«0. Jahrgang.

Mo. S4.

Amts- uilll Intelligenzbkatt für äea Aezirü.

Erscheint Dienstag, Donnerstag L Samstag.

Die Einrückungsgebühr beträgt 9 H p. Spalte tm Bezirk, sonst 12 H.

Donnerstag, äen 7. Mai 1885.

Abonnementspreis halbjährlich 1 ^ 80 H, durch die Post bezogen im Bezirk 2 30 H, sonst in

ganz Württemberg 2 70 H.

^otitische Wachrrichterr.

Deutsches Reich.

Stuttgart, 3. Mai. (Aus dem Bericht der Stutt­garter Handelskammer.) Nach dem soeben erschienenen Rechen­schaftsbericht der Stuttgarter Handels« und Gewerbekammer brachte das Jahr 1884 den meisten Fabriken des Bezirks (während das Kleingewerbe an den alten Uebelständen krankt) eine lebhaste Thätigkeit, besonders hatten die Tricotweberei, die Fabrikation und Verarbeitung von Wollstoffen, die Baumwollspinnerei, Jacquardweberei, Corsettenfabrikation, die verschiedenen Spezialitäten in der Maschinenindustrie, die Kesselsabrikation, die Zink-, Plaque-, Edelmettalwarenindustrie, die Leder- und zum Teil auch die Pianosortefabri­kation einer Steigerung des Umsatzes sich zu erfreuen. Das Gesamtresultat faßt der Bericht dahin zusammen, daß 1884 trotz des Mißbehagens aller Producenten, Landeigentümer, gewerblichen Unternehmer, Banquiers rc. der Wohlstand der großen Masse sich befestigt hat, ein Ergeb­nis, welches wir in erster Linie der politischen Sicherheit des Deutschen Reiches zu verdanken haben. Um einzelne Punkte aus dem Bericht hervorzuheben, sei erwähnt, daß 1884 fünf neue Aktiengesellschaften mit einer Einzahlung von 2,940,000 in Württemberg gegründet wurden; auf dem Gebiete des Genossenschaftswesens kamen 22 Neugründungen vor, darunter 17 Darlehenskassenvereine. Der Bücherversandt ab Stuttgart betrug 1884 3,089,806 Kilogramm gegen 3,168,280 Kilogramm im Vorjahr. Trotz dieses kleinen Ausfalles nimmt der hiesige Platz als Verlagsort an Kraft und Schlagfertigkeit eher zu als ab. Einen kaum geahnten Aufschwung hat in den letzten Jahren die für Stuttgart so wichtige Rundstuhlweberei ge­nommen, die Zahl der Rundstühle hat sich binnen kurzem nahezu verdreifacht und von verschiedenen württembergischen Häusern wird die Neueinrichtung von Trikotwebereien geplant. Konkurse von Bedeutung sind im Stuttgarter Bezirk nicht vorgekommen.

Der Reichstag wird heute (4.) in die zweite Beratung der Börsen- steuervorlage eintreten. Der Gesetzentwurf, wie er aus der Kommission an das Plenum kommt, enthält bekanntlich als hervorragendstes Merkmal die prozentuale Besteuerung, und der von der Kommission ausgearbeitete Entwurf dürfte auch zur Annahme gelangen und höchstens in Sachen der Kontrollbestimmungen einige eventuell mildernde Abänderungen erfahren.

England.

Heute liegen über Krieg und Frieden keine neue Nachrichten vor, es bleibt zunächst bei den Nachrichten der Daily News, welche sehr günstig für den Frieden lauten. Auch heute sprechen Daily News ihre Freude da­rüber aus, daß die Aussichten auf den Frieden jetzt besser sind, als zu irgend einer Zeit während der Verhandlungen. Nachdem der Zar für den Gedanken eines schiedsrichterlichen Spruchs der sich übrigens mit dem Verhalten des Generals Kommaroff nicht zu beschäftigen hätte gewonnen ist, steht einer friedlichen Beilegung nichts mehr im Wege.

Afrika.

Aus Kamerun erfährt derHamb. Korresp." unterm 27. März, daß der Friede daselbst mit den Jobleuten wiederhergestellt sei. Die letzteren haben den Mörder des Herrn Pantänius ausgeliefert, und der­selbe ist standrechtlich erschossen worden. Die Joßleute bauen sich wieder in ihren früheren Wohnsitzen an.

^ Uages-Weirigkeiten.

Calw, 6. Mai. Gestern wurde hier ein Mädchen in Haft gebracht, das schon längere Zeit im Verdacht der Schwangerschaft stand. Das plötz­lich veränderte Aussehen veranlaßte die Verhaftung, der auch das Gestängnis geboren zu haben sofort nachfolgte, nachdem man in ihrer Kammer in einer Kiste liegend, den Leichnam eines neugeborenen Kindes gefunden hatte. Die des Kurdsmords Verdächtige befindet sich noch in Haft da der SektionSbefund ihre Freilassung nicht zu gestatten scheint.

s§s Aus dem obern Gäu, 2. Mai. Von der Gemeinde D ecken - pfronn wurde am 1. Mai ein Fest gefeiert, wie es nur von gemütlichen und dankbaren Schwaben gefeiert werden kann. Hr. Schullehrer Heinz ist nervlich seit 25 Jahren ununterbrochen als Lehrer dort thätig. Seine Per­son selbst leutselig und bescheiden neben tüchtigen Wissen und Können, ist vielen Angehörigen unsers Bezirks bekannt. Seine Erfolge im Unter­richten und Erziehen sind auch von solch schönen Erfolgen begleitet, daß es sich die Gemeinde (worin derLiederkranz" undMilitärverein") es sich nicht nehmen ließ, dem geliebten Lehrer ein Fest zu bereiten. Und wirklich großartig gestaltete sich dasselbe. Man sah, daß es nicht künstlich gemacht, sondern eigentlich gefühlt wurde von den Deckcnpfronnern. Es war im wahren

Feuilleton.

Im Abgrunde.

Roman von Louis Hackenbroich. (Verfasser des RomansEin Vampy r/)

Fortsetzung.

Auf der ganzen Fahrt von Baltimores Wohnung bis zum Hause des Grafen hatten Baltimore und Leo kein Wort der Unterhaltung gepflogen. Der Vater Theresens, von Natur finster und schweigsam, hatte nicht das Bedürfnis empfunden, fernere Fragen an den jungen Mann zu richten. Alles, was für ihn von Interesse sein konnte, wußte er bereits; seine Tochter lieble den jungen Mann, und das genügte ihm. Ob der Mann, der seinem Kinde Liebe eingeflößt hatte, ein Liebling oder ein Enterbter des Glückes sei, alle jene Fragen, die gewöhnlich bei Heiratsplänen eine so hervorragende und ausschlaggebende Nolle spielen, waren für ihn ganz gleichgültig. Seit lange hatte er mit den Vorurteilen gebrochen, die die Welt regieren, und die Art, wie er das Menschenleben und die menschlichen Verhältnisse auffaßte und beurteilte, der Skepticismus, der seine Grundsätze und seine Handlungsweise zu regeln pflegte, hätte ihm den Sohn eines Arbeiters ebenso willkommen als Schwiegersohn erscheinen lassen, wie den Sohn und Erben eines Fürsten, vorausgesetzt, daß der Eine wie der Andere die nötigen Eigenschaften besäße, um seine Tochter glücklich zu machen. Was Leo von Villefleur anging, so erschien demselben, nachdem der erste Augenblick seiner Begeisterung entflohen war und er begonnen hatte, kaltblütiger den Schritt zu überlegen, den er zu thun im Begriffe stand, die Lage denn doch weniger lachend und rosig, als seine Phantasie sie ihm etwas übereilt vorgezaubert hatte

Er vergegenwärtigte sich in der Thal nicht ohne eine gewisse Furcht die Ueberraschung, vielleicht auch die Entrüstung, die sein Vater an den Tag legen würde, wenn er ihm Mitteilung von feinem eben getroffenen Ueberein- kommen mit Baltimore machte, zu der er nicht einmal den Rat des Grafen eingeholt hatte; er kannte den unbeugsamen Adelsstolz seines Vaters, wußte zu genau, welchen Wert derselbe seinem Wappen, dem Ruhme seiner Ahnen,

den gesellschaftlichen Vorzügen seines Standes beimaß, um voraussetzen zu können, daß Graf Villefleur in der Verbindung Leo's mit der Tochter Balti­mores eine unwürdige, entehrende Mesalliance erblicken würde. Dazu kam noch der Umstand, daß Leo, falls der Graf nicht bei dieser prinzipiellen Schwierigkeit stehen blieb, nicht einmal die geringste Auskunft über die gesell­schaftliche Stellung, die Ehrenhaftigkeit, das Vermögen des Mannes zu geben in der Lage war. den er zu seinem Schwiegervater ersehen hatte; denn außer einigen in der Nachbarschaft gesammelten oberflächlichen Nachrichten über die Familie Baltimores wußte er garnichts über denselben. Mochten dieselben ihm auch genügt haben, sein Vater würde Näheres zu wissen verlangen und wahrscheinlich sogar, wenn er auf seine Fragen nicht dienen konnte, Balti­more selbst um Auskunft über sich ersuchen. Und wenn dann dieser wilde Charakter in seinen Antworten, wie es leicht vorauszusehen war, den Stolz des Grafen beleidigte, war es dann nicht sicher daß die eben begonnene Unter­haltung geradezu jäh zu diesem Bruche führen würde? Seine Beziehungen zu Lucienne und die ihm bekannten Wünsche des Grafen bezüglich seiner künftigen Verbindung mit derselben kamen ihm hierbei gar nicht einmal in den Sinn; denn in Wahrheit hatte der junge Offizier dieses Heiratsprojekt seines Vaters niemals ernst genommen, und wenn er die Eröffnungen, die dieser ihm zu wiederholten Malen in dieser Beziehung gemacht hatte, anschei­nend auch durch ein Stillschweigen gebilligt hatte, so hatte er in Wirklichkeit doch geglaubt, mit der Zeit würde sein Vater selbst von dieser Idee zurück­kommen, sobald derselbe gleich ihm die Ueberzeugung gewonnen hätte, daß die Charaktere der jungen Leute für einander geschaffen seien, und daß er selbst für seine Cousine höchstens die Liebe eines Bruders besäße, die ihm für eine Heirat ganz ungenügend erschien. Von den Gründen, die den Grafen die geplante Verbindung als unumgänglichen Zwang erscheinen ließen, hatte Leo gar keine Ahnung.

Unter dem erstaunten Blicke und Angesichts der überraschten Haltung des Grafen fühlte der junge Mann den Nest von Willensstärke und Ent- schlossenheit schwinden, der ihn noch bis in das Kabinet seines Vaters geleitet hatte. Indes sah er zugleich ein, daß er sein Zaudern nicht länger dürfe andauern lassen, wenn er nicht Alles aus's Spiel setzen und sich und seinen