60. Jahrgang.
Mo. 67.
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Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.
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Dienstag, äen 9. Juni 1885.
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'WoLitifche Werchrrichterr.
Deutsches Reich.
— Aus Bremen schreibt man der „Köln. Ztg.": Die Nachricht, daß die neuen Dampferlinien dem Norddeutschen Lloyd zufallen sollen, ist hier mit großer Genugthuung ausgenommen morden. Der Lloyd ist als ein vorzüglich geleitetes Unternehmen seit lange bekannt, seine Schiffe genießen im Inlands und Auslande des besten Rufes, er verfügt über eine große Zahl tüchtiger Seeleute, denen eine langjährige Erfahrung zur Seite steht. Es dürfte ihm möglich sein, ohne erhebliche Vermehrung der allgemeinen Unkosten die neuen Linien ins Leben zu rufen. Der Beginn der Fahrten dürfte allein deni Lloyd noch in diesem Jahre möglich sein, da er infolge der Einstellung der neuen großen Schnelldampfer in die nordamerikanische Fahrt schon heute über eine für den Beginn ausreichende Zahl guter Schiffe verfügt, welche die gesetzliche Fahrgeschwindigkeit von mindestens 11'/? Knoten besitzen. Zweifellos dürfte auch die starke finanzielle Grundlage dieses ersten deutschen Rhedereiunternehmens- erheblich ins Gewicht gefallen sein. In Bremen knüpfen sich an die Zuerteilung der Reichsunterstützung auch lebhafte Hoffnungen auf einen neuen Aufschwung des Bremer Geschäfts, das in den letzten Jahren einen erheblichen Rückgang hat erfahren müssen. In dieser Hinsicht fällt die getroffene Entscheidung für Bremen weit mehr ins Gewicht als für das große übermächtige Hamburg. Und es darf gewiß als ein allgemein deutsches Interesse betrachtet werden, daß die zweite deutsche Seehandelsstadt von dem gewaltigen Wettbewerb an Elbe und Schelde nicht gänzlich erdrückt werde. Neben diesen materiellen Vorteilen ist der politische Gewinn nicht gering anzuschlagen. Es steckt in dem Handelsstande der Seestädte noch immer viel von jener vaterlandslosen Gesinnung, über die schon mancher Patriot geklagt hat; mit parteiloser Gleichgiltigkeit fühlt man sich gewissermaßen mitten inne stehend zwischen Ausland und Inland; die Empfindung, ein lebendiges Glied des letztem zu sein, nur mit und in dem Vaterlande gedeihen und wachsen zu können, ist in dein überlebten staatlosen Dasein der souveränen Kommunen arg verkümmert worden und nicht auf einen Tag wiederzugewiunen. Mancher Schritt auf diesem Wege ist schon geschehen. Je mehr die Kaufleute der Seestädte es lernen, auch in ihren überseeischen Unternehmungen den Spuren der Reichsregierung zu folgen, je eher werden wir das Ziel erreichen.
F r a » k r e i ch.
— Auch diesmal geht es mit den Friedensverhandlungen mit China nicht so schnell, wie gehofft wurde. China gewährleistet den Franzosen die Unterwerfung und Ruhe des Tonkins in keiner Hinsicht; es zieht wohl, der übernommenen Verpflichtung gemäß, seine regelmäßigen Truppen aus dem abgetretenen Gebiete zurück, lehnt aber für das Verhalten der Schwarzflaggen jede Verantwortlichkeit ab. Diese vermehren sich in Tonkin von
Feuilleton.
Im Abgründe.
Roman von Louis Hackenbroich. (Verfasser des Romans: „Ein La m p y r.")
(Fortsetzung.)
„Wohlan",, fuhr Jsmael fort, indem er seinen vorigen kalten energischen Ton milderte, „wenn Sie mit Ihrem falschen Spiele — nennen wir das Ding beim rechten Namen -- noch zwei bis drei Sätze aushielten, dann gewannen Sie Don Balthasar herrliches Geld ab, von dem ich meine hunderttausend Franken bekäme und Sie noch eine hübsche Summe übrig behielten. — Aber das macht nichts, es ist für ein ander Mal!"
„Unglücklicher", versuchte der Graf nochmals zu leugnen, „das Alles ist ein tolles Spiel Eurer Phantasie!"
„Ist es denn auch ein Phantasiegemälde", fragte Jsmael scharf, „was ich bei Ihrem Baccaratspiel entdeckt habe?"
„Ich schwöre es Euch —"
„Schwören Sie nicht, Herr Graf, es hat keinen Zweck. Wenn die Anklage des armen Teufels gegen Sie falsch gewesen wäre, so hätten Sie ihm erbarmungslos den Degen in die Brust gestoßen; dafür kenne ich Sie und die Herren Ihres Standes gut genug; aber Sie besaßen doch nicht die Grausamkeit, und darüber belobe ich Sie, dem Armen nicht außer der Börse auch noch das Leben zu nehmen."
Graf Villefleur rang nach Luft; er konnte nichts mehr antworten; endlich nach einer minutenlangen Pause fragte er in sichtlicher Angst:
„Nun, was wollt Ihr von mir? Warum quält Ihr mich so? Ihr
Tag zu Tag und sind gut bewaffnet, so daß die Vermutung naheliegt, Lu- Vin-Phuoc verstärke seine Scharen aus entlassenen oder ausgerissenen chinesischen Truppen. Man sieht unter diesen Umständen die Notwendigkeit voraus, einen neuen Feldzug gegen die den Guerillakrieg führenden Schwarzflaggen unternehmen zu müffen. Thuan Quan ist nicht geräumt; Luh-Vinh hält diese Festung besetzt und scheint nicht willens, sie herzugeben, trotz eines Erlasses, den er angeblich aus Peking von der Kaiserin erhielt und worin ihm anbefohlen wird, die Festung sowie ganz Tonkin zu räumen. Insgeheim erhält er die entgegengesetzten Befehle, man kennt ja die Zweizüngig- keit der Chinesen. Die Franzosen können die Entfernung des Luh nur dadurch erzwingen, daß sie Formosa und die Pescadores so lang nicht räumen, bis Luh Tonkin geräumt hat. Damit kommt man aber nicht viel weiter. Wie die Chinesen die Sache auffassen, davon gibt das Dekret Zeugnis, welches die Kaiserin bezüglich des Friedens erlaffen hat. Das Blatt Shen- Pao und die Shanghai Daily News übersetzen dieses Dekret folgendermaßen: „Die Franzosen sind nunmehr dahin gebracht, daß sie Uns um Frieden anflehen, sie wollen mit dem Vertrag von Tientsin zufrieden sein, wir haben gnädigst zugestimmt, daß ihrer Bitte gewillfahrt werde. Da aber zu befürchten ist, diese Horde (chines. ssan§ bedeutet die Banden von Räubern rc.) in ihrer Perfidie tollerweise die Feindseligkeiten wieder eröffnen könnte, so befehlen wir Euch (den Vizekönigen und Gouverneuren) mit aller Sorgfalt über die Euch anvertrauten Grenzen und Seestädte zu wachen." Dies ist nicht sehr schmeichelhaft für die Franzosen.
Gcrges-WeirigkerLen.
si- Calw. Heute, am Sonntag den 7. Juni, fand in Liebenzell unter der Leitung des Herrn Helfer Dr. Salzmann, des Gründers des dortigen, vor wenigen Monaten entstandenen Frauenchors ein Kirchenkonzert statt, zu dem auch der Kirchengesangverein aus Calw in freundlicher Weise eingeläsen worden war. Gerne nahmen wir das ehrenvolle Anerbieten des Herrn Dr. SalzntvnN an, und fuhren der großen Hitze wegen auf 3 Leiterwagen in das liebliche Städtlein unseres Nagoldthales. Dort angekommen, hatten unsere aktiven Mitglieder eine Probe in der Kirche zu bestehen, woraus um 3 Uhr die Aufführung selbst ihren Anfang nahm. Dieselbe wurde eingelcitet durch eine Fuge von Seb. Bach, gespielt von Herrn Lehrer Beutelsspacher jr. In mannigfacher Abwechslung folgten nun Frauen-, Männer- und gemischte Chöre a eapstls und mit Orgelbegleitung auf einander. Auch Solis für Gesang, (Tenor) für Piston, für Violine mit Orgelbegleitung und für Orgel allein hatten in dem reichhaltigen Programm Raum gefunden. Von den Frauenchören, welche, Dank der tüchtigen Schulung ihres Leiters in Anbetracht der kurzen Zeit ihrer Uebung durchweg Anerkennenswertes geleistet haben, gefiel uns der Chor: „Leise, leise, fromme
müßt einsehen, daß ich ohne die größte Gefahr in der nächsten Zeit nicht mehr den Spielsaal betreten kann."
„Ich habe Zeit und kann warten; die Summe ist mir einen Aufschub wert."
„Um Gotteswillen, laßt mich Euch bewegen, Jsmael", sagte der Gras, indem er sich vor seinem Bedränger bis zum Bitten erniedrigte. „Zwingt mich nicht weiter zu spielen, ich will es nicht mehr. Ich verfluche meine schreckliche Leidenschaft; ich will sie lassen, ich schwöre es Euch!" -
Jsmael schüttelte höhnisch den Kopf.
„So schwört auch der Trunkenbold den Trunk ab, und die nächste Scheine macht ihn zum Meineidigen. Nein, Herr Graf, noch vierzigtausend Franken zu den sechzigtausend, und ich gebe Ihnen Ihren Sichtwechsel auf Brest oder Toulon zurück."
VII.
Als Graf Villefleur Jsmael Gantz verlassen hatte, fühlte er sich zu erregt, als daß er in seine Wohnung zurückkehren konnte; er hatte einen ermüdenden Spaziergang in die Berge unternommen, um durch die körperliche Anstrengung seine geistigen Qualen zum Schweigen zu bringen. Dieser hochadelige Graf ohne Ehre, ohne Redlichkeit, aber nicht ohne Standeshochmut, litt, und sein größter Schmerz war, daß er sich vor dem gemeinsten aller Wucherer, vor dem miserabelsten aller Menschen hatte erniedrigen und hatte erröten müffen. Das war eine ernste Strafe seiner Niederträchtigkeiten. Verfolgt von den Foltern seines Gewissens, hatte er Cautercts bereits weit hinter sich gelassen, und erst als er den Rand eines der wilden Bergwässer erreicht satte, die in zahlreichen Kaskaden ins Tha- hinabeilen, ließ er sich müde ans den