Was Voltaire heutigen Tages über seine Landsleute sagen würde? Seitdem Frankreich wieder eine Republik ist, hat es die We!: an wunderbare Dinge gewöhnt. Das wunderbarste aber ist doch das Fest, das am 16. Juni aus der Hohe des Montmartre gefeiert wurde und das dem Kultus des heil. Herzens Jesu galt. Dieser Herz-Jesu Kultus ist jetzt gerade 200 Jahre alt und nahm seinen Ursprung in dem sranzös. Nonnenkloster Paray le Monial. Hier lebte eine junge Nonne Namens Maria Alacoque, dis sich durch ihre außerordentliche Frömmigkeit und inbrünstige Andacht vor ihren Mitschwestern auszeichnete. Sie behauptete, übernatürliche Erscheinungen zu haben, und versicherte, Christus besuche sie öfters, habe sie zu seiner Gattin erhoben und ihr Herz in das seine gelegt. Eines Tages, es war im Juni 1675, den Tag selbst weiß man nicht mehr ge nau, hatte sie wieder eine Vision, daß ihr Jesus erschienen sei, seine Seite geöffnet und ihr sein gleich einem brennenden Schmetz- ofen glühendes Herz gezeigt uns gesagt habe: „Du siehst dieses Herz, welches die Menschen so sehr getieb: Hai, daß es für sie sich ha: durchbohren lassen, nm ihnen seine Liebe zu offenbaren. Als Dankeszeichen empfange ich von der Mehrzahl von ihnen Undankbarkeit. Ich bitte dich also, daß der erste Feiertag nach der Oktave des heiligsten Sakraments (4. Juni) einem besonderen Feste geweiht sei, um mein Herz durch eine feierliche Sühne und durch die heil. Kommunion an diesem Tage als Entgelt für die unwürdigen Behandlungen zu ehren, welche ihm für meine Gegenwart auf den Altären angethan worden ist. Ich verspreche dir, daß mein Herz glücklich sein wird, die Schätze seiner göttlichen Liebe in reichster Fülle auf diejenigen auszugießen, welche ihm diese Huldigung darbriugen werden, und auch auf diejenigen, welche es sich angelegen sein lassen werden, daß ihm diese Huldigung von andern dar gebracht werde." Von dieser Kundgebung sollte Marie ihrem Beichtvater, dem Jesuiten La Colombiare, Mittheilung machen, so verlangte die Erscheinung, und diese letzte Forderung war die Hauptsache. Pater Colombiöre rhat seine Schuldigkeit, die Anbetung des „heiligsten Herzens Jesu" wurde Glaubenssatz der kathol. Kirche, Marie ward heilig gesprochen und in der Privatgallerie des Papstes im Vatikan ward eine bildliche Darstellung des ganzen Vorganges ausgestellt, aus der die Nonne zu dem heiligsten Herzen Jesu ausblickt, in einer Verzückung, welche, wie behauptet wird, alles eher als eine religiöse genannt zu werden verdient. (S. M.)
Brüssel, 19. Juni. Die „Jndep." fragt Angesichts der Enthüllungen des ProsesjorS Schwann über den Schwindel, welchen der Episcopat mit der siigmalisincn Louise Latan treibt, ob die Justiz nicht eingreisen und den Unfug verfolgen wird.
Durch einen Brand wurde am 6. Juni die russische Stadl Morchansk fast vollständig zerstört. In der Stadt selbst sind 633 der besten Häuser, das Ceutrum der Sradt und des Handels, niedergebrauut, in den Vorstädten 428, also im Ganzen 1061 Häuser. Nur an den äußeren Enden der Stadt sind gegen 160 Häuser unversehrt geblieben. Dazu sind die ganze Habe der Bewohner, alle Waaren und Vorräthe, alle der Krone, der Stadt und der Landschaft gehörigen Gebänvs ein Raub der Flammen geworden. Nach Aussage der Bewohner beläuft sich ihr. gesummter Verlust auf fünf Millionen Rubel.
Rom, 16. Juni. Der Papst hat heute das Kardinats- kollegium empfangen. Der Kardinal Patrizi überreichte ihm im Namen der Kardinäle eine Adresse, in welcher die Glückwünsche dcrselben zum dreißigjährigen Regierungsjubiläum des Papstes ausgesprochen werden. Letzterer erwiderte mit einer Anrede, in welcher er im Wesentlichen nur speciell römische Verhältnisse berührte.
Die Heuschrecken, ans dem Süden kommend, haben in der Ebene von Venedig auf den Felderen und in den Weinbergen großen Schaden angerichtet. Die Bauern von Villafranca sammelten in 4 Tagen an 10,000 Scheffel dieser schädlichen Thiere auf.
Die Zustände in Italien sind nachgerade sehr trauriger Natur und die Debatten in der Kammer über das Lncherheits- gesch haben Thalsachen zu Tage gefördert, worüber einem die Haut schaudert. Der Usus, Spitzbuben mit Spitzbuben zu fangen, scheint in Italien derart im Flor zu sein, daß man faktisch nicht mehr weiß, wer der größte Hallunke ist, der, der fängt, oder der, gefangen wird. Vorzüglich auf der Insel Sizilien, wo das Räuberunwesen noch gerade wie zu Zeiten der bourbonischen Herrschaft blüht, sollen Zustände herrschen, die aller Beschreibung spvttcn. Das Ministerium ist durch Aufdeckung dieser Usbel- stände in eine sehr peinliche Lage gerathen und es könnte wohl möglich sein, daß sich dasselbe gezwungen sieht, zu demissioniren.
Newyork, 12. Juni. Nach weiteren Nachrichten wurde bei dem Erdbeben in Neu-Granada die Stadt Cucnta sim Staate Santander, 4000 Einwohner) vollständig zerstört, nur wenigen Familien gelang es sich zu retten. Fünf andere Städte wurden Zum größeren Theile verwüstet. Von der Bevölkerung des durch das Erdbeben betroffenen Landstriches, die ans etwa 35,000 angeschlagen wird, sollen gegen 16,000 umgekommen sein.
Der Ring der Muttter. (Fortsetzung.)
„Nun denn, sehen wir davon ab," sagte Frau von Weinheim unmuthig, „den Lärm hätten wir vermeiden können, wenn wir —"
„Erlauben Sie, Henriette, es muß dennoch geschehen," bemerkte Fahrenschmidt ernst; „die Verhältnisse gebieten uns. den Sekretär zu durchsuchen."
„So lhun Sie es."
„Im Beisein Leoniens?
„Ich kenne kein Mittel, sie zu entfernen, übrigens glaub« ich auch nicht, daß Ihre Befürchtungen begründet sind. "
„Man glaubt gerne, was man wünscht," spottete Fahrenschmidt. „Gewißheit ist besser als Glaube. Gehen Sie nicht so leicht darüber hinweg, Henriktte, bedenken Sie, daß Herr von Weinheim in den letzten Tagen schweigsam, verstimmt und nachdenklich war, daß noch kurz vor seinem Tode Auftritte vorgefal- len sind, die ihn wohl veranlassen konnten, das Testament ümzu- stoßen. Wenn ein Kodizill sich vorfände, würden wir zu spät bereuen, daß wir den Augenblick nicht benutzt haben. Liegt nicht die Möglichkeit nahe, daß er seine Hinterlassenschaft seinen beiden Kindern zu gleichen Theilen vererbt und Ihnen nur die Nutznießung seines halben Vermögens gestattet hat? Fällt das Vermögen in die Hände eines streng gewissenhaften Vormundes, der die Weisung hat^ Ihnen nur die Zinsen auszuzahlen, so —"
„Glauben Sie denn wirklich, daß er diese Bestimmungen getroffen haben könne?" fragte Henriette erschreckt.
„Gewiß, bei dem wankelmüthigen Charakter des Verstorbenen muß man ans Alles gefaßt sein."
„Sein Charakter war nichts weniger als wankelmüthig!"
„Um so schlimmer, denn seit jenem Auftritt, als er mir die Thüre weisen wollte, hatten Sie die Herrschaft über ihn verloren."
Frau von Weinheim wunderte in fieberhafter Erregung auf und nieder, die Worte ihres Freundes hatten nun doch ernste Befürchtungen in ihrer Seele geweckt, sie sah die Nothwendig- keit ein, seinen Rath zu befolgen.
Das wäre eine Kleinigkeit gewesen, wenn Leonie nicht den Sekretär bewacht hätte, man durfte nicht wagen, in ihrer Gegenwart die Papiere zu durchstöbern und gegen den Willen der jungen Frau mochte Henrielle auch nicht die Leiche entfernen, weil sie Las Aufsehen fürchtete, welches der Lärm im Stcrdehause erregen mußte.
„Ja, Etwas muß geschehen," sagre sie nach einer Pause. „Sie haben Recht, Eduard, wir vürfen nichts versäumen, was uns das Erbe sichern kann. Rathen Sie mir."
„Sprechen Sie selbst mit ihr.
„Und wenn Sie nicht weichen will?
„Dann müssen andere Mittet versucht werden.
„Zum Beispiel?"
Fahrenschmidt zuckte die Achseln.
„Wir haben die Ingredienzen zu einem Schlaftrunk in unserer Apoiheke, Leonie wird heuie Abend ein Glas Glühwein nicht zurückweisen."
Frau von Weinheim ruckte. Nach kurzem Nachdenken ging sie hinaus.
„Arme Leonie," sagie sie im Tone herzlicher Theilnahme, als sie in das Gemach trat; „Herr Fahrenschmidt hat Ihnen gewiß sehr wehe gethan.
Leonie blickte betroffen zu ihrer Stiefmutter empor, sie erkannte sofort, daß der herzliche Ton eine Maske war, der Blick wußte nichts von dieser Theilnahme.
„Er hat Ihren Befehl befolgt," erwiderte sie gemessen; „wenn er dabei herrisch auftrat, so mag er wohl seine Gründe haben, die ihn ganz berechtigen."
Henriette biß auf die Lippe, sie verstand die Bedeuiung dieser Worte.
„Eine Berechtigung hat er dazu keineswegs," fuhr sie fort, „er ließ sich gewiß durch die Schärfe Ihres Protestes und den Wunsch, mir einen Dienst zu erzeigen, dazu verleiten."
„Berechtigte ihn das, mir vorzuwerfen, daß ich eine Fremd« in diesem Hanse sei?"
, „Gewiß nicht, aber zürnen Sie ihm deßhalb nicht, er ist ein treuer, bewährter Diener."
„Ihnen vielleicht mehr als ein Diener, in meinen Augen ist er der Mörder meines Vaters."
„Leonie!" rief Frau von Weinheim ganz entrüstet. „Wie können Sie eine solche Anklage —"
„Mißverstehen Sie mich nicht," unterbrach Leonie sie ernst; „ick spreche nicht von einem direkten, sondern einem indirekten Morde. Wenn ich auch nicht über alle Vorfälle in diesem Hause unterrichtet bin, so weiß ich doch, daß die Unantastbarkeit des Herrn Fahrenschmidt meinem Vater großen Kummer und Aerger bereitet und es ist wohl natürlich, daß ich unter solchen Verhältnissen diesen Mann verabscheue."
„Leonie, Sie hassen ihn und Ihr Haß führt Sie weit," sagte die gnädige Frau begütigend, „man hat ihn verleumdet, und Sie haben diesen Verlänindungen ein williges Ohr geliehen.