Lesung, der Slrasrechts Novelle im Reichstage. Fürst Bismarck hatte in Erfahrung gebracht, daß von den Liberalen des Hauses kein Einiger sür seinen Entwurf sich erklären würde, und deshalb war er grnöthigi, die angefochtenen politischen Paragraphen fallen zu lassen. Er sprach nichts von ihnen, und dieS Schweigen sagte genug. Nur daran liegt ihm, daß ein Schutzmann in Zukunft besser geschützt sei, und weiter will er sich als auswärtiger Minister nicht mit Arnims abärgern. Möglich, daß ihm die Majorität des Reichstags hierin entgegenkommt, das aber würde auch Alles sein, was sie ihm bieten kann, ohne sich poli- tisch zu compromittiren.
Berlin, 3 Dez. Die Gerüchte, welche sich an die Ernennung der dreißig landesherrlichen Mitglieder der General- Synode knüpften, sucht ein gewöhnlich gut unterrichteter Eor- respondcnt der „Schles. Z." richtig zu stellen. Begründet ist nach ihm, daß ans der ursprünglichen Vorschlags Liste des Ober- Kirchenraths, die selbstverständlich die Billigung des Cultus-Mi nisters erfahren halte, mehrere Namen standen, die der König gestrichen zu sehen wünschte, theils weil ihm die 'Namen der betreffenden Candidaten unbekannt, theils weil sie ihm zu liberal und protestanlenvereinlich gesinnt bekannt waren. Der König soll in Bezug auf Letztere geäußert haben: „Ich lasse mir meinen Glauben nicht rauben," und mit diesem 'Avis an den Ober Kir- chenratb erfolgte die Liste zurück.
Mit der vielbesprochenen S t r a fg e se tz 'N o v e l l c, die nur zum Theil besser ist als ihr Ruf, wird sich der Reichstag nicht auf die Zinne des Tempels fahren lassen. Der politische Theil dieser Novelle erstreckt sich auf Preß- und Versammlungsfreiheit und enthält solche Kamschnkpatagraphen, daß die Zeitungsschreiber und Redner selber Kautschukmänner in Wort und Schrift werden müßten, um den bedenklichsten Erlebnissen zu entgehen. Und das würde weder im Interesse der Presse und noch viel weniger im Interesse des Volkes sein. Die betr. Verhandlungen haben gestern (Freilag) im Plenum begonnen und man liest, daß die nationalliberale und die Fortschrittspartei beschlossen haben, die oben geschilderten Kautschuk-Paragraphen abzulehnen und daß Laster und Bennigsen diese Ablehnung durch Reden begründen werden. Man will die Reichsregierung entschieden darüber ausklären, daß man die Preß- und Redefreiheit nicht noch mehr cinschränkeu will. Die andern Paragraphen der Novelle, welche die Antragsvergehen, die Körperverletzungen rc. betreffen und welche zur Heilung großer Schäden des täglichen Lebens nölhig sind, werden einer Commission überwiesen werden.
In Preußen haben sich über 100 Geistliche zu Schulstellen gemeldet, weil diese weit einträglicher find, als ihre Pfarrstellcn.
Die Untersuchung gegen den Grasen Arnim ist, wie die „Nordd Allg. Zig." erfährt, noch nicht so weit gediehen, als einige Blätter annahmcn. Bis jetzt hat nur die Rathskammer des Stadtgerichts beschlossen, gegen den Grafen die Untersuchung wegen Landesverraih einzuleiten. Falsch aber ist, wenn geschrieben wurde, daß in dieser Sache bereits vom Oberstaatsanwalt beim Kammergericht die Versetzung des Grafen Arnim in den Anklagestand beantragt worden, und daß sogar der Anklagesenat darüber bereits einen Beschluß gefaßt habe. Da dieser Prozeß erst im Stadium der Voruntersuchung ist, so hat das Stadtgericht noch nicht beim Staatsgerichlshof die Versetzung des Beschuldigten in den Anklagestand in Antrag bringen können. Ueber diesen Antrag, wenn er gestellt wird., hat dann der aus 7 Mitgliedern zusammengesetzte Staatsgerichtshof (das Kammergericht zu Berlin) zu entscheiden, und wenn diese 'Versetzung ausgesprochen ist, so Hai der aus zehn Mitgliedern bestehende Unheils-Senat des Staatsgerichtshofs nach mündlicher öffentlicher Verhandlung zu entscheiden. — Noch weniger kann daher im gegenwärtigen Stadium von einer Beschlagnahme des Arnim'sche» Vermögens die Rede sein, da nach §. 93 des Strafgesetzbuchs eine derartige Beschlagnahme erst verfügt werden kann, nachdem der Anklagesenat des Staatsgerichtshofs die Versetzung des Grafen Arnim in den Anklagestand wegen Landesverräths beschlossen hat.
Aus einer Mittheilung des Cemralblaltes für das Deutsche Reich gehl hervor, daß von den ausgewauderteu Goldmünzen nur ein geringer Theil in Belgien eingeschmolzen wurde, während der größere Theil in den englischen und französischen Banken aufge- häust war und bei dem jetzigen günstigeren Wechselkurse nach Deutschland zurückgekehrt. Damit wäre in der Hauptsache die Kalamität überwunden, welche oer Abfluß der Goldmünzen nach dem Auslände herbeisührte
Eine gehörige Tracht Prügel, statt des gehofften Bratens, erntete am letzten Gänsemarkt in Berlin auf der Klo sterstiaße ein etwa läsähriger Bursche, der das Getümmel benützend, sich eine der schwersten Gänse ausgesucht und damit die Flucht ergriffen hat. Er kam nicht weit, sondern wurde eiligst dem Bestohlenen zugesührt Dieser, ein Mann mit gntmüthigstem Gesicht, schüttelte den Kopf, als mehrere ans dem Publikum verlangten, er solle den Bengel der Polizei übergeben „I wo," sagte er, „das ist ihm.viel dienlicher" — sprach's, legte djw. Jungen üb'er's Knie und 'bearbeitete mit einem Stocke den untern
Pheil des Rückens so nachdrücklich, daß dem Jungen für's Erste die Lust am Stehlen benommen sein wird. Welche Furcht solche jugendlichen Spitzbuben vor der Polizei haben, erhellt wohl am beste» daraus, daß der Junge vor der Ej-ecution jammerte und himmelhoch bat: „Uf de Polizei, bitte, man blos keene Haue!" Für die Verehrer der Prügelstrafe in gewissen Fällen dürfte diese Aeußerung eine kleine Genugthuung enthalten.
^ Im Zuchthaus zu Grandenz hat sich in voriger Woche ein Schneider an einem Zwirnsfaden hcruntergelassen und ist entflohen. Das soll ihm ein Anderer nachmachen. Er war zu 15 Jahren Zuchthaus verurtheilt und hatte ein paar Jahre lang Zwirnsfaden gesammelt und einen Strick daraus gedreht. An Garderobe trug er bei der Flucht nur ein Hemd, man sucht ihn daher hinter dem Ofen, aber bis jetzt vergeblich.
Prag, 1. Dez. Das Prager Abendblatt meldet, daß die ^ s/? ^"-Zuckerfabrik in Königgrätz gestern abbrannte. Der Assistent Czermak kam hiebei ums Leben; ein Arbeiter wird noch vermißt. Ein Feuerwehrmann wurde schwer, einige Feuerwehrmänner und Arbeiter leicht verwundet. Der Schaden beträgt 500,000 fl., doch war das Etablissement versichert. Ueber 200 Arbeiter wurden erwerbslos. (Rach Tel. der Wien. Bl. haben bei diesem Brande 8 Menschen das Leben verloren )
^Die Summe, welche der freigebige Herzog v. Galliera, dem die Stadl Genua schon so viel verdankt, für die Hasenerwei- lerung angeboteu hat, beträgt 20 Mill. Lire. Ein solches Beispiel fürstlicher Freigebigkeit hat selbst das Vaterland Peabody's nicht anfzuweiscn.
Paris, 30. Nov. Die Hauptstadt Frankreichs, sür welche der 2. Dezember ein Tag tiefer Trauer ist, weil an ihm der letzte und größte Ausfall, auf welche die belagerte Weltstadt noch eine Hoffnung auf Befreiung gesetzt hatte und an welchem Tage die Truppen Dncrots von den Württembergern und den ihnen zu Hilfe geeilten -Sachsen und Pommern geschlagen und znm Rückzug gezwungen wurden, — wird gleichfalls seine Feier des 2. Dezember haben. An diesem Tage, Vormittags 10 Uhr, wird in Bry für Marne ein Todtenamt (Seelenmesse) zum Gedächt- nißtage der am 30. November und 2. Dezember gefallenen Offiziere und Soldaten celebrirt. Die irdischen Ueberreste der hier Gefallenen werden demnächst ausgegraben und einem großen Grabgewölbe beigesetzt werden, das auf der Höhe des Hügels, der Bry und das Thal der Marne überragt, errichtet wird. Es ist dieß bekanntlich der Mittelpunkt der Schlacht, die vor Cham- pigny, Villiers und Bry geliefert wurde. Die Inauguration dieses Begräbnisses soll nicht in ferner Zeit staltsinden.
Madrid, 28. Nov. König Alfons ist gestern 18 Jahre geworden. Zur Feier dieses Tages war im königlichen Schlosse großer Empfang und Abends ein Bankett, zu welchem auch das diplomatische Korps geladen war. 1655 Männer von Namen erschienen, um ihre Glückwünsche darzubringen, unter ihnen auch Serrano, Sagasta, Leranger und mehrere Generale aus der republikanischen Zeit.
In Schottland haben in der letzten Zeit die Schneestürme surchtbar gewülhel. Es sind dabei 35 Fischer mit ihren Booten zu Grunde gegangen. Man hat an dieser stürmischen Küste seit 50 Jahren nicht ein so großes Unglück erlebt.
Allerlei.
—-.Fatales Versehen. Der evangelische Pfarrer in H. ist neulich während seiner kirchlichen Amtshandlung von einem sehr unangenehmen Unfall betroffen worden. Bei der Darreichung des Abendmahiweiues tritt ein Communicant an den Geistlichen heran und flüstert ihm ins Ohr: „Herr Pfarrer, sie haben uns ja Schnaps gegeben." Der erschrockene Pfarrer eilt mit der Weinflasche, aus welcher er den Wein gefüllt hätte, in die Sakristei und findet in derselben den schönsten — Nordhäuser. Mau kann sich die Verlegenheit des Pfarrers denken! Derselbe ist ein in der Gemeinde sehr beliebter Mann, und Jeder bedauert ihn wegen dieses Unfalls, an welchem, wie es sich herausgestellt hat, nicht er, sondern der Weiuiieferant schnlv sein soll.
— Die Fürstin Hatzfeld- stellte einmal an den alten Blücher die Frage, was zu thun sei, damit ihre Söhne einst als Soldaten nicht Poltrons oder gar Feiglinge würden. Darauf gab der alte Blücher ihr diese Antwort: Durchlrucht, das ist alles dummes Zeug. Wenn der erste Kanonenschuß fällt, haben wir, Einer wie der Andere, nicht sür einen Kreuzer Courage und möchten herzlich gern ausreißen. Aber Jeder weiß, daß er ein „Hundssott"'ist, wenn er davonläufi, und die Furcht, ein Hundsfott zu werden, ist größer als die Furcht, vor dem Tod. Deshalb läuft mau nicht davon, und ist inan srin im Feuer, so findet sich das klebrige von selbst.
— (Ein Selbstmord eigener Art) wurde neulich in Reubnitz bei Leipzig Seitens eines vor Kurzem aus Amerika zurückgekehrten Maniies-Eübt. Derselbe tränkte sein Bett mit Petroleum, bewaffnete sich mit diversen Schneid-Instrumenten, zündete die Lagerstätte an und ließ sich, nachdem er die Pulsadern durchschnitten, im brennenden Bette '.braten.