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Leutkirch, 26. Mai. Ein Stromer passierte vorgestern die Haupt« firaße des Orts und sah an einem Verkaufslokal einen neuen Schirm einladend entgegenwinken. Da er sich unbemerkt glaubte, griff er zu und wandelte mit dem Schirm fürbaß, zunächst in den 100 Schritte weiter entfernt gelegenen Gasthof zum Löwen, dann zu einem Verkäufer, wo er in Anbetracht seines heutigen Geburtstages das Gestohlene zu veräußern suchte. Doch ein Nachbar hatte die That gesehen, und während man des Diebes Weg verfolgte, wurde die Polizei gerufen, die sofort ihres Amtes waltete und denselben festnahm. — Es ist haarsträubend, mit welcher Frechheit einzelne Stromer derzeit ihr Wesen treiben. Die im Bezirke eingeführten Ver- Pflegestationen werden gründlich ausgenützt und daneben in den massenhaft zerstreuten Gasthöfen und einzelnen Wohnsitzen gefochten nach Herzenslust.
WevnrrfchLes.
— Ein neues vorzügliches Stärkemittel wird seit einiger Zeit unter dem Namen Mack's Doppel-Stärke (aus der Fabrik von H. Mack in Ulm) in den Handel gebracht und möchten wir nicht verfehlen, unsere verehrten Leserinnen hierauf aufmerksam zu machen. Dieses Fabrikat enthält alle zur Herstellung einer schönen Wäsche erforderlichen Zusätze, in vortrefflicher Zusammenstellung nach bewährten Rezepten renommierter Plätterinnen. Der Appret wird weit schöner und steifer, wie mit der besten einfachen Reisstärke, die Wäsche wird außerordentlich geschont und das Plätten geht ungemein leicht und schnell von statten. Niederlagen befinden sich in allen größeren Kolonialwaren-, Droguen- und Seifengeschäften.
— Ein historisches Pferd. In dem denkwürdigen Necognos- cierungsgefecht bei Niederbronn am 26. Juli 1870 rettete bekanntlich die Schnelligkeit seines Pferdes dem damaligen Hauptmann, jetzigen persönlichen Adjutanten des Königs von Württemberg, Grafen Zeppelin, das Leben. Dieses Pferd, eine edle Rappstute von französischer Zucht, fand, bevor es in deutschen Besitz kam, Verwendung bei einem französischen Regiments Obassours L ckeval und wurde unmittelbar nach dem Niederbronner Recognoscirungs- ritte an das Karlsruher Pferdedepot abgeliefert, von wo es wieder in dienstliche Verwendung gestellt und mehreremals seinen Herrn wechselte. Zuletzt gehörte es Hrn. Hauptmann v. Vogel in Karlsruhe. Alle Besitzer ließen dem Tiere, das einen so ruhmreichen Anteil am deutsch-französischen Kriege hatte, die schonendste Behandlung zu teil werden und heute genießt es sein Gnadenbrod fernab vom großen Weltgetümmel in beschaulichem Dasein bei Hrn. Badebesitzer I. Gans in Bad Kirnhalden bei Kenzingen (Schwarzwald), der es mit der ausdrücklichen Verpflichtung in Besitz nahm, das Tier bis an sein Lebensende treu zu pflegen und zu hüten. Alle nach Kirnhalden kommenden Kurgäste bewundern mit Interesse das noch immer muntere und schöne historische Pferd. (Fr. Journ.)
— Als im vorigen Herbst die Schwalben sich zur Abreise nach dem Süden rüsteten, befestigte, so wird aus Ronneburg berichtet, Herr Buchbinder Mayer am Gefieder einer in seiner Behausung sich aufhaltenden Schwalbe ein mit Oel getränktes Papierchen, auf das er die Worte geschrieben hatte: „O Schwälblein, o Schwälblein, wo magst Du denn im Winter sein?" Das Tierchen stellte sich in diesem Frühjahr pünktlich in seinem Nest wieder «in. Es trug ein ebenfalls in Oel getauchtes Zettelchen an sich mit der Aufschrift: „Florenz, Castellari's Haus! Viel Grüße bring' ich mit hinaus!"
— Heiratsschwindel. Einen lehrreichen Beitrag zur Kennzeichnung mancher Heiratsvermittlerinnen liefert die Verurteilung einer Frau Schwarz in Breslau, welche es sich seit Jahren hat angelegen sein lassen, sich auf „diesem nicht mehr ungewöhnlichen Wege" zu ernähren. Dieselbe deren Namen auch unter vielen verlockenden Inseraten auswärtiger Zeitungen zu finden ist, ist von einem Lederkaufmann aus Landshut auf Herausgabe eines gezahlten Vorschusses verklagt worden, da ihm anstatt der angepriesenen „Dame aus höchst achtbarer Familie, von recht acceptablem Exterieur, 22 Jahre alt und im Besitze eines disponiblen Vermögens von 225,000 ^." eine andere heiratslustige Kandidatin, die in jeder Weise stiefmütterlich be
dacht war, vorgestellt wurde. Die Verurteilung der Frau Schwarz zu drei Wochen Gefängnis und 200 Geldbuße erfolgte wegen „Vorspiegelung falscher Thatsachen."
— Hugo-Anekdoten. „Es ist wohl ein schweres Stück Arbeit, Verse zu machen?" fragte einst ein naiver Landedelmann Viktor Hugo. „O nein," erwiderte der Dichter, „es ist sehr leicht oder — unmöglich." — Viktor Hugo wurde zur Zeit, da sein Sohn Charles 14 Jahre und sein Sohn Fcanyois Viktor 12 zählt, gefragt, ob seine Knaben poetisch veranlagt seien: „Charles ein wenig," entgegnete der Vater. „Was den kleinen Viktor betrifft, so sind ihm Pellkartoffeln weit lieber als die Sterne." Wie der Pariser Figaro erzählt, pflegte sich Viktor Hugo gern mit einem bekannten Pariser Arzte zu necken, der seinerseits gewöhnlich die große Fruchtbarkeit des Dichters zur Zielscheibe seiner Neckereien machte. So sagte er ihm einmal: „Bei Ihrer Produktionsfähigkeit werden Sie sich nächstens ein Haus, ein Schloß zur Aufbewahrung Ihrer Werke bauen müssen und, nicht wahr, Sie werden sie alle hübsch in Seide und Sammt binden lassen?" „Nun," erwiderte Hugo, „das wäre noch immer besser, als Sie es machen. Sie lassen Ihre Werke in — Tannenholz fassen."
— Der Gipfel der Faulheit. A. „Jh sage Ihnen, dieser Mensch, der B., ist so faul, daß es ihm sogar beschwerlich wird, die Umdrehung der Erde mitzumachen."
Kcrnöet L WerrkeHrr.
Preise auf dem Stuttgarter
'/z Kilo süße Butter 1 20
V- Kilo saure Butter 1 —
Kilo Rindschmalz 1 30
1 Kilo Schweineschmalz 1 30
1 Liter Milch 16
1 dto. abgerahmt —
10 frische Eier 50
1 Kilo Weitzbrod 26
1 Kilo Halbweißbrod 24
1 Kilo Hausbrod — 20
1 Paar Wecken wiegen 80—120 Gr.
1 Kilo Mehl Nr. 0 42 L; Nr. 1 38 L
*2 Kilo Kartoffeln 3 L
1 Kilo Erbsen 36
1 Kilo Linsen 44
1 Kilo Bohnen 36
Kilo Ochsenfleisch 70
Vr Kilo Rindfleisch 60
'^2 Kilo Schweinefleisch — 60
'2 Kilo Kalbfleisch 60—65
Wochenmarkt vom 30 Mai.
V 2 Kilo Schafflcisch 1 Gans 1 Ente 1 Huhn 1 Taube
50 Kilo Kartoffeln 50 Kilo Welschkorn 50 Kilo Wicken 50 Kilo Haber 50 Kilo Gerste 50 Kilo Heu 50 Kilo Stroh
-äi -.70 4 50 bis —.
1 Sü 45 L 2.30 bis 2.50 ^ 9.-. 10 . - 7.90 bis 8. 20 -6 9.- bis — 4.20 bis 4. 40 3.00 bis 3. 20
1 Raumeter Buchenholz 12 —
1 Raumeter Birkenholz 10 —
1 Raumeter Tannenholz 9 —
Preisein der Markthalle.
Y 2 Kilo Rindfleisch 54
>/_ Kilo Schweinefleisch 58
Y 2 Kilo Kalbfleisch — 58
Kilo Hammelfleisch — 60
Calw.
EllnäwietUckaDckee Oezieksoerein.
Mit dem 1. Juli beginnt ein neues Abonnement auf das landwirth- schaftliche Wochenblatt, das den Vereinsmitgliedern gegen einen Beitrag von 2 ^ frei ins Haus geliefert wird. Wer daher dieses Blatt mit seinem reichen gemeinnützigen Inhalt vom 1. Juli an zu beziehen wünscht, hätte seinen Eintritt in den landw. Verein anzumelden, und zwar vor dem 10. In Ni, da spätere Anmeldungen von der Expedition in Stuttgart für dieses Jahr nicht mehr berücksichtigt werden. Die Anmeldungen sind an den Vereinssecretär Horlacher zu richten.
Calw, 31. Mai 1885. Der Vereinsvorstand
F l a x l a n d.
E. Horlacher, Secr.
Haltung am Fenster. Es gehörte thatsächlich das volle Selbstgefühl dazu welches Don Balthasar besaß, um in diesem Augenblicke arglos zu bleiben und keinerlei Verdacht zu fassen.
„Also, ein Mann von vierzig Jahren etwa", sagte er, indem er sein Alter wieder einmal fälschte, würde Ihnen kein Entsetzen machen, gnädige Komtesse, wenn er sich gestattete, Ihnen seine beharrlichen Aufmerksamkeiten zuzuwenden?"
„Im Gegenteil, ich würde mich sehr geschmeichelt fühlen."
„Und wenn er Ihnen das Geständnis seiner Liebe zu machen wagte?" fuhr der Banquier mit steigender Lebhaftigkeit fort.
„Ei", antworte Lucienne, die mehr auf die Haltung Leos, als auf den Banquier ihre volle Aufmerksamkeit gerichtet hielt, „ich würde mit meinem Herzen zu Rate gehen und mit Freimut antworten."
Don Balthasar überließ sich ganz seiner immer großem Wärme.
„Wenn also Ihr Herz keine ernstliche Einrede geltend machte, so würden Sie einwilligen, den Mann zum Gatten anzunehmen, wenn er Ihnen sein Herz uud seine Reichtümer zu Füßen legte?"
Lucienne warf Leo einen Blick voll Triumphs zu; sie entgegnete langsam:
„Vielleicht ja, unter der Bedingung jedoch, daß er mir nicht von seinen Reichtümern redete, diese gehen den Notar an."
„Sie haben Recht!" sagte ein wenig verwirrt Don Balthasar, „und ich bitte Sie um gütige Vergebung. Ein Bankier bleibt doch immer Bankier, selbst wo er es nicht sein sollte und dürfte. Das ist eine kleine Schwäche, -von der ich schnell geheilt zu werden hoffte, wenn ich oft an meiner Seite
eine liebenswürdige und geistreiche Freundin hätte, die die schwachen Seiten meiner Profession mit freundlichem Spotte zu behandeln wüßte."
„Aber warum haben Sie denn keine Frau, Don Balthasar? Für einen Mann, wie Sie, wäre es doch ein Leichtes, sich dis Vollkommenste auszusuchen!"
„O, gnädige Comtesse", rief der Spanier, „gestatten Sie, daß ich Sie bitte, diese anbetenswerts Freundin und Gefährtin für mich sein zu wollen!"
Und hingerissen von seinen Gefühlen, machte er ihr eins beredte Erklärung, die gar nicht mehr den Bankier verriet, und in der er sie um eins sofortige Entscheidung bat, damit er am gleichen Abend noch mit dem Grafen reden und auch dessen Einwilligung mit auf die Heimreise nehmen könne.
Lucienne achtete kaum noch aus seine letzten Worte; sie hatte nur Augen für Leo und gewahrte, wie derselbe sich von Neuem anschiäce, ruhig den Salon zu verlassen. Eine unsagbare Angst schnürte ihr das Herz zusammen; sofort stand auch sie von ihrem Platze auf.
„Verzeihen Sie", sagte sie in größter Verwirrung zu Don Balthasar, „die Üeberraschung — so plötzlich — es ist mir unmöglich, Ihnen jetzt sofort zu antworten — gestatten Sie mir, daß ich vorher mich sammele — in einigen Minuten werde ich die Ehre haben, Ihnen eine Antwort zu geben."
Mit diesen Worten machte sie eine schnelle halb flehende, halb gebieterische Handbewegung gegen den Offizier; dies erst machte Don Balthasar aufmerksam, und mit Üeberraschung und sichtlichem Verdruffe gewahrte er den Zeugen seiner Unterredung mit Lucienne und erkannte Leo.
(Fortsetzung folgt.)