Mo. 56.
60. Jahrgang.
Amts- mul Inlekkigenzbkatt für äen Kezirk.
Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.
Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Spalte im Bezirk, sonst 12 H.
Dienstag, äen 12. Mai 1885.
Abonnementspreis halbjährlich 1 80 H, durch
die Post bezogen im Bezirk 2 «kL 30 H, sonst in ganz Württemberg 2 70 H.
' -Dotttische WclchvichLen.
Deutsches Reich.
Stuttgart, 7. Mai. Die abweichenden Beschlüsie der Kammer d.er Standesherren zu dem Brandweinsteuergesetz riefen in der heutigen Sitzung der zweiten Kammer stundenlange Debatten hervor, bei denen es sich wieder um den Schutz der kleinen Brennereien gegen zu scharfe Kontrole- maßregeln, um die Bestimmung der Sätze und Bedingungen der Steuerrückvergütung im Wege der Verordnung anstatt durch Gesetz, und um eine Einschränkung der Branntwein-Kleinabgabe handelte. Nur bezüglich des letztgenannten Punktes besteht jttzl noch eine Differenz zwischen den beiden Häusern des Landtags, so daß das Gesetz vermutlich mit dem 1. Juli d. I. in Kraft treten kann.
Stuttgart, 9. Mai. Wie bei jeder Etatsberatung seit 10 Jahren, so kam auch gestern wieder in der Abgeordnetenkammer die Frage einer entsprechenden Besteuerung der Hausierer zur Sprache, und vom Regierungstisch wurde konstatiert, daß eine Heranziehung der Wandergewerbe zu den Gemeindesteuern in Vorbereitung sei. Auch diesmal trat der Abg. Mohl für die Hausierer ein, indem er deren volkswirtschaftliche Bedeutung in das hellste Licht stellte.
— Dem Reichstag ist eine Konvention zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Madagaskar vom 15. Mai 1883 zuaegangen. Dieselbe sichert. Deutschland die Rechte der meistbegünstigten Nalwn und bezweckt, den nicht unerheblichen deutschen Handelsinteressen auf der Insel Madagaskar, soweit die Herrschaft der Howa-Re- gierung reicht, ein» n.enüaende Grundlage zn gewähren.
— Anläßlich des Toaes des Generalkonsuls Dr. Nachtigal schreibt ein „hervorragender Asukarelsender" dem „Berl. Tgbl.": „Zweien Bedürfnissen muß genügt nwi-wn, um die Schonung des Lebens der weißen Bevölkerung an der Westküne Afrikas metir als bisher zu sichern. Eine wissenschaftliche Kommission mußie nach Westcffrika entsandt werden, um die Ursachen des Fiebers und Mittel zur Bekämpfung desselben zu erforschen, und wenn möglich, solltest hierzu die erforderlichen Mittel noch vom tagenden Relckslug verlangt wertzen. Es sollten ferner zwei internationale L a z a r e l - D a m p f e r an detz Westküste stationiert werden, um diejenigen Kranken amzunehmen, die yäch ärztlicher Ansicht durch den Aufenthalt aus dem Meere >h,e Gesundheit wiederlangen können. Der eine Dampfer
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sollte nach den Küsten kreuzen, der andere auf die hohe See gehen. Nachti« gal ruht in afrikanischer Erde. Haben wir Pflichten gegen ihn ? Ich denke, es ist eine Ehrenpflicht Deutschlands, von zwei Dingen das eine zu thun: entweder die sterblichen Reste desselben nach Deutschland überzuführen, oder die deutsche Flagge am Cap Palmas aufzuhissen, wo er ruht, denn er darf nur in deutscher Erde ruhen. Cap Palmas gehört jenem Zerrbild von Staatswesen an, das die Republik Liberia genannt wird, und in welchem 50,000 sog. zivilisierte Neger die gesamte zivilisierte Welt chicanieren, indem z. B. kein Weißer Grundeigentum daselbst erwerben kann. Ehren wir den großen Toten, indem wir uns an Stelle dieses bankerotten Staates stellen, und deutsche Zivilisation da einführen, wo das Grab von Dr. Nachtigal sich befindet."
— Die Bismarck - Ausstellung ist gestern früh um 9 Uhr dem Publikum geöffnet worden. Am ersten Tage machte Herr Geh.-Rat Reuleaux, assistiert von dem Vertrauensmann des Reichskanzlers, Geh.« Sekretär Kühne, die Honneurs. Der Besuch war ein außerordentlicher. Die Ausstellung ist in der That sehr übersichtlich geordnet. Die Adressen bilden den laufenden Faden, an den sich die übrigen mannigfaltigen Geschenke anknüpfen. Immerhin bleibt es eine Musterleistung im Arrangieren, wie man die widersprechendsten Dinge: Hüte, Hausschuhe, Röcke, Fässer, Liqueur« flaschen, Pfeifen u. s. w. zu einem harmonischen Ganzen zu vereinigen gewußt hat. Die Reichsdruckerei hat Etiketts zur Bezeichnung der Gegenstände geliefert, so daß es eines Kataloges nicht bedarf. Kammerherr v. Ron in Stuttgart sandte einen silbernen Apparat zur Aufbewahrung der Kiebitzeier, welche die Getreuen aus Jever zu schicken pflegen. Rußland ist übrigens noch immer das Land der gediegenen Geschenke. Deutsche Verehrer des Kanzlers in St. Petersburg haben ein silbernes Theeservice von respektablem Gewicht gesandt. Der Ehrensäbel der Deutschen in Konstantinopel ist, wie man hört, ein historisches Stück. Ihn hat einst der berühmte Rebell, der Pascha von Janina, geführt.
' Gcrges-WeuigkeiLerr.
— Im Vollmachtsnamen Seiner Majestät des Königs haben Seine Königliche Hoheit der Prinz Wilhelm am 20. April die erledigte evangelische Pfarrei Breitenberg, Dek. Calw, dem Pfarrverweser Immanuel Müller in Wüstenroth, Dek. Weinsberg, gnädigst übertragen.
Roman von Louio Hackenbroichs
Feuilleton.
Im Abgründe.
(Verfasser des Romans: „Ein Vampyr.-)
Fortsetzung.
„Nicht Deine Vorurteile, lieber Vater, wollte ich bekämpfen, beeilte sich Leo zu erwidern, als er sah, istie Baltimore eben von Neuem in die Diskussion eingreifen wollte; ich wollte nur Dein Herz rühren, an Deine Vaterliebe mich wenden. Ich liebe dieses junge Mädchen, mein Glück, mein Leben vielleicht hängen von dem Worte chb, das Du ausspcechen wirst. O, erzeige mir die Gunst, die Gnade, um d^ ich Dich anflehe!"
Leo hatte sich Hirne ß n lasten, vor seinem Vater auf das Knie zu sinken. Der Graf, nicht weniger übrrra/chi als unzufrieden wegen dieser auffallenden Demonstration, wich einige Schote zuiück, und sagte mit kaltem befehlendem Tone: '
»Stehe auf, Leo, und erwarte mich bei Deiner Mutter. Dergleichen lächerliche Scenen, wie diese, sosgien höchstens im Familienkreise Vorkommen."
r > äuriHckzuzlehen", sagte diesmal Baltimore, indem
er fernen Worten den Ausdruck ^ beleidigendsten Verachtung verlieh. „Die Herren brauchen sich kann meH^r Gewalt anzuthun, um sich Einer des Andern zu schämen und gegent^^v über einander zu erröten. Sie haben nach meinem Namen gefragt, <Hrvf ViLfleui; beten Sie zum gütigen Gott, daß Sie niemals den Namen erfuhren dM. man mich in den Tagen mernes Zornes nennt. Und wag Sie a'wE, junA>.Herr", wandte er sich a "'Ihnen verzeche ich; ich hatte Sie für einen>Mnn gehalten; ich E' Är 4-"^- Sw sich jnhes, damit Sie vorder Wiederholung
Mttgkett trÄ ^°rnl snen. vaß ich meinen Langmut Vchtbis zur Ein-
b-n diesen Worten schritte-/ zur Thür hinaus und ließ^Mürzt, b ^ d'ftse D> ohungen mit einander allein.
Erst auf der Sri atze blie.-h Baltimore einige Momente vor dem gräf-
liehen Hause stehen, als ob er darüber unschlüssig gewesen wäre, welche Richtung des Weges er Anschlägen solle; dann stieg er schnell in den Wagen, der ihn und Leo hierhergeführt hatte und der noch seiner wartete, rief dem Kutscher eine Adresse zu und der Kutscher fuhr davon. Vor einem alten, baufälligen Gebäude von schmutzigem Aussehen hiel! der Wagen nach einer langen Fahrt und Baltimore betrat das Haus. Am Ende eines langen, dunklen, feuchten Ganges fand er eine finstere Treppe, und diese eilte er ortskundigen Schrittes hinan. Auf dem dritten Stockwerke blieb er vor einer Thür stehen, in deren oberen Teil in Manneshöhe ein enges Lugloch eingeschnitten war, hinter welchem eine verriegelte Klappe den Eintritt in den Raum verhinderte. Neben der Thür hing eine schmutzigglänzende dicke Glockenschnur und diese zog Baltimore mehrmals kräftig; der klagende Ton einer gesprungenen Glocke erklang von drinnen, und unmittelbar nachher wurde die Klappe jenseits der Thür geöffnet;» hinter dem Lugloche erschienen zwei glühende Katzenaugen, und eine näselnde, mürrische Stimme fragte:
„Was wollt Ihr?"
„So öffnet doch, zum Kukuk! Erkennt Ihr mich denn nicht, Jsmael?" rief Baltimore mit Ungeduld aus.
Ein Ruf der Ueberraschung antwortete, und mehrere schwere Eisenrügel raffelten drinnen; so wie die Thür sich öffnete, trat Baltimore lebhaft ins Innere des Raumes und schritt auf das Kabinet Jsmaels zu. Dieser folgte ihm schnell und bot ihm mit unterwürfigem Eifer einen alten Sessel, der nebst einem mit Papieren überladenen Schreibtische und einem Bretterstuhle die ganze Einrichtung dieses Kabinets bildete. Ebenso jammervoll, wie die Möbel, war das Hauskostüm Jsmaels — lauter alte vor Jahren schon beinr Altkäufer erstandene Lumpen.
„Sie in Paris!" rief er überrascht aus, als Baltimore Platz genommenhatte. „Ich hatte Sie für wenigstens einen Monat noch in England geglaubt."
„In dem verfluchten Lande ist für uns nichts mehr zu machen" , antwortete Baltimore. „Ich war in London, in Liverpool, in Manchester, überall dieselbe Antwort: man hat uns nicht mehr nötig. Wir müssen uns in da» Unvermeidliche fügen. Aber darum handelt sich's jetzt nicht; habt Ihr Geld, Psmael? Ich brauche zehntausend Franken." (Forts, folgt.)