Ars. 64.

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09. Zasrgang-

Amts- um! IntekkigenMatt für äen Bezirk

Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.

Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Spalte im Bezirk, sonst 12 H.

Dienstag, äen 2. Juni 1885.

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Calwer Wochenblatt"

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-UoMifche WcrchvichLen.

Deutsches Reich.

Berlin, 28. Mai. Nachträglich hört man, daß vorgestern das Be­finden des Kaisers zu großer Besorgnis Anlaß gegeben hat. Die ur­sprüngliche Erkältung hatte ein Blasenleiden und dadurch einen außerordent­lichen und bedenkniserregenden Schwächezustand hervorgerufen. Gestern hat der Kaiser bis 2 Uhr mittags das Bett gehütet, dann aber dasselbe auf Wunsch der Aerzte verlaßen und heute hat sich nach guter Nacht sein Zu­stand soweit gekräftigt, daß zu augenblicklichen Besorgnissen jeder Anlaß fehlt. Immerhin hat die Entwicklung auch dieser Krankheit wiederum be­wiesen, daß der Kaiser aufs sorgfältigste sich hüten und sich von den An­strengungen und Aufregungen größerer, insbesondere militärischer Festlichkeiten fern halten muß.

Berlin, 28. Mai. Im Befinden des Kaisers ist eine Besserung eingetteten und insoweit fortgeschritten, als die Beschwerden sich seltener und in geringerem Grade fühlbar gemacht haben. Der Kaiser ar­beitete gestern mehrere Stunden. Nach gut vollbrachter Nacht wohnte Se. Majestät heute mit der Großherzogin von Baden am Fenster des Palais dem glänzenden Huldigungszuge der Drechsler-Innung bei, wobei derselbe die begeisterten Begrüßungen der Festteilnehmer vielfach durch Ver­neigen erwiderte. Vom kaiserlichen Palais begab sich der Festzug der Drechsler­innung nach dem Haus des Reichskanzlers, wo der Obermeister Meyer ein begeistert aufgenommenes Hoch auf den Einiger Deutschlands und den Wiedererwecker des deutschen Handwerks ausbrachte. Der Reichs­kanzler dankte aufs herzlichste mit einem Hoch auf die alte Innung, welche ein heilbringend Wirken, Glück und Segen in das Handwerk hineintragen möge, und sprach sodann den Wunsch aus, daß die Ehre des alten Namens dm Heranwachsenden stets ein Vorbild bleibe. Es folgten hierauf erneute Hochrufe und defilierte der Zug sodann vor dem Reichskanzler vorüber. Auf Grund der Ermächtigung des Bundesrats setzte der Reichskanzler die Zolltarasätze für Kraftmehl, Puder, Stärke, Stärkegummi, Kleber, Arro- wroot, Sago, Sagosurrogate, Tapioka auf 14 Proz. in Kisten, auf 9 Proz. in Fässern, und für Nudeln, Maccaroni auf 18 Proz. in Kisten fest.

DieBerl. Börsen-Ztg." weiß zu berichten, daß man auf die Nach­richten von dem unfreundlichen Verhalten des Sultans von Zanzibar im Auswärtigen Amte sofort alle Maßnahmen zu energischem Einschreiten

Feuilleton.

Zm Abgrunde.

Roman von Louis Hackenbroich. (Verfasser des Romans: «Ein Vampy r.-)

(Fortsetzung.)

Er setzte seinen Spaziergang fort, indem er sich bei Lucienne entschuldigte, daß er in das Spiel eingegriffen habe, statt ausschließlich sich seiner schönen Begleiterin zu widmen.

Uebrigens", setzte er mit seinem gewohnten verbindlichen Lächeln hin­zu,ist das auch ein klein wenig Ihre Schuld gewesen, gnädige Comtesse; seit einigen Minuten sind Sie so zerstreut I Sehen Sie", fuhr er mit scherzender Geberde fort,wie ich recht habe! Sie verdienten, daß ich Sie ein wenig ausschelte, denn Sie hören mich kaum noch an."

Und in Wahrheit lieh Lucienne den galanten Redensarten ihres Kava­liers auch kaum noch eine teilweise Aufmerksamkeit; besorgter und beunruhigter noch, als vorher, suchte und forschte ihr Auge zwischen den Gästen des Kasi­nos, und ungeduldiger zog sie ihren Begleiter aus einem Salon in den andern. Ihre vorige Koketterie, die also einer außerhalb des Banquiers liegenden Grund und Zweck gehabt haben mußte, war ganz dahin, und ihre vorher so leuchtenden Augen hatten Mühe, gegen die Feuchtigkeit anzukämpfen, die sie verschleierte. Wen sie suchte? Keinen Andern, als Leo, und ihr Herz brannte, daß sie ihn nicht fand.

Der junge Offizier hatte sich in Anbetracht der Nähe seines Regiments den Einladungen seiner Mutter, sie recht oft in Cauterets zu besuchen, nicht

getroffen habe. Das Blatt bestätigt die Meldung, daß ein Geschwader nach Zanzibar abgehen werde, dasselbe werde aber nicht allein im Namen Deutsch­lands, sondern auch in dem der Kongo-Association Vorgehen. Das Blatt weist dabei darauf hin, daß Deutschland, wenn es zugleich als Man­datar der Kongo-Association auftrete, vor der Gefahr der Verwicklung mit anderen Mächten, zumal England, gesichert sei.

Da es der Fürstin Bismarck besser geht, gedenkt der Reichs­kanzler wahrscheinlich doch noch nach Kissingen zu gehen, und zwar soll dies, wenn es überhaupt geschieht, bald geschehen.

Die Türken wollen die deutschen Offiziere, welche ihnen lang­samen Schritt und andere schöne militärische Sachen, Bewegungen und Kunstgriffe beibringen, noch nicht wieder von sich lassen, obschon deren Kon­trakte abgelaufen sind. Die deutschen Offiziere haben sich deshalb an den Kriegsminister in Berlin gewendet und dieser hat, nach einer Anfrage beim Kaiser, ihnen erlaubt, ihre Kontrakte noch einmal zu erneuern. Also bleiben sie vor der Hand noch im Land der beturbanten Türken.

Rußland.

Der russische General Komaroff, der die Afghanen im März so brav geklopft und durch seine Entschlossenheit den englischen Intri­gen in Afghanistan ein kräftiges Halt geboten hat, scheint in der That ein kluger Mann zu sein. Sein Kaiser hat ihm nicht nur einen Ehrensäbel, sondern auch noch 100,000 Rubel geschenkt, jetzt erfährt man nun, daß dem General anfänglich nur 50,000 Rubel und diese in zehnjährigen Raten von je 5000 Rubeln zugedacht waren. Der General aber bat, da er das Geld brauche, man möge ihm die Summe von 50,000 Rubeln auf einmal aus­zahlen, und daraufhin verdoppelte Kaiser Alexander sein Geschenk und ließ dem General 100,000 Rubel zukommen. Hoffentlich kann General Koma­roff auch die zweite Hälfte brauchen!

England.

London, 27. Mai. Die Unterhandlungen mit Rußland wegen der afghanischen Grenze nehmen unter der strengsten Geheimhaltung ihren Fortgang, und wenn man Pall Mall Gazette glauben darf, so sind keine große Schwierigkeiten mehr zu überwinden. Aber die Feststellung der Grenze an Ort und Stelle wird 12 bis 15 Monate erfordern, und im Hin­blick auf den erhitzten Zustand der Meinung an der Grenze hält man es> für wünschenswert, daß jede Ursache eines möglichen Streites schon durch ein vorläufiges Abkommen beseitigt werde, welches so genau als möglich lauten muß. Wenn dieser Umstand nicht wäre, so würde die Vereinbarung bereits zum Abschluß gelangt sein.

entziehen können, und war auf Bitten derselben, auch zu dem Kasinofest er­schienen. Nachdem er den ersten Tanz mit seiner Cousine gemacht hatte, um den Anforderungen der Höflichkeit und der Convenienz zu genügen, war er aus der Reihe der Tänzer verschwunden und hatte sich in die äußerste Ecke des Ballsaales zurückgezogen, wo er, gegen das Fenster gelehnt, träu­merisch dem Tanzen zuschaute. Unterdessen hatte Lucienne den Plan gefaßt, das Herz Leos, von dessen Leidenschaft für eine andere sie sich keinen Begriff machte, einer Probe zu unterziehen und seine Eifersucht rege zu machen, um mit Hilfe dieses Gefühles den Einfluß auf ihn wiederzugewinnen, den sie besessen und verloren zu haben glaubte. Zu Weiterem hatten eben ihre Ko- ketterien mit Don Balthasar nicht dienen sollen, und dessen auffallende Galan­terien gegen sie kamen ihrer Absicht höchst willkommen. Aber all die kleinen Listen und Kunstgriffe, die ihre weibliche Erfindungsgabe ihr zu Gebote stellten, prallten an der vollkommenen und aufrichtigen Gleichgiltigkeit ab, die Leo ihnen entgegensetzte. Er hatte sehr gut bemerkt, daß der Banquier seiner Cousine den Hof zu machen suchte, aber statt darüber, gemäß Luciennes Wünschen, sich zu erhitzen, hatte er eine lebhafte Befriedigung darob empfun- den, die um so größer war, als er sah, wie Lucienne des Spaniers Artig, ketten huldvoll entgegennahm und erwiderte. Er ahnte auch nicht im gering, sten die wahren Absichten des jungen Mädchens, vielleicht weil er zu wenig von sich selbst eingenommen war. Seiner Cousine, welche die Eifersucht doppelt scharfsichtig gemacht hatte, entging dagegen die Erfolglosigkeit ihrer Bemüh- ungen nicht; jedoch wollte sie den Mut noch immer nicht aufgeben, bis sie plötzlich bemerkte, daß Leo gänzlich verschwunden war. Diese Entdeckung wirkte lähmend auf sie; ihre Kraft fühlte sie mit einem Male schwinden und ihre vorherige Lebhaftigkeit und Unterhaltungsgabe waren plötzlich dahin.