Pump", zwischen Kaufmann und Krämer rc. nicht näher ein- qehen, eben so wenig auf die Vorschläge zur Abhilfe, welche er. macht: denn es liegt uns hier nicht ob , den Inhalt dieses Buches ausznziehen, sondern unfern Lesern eine Jnhaltsprobe des Werkes zu geben, dessen Lektüre wir ihnen recht warm empfehlen: Das Luch ist mit Recht betitelt: „Ein treues Spiegelbild der Gegenwart."