wie den König im Schachspiel behandelt haben, welchen man ! matt setzt, aber nicht nimmt. Selbst im Siegestaumel vergaßen sie nicht, daß Paris die Stadt der Meisterwerke und Schätze, eine Weltstadt ist. Sie haben Paris nicht besetzt, sondern sind nur zum Scheine eingezoge», Franzosen waren cs, die unsere Denkmäler zertrümmerten. Wir hingegen sind drei Jahre in ihrer Hauptstadt geblieben: von 1806 bis 1809 haben wir unsere Säbel aus dem Berliner Pflaster klirren lassen, und schließlich nahmen wir ihnen nicht zwei Provinzen, sondern ihr halbes Land. Karr hat selbst in den während des letzten Krieges besetzt gewesenen Landestheilen emsig Erkundigungen über das Verhalten k der Deutschen eingezogen und die lleberzeugung gewonnen, daß der Krieg von deutscher Seite nicht strenger geführt wurde, als cs die eiserne Nolhwendigkeit einer Kriegsführung überhaupt bedingt. Als besonders charakteristisch sür französische Anschauun- i gen hebt er das ritterliche Verhalten der Deutschen gegen das zarte Geschlecht hervor. Im Gegensatz hiezu rust er seinen Lands- z leuten in's Gedächtniß, Laß Deutschland seiner Zeit durch die ! französische Occupalion von unvergleichlich schwereren Leiden heim- ! gesucht war. Aus diesem Allem folgert Karr, daß Deutschland
! nicht daran denke, Frankreich anzngreisen. Darum habe Frank
reich augenblicklich nur die eine Aufgabe, Deutschland und Europa j zu überzeugen, daß es noch genug in seinem Innern zu thun habe, daß Frankreichs ärgste Feinde in seinem eigenen Hanse seien, und daß das französische Volk entweder gar nicht au Revanche denken dürfe, oder diesen Gedanken doch auf eine Zeit vertagen ! müsse, welche die jetzigen Generationen nicht mehr erleben würden.
London, 9. Juni. Man hat es seit den Lagen Chirons, des heilkundigen Zentauren, der die Wirkung aller Pflanzen und Kräuter kannte, mit verschiedenen med i z i n i s ch e n S tzste m en versucht. Allopathie und Homöopathie liegen heutigen Tags mit einander im Kampfe, und es ist noch immer nicht ausgemacht, welche der beiden Methoden die besten Erfolge erzielt, obschon man ihre Wirksamkeit in neben einander gebauten Spitälern beobachtet hat. Schon beim Beginne dieses wissenschaftlichen Streites wurde der Vorschlag gemacht, es mit einem dritten System zu versuchen-, neben einem allopathischen und einem homöopati schen Spital einen zu bauen, zu dem gar kein Doktor Zutritt ! haben sollte, und dann zu sehen, wo die meisten Leute gesund ^ werden. Dieses Mißtrauen in die Medizin wird von der Sekte „Peculiar People" (seltsame Leute) vollständig getheilt. Sie l erwarten keine Hülfe von Doktorenweisheit, sondern verlassen
s sich in Krankheitsfällen einzig aus die Hülfe Gottes. Vor einigen
s Tagen haben sie ein großes Haus in Tower-slreet, nahe bei
London-fields, gemiethet, dasselbe zum Krankenhaus eingerichtet,
. und einen Schild mit der folgenden einladenden Zuschrift ange-
; bracht: „Haus des Glaubens, zur Aufnahme solcher Kranken,
die für unheilbar gelten, damit sie durch gläubiges Gebet geheilt j werden." Außerdem sind noch mehrere Bibelsprüche beigefügt.
: Leider sind aber nicht alle Leute so fromm und gläubig, wie die
i „Peculiar People." Die Nachbarschaft gerieth in große Auf
regung und will von der Eröffnung eines Krankenhauses für Unheil- : bare nichts wissen; mehrere Anhänger der glaubensstarken Sekte
> sehen überdieß ihrer gerichtlichen Verhandlung wegen Todtschlags entgegen, weil sie gefährliche Kranke ohne ärztliche Hülse ließen.
London, 10. Juni. (Oberhaus.) Auf eine Anfrage Shaf- tesbury's bestätigte Carnarvon, daß die Mehrzahl der Bewohner der Fidschi-Inseln durch die Masernepidemie umgekommen sei, darunter auch viele Häuptlinge, die Regierung beim Uebergang in britischen Besitz gerechnet habe. Er hoffe, die Epidemie werde jetzt abnehmcn. Die Regierung ordnete telegraphisch Alles an, um der Epidemie wirksam entgegenzutreten; auch wurden Maßregeln, um Unruhen vorznbeugen, angeordnet.
Von England aus, das sich stets den Anschein geben will, als verwende es seinen Einfluß — der übrigens zum Theil nur noch in der Einbildung und auf Tradition beruht — um den europäischen Frieden zu sichern, ist die Idee eines Congresses der Großmächte verbreitet worden, um den gegenwärtigen Territorialbestand Deutschlands und Frankreichs unter die Garantie der Mächte zu stellen und dadurch einen stets als Gespenst wieder auftauchenden Krieg zwischen Deutschland und Frankreich zur Unmöglichkeit zu machen.
Ein amerikanisches Blatt zählt allein in New-Nork7 Männer namentlich auf, welche es durch Handelsgeschäfte, die sie , ganz ohne Vermögen oder nur mit geringen Mitteln anfingen,
j in verhältnißmäßig kurzer Zeit zu Millionen, zum Theil zu
, vielen Millionen gebracht haben. Es wird ihnen dabei : zugleich das Zeugniß ausgestellt, daß sie nicht mit gebratenen
Tauben gefüttert worden sind, welche nach einer alten Sage drüben
> wie die Maikäfer herumfliegen sollen, sondern sich's haben blut sauer werden lassen im Kampfe mit schweren Sorgen, aus dem sie endlich durch Umsicht und rastlose Thätigkeit als Sieger hervorgegangen sind.
Der Ring der Muttter. (Fortsetzung.) j „Madame, die gnädige Frau befiehlt, daß die Leiche in die
Familiengruft gebracht werde," wandte er sich zu Leonie; sie soll
dort in offenem Sarge bis zur Beisetzung stehen bleiben."
Leonie hatte sich erhoben, die Gluth des Zornes loderte in ihren Augen.
„Und ich, mein Herr, befehle Ihnen, sich zu entfernen," erwiderte sie mit bebender Stimme; „so lange ich in diesem Hause weile, dulde ich nicht, daß Sie dieses Gemach noch einmal betreten.
Nicht in Blick und Stimme allein, in der Haltung, dem ganzen Wesen der jungen Frau lag eine Hoheit, welche dem Hauslehrer imponirte und ihn verwirrte.
„Madame so lautet der Befehl —"
„Madame hat vor der Testamentseröffnung hier nicht mehr zu befehlen, wie ich!" unterbrach Leonie ihn scharf. „Erst dann, wenn wir von dem letzten Willen des Verblichenen in Kenntniß gesetzt sind, werden wir wissen, wer das Recht hat, hier Befehle zu ertheilen, bis dahin sollte man wenigstens Anstand und Würde in dem Trauerhause wahren."
„Aber so bedenken Sie doch die Folgen, welche die Angst vor einem Ausbruche der Epidemie in diesem Hause haben kann," warf Fahrenschmidt in bedeutend höflicherem Tone ein; „diese Angst ist trotz des Gutachtens unseres Arztes nicht geschwunden."
„Vielleicht liegt es im Interesse der gnädigen Frau, sie als Deckmantel zu benützen," entgegnete Leonie in beißendem Tone. „Wie dem auch sein mag, ich dulde nicht, daß jener Befehl ausgeführt wird!"
„Dann müßten wir gewaltsam —"
„Mein Herr, ich wiederhole Ihnen, Sie haben nicht das Recht, in diesem Tone zu reden, entfernen Sie sich und entweihen Sie wenigstens diesen Raum nicht durch Ihr brüskes Benehmen!"
Fahrenschmidt hatte längst die Thüre geschlossen, er schien entschlossen zu sein, diesen Kampf aufzunehmen und durchzuführen.
„Ich bedaure sehr, Sie darauf aufmerksam machen zu müssen, daß Frau von Weinheim hier die einzige rechtmäßige Gebieterin ist," sagte er. „Sie haben durch Ihre damalige Flucht sich jedes Rechtes begeben. Verzeihen Sie, daß ich Ihnen das sage, aber ich halte es für nöthig, Sie daran zu erinnern. Im Uebrigen ist es Ihnen unbenommen, in der kleinen Kapelle neben der Gruft am Familiensarge zu wachen, wenn Sie das nöthig oder wünschenswerth finden."
„So sind Sie also fest entschlossen, Ihren Willen durchzusetzen," fragte Leonie, mühsant an sich haltend.
„Es ist nicht mein Wille, sondern —"
„Wir wollen das nicht untersuchen, antworten Sie mir auf meine Frage!"
„So würden Sie sehr unangenehme Folgen gewärtigen müssen."
Fahrenschmidt blickte eine geraume Weile die junge Frau an, als ob er erwarte, daß sie ihm diese Folgen ausführlich schildern werde, dann verbeugte er sich in einer Weise, welche das ohnedieß empörte Gemüth Leoniens tief verletzen mußte.
„Ich werde der gnädigen Frau darüber Bericht erstatten," sagte er, „indessen glaube ich nicht, daß sie Ihren Protest anerkennen wird."
„Hoffen Sie nicht, daß dieser Sturm schon abgeschlagen sei," nahm Joseph das Wort, nachdem der Hauslehrer sich entfernt hatte, „im Gegentheil, Ihr Protest wird den Trotz der gnädigen Frau herausfordern."
„Ich biete ihm die Stirne," entgegnete Leonie düster. Welche Absichten mögen jenem Befehle zu Grunde liegen?''
«Ich glaube, sie zu errathen. Sagte ich Ihnen nicht, daß dieser Sekretär ein wichtiges Dokument berge?"
„Weiß die gnädige Frau es?"
,,Schwerlich, aber sie wird ahnen, daß Herr von Weinheim geheime Dokumente hinterlassen hat, deren Vernichtung in Ihrem Interesse liegt."
„Wohlan, um so fester bin ich entschlossen, meinen Posten zu behaupten."
„Madame wird selbst kommen und den Dienern befehlen —"
„So verlasse ich mich auf Euch, Joseph. Geht in jenes Kabinet, Ihr sollt wenigstens später bezeugen können, daß ich der Gewalt weichen mußte."
Kopfschüttelnd kam Joseph der Aufforderung nach, Leonie setzte sich wieder in den Sessel und erwartete in fieberhafter Spannung die kommenden Dinge, fest entschlossen, diesen Kampf mit der Stiefmutter auszufechten.
Frau von Weinheim war auf den Protest vorbereitet, aber der Bericht ihres Freundes übertraf dennoch ihre Erwartungen.
Diesen Trotz, diese Kühnheit hatte sie nicht erwartet.
«Wie kann diese Landstreicherin sich unterstehen, mir das in meinem Hause zu bieten?" fuhr sie entrüstet auf. «Muß sie denn nicht selbst fühlen, daß sie eine Fremde in diesemHMse ist, daß sie mir Dank schuldet, wenn ich sie hier dulde?"
„Sie beruft sich auf ihr Recht, Henriette," erwiderte Fahrenschmidt achselzückend, „und Niemand kann bestreiten, daß sie ein solches hat, so lange das Testament nicht eröffnet ist."
„Aber sie kann doch voraussehen, daß sie wenigstens teilweise enterbt ist!"
„Moralisch freilich; indeß das Gesetz erkennt moralische Beweise nicht als gültig an." (Fortsetzung f.)